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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Giftschlangen im Allgemeinen.
wenn der Oberkiefer sich zurückzieht. Jeder Giftzahn nun ist entweder auf der vorderen, aus-
gewölbten Seite gefurcht oder besitzt hier an der Wurzel ein Loch, welches in die Hohlröhre des
Zahnes führt und gegen die Spitze hin, ebenfalls an der Vorderseite, schlitzförmig sich öffnet. Die
ernährenden Gefäße treten hinter der oberen Oeffnung der Giftröhre in eine Einsenkung des Wurzel-
theiles ein. Je nach der Größe des Thieres haben die Gifthaken eine verschiedene Länge; dieselbe
steht jedoch nicht im genauen Verhältnisse zu jener des Thieres selbst: so haben namentlich alle Tag-
giftschlangen verhältnißmäßig kleine, alle Nachtgiftschlangen verhältnißmäßig große Zähne. Bei
unserer Kreuzotter erreichen die Gifthaken eine Länge von 11/2 bis 13/4, höchstens zwei Linien, bei
der Lanzenschlange werden sie zolllang. Sie sind glasartig, hart und spröde, aber außerordentlich
spitzig und durchdringen deshalb mit der Leichtigkeit einer scharfen Nadel weiche Gegenstände, sogar
weiches Leder, während sie von harten oft abgleiten oder selbst zerspringen, wenn der Schlag, welchen
die Schlange ausführt, heftig war. Jst einer von ihnen verloren gegangen, so tritt der nächstfolgende
Ersatzzahn an seine Stelle; ein solcher Wechsel scheint jedoch auch ohne äußerliche Ursache mit einer
gewissen Regelmäßigkeit stattzufinden, alljährlich einmal, vielleicht öster. Jhre Entwickelung und
Ausbildung scheint ungemein rasch vor sich zu gehen: Lenz fand, daß junge Kreuzottern, welche er,
seiner Berechnung nach, vier oder höchstens sechs Tage vor der Geburt dem Leibe hochträchtiger
Weibchen entnahm, noch keine Giftzähne hatten, während solche, welche seiner Muthmaßung nach in
den nächsten Tagen geheckt werden mußten, schon ganz ausgebildete Gifthaken besaßen.

Das Gift selbst, dem Speichel vergleichbar oder als solcher zu bezeichnen, ist eine wasserhelle,
dünnflüssige, durchsichtige, gelblich oder grünlich gefärbte Flüssigkeit, welche im Wasser zu Boden
fällt, sich jedoch auch unter leichter Trübung mit demselben vermischt, Lackmuspapier röthet und sich
sonach als Säure verhält. Es besteht, nach Mitchell's Untersuchungen, aus einem eiweißartigen
Stoffe, dem wirksamen Bestandtheile, welcher in reinem Alkohol, nicht aber bei höherer Wärme
gerinnt, einem ähnlichen, aber zusammengesetzten Stoffe, welcher keine Wirkung äußert und
in der Wärme ebensowohl als im Alkohol gerinnt, einer gelben Färbe- und einer unbestimmbaren
Masse, beide in Alkohol löslich, in Fett und freier Säure und endlich in Salzen, Chlor
und Phosphor, trocknet leicht auf Gegenständen fest und erscheint dann glänzend wie ein Firniß,
behält auch, nach Mangili's Versuchen, seine Eigenschaften jahrelang. Jede Giftdrüse sondert
nur eine äußerst geringe Menge dieser lebenvernichtenden Flüssigkeit ab: die einer sechs Fuß
langen, gesunden Klapperschlange höchstens vier bis sechs Tropfen; aber ein geringer Theil eines
solchen Tropfens genügt freilich auch, um das Blut eines großen Säugethieres binnen wenigen
Minuten zu verändern. Die Giftdrüse strotzt von Gift, wenn die Schlange längere Zeit nicht
gebissen hat, und das Gift selbst ist dann wirksamer, als wenn das Gegentheil der Fall: der Ersatz
der verbrauchten Absonderung geht jedoch sehr rasch vor sich, und auch das frischerzeugte ist im
höchsten Grade wirksam.

Welcher blutzersetzende Stoff eigentlich in diesem Schlangenspeichel enthalten sei, weiß man noch
nicht, so viele Untersuchungen auch bisher hierüber angestellt worden sind; wir kennen also das Gift
nur seinem Aussehen und seiner Wirkung nach. Hinsichtlich der letzteren scheint soviel festzustehen,
daß sie um so heftiger ist, je größer die Schlange und je heißer die Witterung, daß sie sich aber
bezüglich der verschiedenartigen Giftschlangen nicht unterscheidet. Früher hat man angenommen, daß
das Gift ohne Nachtheil verschluckt werden könnte, während man durch neuerliche Versuche gefunden
hat, daß dasselbe, selbst bei bedeutender Verdünnung mit Wasser, in den Magen gebracht, noch auf-
fallende Wirkungen äußert, beim Verschlucken Schmerzen hervorruft und die Gehirnthätigkeit stört.
Demungeachtet bleibt der alte Erfahrungssatz immer noch wahr: daß das Schlangengift, nur wenn
es unmittelbar ins Blut übergeführt wird, das Leben ernstlich gefährdet. Je rascher und vollkommener
der Blutumlauf, um so verheerender zeigt sich die Wirkung des Giftes: warmblutige Thiere sterben
nach einem Schlangenbisse viel schneller und sicherer als Kriechthiere, Lurche oder Fische; sogenannte
weißblütige, d. h. wirbellose Thiere scheinen gar nicht unter dem Gifte zu leiden. Zwei Giftschlangen

Giftſchlangen im Allgemeinen.
wenn der Oberkiefer ſich zurückzieht. Jeder Giftzahn nun iſt entweder auf der vorderen, aus-
gewölbten Seite gefurcht oder beſitzt hier an der Wurzel ein Loch, welches in die Hohlröhre des
Zahnes führt und gegen die Spitze hin, ebenfalls an der Vorderſeite, ſchlitzförmig ſich öffnet. Die
ernährenden Gefäße treten hinter der oberen Oeffnung der Giftröhre in eine Einſenkung des Wurzel-
theiles ein. Je nach der Größe des Thieres haben die Gifthaken eine verſchiedene Länge; dieſelbe
ſteht jedoch nicht im genauen Verhältniſſe zu jener des Thieres ſelbſt: ſo haben namentlich alle Tag-
giftſchlangen verhältnißmäßig kleine, alle Nachtgiftſchlangen verhältnißmäßig große Zähne. Bei
unſerer Kreuzotter erreichen die Gifthaken eine Länge von 1½ bis 1¾, höchſtens zwei Linien, bei
der Lanzenſchlange werden ſie zolllang. Sie ſind glasartig, hart und ſpröde, aber außerordentlich
ſpitzig und durchdringen deshalb mit der Leichtigkeit einer ſcharfen Nadel weiche Gegenſtände, ſogar
weiches Leder, während ſie von harten oft abgleiten oder ſelbſt zerſpringen, wenn der Schlag, welchen
die Schlange ausführt, heftig war. Jſt einer von ihnen verloren gegangen, ſo tritt der nächſtfolgende
Erſatzzahn an ſeine Stelle; ein ſolcher Wechſel ſcheint jedoch auch ohne äußerliche Urſache mit einer
gewiſſen Regelmäßigkeit ſtattzufinden, alljährlich einmal, vielleicht öſter. Jhre Entwickelung und
Ausbildung ſcheint ungemein raſch vor ſich zu gehen: Lenz fand, daß junge Kreuzottern, welche er,
ſeiner Berechnung nach, vier oder höchſtens ſechs Tage vor der Geburt dem Leibe hochträchtiger
Weibchen entnahm, noch keine Giftzähne hatten, während ſolche, welche ſeiner Muthmaßung nach in
den nächſten Tagen geheckt werden mußten, ſchon ganz ausgebildete Gifthaken beſaßen.

Das Gift ſelbſt, dem Speichel vergleichbar oder als ſolcher zu bezeichnen, iſt eine waſſerhelle,
dünnflüſſige, durchſichtige, gelblich oder grünlich gefärbte Flüſſigkeit, welche im Waſſer zu Boden
fällt, ſich jedoch auch unter leichter Trübung mit demſelben vermiſcht, Lackmuspapier röthet und ſich
ſonach als Säure verhält. Es beſteht, nach Mitchell’s Unterſuchungen, aus einem eiweißartigen
Stoffe, dem wirkſamen Beſtandtheile, welcher in reinem Alkohol, nicht aber bei höherer Wärme
gerinnt, einem ähnlichen, aber zuſammengeſetzten Stoffe, welcher keine Wirkung äußert und
in der Wärme ebenſowohl als im Alkohol gerinnt, einer gelben Färbe- und einer unbeſtimmbaren
Maſſe, beide in Alkohol löslich, in Fett und freier Säure und endlich in Salzen, Chlor
und Phosphor, trocknet leicht auf Gegenſtänden feſt und erſcheint dann glänzend wie ein Firniß,
behält auch, nach Mangili’s Verſuchen, ſeine Eigenſchaften jahrelang. Jede Giftdrüſe ſondert
nur eine äußerſt geringe Menge dieſer lebenvernichtenden Flüſſigkeit ab: die einer ſechs Fuß
langen, geſunden Klapperſchlange höchſtens vier bis ſechs Tropfen; aber ein geringer Theil eines
ſolchen Tropfens genügt freilich auch, um das Blut eines großen Säugethieres binnen wenigen
Minuten zu verändern. Die Giftdrüſe ſtrotzt von Gift, wenn die Schlange längere Zeit nicht
gebiſſen hat, und das Gift ſelbſt iſt dann wirkſamer, als wenn das Gegentheil der Fall: der Erſatz
der verbrauchten Abſonderung geht jedoch ſehr raſch vor ſich, und auch das friſcherzeugte iſt im
höchſten Grade wirkſam.

Welcher blutzerſetzende Stoff eigentlich in dieſem Schlangenſpeichel enthalten ſei, weiß man noch
nicht, ſo viele Unterſuchungen auch bisher hierüber angeſtellt worden ſind; wir kennen alſo das Gift
nur ſeinem Ausſehen und ſeiner Wirkung nach. Hinſichtlich der letzteren ſcheint ſoviel feſtzuſtehen,
daß ſie um ſo heftiger iſt, je größer die Schlange und je heißer die Witterung, daß ſie ſich aber
bezüglich der verſchiedenartigen Giftſchlangen nicht unterſcheidet. Früher hat man angenommen, daß
das Gift ohne Nachtheil verſchluckt werden könnte, während man durch neuerliche Verſuche gefunden
hat, daß daſſelbe, ſelbſt bei bedeutender Verdünnung mit Waſſer, in den Magen gebracht, noch auf-
fallende Wirkungen äußert, beim Verſchlucken Schmerzen hervorruft und die Gehirnthätigkeit ſtört.
Demungeachtet bleibt der alte Erfahrungsſatz immer noch wahr: daß das Schlangengift, nur wenn
es unmittelbar ins Blut übergeführt wird, das Leben ernſtlich gefährdet. Je raſcher und vollkommener
der Blutumlauf, um ſo verheerender zeigt ſich die Wirkung des Giftes: warmblutige Thiere ſterben
nach einem Schlangenbiſſe viel ſchneller und ſicherer als Kriechthiere, Lurche oder Fiſche; ſogenannte
weißblütige, d. h. wirbelloſe Thiere ſcheinen gar nicht unter dem Gifte zu leiden. Zwei Giftſchlangen

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[253/0275] Giftſchlangen im Allgemeinen. wenn der Oberkiefer ſich zurückzieht. Jeder Giftzahn nun iſt entweder auf der vorderen, aus- gewölbten Seite gefurcht oder beſitzt hier an der Wurzel ein Loch, welches in die Hohlröhre des Zahnes führt und gegen die Spitze hin, ebenfalls an der Vorderſeite, ſchlitzförmig ſich öffnet. Die ernährenden Gefäße treten hinter der oberen Oeffnung der Giftröhre in eine Einſenkung des Wurzel- theiles ein. Je nach der Größe des Thieres haben die Gifthaken eine verſchiedene Länge; dieſelbe ſteht jedoch nicht im genauen Verhältniſſe zu jener des Thieres ſelbſt: ſo haben namentlich alle Tag- giftſchlangen verhältnißmäßig kleine, alle Nachtgiftſchlangen verhältnißmäßig große Zähne. Bei unſerer Kreuzotter erreichen die Gifthaken eine Länge von 1½ bis 1¾, höchſtens zwei Linien, bei der Lanzenſchlange werden ſie zolllang. Sie ſind glasartig, hart und ſpröde, aber außerordentlich ſpitzig und durchdringen deshalb mit der Leichtigkeit einer ſcharfen Nadel weiche Gegenſtände, ſogar weiches Leder, während ſie von harten oft abgleiten oder ſelbſt zerſpringen, wenn der Schlag, welchen die Schlange ausführt, heftig war. Jſt einer von ihnen verloren gegangen, ſo tritt der nächſtfolgende Erſatzzahn an ſeine Stelle; ein ſolcher Wechſel ſcheint jedoch auch ohne äußerliche Urſache mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit ſtattzufinden, alljährlich einmal, vielleicht öſter. Jhre Entwickelung und Ausbildung ſcheint ungemein raſch vor ſich zu gehen: Lenz fand, daß junge Kreuzottern, welche er, ſeiner Berechnung nach, vier oder höchſtens ſechs Tage vor der Geburt dem Leibe hochträchtiger Weibchen entnahm, noch keine Giftzähne hatten, während ſolche, welche ſeiner Muthmaßung nach in den nächſten Tagen geheckt werden mußten, ſchon ganz ausgebildete Gifthaken beſaßen. Das Gift ſelbſt, dem Speichel vergleichbar oder als ſolcher zu bezeichnen, iſt eine waſſerhelle, dünnflüſſige, durchſichtige, gelblich oder grünlich gefärbte Flüſſigkeit, welche im Waſſer zu Boden fällt, ſich jedoch auch unter leichter Trübung mit demſelben vermiſcht, Lackmuspapier röthet und ſich ſonach als Säure verhält. Es beſteht, nach Mitchell’s Unterſuchungen, aus einem eiweißartigen Stoffe, dem wirkſamen Beſtandtheile, welcher in reinem Alkohol, nicht aber bei höherer Wärme gerinnt, einem ähnlichen, aber zuſammengeſetzten Stoffe, welcher keine Wirkung äußert und in der Wärme ebenſowohl als im Alkohol gerinnt, einer gelben Färbe- und einer unbeſtimmbaren Maſſe, beide in Alkohol löslich, in Fett und freier Säure und endlich in Salzen, Chlor und Phosphor, trocknet leicht auf Gegenſtänden feſt und erſcheint dann glänzend wie ein Firniß, behält auch, nach Mangili’s Verſuchen, ſeine Eigenſchaften jahrelang. Jede Giftdrüſe ſondert nur eine äußerſt geringe Menge dieſer lebenvernichtenden Flüſſigkeit ab: die einer ſechs Fuß langen, geſunden Klapperſchlange höchſtens vier bis ſechs Tropfen; aber ein geringer Theil eines ſolchen Tropfens genügt freilich auch, um das Blut eines großen Säugethieres binnen wenigen Minuten zu verändern. Die Giftdrüſe ſtrotzt von Gift, wenn die Schlange längere Zeit nicht gebiſſen hat, und das Gift ſelbſt iſt dann wirkſamer, als wenn das Gegentheil der Fall: der Erſatz der verbrauchten Abſonderung geht jedoch ſehr raſch vor ſich, und auch das friſcherzeugte iſt im höchſten Grade wirkſam. Welcher blutzerſetzende Stoff eigentlich in dieſem Schlangenſpeichel enthalten ſei, weiß man noch nicht, ſo viele Unterſuchungen auch bisher hierüber angeſtellt worden ſind; wir kennen alſo das Gift nur ſeinem Ausſehen und ſeiner Wirkung nach. Hinſichtlich der letzteren ſcheint ſoviel feſtzuſtehen, daß ſie um ſo heftiger iſt, je größer die Schlange und je heißer die Witterung, daß ſie ſich aber bezüglich der verſchiedenartigen Giftſchlangen nicht unterſcheidet. Früher hat man angenommen, daß das Gift ohne Nachtheil verſchluckt werden könnte, während man durch neuerliche Verſuche gefunden hat, daß daſſelbe, ſelbſt bei bedeutender Verdünnung mit Waſſer, in den Magen gebracht, noch auf- fallende Wirkungen äußert, beim Verſchlucken Schmerzen hervorruft und die Gehirnthätigkeit ſtört. Demungeachtet bleibt der alte Erfahrungsſatz immer noch wahr: daß das Schlangengift, nur wenn es unmittelbar ins Blut übergeführt wird, das Leben ernſtlich gefährdet. Je raſcher und vollkommener der Blutumlauf, um ſo verheerender zeigt ſich die Wirkung des Giftes: warmblutige Thiere ſterben nach einem Schlangenbiſſe viel ſchneller und ſicherer als Kriechthiere, Lurche oder Fiſche; ſogenannte weißblütige, d. h. wirbelloſe Thiere ſcheinen gar nicht unter dem Gifte zu leiden. Zwei Giftſchlangen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/275>, abgerufen am 17.05.2024.