gewissermaßen ausbrütet: -- ob Dies von freilebenden Riesenschlangen auch geschieht, weiß man nicht. Die etwa ellenlangen und daumendicken Jungen beginnen nach dem Ausschlüpfen die Lebensweise ihrer Eltern, verbleiben aber anfänglich noch in einem gewissen Verbande, d. h. halten sich in kleinen Trupps noch längere Zeit an einer und derselben Stelle zusammen, diese auf dem Boden, jene im Gezweige der Bäume Herberge nehmend. Jhr Wachsthum scheint ziemlich langsam von statten zu gehen; es läßt sich also annehmen, daß Stücke von funfzehn und mehr Fuß Länge ein hohes Alter haben müssen.
Furcht vor den Riesenschlangen hegen nur die Unkundigen, nicht aber Diejenigen, welche sie kennen gelernt haben. Jn Brasilien weiß Jedermann, daß sie dem Herrn der Erde die schuldige Hochachtung regelmäßig bethätigen, d. h. sich bei seinem Erscheinen so eilig als möglich aus dem Staube machen. Es soll vorgekommen sein, daß riesengroße Stücke sich gelegentlich an Menschen vergriffen, d. h. ihn umschlungen haben; keine einzige Erzählung aber von den vielen, welche berichten, daß die Riesenschlangen auch den Menschen als Jagdwild ansehen, ist so verbürgt, daß sie glaubhaft erscheinen könnte. Jedenfalls ist so viel gewiß, daß kein südamerikanischer Jäger sie fürchtet Man stellt ihnen eifrig nach, weil man Fleisch, Fett und Fell auf mancherlei Weise benutzt. Ersteres wird allerdings nur von den Jndianern gegessen, dem Fette aber schreibt man ziemlich allgemein heil- kräftige Wirkungen zu, und die Haut bereitet man zu allerlei Zierrath. Die Jagd selbst geschieht gegenwärtig fast nur mit dem Feuergewehre. Ein nach dem Kopfe gerichteter Schrotschuß genügt voll- kommen, um eine Riesenschlange zu tödten; denn im Verhältnisse zu ihrer Größe und Stärke besitzt sie eine ungleich geringere Lebenszähigkeit als andere Arten ihrer Ordnung. Neuerdings verwerthet man die Riesenschlangen übrigens besser, d. h. höher als früher, indem man sie lebend einfängt und nach Europa oder Nordamerika sendet. Hier finden sie in den Thierführern jederzeit willige Ab- nehmer, weil eine Thierbude ohne Riesenschlange ihr hauptsächlichstes Zugmittel entbehrt. Grauen- erfüllt sieht der biedere Landmann, angsterfüllt die wißbegierige Städterin, wie der Wärter, nachdem er einen seiner unübertrefflichen Vorträge über die gesammte Thierwelt gehalten und das unvermeid- liche Trinkgeld glücklich eingeheimst, einer langen Kiste zugeht und aus derselben die in wollene Decken gehüllte Boa hervorholt, sie sich über die Achsel legt, um den Hals schlingt, überhaupt in einer Weise mit dem Scheusal umgeht, daß einzelnen Beschauern die Haare zu Berge steigen. Zum Glück für die Wärter einer Thierschaubude, welche ohne Riesenschlange auf den besten Theil ihrer Einnahme ver- zichten mußten, ist der Umgang mit dem "Drachen" nicht so gefährlich, als die Menge wähnt. Frisch gefangene Boas geberden sich allerdings ungestüm, bewegen sich heftig, sobald man sie anpackt und bedienen sich wohl auch zuweilen mit Erfolg ihres Gebisses, gewöhnen sich jedoch bald insoweit an den sie fütternden Menschen, daß sie sich, ohne Widerstand zu leisten, behandeln und mißhandeln lassen. Gefährlich wird der Umgang mit ihnen nicht, obgleich es immerhin möglich ist, daß ein von Lenz mitgetheilter Unglücksfall sich wirklich zugetragen hat, nämlich, daß ein junges Mädchen, welches als indische Göttin mit einer um den Leib geringelten Riesenschlange vor den Zuschauern zu erscheinen hatte, von der Boa getödtet wurde, weil deren Raublust durch einen freigekommenen Affen rege geworden war.
Die Riesenschlangen zerfallen in zwei Hauptgruppen oder, wie einige Forscher wollen, Familien, je nachdem Zähne im Zwischenkiefer sehlen oder vorhanden und die unteren Schwanzschilder einfach oder paarig getheilt sind. Zur ersten Gruppe, den Schlingern(Centrophes) gehören die Königs- schlinger(Boa): amerikanische Stummelfüßler mit Greifschwanz, kleinen Schildern am Kopfe und glatten Schuppen, vertreten durch die bekannte Abgott- oder Königsschlange(Boa constrictor). Jhre Zeichnung ist sehr hübsch und ansprechend, obgleich nur wenige und einfache Farben mit einander abwechseln. Ein angenehmes Röthlichgrau ist die Grundfärbung; über den Rücken verläuft ein
Die Schlangen. Stummelfüßler. Königsſchlinger.
gewiſſermaßen ausbrütet: — ob Dies von freilebenden Rieſenſchlangen auch geſchieht, weiß man nicht. Die etwa ellenlangen und daumendicken Jungen beginnen nach dem Ausſchlüpfen die Lebensweiſe ihrer Eltern, verbleiben aber anfänglich noch in einem gewiſſen Verbande, d. h. halten ſich in kleinen Trupps noch längere Zeit an einer und derſelben Stelle zuſammen, dieſe auf dem Boden, jene im Gezweige der Bäume Herberge nehmend. Jhr Wachsthum ſcheint ziemlich langſam von ſtatten zu gehen; es läßt ſich alſo annehmen, daß Stücke von funfzehn und mehr Fuß Länge ein hohes Alter haben müſſen.
Furcht vor den Rieſenſchlangen hegen nur die Unkundigen, nicht aber Diejenigen, welche ſie kennen gelernt haben. Jn Braſilien weiß Jedermann, daß ſie dem Herrn der Erde die ſchuldige Hochachtung regelmäßig bethätigen, d. h. ſich bei ſeinem Erſcheinen ſo eilig als möglich aus dem Staube machen. Es ſoll vorgekommen ſein, daß rieſengroße Stücke ſich gelegentlich an Menſchen vergriffen, d. h. ihn umſchlungen haben; keine einzige Erzählung aber von den vielen, welche berichten, daß die Rieſenſchlangen auch den Menſchen als Jagdwild anſehen, iſt ſo verbürgt, daß ſie glaubhaft erſcheinen könnte. Jedenfalls iſt ſo viel gewiß, daß kein ſüdamerikaniſcher Jäger ſie fürchtet Man ſtellt ihnen eifrig nach, weil man Fleiſch, Fett und Fell auf mancherlei Weiſe benutzt. Erſteres wird allerdings nur von den Jndianern gegeſſen, dem Fette aber ſchreibt man ziemlich allgemein heil- kräftige Wirkungen zu, und die Haut bereitet man zu allerlei Zierrath. Die Jagd ſelbſt geſchieht gegenwärtig faſt nur mit dem Feuergewehre. Ein nach dem Kopfe gerichteter Schrotſchuß genügt voll- kommen, um eine Rieſenſchlange zu tödten; denn im Verhältniſſe zu ihrer Größe und Stärke beſitzt ſie eine ungleich geringere Lebenszähigkeit als andere Arten ihrer Ordnung. Neuerdings verwerthet man die Rieſenſchlangen übrigens beſſer, d. h. höher als früher, indem man ſie lebend einfängt und nach Europa oder Nordamerika ſendet. Hier finden ſie in den Thierführern jederzeit willige Ab- nehmer, weil eine Thierbude ohne Rieſenſchlange ihr hauptſächlichſtes Zugmittel entbehrt. Grauen- erfüllt ſieht der biedere Landmann, angſterfüllt die wißbegierige Städterin, wie der Wärter, nachdem er einen ſeiner unübertrefflichen Vorträge über die geſammte Thierwelt gehalten und das unvermeid- liche Trinkgeld glücklich eingeheimſt, einer langen Kiſte zugeht und aus derſelben die in wollene Decken gehüllte Boa hervorholt, ſie ſich über die Achſel legt, um den Hals ſchlingt, überhaupt in einer Weiſe mit dem Scheuſal umgeht, daß einzelnen Beſchauern die Haare zu Berge ſteigen. Zum Glück für die Wärter einer Thierſchaubude, welche ohne Rieſenſchlange auf den beſten Theil ihrer Einnahme ver- zichten mußten, iſt der Umgang mit dem „Drachen“ nicht ſo gefährlich, als die Menge wähnt. Friſch gefangene Boas geberden ſich allerdings ungeſtüm, bewegen ſich heftig, ſobald man ſie anpackt und bedienen ſich wohl auch zuweilen mit Erfolg ihres Gebiſſes, gewöhnen ſich jedoch bald inſoweit an den ſie fütternden Menſchen, daß ſie ſich, ohne Widerſtand zu leiſten, behandeln und mißhandeln laſſen. Gefährlich wird der Umgang mit ihnen nicht, obgleich es immerhin möglich iſt, daß ein von Lenz mitgetheilter Unglücksfall ſich wirklich zugetragen hat, nämlich, daß ein junges Mädchen, welches als indiſche Göttin mit einer um den Leib geringelten Rieſenſchlange vor den Zuſchauern zu erſcheinen hatte, von der Boa getödtet wurde, weil deren Raubluſt durch einen freigekommenen Affen rege geworden war.
Die Rieſenſchlangen zerfallen in zwei Hauptgruppen oder, wie einige Forſcher wollen, Familien, je nachdem Zähne im Zwiſchenkiefer ſehlen oder vorhanden und die unteren Schwanzſchilder einfach oder paarig getheilt ſind. Zur erſten Gruppe, den Schlingern(Centrophes) gehören die Königs- ſchlinger(Boa): amerikaniſche Stummelfüßler mit Greifſchwanz, kleinen Schildern am Kopfe und glatten Schuppen, vertreten durch die bekannte Abgott- oder Königsſchlange(Boa constrictor). Jhre Zeichnung iſt ſehr hübſch und anſprechend, obgleich nur wenige und einfache Farben mit einander abwechſeln. Ein angenehmes Röthlichgrau iſt die Grundfärbung; über den Rücken verläuft ein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0216"n="196"/><fwplace="top"type="header">Die Schlangen. Stummelfüßler. Königsſchlinger.</fw><lb/>
gewiſſermaßen ausbrütet: — ob Dies von freilebenden Rieſenſchlangen auch geſchieht, weiß man nicht.<lb/>
Die etwa ellenlangen und daumendicken Jungen beginnen nach dem Ausſchlüpfen die Lebensweiſe<lb/>
ihrer Eltern, verbleiben aber anfänglich noch in einem gewiſſen Verbande, d. h. halten ſich in kleinen<lb/>
Trupps noch längere Zeit an einer und derſelben Stelle zuſammen, dieſe auf dem Boden, jene im<lb/>
Gezweige der Bäume Herberge nehmend. Jhr Wachsthum ſcheint ziemlich langſam von ſtatten zu<lb/>
gehen; es läßt ſich alſo annehmen, daß Stücke von funfzehn und mehr Fuß Länge ein hohes Alter<lb/>
haben müſſen.</p><lb/><p>Furcht vor den Rieſenſchlangen hegen nur die Unkundigen, nicht aber Diejenigen, welche ſie<lb/>
kennen gelernt haben. Jn Braſilien weiß Jedermann, daß ſie dem Herrn der Erde die ſchuldige<lb/>
Hochachtung regelmäßig bethätigen, d. h. ſich bei ſeinem Erſcheinen ſo eilig als möglich aus dem<lb/>
Staube machen. Es ſoll vorgekommen ſein, daß rieſengroße Stücke ſich gelegentlich an Menſchen<lb/>
vergriffen, d. h. ihn umſchlungen haben; keine einzige Erzählung aber von den vielen, welche<lb/>
berichten, daß die Rieſenſchlangen auch den Menſchen als Jagdwild anſehen, iſt ſo verbürgt, daß ſie<lb/>
glaubhaft erſcheinen könnte. Jedenfalls iſt ſo viel gewiß, daß kein ſüdamerikaniſcher Jäger ſie fürchtet<lb/>
Man ſtellt ihnen eifrig nach, weil man Fleiſch, Fett und Fell auf mancherlei Weiſe benutzt. Erſteres<lb/>
wird allerdings nur von den Jndianern gegeſſen, dem Fette aber ſchreibt man ziemlich allgemein heil-<lb/>
kräftige Wirkungen zu, und die Haut bereitet man zu allerlei Zierrath. Die Jagd ſelbſt geſchieht<lb/>
gegenwärtig faſt nur mit dem Feuergewehre. Ein nach dem Kopfe gerichteter Schrotſchuß genügt voll-<lb/>
kommen, um eine Rieſenſchlange zu tödten; denn im Verhältniſſe zu ihrer Größe und Stärke beſitzt ſie<lb/>
eine ungleich geringere Lebenszähigkeit als andere Arten ihrer Ordnung. Neuerdings verwerthet<lb/>
man die Rieſenſchlangen übrigens beſſer, d. h. höher als früher, indem man ſie lebend einfängt und<lb/>
nach Europa oder Nordamerika ſendet. Hier finden ſie in den Thierführern jederzeit willige Ab-<lb/>
nehmer, weil eine Thierbude ohne Rieſenſchlange ihr hauptſächlichſtes Zugmittel entbehrt. Grauen-<lb/>
erfüllt ſieht der biedere Landmann, angſterfüllt die wißbegierige Städterin, wie der Wärter, nachdem<lb/>
er einen ſeiner unübertrefflichen Vorträge über die geſammte Thierwelt gehalten und das unvermeid-<lb/>
liche Trinkgeld glücklich eingeheimſt, einer langen Kiſte zugeht und aus derſelben die in wollene Decken<lb/>
gehüllte Boa hervorholt, ſie ſich über die Achſel legt, um den Hals ſchlingt, überhaupt in einer Weiſe<lb/>
mit dem Scheuſal umgeht, daß einzelnen Beſchauern die Haare zu Berge ſteigen. Zum Glück für die<lb/>
Wärter einer Thierſchaubude, welche ohne Rieſenſchlange auf den beſten Theil ihrer Einnahme ver-<lb/>
zichten mußten, iſt der Umgang mit dem „Drachen“ nicht ſo gefährlich, als die Menge wähnt. Friſch<lb/>
gefangene Boas geberden ſich allerdings ungeſtüm, bewegen ſich heftig, ſobald man ſie anpackt und<lb/>
bedienen ſich wohl auch zuweilen mit Erfolg ihres Gebiſſes, gewöhnen ſich jedoch bald inſoweit an<lb/>
den ſie fütternden Menſchen, daß ſie ſich, ohne Widerſtand zu leiſten, behandeln und mißhandeln<lb/>
laſſen. Gefährlich wird der Umgang mit ihnen nicht, obgleich es immerhin möglich iſt, daß ein von<lb/><hirendition="#g">Lenz</hi> mitgetheilter Unglücksfall ſich wirklich zugetragen hat, nämlich, daß ein junges Mädchen,<lb/>
welches als indiſche Göttin mit einer um den Leib geringelten Rieſenſchlange vor den Zuſchauern zu<lb/>
erſcheinen hatte, von der Boa getödtet wurde, weil deren Raubluſt durch einen freigekommenen Affen<lb/>
rege geworden war.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Die Rieſenſchlangen zerfallen in zwei Hauptgruppen oder, wie einige Forſcher wollen, Familien,<lb/>
je nachdem Zähne im Zwiſchenkiefer ſehlen oder vorhanden und die unteren Schwanzſchilder einfach<lb/>
oder paarig getheilt ſind. Zur erſten Gruppe, den <hirendition="#g">Schlingern</hi><hirendition="#aq">(Centrophes)</hi> gehören die <hirendition="#g">Königs-<lb/>ſchlinger</hi><hirendition="#aq">(Boa):</hi> amerikaniſche Stummelfüßler mit Greifſchwanz, kleinen Schildern am Kopfe und<lb/>
glatten Schuppen, vertreten durch die bekannte <hirendition="#g">Abgott-</hi> oder <hirendition="#g">Königsſchlange</hi><hirendition="#aq">(Boa constrictor).</hi><lb/>
Jhre Zeichnung iſt ſehr hübſch und anſprechend, obgleich nur wenige und einfache Farben mit einander<lb/>
abwechſeln. Ein angenehmes Röthlichgrau iſt die Grundfärbung; über den Rücken verläuft ein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[196/0216]
Die Schlangen. Stummelfüßler. Königsſchlinger.
gewiſſermaßen ausbrütet: — ob Dies von freilebenden Rieſenſchlangen auch geſchieht, weiß man nicht.
Die etwa ellenlangen und daumendicken Jungen beginnen nach dem Ausſchlüpfen die Lebensweiſe
ihrer Eltern, verbleiben aber anfänglich noch in einem gewiſſen Verbande, d. h. halten ſich in kleinen
Trupps noch längere Zeit an einer und derſelben Stelle zuſammen, dieſe auf dem Boden, jene im
Gezweige der Bäume Herberge nehmend. Jhr Wachsthum ſcheint ziemlich langſam von ſtatten zu
gehen; es läßt ſich alſo annehmen, daß Stücke von funfzehn und mehr Fuß Länge ein hohes Alter
haben müſſen.
Furcht vor den Rieſenſchlangen hegen nur die Unkundigen, nicht aber Diejenigen, welche ſie
kennen gelernt haben. Jn Braſilien weiß Jedermann, daß ſie dem Herrn der Erde die ſchuldige
Hochachtung regelmäßig bethätigen, d. h. ſich bei ſeinem Erſcheinen ſo eilig als möglich aus dem
Staube machen. Es ſoll vorgekommen ſein, daß rieſengroße Stücke ſich gelegentlich an Menſchen
vergriffen, d. h. ihn umſchlungen haben; keine einzige Erzählung aber von den vielen, welche
berichten, daß die Rieſenſchlangen auch den Menſchen als Jagdwild anſehen, iſt ſo verbürgt, daß ſie
glaubhaft erſcheinen könnte. Jedenfalls iſt ſo viel gewiß, daß kein ſüdamerikaniſcher Jäger ſie fürchtet
Man ſtellt ihnen eifrig nach, weil man Fleiſch, Fett und Fell auf mancherlei Weiſe benutzt. Erſteres
wird allerdings nur von den Jndianern gegeſſen, dem Fette aber ſchreibt man ziemlich allgemein heil-
kräftige Wirkungen zu, und die Haut bereitet man zu allerlei Zierrath. Die Jagd ſelbſt geſchieht
gegenwärtig faſt nur mit dem Feuergewehre. Ein nach dem Kopfe gerichteter Schrotſchuß genügt voll-
kommen, um eine Rieſenſchlange zu tödten; denn im Verhältniſſe zu ihrer Größe und Stärke beſitzt ſie
eine ungleich geringere Lebenszähigkeit als andere Arten ihrer Ordnung. Neuerdings verwerthet
man die Rieſenſchlangen übrigens beſſer, d. h. höher als früher, indem man ſie lebend einfängt und
nach Europa oder Nordamerika ſendet. Hier finden ſie in den Thierführern jederzeit willige Ab-
nehmer, weil eine Thierbude ohne Rieſenſchlange ihr hauptſächlichſtes Zugmittel entbehrt. Grauen-
erfüllt ſieht der biedere Landmann, angſterfüllt die wißbegierige Städterin, wie der Wärter, nachdem
er einen ſeiner unübertrefflichen Vorträge über die geſammte Thierwelt gehalten und das unvermeid-
liche Trinkgeld glücklich eingeheimſt, einer langen Kiſte zugeht und aus derſelben die in wollene Decken
gehüllte Boa hervorholt, ſie ſich über die Achſel legt, um den Hals ſchlingt, überhaupt in einer Weiſe
mit dem Scheuſal umgeht, daß einzelnen Beſchauern die Haare zu Berge ſteigen. Zum Glück für die
Wärter einer Thierſchaubude, welche ohne Rieſenſchlange auf den beſten Theil ihrer Einnahme ver-
zichten mußten, iſt der Umgang mit dem „Drachen“ nicht ſo gefährlich, als die Menge wähnt. Friſch
gefangene Boas geberden ſich allerdings ungeſtüm, bewegen ſich heftig, ſobald man ſie anpackt und
bedienen ſich wohl auch zuweilen mit Erfolg ihres Gebiſſes, gewöhnen ſich jedoch bald inſoweit an
den ſie fütternden Menſchen, daß ſie ſich, ohne Widerſtand zu leiſten, behandeln und mißhandeln
laſſen. Gefährlich wird der Umgang mit ihnen nicht, obgleich es immerhin möglich iſt, daß ein von
Lenz mitgetheilter Unglücksfall ſich wirklich zugetragen hat, nämlich, daß ein junges Mädchen,
welches als indiſche Göttin mit einer um den Leib geringelten Rieſenſchlange vor den Zuſchauern zu
erſcheinen hatte, von der Boa getödtet wurde, weil deren Raubluſt durch einen freigekommenen Affen
rege geworden war.
Die Rieſenſchlangen zerfallen in zwei Hauptgruppen oder, wie einige Forſcher wollen, Familien,
je nachdem Zähne im Zwiſchenkiefer ſehlen oder vorhanden und die unteren Schwanzſchilder einfach
oder paarig getheilt ſind. Zur erſten Gruppe, den Schlingern (Centrophes) gehören die Königs-
ſchlinger (Boa): amerikaniſche Stummelfüßler mit Greifſchwanz, kleinen Schildern am Kopfe und
glatten Schuppen, vertreten durch die bekannte Abgott- oder Königsſchlange (Boa constrictor).
Jhre Zeichnung iſt ſehr hübſch und anſprechend, obgleich nur wenige und einfache Farben mit einander
abwechſeln. Ein angenehmes Röthlichgrau iſt die Grundfärbung; über den Rücken verläuft ein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/216>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.