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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Allgemeines.
schlingens theilweise in Fäulniß übergeht und dadurch geschmeidiger, bezüglich leichter verschlingbar
gemacht wird; bei unsern europäischen Arten dürfte sich ein ähnlicher Fall schwerlich ereignen. Gift-
schlangen packen ihr Opfer erst, nachdem es verendet ist, und dann mit einer gewissen Vorsicht, um
nicht zu sagen Zartheit. Sie gebrauchen beim Verschlingen ihre Gistzähne gar nicht, sondern legen
dieselben soweit zurück als möglich und bringen dafür die Unterkinnlade hauptsächlich in Wirksamkeit.

Die Verdauung geht langsam vor sich, ist aber sehr kräftig. Zuerst wird derjenige Theil der
Beute, welcher im unteren Magen liegt, zersetzt und aufgelöst, und so geschieht es, daß ein Stück
bereits aufgelöst und in den Darmschlauch übergegangen ist, ehe noch der andere Theil von der Ver-
dauung angegriffen wurde. Werden mehrere Thiere verschluckt, so liegen sie, laut Lenz, falls sie
nicht sehr klein sind, nicht neben, sondern stets hinter einander, und ist der Magen voll, so müssen die
übrigen in der Speiseröhre verharren, bis sie nachrücken können. Die unverdaulichen Theile oder
Speisereste, insbesondere Federn und Haare, werden theilweise durch den After entfernt, in der
Regel aber als Gewölle wieder ausgespieen, wie Solches auch mit wenig verdauten Beutestücken
geschehen kann, wenn die betreffende Schlange erschreckt oder überhaupt belästigt wird.

Auch der Nahrungsverbrauch scheint von der Witterung abhängig zu sein und sich mit der
Wärme zu steigern; eigentlich gefräßig aber kann man die Schlangen nicht nennen. Sie verschlingen
zwar viele Nahrung auf einmal, können jedoch auch dann auf Wochen, ja selbst monatelang ohne
jegliche Nahrung aushalten.

Jn manchen Naturgeschichten wird bezweifelt, daß die Schlangen trinken. Versuche, welche
man mit gefangenen Nattern und Kreuzottern anstellte, schienen zu beweisen, daß sie niemals Wasser
zu sich nehmen. Aber diese Versuche beweisen Nichts; denn die Beobachtung, und zwar wiederholte
Beobachtung, hat uns über das Gegentheil belehrt. Alle Schlangen trinken -- einzelne allerdings
sehr wenig -- die einen saugend, mit vollen Zügen, unter deutlich sichtbaren Bewegungen der Kinn-
laden, die anderen, indem sie mit der Zunge Wasser- oder Thautropfen aufnehmen, bezüglich ihre
Zunge mit denselben anfeuchten. Gewisse Arten der Ordnung verkümmern sichtlich und gehen
schließlich zu Grunde, wenn sie des Wassers entbehren müssen; andere hingegen scheinen ihr Bedürfniß
an wenigen Tropfen tage-, ja wochenlang befriedigen zu können.

Wichtiger noch als für das Leben des Vogels die Mauser, ist für das Leben der Schlangen die
Häutung, eines der ersten Geschäfte, welches das eben dem Ei entschlüpfte Junge vornimmt und eines,
welches von dem erwachsenen Thiere im Laufe des Jahres mehrmals wiederholt wird. Die Häutung
beginnt mit Ablösen der feinen, wasserhellen Oberhaut an den Lippen, wodurch eine große Oeffnung
entsteht. Es bilden sich nun, laut Lenz, zwei Klappen, die eine vom Oberkopfe, die andere von der
Unterkinnlade, welche sich zurückschlagen und nach und nach weiter umgestülpt werden, so daß schließlich
der innere Theil der Haut nach außen gerichtet wird. Jm Freien benutzen die Schlangen Mos,
Haide und andere Pflanzen, oder überhaupt Rauhigkeiten, um sich ihres Hemdes zu entledigen, und
können die Häutung in sehr kurzer Zeit vollenden; im Käfig bemühen sie sich oft lange vergeblich, um
denselben Zweck zu erreichen, lösen auch nur selten die ganze Haut unzerrissen ab. Nach den Beob-
achtungen unseres Lenz geschieht bei den einheimischen Schlangen die erste Häutung Ende Aprils
und Anfangs Mai, die zweite Ende Mai's und Anfangs Juni, die dritte Ende Juni's und Anfangs
Juli, die vierte Ende Juli's und Anfangs August, die fünfte endlich Ende Augusts bis Anfangs
September; wie es sich mit denjenigen Arten verhält, welche in heißen Ländern leben, weiß man nicht.
Unmittelbar vor der Häutung sind alle Schlangen ruhig, nach derselben aber sofort um so munterer.

Wenige Tage nach der ersten Frühjahrshäutung beginnt die Fortpflanzung. Sie erregt auch
die Schlangen in einem gewissen Grade, keineswegs aber in einem so hohen, als man gefabelt hat.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich einzelne Arten während der Paarungszeit zu größeren Gesell-
schaften vereinigen und längere Zeit zusammen verweilen: -- von einzelnen Giftschlangen wenigstens hat
man beobachtet, daß sie sich gerade während der Begattung zu einem förmlichen Knäuel verschlingen und
in dieser sonderbaren Vereinigung stundenlang verharren. Sonst findet man Männchen und Weibchen,

Allgemeines.
ſchlingens theilweiſe in Fäulniß übergeht und dadurch geſchmeidiger, bezüglich leichter verſchlingbar
gemacht wird; bei unſern europäiſchen Arten dürfte ſich ein ähnlicher Fall ſchwerlich ereignen. Gift-
ſchlangen packen ihr Opfer erſt, nachdem es verendet iſt, und dann mit einer gewiſſen Vorſicht, um
nicht zu ſagen Zartheit. Sie gebrauchen beim Verſchlingen ihre Giſtzähne gar nicht, ſondern legen
dieſelben ſoweit zurück als möglich und bringen dafür die Unterkinnlade hauptſächlich in Wirkſamkeit.

Die Verdauung geht langſam vor ſich, iſt aber ſehr kräftig. Zuerſt wird derjenige Theil der
Beute, welcher im unteren Magen liegt, zerſetzt und aufgelöſt, und ſo geſchieht es, daß ein Stück
bereits aufgelöſt und in den Darmſchlauch übergegangen iſt, ehe noch der andere Theil von der Ver-
dauung angegriffen wurde. Werden mehrere Thiere verſchluckt, ſo liegen ſie, laut Lenz, falls ſie
nicht ſehr klein ſind, nicht neben, ſondern ſtets hinter einander, und iſt der Magen voll, ſo müſſen die
übrigen in der Speiſeröhre verharren, bis ſie nachrücken können. Die unverdaulichen Theile oder
Speiſereſte, insbeſondere Federn und Haare, werden theilweiſe durch den After entfernt, in der
Regel aber als Gewölle wieder ausgeſpieen, wie Solches auch mit wenig verdauten Beuteſtücken
geſchehen kann, wenn die betreffende Schlange erſchreckt oder überhaupt beläſtigt wird.

Auch der Nahrungsverbrauch ſcheint von der Witterung abhängig zu ſein und ſich mit der
Wärme zu ſteigern; eigentlich gefräßig aber kann man die Schlangen nicht nennen. Sie verſchlingen
zwar viele Nahrung auf einmal, können jedoch auch dann auf Wochen, ja ſelbſt monatelang ohne
jegliche Nahrung aushalten.

Jn manchen Naturgeſchichten wird bezweifelt, daß die Schlangen trinken. Verſuche, welche
man mit gefangenen Nattern und Kreuzottern anſtellte, ſchienen zu beweiſen, daß ſie niemals Waſſer
zu ſich nehmen. Aber dieſe Verſuche beweiſen Nichts; denn die Beobachtung, und zwar wiederholte
Beobachtung, hat uns über das Gegentheil belehrt. Alle Schlangen trinken — einzelne allerdings
ſehr wenig — die einen ſaugend, mit vollen Zügen, unter deutlich ſichtbaren Bewegungen der Kinn-
laden, die anderen, indem ſie mit der Zunge Waſſer- oder Thautropfen aufnehmen, bezüglich ihre
Zunge mit denſelben anfeuchten. Gewiſſe Arten der Ordnung verkümmern ſichtlich und gehen
ſchließlich zu Grunde, wenn ſie des Waſſers entbehren müſſen; andere hingegen ſcheinen ihr Bedürfniß
an wenigen Tropfen tage-, ja wochenlang befriedigen zu können.

Wichtiger noch als für das Leben des Vogels die Mauſer, iſt für das Leben der Schlangen die
Häutung, eines der erſten Geſchäfte, welches das eben dem Ei entſchlüpfte Junge vornimmt und eines,
welches von dem erwachſenen Thiere im Laufe des Jahres mehrmals wiederholt wird. Die Häutung
beginnt mit Ablöſen der feinen, waſſerhellen Oberhaut an den Lippen, wodurch eine große Oeffnung
entſteht. Es bilden ſich nun, laut Lenz, zwei Klappen, die eine vom Oberkopfe, die andere von der
Unterkinnlade, welche ſich zurückſchlagen und nach und nach weiter umgeſtülpt werden, ſo daß ſchließlich
der innere Theil der Haut nach außen gerichtet wird. Jm Freien benutzen die Schlangen Mos,
Haide und andere Pflanzen, oder überhaupt Rauhigkeiten, um ſich ihres Hemdes zu entledigen, und
können die Häutung in ſehr kurzer Zeit vollenden; im Käfig bemühen ſie ſich oft lange vergeblich, um
denſelben Zweck zu erreichen, löſen auch nur ſelten die ganze Haut unzerriſſen ab. Nach den Beob-
achtungen unſeres Lenz geſchieht bei den einheimiſchen Schlangen die erſte Häutung Ende Aprils
und Anfangs Mai, die zweite Ende Mai’s und Anfangs Juni, die dritte Ende Juni’s und Anfangs
Juli, die vierte Ende Juli’s und Anfangs Auguſt, die fünfte endlich Ende Auguſts bis Anfangs
September; wie es ſich mit denjenigen Arten verhält, welche in heißen Ländern leben, weiß man nicht.
Unmittelbar vor der Häutung ſind alle Schlangen ruhig, nach derſelben aber ſofort um ſo munterer.

Wenige Tage nach der erſten Frühjahrshäutung beginnt die Fortpflanzung. Sie erregt auch
die Schlangen in einem gewiſſen Grade, keineswegs aber in einem ſo hohen, als man gefabelt hat.
Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ſich einzelne Arten während der Paarungszeit zu größeren Geſell-
ſchaften vereinigen und längere Zeit zuſammen verweilen: — von einzelnen Giftſchlangen wenigſtens hat
man beobachtet, daß ſie ſich gerade während der Begattung zu einem förmlichen Knäuel verſchlingen und
in dieſer ſonderbaren Vereinigung ſtundenlang verharren. Sonſt findet man Männchen und Weibchen,

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[185/0205] Allgemeines. ſchlingens theilweiſe in Fäulniß übergeht und dadurch geſchmeidiger, bezüglich leichter verſchlingbar gemacht wird; bei unſern europäiſchen Arten dürfte ſich ein ähnlicher Fall ſchwerlich ereignen. Gift- ſchlangen packen ihr Opfer erſt, nachdem es verendet iſt, und dann mit einer gewiſſen Vorſicht, um nicht zu ſagen Zartheit. Sie gebrauchen beim Verſchlingen ihre Giſtzähne gar nicht, ſondern legen dieſelben ſoweit zurück als möglich und bringen dafür die Unterkinnlade hauptſächlich in Wirkſamkeit. Die Verdauung geht langſam vor ſich, iſt aber ſehr kräftig. Zuerſt wird derjenige Theil der Beute, welcher im unteren Magen liegt, zerſetzt und aufgelöſt, und ſo geſchieht es, daß ein Stück bereits aufgelöſt und in den Darmſchlauch übergegangen iſt, ehe noch der andere Theil von der Ver- dauung angegriffen wurde. Werden mehrere Thiere verſchluckt, ſo liegen ſie, laut Lenz, falls ſie nicht ſehr klein ſind, nicht neben, ſondern ſtets hinter einander, und iſt der Magen voll, ſo müſſen die übrigen in der Speiſeröhre verharren, bis ſie nachrücken können. Die unverdaulichen Theile oder Speiſereſte, insbeſondere Federn und Haare, werden theilweiſe durch den After entfernt, in der Regel aber als Gewölle wieder ausgeſpieen, wie Solches auch mit wenig verdauten Beuteſtücken geſchehen kann, wenn die betreffende Schlange erſchreckt oder überhaupt beläſtigt wird. Auch der Nahrungsverbrauch ſcheint von der Witterung abhängig zu ſein und ſich mit der Wärme zu ſteigern; eigentlich gefräßig aber kann man die Schlangen nicht nennen. Sie verſchlingen zwar viele Nahrung auf einmal, können jedoch auch dann auf Wochen, ja ſelbſt monatelang ohne jegliche Nahrung aushalten. Jn manchen Naturgeſchichten wird bezweifelt, daß die Schlangen trinken. Verſuche, welche man mit gefangenen Nattern und Kreuzottern anſtellte, ſchienen zu beweiſen, daß ſie niemals Waſſer zu ſich nehmen. Aber dieſe Verſuche beweiſen Nichts; denn die Beobachtung, und zwar wiederholte Beobachtung, hat uns über das Gegentheil belehrt. Alle Schlangen trinken — einzelne allerdings ſehr wenig — die einen ſaugend, mit vollen Zügen, unter deutlich ſichtbaren Bewegungen der Kinn- laden, die anderen, indem ſie mit der Zunge Waſſer- oder Thautropfen aufnehmen, bezüglich ihre Zunge mit denſelben anfeuchten. Gewiſſe Arten der Ordnung verkümmern ſichtlich und gehen ſchließlich zu Grunde, wenn ſie des Waſſers entbehren müſſen; andere hingegen ſcheinen ihr Bedürfniß an wenigen Tropfen tage-, ja wochenlang befriedigen zu können. Wichtiger noch als für das Leben des Vogels die Mauſer, iſt für das Leben der Schlangen die Häutung, eines der erſten Geſchäfte, welches das eben dem Ei entſchlüpfte Junge vornimmt und eines, welches von dem erwachſenen Thiere im Laufe des Jahres mehrmals wiederholt wird. Die Häutung beginnt mit Ablöſen der feinen, waſſerhellen Oberhaut an den Lippen, wodurch eine große Oeffnung entſteht. Es bilden ſich nun, laut Lenz, zwei Klappen, die eine vom Oberkopfe, die andere von der Unterkinnlade, welche ſich zurückſchlagen und nach und nach weiter umgeſtülpt werden, ſo daß ſchließlich der innere Theil der Haut nach außen gerichtet wird. Jm Freien benutzen die Schlangen Mos, Haide und andere Pflanzen, oder überhaupt Rauhigkeiten, um ſich ihres Hemdes zu entledigen, und können die Häutung in ſehr kurzer Zeit vollenden; im Käfig bemühen ſie ſich oft lange vergeblich, um denſelben Zweck zu erreichen, löſen auch nur ſelten die ganze Haut unzerriſſen ab. Nach den Beob- achtungen unſeres Lenz geſchieht bei den einheimiſchen Schlangen die erſte Häutung Ende Aprils und Anfangs Mai, die zweite Ende Mai’s und Anfangs Juni, die dritte Ende Juni’s und Anfangs Juli, die vierte Ende Juli’s und Anfangs Auguſt, die fünfte endlich Ende Auguſts bis Anfangs September; wie es ſich mit denjenigen Arten verhält, welche in heißen Ländern leben, weiß man nicht. Unmittelbar vor der Häutung ſind alle Schlangen ruhig, nach derſelben aber ſofort um ſo munterer. Wenige Tage nach der erſten Frühjahrshäutung beginnt die Fortpflanzung. Sie erregt auch die Schlangen in einem gewiſſen Grade, keineswegs aber in einem ſo hohen, als man gefabelt hat. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ſich einzelne Arten während der Paarungszeit zu größeren Geſell- ſchaften vereinigen und längere Zeit zuſammen verweilen: — von einzelnen Giftſchlangen wenigſtens hat man beobachtet, daß ſie ſich gerade während der Begattung zu einem förmlichen Knäuel verſchlingen und in dieſer ſonderbaren Vereinigung ſtundenlang verharren. Sonſt findet man Männchen und Weibchen,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/205>, abgerufen am 04.05.2024.