Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Wassernattern.
Jn dem Hügellande der Schweiz werden, nach Tschudi, zwei oder drei verschiedene, ständige Spielarten beobachtet, eine olivengraue, eine mehr röthlichgraue und eine zwischen beiden stehende gefleckte; das allgemeine Gepräge läßt sich jedoch auch bei ihnen nicht verkennen.
Umbuschte Ufer der Sümpfe und Brüche, langsam fließende Bäche und Flüsse, feuchte Wälder, das Binsicht oder Ried und der Sumpf selbst bilden den bevorzugten Aufenthalt der Ringelnatter; denn hier findet sie ihre liebste Nahrung. Doch begegnet man ihr auch auf höheren Bergen, weit von jedem Wasser und zwar, laut Lenz, keineswegs blos zufällig, sondern jederzeit im Jahre, sodaß man also mit Recht annehmen muß, sie verlasse solchen Aufenthalt nicht. Nicht selten nähert sie sich den menschlichen Wohnungen, schlägt hier in Gehöfte unter Mist- und Mullhaufen, welche sie sich selbst durchlöchert, oder in den von Ratten, Mäusen und Maulwürfen gegrabenen Löchern, auch wohl in Kellern und Ställen ihren Wohnsitz auf und bekräftigt dann scheinbar die uralte Sage, daß sie den Kühen die Milch wegtrinke. Jm Herbste sieht man sie bei gutem und warmem Wetter noch im November sich sonnen; im Frühjahre kommt sie Ende März oder Anfangs April wieder zum Vorscheine und erquickt sich nun erst einige Wochen an der strahlenden Wärme, bevor sie ihr Sommer- leben oder selbst ihre Jagd beginnt.
Wer die uns anerzogene Schlangenfurcht von sich abgestreift und die Ringelnatter kennen gelernt hat, wird sie ohne Bedenken als ein anmuthiges und anziehendes Geschöpf bezeichnen. Sie gehört zu den bewegungsfähigsten und bewegungslustigsten Arten der Familie, reckt sich zwar eben- falls gern im Sonnenscheine und verweilt stundenlang mit Behagen in dieser Lage, streift aber doch viel und gern umher, jedenfalls weit mehr als die tückischlauernde, träge Giftschlange, welche selbst des Nachts sich in einem möglichst kleinen Umkreise bewegt. An bebuschten Ufern ruhiger Gewässer kann man ihre Lebhaftigkeit und Beweglichkeit leicht beobachten. Vom Ufer aus, an dessen Rande sie sich eben sonnte, gleitet sie geräuschlos in das Wasser, um entweder schwimmend sich zu erlustigen oder ein Bad zu nehmen. Gewöhnlich hält sie sich so nah der Oberfläche, daß das Köpfchen über dieselbe emporragt, und treibt sich nun mit schlängelnden Seitenbewegungen, beständig züngelnd, vorwärts; manchmal aber schwimmt sie auch zwischen der Oberfläche und dem Grunde des Wassers dahin, Luftblasen aufwerfend und in der Nähe festerer Gegenstände mit der Zunge tastend. Erschreckt und in Flucht gesetzt, flüchtet sie sich regelmäßig in die Tiefe des Wassers und gleitet hier entweder auf dem Grunde desselben oder doch dicht über ihm eine gute Strecke fort, bis sie glaubt, sich genügend gesichert zu haben, und dann wieder zur Oberfläche aufsteigt oder auch auf dem Grunde sich nieder- läßt und hier längere Zeit verharrt; denn sie kann stundenlang unter Wasser verweilen. "Dies habe ich", sagt Lenz, "nicht nur draußen, sondern besser noch in der Stube beobachtet. So hatte ich sechzehn Ringelnattern in einem großen, halb mit Wasser gefüllten Fasse; auf dem Grunde des Wassers lag ein Bret, auf dem sie ruhen konnten; unter dem Brete war ein Pfahl. Da sah ich denn, daß sie oft freiwillig halbe Stunden lang unter dem Wasser verweilten, indem sie entweder unter dem Brete oder tiefer unten um den Pfahl gewunden verblieben." Wenn sie größere Strecken schwimmend durchmessen, beispielsweise einen breiten Fluß oder einen See durchschwimmen will, füllt sie ihre weite Lunge soviel als möglich mit Luft an und erleichtert sich dadurch bedeutend, während sie beim Nieder- tauchen jederzeit die Lunge erst entleert. Daß sie wirklich weite Wasserflächen überschwimmt, ist zur Genüge festgestellt worden. Schinz sah sie bei stillem Wetter inmitten des Züricher Sees munter um- herschwimmen; englische Forscher trafen sie wiederholt im Meere zwischen Wales und Anglesea an; ja, der dänische Schiffer Jrminger fand eine sogar auf offenem Meere in einer Entfernung von drei und einer Viertelmeile von der nächsten Küste, der Jnsel Rügen. Da sie an Bord zu kommen strebte, ließ er ein Boot herab, fing sie und sandte sie an Eschricht nach Kopenhagen, welcher sie bestimmte. Jhr Kriechen auf dem Boden geht ziemlich rasch vor sich; doch kann man sie, auch ohne sich bedeutend anzu- strengen, in der Ebene jederzeit einholen, während sie sich an Gehängen hernieder zuweilen mit so großer Schnelligkeit in die Tiefe stürzt, daß man sie recht gut mit einem Pfeile vergleichen darf. Auch im Klettern ist sie durchaus nicht ungeschickt, und manchmal besteigt sie ziemlich hohe Bäume. "Jch
Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Waſſernattern.
Jn dem Hügellande der Schweiz werden, nach Tſchudi, zwei oder drei verſchiedene, ſtändige Spielarten beobachtet, eine olivengraue, eine mehr röthlichgraue und eine zwiſchen beiden ſtehende gefleckte; das allgemeine Gepräge läßt ſich jedoch auch bei ihnen nicht verkennen.
Umbuſchte Ufer der Sümpfe und Brüche, langſam fließende Bäche und Flüſſe, feuchte Wälder, das Binſicht oder Ried und der Sumpf ſelbſt bilden den bevorzugten Aufenthalt der Ringelnatter; denn hier findet ſie ihre liebſte Nahrung. Doch begegnet man ihr auch auf höheren Bergen, weit von jedem Waſſer und zwar, laut Lenz, keineswegs blos zufällig, ſondern jederzeit im Jahre, ſodaß man alſo mit Recht annehmen muß, ſie verlaſſe ſolchen Aufenthalt nicht. Nicht ſelten nähert ſie ſich den menſchlichen Wohnungen, ſchlägt hier in Gehöfte unter Miſt- und Mullhaufen, welche ſie ſich ſelbſt durchlöchert, oder in den von Ratten, Mäuſen und Maulwürfen gegrabenen Löchern, auch wohl in Kellern und Ställen ihren Wohnſitz auf und bekräftigt dann ſcheinbar die uralte Sage, daß ſie den Kühen die Milch wegtrinke. Jm Herbſte ſieht man ſie bei gutem und warmem Wetter noch im November ſich ſonnen; im Frühjahre kommt ſie Ende März oder Anfangs April wieder zum Vorſcheine und erquickt ſich nun erſt einige Wochen an der ſtrahlenden Wärme, bevor ſie ihr Sommer- leben oder ſelbſt ihre Jagd beginnt.
Wer die uns anerzogene Schlangenfurcht von ſich abgeſtreift und die Ringelnatter kennen gelernt hat, wird ſie ohne Bedenken als ein anmuthiges und anziehendes Geſchöpf bezeichnen. Sie gehört zu den bewegungsfähigſten und bewegungsluſtigſten Arten der Familie, reckt ſich zwar eben- falls gern im Sonnenſcheine und verweilt ſtundenlang mit Behagen in dieſer Lage, ſtreift aber doch viel und gern umher, jedenfalls weit mehr als die tückiſchlauernde, träge Giftſchlange, welche ſelbſt des Nachts ſich in einem möglichſt kleinen Umkreiſe bewegt. An bebuſchten Ufern ruhiger Gewäſſer kann man ihre Lebhaftigkeit und Beweglichkeit leicht beobachten. Vom Ufer aus, an deſſen Rande ſie ſich eben ſonnte, gleitet ſie geräuſchlos in das Waſſer, um entweder ſchwimmend ſich zu erluſtigen oder ein Bad zu nehmen. Gewöhnlich hält ſie ſich ſo nah der Oberfläche, daß das Köpfchen über dieſelbe emporragt, und treibt ſich nun mit ſchlängelnden Seitenbewegungen, beſtändig züngelnd, vorwärts; manchmal aber ſchwimmt ſie auch zwiſchen der Oberfläche und dem Grunde des Waſſers dahin, Luftblaſen aufwerfend und in der Nähe feſterer Gegenſtände mit der Zunge taſtend. Erſchreckt und in Flucht geſetzt, flüchtet ſie ſich regelmäßig in die Tiefe des Waſſers und gleitet hier entweder auf dem Grunde deſſelben oder doch dicht über ihm eine gute Strecke fort, bis ſie glaubt, ſich genügend geſichert zu haben, und dann wieder zur Oberfläche aufſteigt oder auch auf dem Grunde ſich nieder- läßt und hier längere Zeit verharrt; denn ſie kann ſtundenlang unter Waſſer verweilen. „Dies habe ich“, ſagt Lenz, „nicht nur draußen, ſondern beſſer noch in der Stube beobachtet. So hatte ich ſechzehn Ringelnattern in einem großen, halb mit Waſſer gefüllten Faſſe; auf dem Grunde des Waſſers lag ein Bret, auf dem ſie ruhen konnten; unter dem Brete war ein Pfahl. Da ſah ich denn, daß ſie oft freiwillig halbe Stunden lang unter dem Waſſer verweilten, indem ſie entweder unter dem Brete oder tiefer unten um den Pfahl gewunden verblieben.“ Wenn ſie größere Strecken ſchwimmend durchmeſſen, beiſpielsweiſe einen breiten Fluß oder einen See durchſchwimmen will, füllt ſie ihre weite Lunge ſoviel als möglich mit Luft an und erleichtert ſich dadurch bedeutend, während ſie beim Nieder- tauchen jederzeit die Lunge erſt entleert. Daß ſie wirklich weite Waſſerflächen überſchwimmt, iſt zur Genüge feſtgeſtellt worden. Schinz ſah ſie bei ſtillem Wetter inmitten des Züricher Sees munter um- herſchwimmen; engliſche Forſcher trafen ſie wiederholt im Meere zwiſchen Wales und Angleſea an; ja, der däniſche Schiffer Jrminger fand eine ſogar auf offenem Meere in einer Entfernung von drei und einer Viertelmeile von der nächſten Küſte, der Jnſel Rügen. Da ſie an Bord zu kommen ſtrebte, ließ er ein Boot herab, fing ſie und ſandte ſie an Eſchricht nach Kopenhagen, welcher ſie beſtimmte. Jhr Kriechen auf dem Boden geht ziemlich raſch vor ſich; doch kann man ſie, auch ohne ſich bedeutend anzu- ſtrengen, in der Ebene jederzeit einholen, während ſie ſich an Gehängen hernieder zuweilen mit ſo großer Schnelligkeit in die Tiefe ſtürzt, daß man ſie recht gut mit einem Pfeile vergleichen darf. Auch im Klettern iſt ſie durchaus nicht ungeſchickt, und manchmal beſteigt ſie ziemlich hohe Bäume. „Jch
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Die Schlangen. Stummelfüßler. Nattern. Waſſernattern.
Jn dem Hügellande der Schweiz werden, nach Tſchudi, zwei oder drei verſchiedene, ſtändige
Spielarten beobachtet, eine olivengraue, eine mehr röthlichgraue und eine zwiſchen beiden ſtehende
gefleckte; das allgemeine Gepräge läßt ſich jedoch auch bei ihnen nicht verkennen.
Umbuſchte Ufer der Sümpfe und Brüche, langſam fließende Bäche und Flüſſe, feuchte Wälder,
das Binſicht oder Ried und der Sumpf ſelbſt bilden den bevorzugten Aufenthalt der Ringelnatter;
denn hier findet ſie ihre liebſte Nahrung. Doch begegnet man ihr auch auf höheren Bergen, weit
von jedem Waſſer und zwar, laut Lenz, keineswegs blos zufällig, ſondern jederzeit im Jahre, ſodaß
man alſo mit Recht annehmen muß, ſie verlaſſe ſolchen Aufenthalt nicht. Nicht ſelten nähert ſie ſich
den menſchlichen Wohnungen, ſchlägt hier in Gehöfte unter Miſt- und Mullhaufen, welche ſie ſich
ſelbſt durchlöchert, oder in den von Ratten, Mäuſen und Maulwürfen gegrabenen Löchern, auch wohl
in Kellern und Ställen ihren Wohnſitz auf und bekräftigt dann ſcheinbar die uralte Sage, daß ſie
den Kühen die Milch wegtrinke. Jm Herbſte ſieht man ſie bei gutem und warmem Wetter noch im
November ſich ſonnen; im Frühjahre kommt ſie Ende März oder Anfangs April wieder zum
Vorſcheine und erquickt ſich nun erſt einige Wochen an der ſtrahlenden Wärme, bevor ſie ihr Sommer-
leben oder ſelbſt ihre Jagd beginnt.
Wer die uns anerzogene Schlangenfurcht von ſich abgeſtreift und die Ringelnatter kennen
gelernt hat, wird ſie ohne Bedenken als ein anmuthiges und anziehendes Geſchöpf bezeichnen. Sie
gehört zu den bewegungsfähigſten und bewegungsluſtigſten Arten der Familie, reckt ſich zwar eben-
falls gern im Sonnenſcheine und verweilt ſtundenlang mit Behagen in dieſer Lage, ſtreift aber doch
viel und gern umher, jedenfalls weit mehr als die tückiſchlauernde, träge Giftſchlange, welche ſelbſt
des Nachts ſich in einem möglichſt kleinen Umkreiſe bewegt. An bebuſchten Ufern ruhiger Gewäſſer
kann man ihre Lebhaftigkeit und Beweglichkeit leicht beobachten. Vom Ufer aus, an deſſen Rande
ſie ſich eben ſonnte, gleitet ſie geräuſchlos in das Waſſer, um entweder ſchwimmend ſich zu erluſtigen
oder ein Bad zu nehmen. Gewöhnlich hält ſie ſich ſo nah der Oberfläche, daß das Köpfchen über
dieſelbe emporragt, und treibt ſich nun mit ſchlängelnden Seitenbewegungen, beſtändig züngelnd,
vorwärts; manchmal aber ſchwimmt ſie auch zwiſchen der Oberfläche und dem Grunde des Waſſers
dahin, Luftblaſen aufwerfend und in der Nähe feſterer Gegenſtände mit der Zunge taſtend. Erſchreckt
und in Flucht geſetzt, flüchtet ſie ſich regelmäßig in die Tiefe des Waſſers und gleitet hier entweder
auf dem Grunde deſſelben oder doch dicht über ihm eine gute Strecke fort, bis ſie glaubt, ſich genügend
geſichert zu haben, und dann wieder zur Oberfläche aufſteigt oder auch auf dem Grunde ſich nieder-
läßt und hier längere Zeit verharrt; denn ſie kann ſtundenlang unter Waſſer verweilen. „Dies
habe ich“, ſagt Lenz, „nicht nur draußen, ſondern beſſer noch in der Stube beobachtet. So hatte
ich ſechzehn Ringelnattern in einem großen, halb mit Waſſer gefüllten Faſſe; auf dem Grunde des
Waſſers lag ein Bret, auf dem ſie ruhen konnten; unter dem Brete war ein Pfahl. Da ſah ich denn,
daß ſie oft freiwillig halbe Stunden lang unter dem Waſſer verweilten, indem ſie entweder unter dem
Brete oder tiefer unten um den Pfahl gewunden verblieben.“ Wenn ſie größere Strecken ſchwimmend
durchmeſſen, beiſpielsweiſe einen breiten Fluß oder einen See durchſchwimmen will, füllt ſie ihre weite
Lunge ſoviel als möglich mit Luft an und erleichtert ſich dadurch bedeutend, während ſie beim Nieder-
tauchen jederzeit die Lunge erſt entleert. Daß ſie wirklich weite Waſſerflächen überſchwimmt, iſt zur
Genüge feſtgeſtellt worden. Schinz ſah ſie bei ſtillem Wetter inmitten des Züricher Sees munter um-
herſchwimmen; engliſche Forſcher trafen ſie wiederholt im Meere zwiſchen Wales und Angleſea an; ja,
der däniſche Schiffer Jrminger fand eine ſogar auf offenem Meere in einer Entfernung von drei und
einer Viertelmeile von der nächſten Küſte, der Jnſel Rügen. Da ſie an Bord zu kommen ſtrebte, ließ
er ein Boot herab, fing ſie und ſandte ſie an Eſchricht nach Kopenhagen, welcher ſie beſtimmte. Jhr
Kriechen auf dem Boden geht ziemlich raſch vor ſich; doch kann man ſie, auch ohne ſich bedeutend anzu-
ſtrengen, in der Ebene jederzeit einholen, während ſie ſich an Gehängen hernieder zuweilen mit ſo großer
Schnelligkeit in die Tiefe ſtürzt, daß man ſie recht gut mit einem Pfeile vergleichen darf. Auch im
Klettern iſt ſie durchaus nicht ungeſchickt, und manchmal beſteigt ſie ziemlich hohe Bäume. „Jch
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/240>, abgerufen am 21.12.2024.
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