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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schlangen.
Stube im Erdgeschoß und vertheilte die Thiere in theils offene, theils mit Glasscheiben geschlossene
Kisten, deren Boden drei Zoll hoch mit Kleie bedeckt war, und in denen je ein Untersetzer mit Wasser
stand. Jn den ersten drei Wochen des November hatten die Schlangen bei offenem Fenster fast stets
zwei bis vier Grad Wärme gehabt, waren jedoch immer matter und langsamer geworden und fühlten
sich kalt an. Jn der letzten Woche des November fing es an, draußen zu frieren; ich schloß die
Fenster, und die Stube hatte während dieser Woche nur anderthalb bis zwei Grad Wärme. Bei
dieser Temperatur hielt ich Heerschau und fand folgenden Zustand: Zwei Ringelnattern, welche in
einer offenen Kiste lagen, hatten sich unter die Kleie verkrochen, waren ziemlich steif, regten sich aber
doch noch und züngelten auch; eine sehr große Ringelnatter, welche in einer durch Glasscheiben ver-
schlossenen Kiste war, kroch noch von selbst, wiewohl sehr langsam herum, züngelte und zischte auch
noch ein wenig, wenn sie derb angegriffen wurde; zwei glatte Nattern krochen noch von selbst umher
und versteckten sich nicht unter die Kleie; die vier gelblichen Nattern waren noch am muntersten, jedoch
ebenfalls wie halb betäubt; zwölf Kreuzottern lagen in einem dicken Klumpen zusammen, einzelne,
welche ich herausnahm, bliesen sich auf, züngelten und zischten noch und krochen sehr langsam; vier
in einer anderen Kiste und noch drei in einer anderen lagen jede einzelne schon seit langer Zeit zu-
sammengeringelt; einige krochen auch noch etwas von selbst herum; die ganz jungen lagen zum Theil
ruhig zusammengeringelt, krochen zum Theil langsam umher, zischten auch noch und bliesen sich auf,
wenn sie berührt wurden; keine Kreuzotter hatte sich unter die Kleie verkrochen.

"Als nach einigen Tagen die Luft wärmer wurde und auf vier und fünf Grade stieg, ich die
Fenster der Kammer öffnete und frische Luft herein ließ, wurden alle etwas rühriger; als die Wärme
auf ein und zwei Grade zurücksank, wieder sehr ruhig; als sie aber auf Null fiel, sah ich mit Ver-
wunderung, daß alle unruhig wurden, selbst diejenigen, welche schon lange Zeit hindurch auf dem-
selben Platze gelegen hatten, den Ort veränderten, ja, daß der große, aus zwölf Ottern bestehende
Haufen ebenfalls einen andern Platz bezog, jedoch am dritten Tage auf den alten zurückkehrte. An
diesem Tage tödtete ich drei Kreuzottern, indem ich ihnen Tabakssaft in den Rachen flößte; alle drei
starben daran, aber wenigstens um die dreifache Zeit langsamer, als Dies zur Sommerszeit zu geschehen
pflegt. Auch hatten sämmtliche Schlangen (Blindschleichen und Echsen) schon, seitdem sie vor Kälte
matt waren, insofern ein zäheres Leben gezeigt, als fast keine von ihnen mit Tod abging, während sich
im Sommer unter einer so großen Gesellschaft genug Leichen fanden.

"Am vierten Tage, den 9. Dezember, drang plötzlich Kälte von zwei Graden, welche nachts auf
drei Grade gestiegen sein konnte, in die Stube. Am nächsten Morgen hielt ich wiederum Heerschau
und fand folgenden Zustand: Neun Kreuzottern waren ganz hart gefroren, steif wie die Stöcke, alle
mehr oder weniger zusammengekrümmt, durchaus ohne Zeichen des Lebens; der sonst schwarze Augen-
stern war eisfarbig, ein Beweis, daß auch die Säfte des Auges gefroren waren. Von dem großen
Haufen zeigten alle noch Leben und Bewegung, und nur eine einzige von ihnen, die gerade in der Mitte
lag, war stocksteif. Alle nichtgefrorenen bewegten sich, wenn ich sie berührte, nur noch sehr wenig; ihr
Stern war noch schwarz, der Körper weich, von den vier gelblichen Nattern waren die größten steif
gefroren, der Stern eisfarbig; von den Ringelnattern war die größte hart gefroren; die anderen
staken unter der Kleie und waren noch nicht erstarrt. Als ich nun einen Theil meiner Schlangen
gefroren vor mir liegen sah, ahnte ich zwar noch keineswegs, daß sie todt waren; allein sehr verdächtig
kam mir doch der Umstand vor, daß viele von ihnen eine Stellung hatten, als wenn sie mitten im
Fortkriechen erstarrt wären; sie sahen aus, als ob sie sich eben weiter bewegen wollten und erst, wenn
ich sie angriff, bemerkte ich, daß sie todt waren ..." Aus diesen Beobachtungen unseres Forschers
geht also zur Genüge hervor, daß die Schlangen, wie andere winterschlafende Thiere auch, während
der Zeit ihrer Erstarrung an Orten sich aufhalten müssen, welche vor dem Froste vollständig
geschützt sind.

Bei warmem, stillen Wetter bemerkt man in Mitteldentschland schon im März wieder Schlangen
im Freien, welche ihre Winterherberge verlassen haben, um sich zu sonnen, abends aber wahrscheinlich

Die Schlangen.
Stube im Erdgeſchoß und vertheilte die Thiere in theils offene, theils mit Glasſcheiben geſchloſſene
Kiſten, deren Boden drei Zoll hoch mit Kleie bedeckt war, und in denen je ein Unterſetzer mit Waſſer
ſtand. Jn den erſten drei Wochen des November hatten die Schlangen bei offenem Fenſter faſt ſtets
zwei bis vier Grad Wärme gehabt, waren jedoch immer matter und langſamer geworden und fühlten
ſich kalt an. Jn der letzten Woche des November fing es an, draußen zu frieren; ich ſchloß die
Fenſter, und die Stube hatte während dieſer Woche nur anderthalb bis zwei Grad Wärme. Bei
dieſer Temperatur hielt ich Heerſchau und fand folgenden Zuſtand: Zwei Ringelnattern, welche in
einer offenen Kiſte lagen, hatten ſich unter die Kleie verkrochen, waren ziemlich ſteif, regten ſich aber
doch noch und züngelten auch; eine ſehr große Ringelnatter, welche in einer durch Glasſcheiben ver-
ſchloſſenen Kiſte war, kroch noch von ſelbſt, wiewohl ſehr langſam herum, züngelte und ziſchte auch
noch ein wenig, wenn ſie derb angegriffen wurde; zwei glatte Nattern krochen noch von ſelbſt umher
und verſteckten ſich nicht unter die Kleie; die vier gelblichen Nattern waren noch am munterſten, jedoch
ebenfalls wie halb betäubt; zwölf Kreuzottern lagen in einem dicken Klumpen zuſammen, einzelne,
welche ich herausnahm, blieſen ſich auf, züngelten und ziſchten noch und krochen ſehr langſam; vier
in einer anderen Kiſte und noch drei in einer anderen lagen jede einzelne ſchon ſeit langer Zeit zu-
ſammengeringelt; einige krochen auch noch etwas von ſelbſt herum; die ganz jungen lagen zum Theil
ruhig zuſammengeringelt, krochen zum Theil langſam umher, ziſchten auch noch und blieſen ſich auf,
wenn ſie berührt wurden; keine Kreuzotter hatte ſich unter die Kleie verkrochen.

„Als nach einigen Tagen die Luft wärmer wurde und auf vier und fünf Grade ſtieg, ich die
Fenſter der Kammer öffnete und friſche Luft herein ließ, wurden alle etwas rühriger; als die Wärme
auf ein und zwei Grade zurückſank, wieder ſehr ruhig; als ſie aber auf Null fiel, ſah ich mit Ver-
wunderung, daß alle unruhig wurden, ſelbſt diejenigen, welche ſchon lange Zeit hindurch auf dem-
ſelben Platze gelegen hatten, den Ort veränderten, ja, daß der große, aus zwölf Ottern beſtehende
Haufen ebenfalls einen andern Platz bezog, jedoch am dritten Tage auf den alten zurückkehrte. An
dieſem Tage tödtete ich drei Kreuzottern, indem ich ihnen Tabaksſaft in den Rachen flößte; alle drei
ſtarben daran, aber wenigſtens um die dreifache Zeit langſamer, als Dies zur Sommerszeit zu geſchehen
pflegt. Auch hatten ſämmtliche Schlangen (Blindſchleichen und Echſen) ſchon, ſeitdem ſie vor Kälte
matt waren, inſofern ein zäheres Leben gezeigt, als faſt keine von ihnen mit Tod abging, während ſich
im Sommer unter einer ſo großen Geſellſchaft genug Leichen fanden.

„Am vierten Tage, den 9. Dezember, drang plötzlich Kälte von zwei Graden, welche nachts auf
drei Grade geſtiegen ſein konnte, in die Stube. Am nächſten Morgen hielt ich wiederum Heerſchau
und fand folgenden Zuſtand: Neun Kreuzottern waren ganz hart gefroren, ſteif wie die Stöcke, alle
mehr oder weniger zuſammengekrümmt, durchaus ohne Zeichen des Lebens; der ſonſt ſchwarze Augen-
ſtern war eisfarbig, ein Beweis, daß auch die Säfte des Auges gefroren waren. Von dem großen
Haufen zeigten alle noch Leben und Bewegung, und nur eine einzige von ihnen, die gerade in der Mitte
lag, war ſtockſteif. Alle nichtgefrorenen bewegten ſich, wenn ich ſie berührte, nur noch ſehr wenig; ihr
Stern war noch ſchwarz, der Körper weich, von den vier gelblichen Nattern waren die größten ſteif
gefroren, der Stern eisfarbig; von den Ringelnattern war die größte hart gefroren; die anderen
ſtaken unter der Kleie und waren noch nicht erſtarrt. Als ich nun einen Theil meiner Schlangen
gefroren vor mir liegen ſah, ahnte ich zwar noch keineswegs, daß ſie todt waren; allein ſehr verdächtig
kam mir doch der Umſtand vor, daß viele von ihnen eine Stellung hatten, als wenn ſie mitten im
Fortkriechen erſtarrt wären; ſie ſahen aus, als ob ſie ſich eben weiter bewegen wollten und erſt, wenn
ich ſie angriff, bemerkte ich, daß ſie todt waren ...“ Aus dieſen Beobachtungen unſeres Forſchers
geht alſo zur Genüge hervor, daß die Schlangen, wie andere winterſchlafende Thiere auch, während
der Zeit ihrer Erſtarrung an Orten ſich aufhalten müſſen, welche vor dem Froſte vollſtändig
geſchützt ſind.

Bei warmem, ſtillen Wetter bemerkt man in Mitteldentſchland ſchon im März wieder Schlangen
im Freien, welche ihre Winterherberge verlaſſen haben, um ſich zu ſonnen, abends aber wahrſcheinlich

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[182/0202] Die Schlangen. Stube im Erdgeſchoß und vertheilte die Thiere in theils offene, theils mit Glasſcheiben geſchloſſene Kiſten, deren Boden drei Zoll hoch mit Kleie bedeckt war, und in denen je ein Unterſetzer mit Waſſer ſtand. Jn den erſten drei Wochen des November hatten die Schlangen bei offenem Fenſter faſt ſtets zwei bis vier Grad Wärme gehabt, waren jedoch immer matter und langſamer geworden und fühlten ſich kalt an. Jn der letzten Woche des November fing es an, draußen zu frieren; ich ſchloß die Fenſter, und die Stube hatte während dieſer Woche nur anderthalb bis zwei Grad Wärme. Bei dieſer Temperatur hielt ich Heerſchau und fand folgenden Zuſtand: Zwei Ringelnattern, welche in einer offenen Kiſte lagen, hatten ſich unter die Kleie verkrochen, waren ziemlich ſteif, regten ſich aber doch noch und züngelten auch; eine ſehr große Ringelnatter, welche in einer durch Glasſcheiben ver- ſchloſſenen Kiſte war, kroch noch von ſelbſt, wiewohl ſehr langſam herum, züngelte und ziſchte auch noch ein wenig, wenn ſie derb angegriffen wurde; zwei glatte Nattern krochen noch von ſelbſt umher und verſteckten ſich nicht unter die Kleie; die vier gelblichen Nattern waren noch am munterſten, jedoch ebenfalls wie halb betäubt; zwölf Kreuzottern lagen in einem dicken Klumpen zuſammen, einzelne, welche ich herausnahm, blieſen ſich auf, züngelten und ziſchten noch und krochen ſehr langſam; vier in einer anderen Kiſte und noch drei in einer anderen lagen jede einzelne ſchon ſeit langer Zeit zu- ſammengeringelt; einige krochen auch noch etwas von ſelbſt herum; die ganz jungen lagen zum Theil ruhig zuſammengeringelt, krochen zum Theil langſam umher, ziſchten auch noch und blieſen ſich auf, wenn ſie berührt wurden; keine Kreuzotter hatte ſich unter die Kleie verkrochen. „Als nach einigen Tagen die Luft wärmer wurde und auf vier und fünf Grade ſtieg, ich die Fenſter der Kammer öffnete und friſche Luft herein ließ, wurden alle etwas rühriger; als die Wärme auf ein und zwei Grade zurückſank, wieder ſehr ruhig; als ſie aber auf Null fiel, ſah ich mit Ver- wunderung, daß alle unruhig wurden, ſelbſt diejenigen, welche ſchon lange Zeit hindurch auf dem- ſelben Platze gelegen hatten, den Ort veränderten, ja, daß der große, aus zwölf Ottern beſtehende Haufen ebenfalls einen andern Platz bezog, jedoch am dritten Tage auf den alten zurückkehrte. An dieſem Tage tödtete ich drei Kreuzottern, indem ich ihnen Tabaksſaft in den Rachen flößte; alle drei ſtarben daran, aber wenigſtens um die dreifache Zeit langſamer, als Dies zur Sommerszeit zu geſchehen pflegt. Auch hatten ſämmtliche Schlangen (Blindſchleichen und Echſen) ſchon, ſeitdem ſie vor Kälte matt waren, inſofern ein zäheres Leben gezeigt, als faſt keine von ihnen mit Tod abging, während ſich im Sommer unter einer ſo großen Geſellſchaft genug Leichen fanden. „Am vierten Tage, den 9. Dezember, drang plötzlich Kälte von zwei Graden, welche nachts auf drei Grade geſtiegen ſein konnte, in die Stube. Am nächſten Morgen hielt ich wiederum Heerſchau und fand folgenden Zuſtand: Neun Kreuzottern waren ganz hart gefroren, ſteif wie die Stöcke, alle mehr oder weniger zuſammengekrümmt, durchaus ohne Zeichen des Lebens; der ſonſt ſchwarze Augen- ſtern war eisfarbig, ein Beweis, daß auch die Säfte des Auges gefroren waren. Von dem großen Haufen zeigten alle noch Leben und Bewegung, und nur eine einzige von ihnen, die gerade in der Mitte lag, war ſtockſteif. Alle nichtgefrorenen bewegten ſich, wenn ich ſie berührte, nur noch ſehr wenig; ihr Stern war noch ſchwarz, der Körper weich, von den vier gelblichen Nattern waren die größten ſteif gefroren, der Stern eisfarbig; von den Ringelnattern war die größte hart gefroren; die anderen ſtaken unter der Kleie und waren noch nicht erſtarrt. Als ich nun einen Theil meiner Schlangen gefroren vor mir liegen ſah, ahnte ich zwar noch keineswegs, daß ſie todt waren; allein ſehr verdächtig kam mir doch der Umſtand vor, daß viele von ihnen eine Stellung hatten, als wenn ſie mitten im Fortkriechen erſtarrt wären; ſie ſahen aus, als ob ſie ſich eben weiter bewegen wollten und erſt, wenn ich ſie angriff, bemerkte ich, daß ſie todt waren ...“ Aus dieſen Beobachtungen unſeres Forſchers geht alſo zur Genüge hervor, daß die Schlangen, wie andere winterſchlafende Thiere auch, während der Zeit ihrer Erſtarrung an Orten ſich aufhalten müſſen, welche vor dem Froſte vollſtändig geſchützt ſind. Bei warmem, ſtillen Wetter bemerkt man in Mitteldentſchland ſchon im März wieder Schlangen im Freien, welche ihre Winterherberge verlaſſen haben, um ſich zu ſonnen, abends aber wahrſcheinlich

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/202>, abgerufen am 04.05.2024.