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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Erzschleiche.
kann, "wie das verirocknete Gras im Lande". Zum Aufenthalte wählt sie sich vornehmlich feuchte
Wiesen, aus dem einfachen Grunde, weil sie hier am ehesten ihre Beute, Kerbthiere, kleine Nackt-
schnecken und Würmer findet. Jn ihrem Wesen ähnelt sie unserer Blindschleiche außerordentlich.
Die kleinen Füßchen übersieht man leicht, und der gemeine Mann, dem nur der Leib und die
schlängelnde Bewegung ins Auge fällt, macht deshalb eine Schlange aus ihr; auch bewegt sich die
Erzschleiche in der That ganz so wie die Schlange, und wenn sie still sitzt, wickelt sie sich ebenso wie
letztere zusammen. Gleichwohl sind die Gliedstummel ihr nicht ganz unnütz; denn wenn sie sich
fortbewegt, sieht man auch die kleinen Füße beschäftigt, nach Kräften mitzuwirken. Die Kälte scheut
sie mehr als ihre übrigen Verwandten, verbirgt sich noch eher als die Schildkröten, und daher
bekommt man sie von Anfang Oktobers an nicht mehr zu Gesicht, sondern findet sie höchstens bei
geschicktem Nachgraben tief im Boden. Erst wenn der Frühling wirklich eingetreten ist, erscheint sie
wieder, um nunmehr ihr Sommerleben zu beginnen.

Ueber die Fortpflanzung kenne ich keine verbürgte Angabe, habe aber gelesen, daß sie wie die
Blindschleiche lebende Junge zur Welt bringt.

Wie die deutsche Familienverwandte hat auch die Erzschleiche zu leiden. Jhr stellen Säuge-
thiere, Vögel und Kriechthiere gemeinschaftlich nach, und zu dem zahlreichen Heere der Gegner, welche
sie doch wenigstens fressen, also nutzen, gesellt sich als schlimmster Feind der Mensch. Jhm erscheint
noch heutigentages das harmlose Geschöpf als ein äußerst giftiges Thier, welches er mit allen Mitteln
bekämpfen zu müssen glaubt. Selbst die aufgeklärteren Sardinier, welche wissen, daß die Erzschleiche
entweder gar nicht beißt und, wenn sie es wirklich thut, mit ihrem Bisse keine bösen Folgen hervor-
bringt, sagen, daß sie, von dem Rindvieh oder von den Pferden mit den Pflanzen zugleich auf-
genommen und verschlungen, diesen edlen Nutzthieren den Bauch ungewöhnlich aufschwellen und
eine ärztliche Behandlung nothwendig machen soll, weshalb auch sie die allgemeine Vernichtungs-
wuth zu rechtfertigen suchen. Zudem verfolgen alle Marterarten und die kleinen Raubthiere über-
haupt, Falken, Raben, Heher, Störche, ja sogar die Hühner, die Erzschleiche, greifen sie und
verschlucken sie lebendig. Sauvage beobachtete, daß eine, welche ein Huhn hinabgewürgt hatte,
lebendig wieder aus dem Mastdarme herauskroch, zum zweiten Mal verschluckt wurde und wiederum
auf demselben Wege zum Vorschein kam, worauf endlich der ergrimmte Scharrvogel sie zerbiß und
nunmehr sicher in seinem Magen vergrub. Sauvage meint, daß man die Erzschleiche vielleicht bei
gewissen Krankheiten verwenden und durch die Därme schlüpfen lassen könne, da sie unzweifelhaft
besser als Quecksilber wirken würde. So vortrefflich in seiner Art dieser Gedanke des Franzosen
sein mag, fragt es sich doch sehr, ob der Arzt, welcher ein solches Heilmittel verordnen wollte, auch
willige Einnehmer finden dürfte.



Der schlangenähnliche Leib, das Fehlen der Vorder- und Hintergliedmaßen, das versteckte Ohr
und die Bekleidung, welche aus kleinen, sechsseitigen, in Längsreihen geordneten, glatten, glänzenden
Schuppen besteht, die auf dem Kopfe größere Schilder bilden, an den Seiten aber sich verkleinern,
sind die äußerlichen, das echsenähnliche Geripp, schlanke und spitze Zähne, von denen neun im
Zwischenkiefer, achtzehn im Ober- und achtundzwanzig im Unterkiefer stehen, und eine platte, etwas
breite, vorn seicht eingeschnittene Zunge, zwei wohlentwickelte Lungen, die innerlichen Kennzeichen der
Bruchschleichen (Anguis), welche durch die allbekannte Blindschleiche (Anguis fragilis) vertreten
werden. Die Färbung der Oberseite ist gewöhnlich ein schönes Bleigrau, welches an den Seiten in
Röthlichbraun, auf dem Bauche in Bläulichschwarz übergeht und hier durch gelbweiße Punkte geziert
wird; es gibt jedoch kaum zwei Blindschleichen, welche sich vollständig in der Färbung ähneln, und
Lenz versichert, daß er einmal in Zeit einer halben Stunde dreiunddreißig dieser Thiere in einem
Umkreise von ungefähr sechshundert Schritt gefangen, unter ihnen aber nicht zwei gefunden habe,

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Erzſchleiche.
kann, „wie das verirocknete Gras im Lande“. Zum Aufenthalte wählt ſie ſich vornehmlich feuchte
Wieſen, aus dem einfachen Grunde, weil ſie hier am eheſten ihre Beute, Kerbthiere, kleine Nackt-
ſchnecken und Würmer findet. Jn ihrem Weſen ähnelt ſie unſerer Blindſchleiche außerordentlich.
Die kleinen Füßchen überſieht man leicht, und der gemeine Mann, dem nur der Leib und die
ſchlängelnde Bewegung ins Auge fällt, macht deshalb eine Schlange aus ihr; auch bewegt ſich die
Erzſchleiche in der That ganz ſo wie die Schlange, und wenn ſie ſtill ſitzt, wickelt ſie ſich ebenſo wie
letztere zuſammen. Gleichwohl ſind die Gliedſtummel ihr nicht ganz unnütz; denn wenn ſie ſich
fortbewegt, ſieht man auch die kleinen Füße beſchäftigt, nach Kräften mitzuwirken. Die Kälte ſcheut
ſie mehr als ihre übrigen Verwandten, verbirgt ſich noch eher als die Schildkröten, und daher
bekommt man ſie von Anfang Oktobers an nicht mehr zu Geſicht, ſondern findet ſie höchſtens bei
geſchicktem Nachgraben tief im Boden. Erſt wenn der Frühling wirklich eingetreten iſt, erſcheint ſie
wieder, um nunmehr ihr Sommerleben zu beginnen.

Ueber die Fortpflanzung kenne ich keine verbürgte Angabe, habe aber geleſen, daß ſie wie die
Blindſchleiche lebende Junge zur Welt bringt.

Wie die deutſche Familienverwandte hat auch die Erzſchleiche zu leiden. Jhr ſtellen Säuge-
thiere, Vögel und Kriechthiere gemeinſchaftlich nach, und zu dem zahlreichen Heere der Gegner, welche
ſie doch wenigſtens freſſen, alſo nutzen, geſellt ſich als ſchlimmſter Feind der Menſch. Jhm erſcheint
noch heutigentages das harmloſe Geſchöpf als ein äußerſt giftiges Thier, welches er mit allen Mitteln
bekämpfen zu müſſen glaubt. Selbſt die aufgeklärteren Sardinier, welche wiſſen, daß die Erzſchleiche
entweder gar nicht beißt und, wenn ſie es wirklich thut, mit ihrem Biſſe keine böſen Folgen hervor-
bringt, ſagen, daß ſie, von dem Rindvieh oder von den Pferden mit den Pflanzen zugleich auf-
genommen und verſchlungen, dieſen edlen Nutzthieren den Bauch ungewöhnlich aufſchwellen und
eine ärztliche Behandlung nothwendig machen ſoll, weshalb auch ſie die allgemeine Vernichtungs-
wuth zu rechtfertigen ſuchen. Zudem verfolgen alle Marterarten und die kleinen Raubthiere über-
haupt, Falken, Raben, Heher, Störche, ja ſogar die Hühner, die Erzſchleiche, greifen ſie und
verſchlucken ſie lebendig. Sauvage beobachtete, daß eine, welche ein Huhn hinabgewürgt hatte,
lebendig wieder aus dem Maſtdarme herauskroch, zum zweiten Mal verſchluckt wurde und wiederum
auf demſelben Wege zum Vorſchein kam, worauf endlich der ergrimmte Scharrvogel ſie zerbiß und
nunmehr ſicher in ſeinem Magen vergrub. Sauvage meint, daß man die Erzſchleiche vielleicht bei
gewiſſen Krankheiten verwenden und durch die Därme ſchlüpfen laſſen könne, da ſie unzweifelhaft
beſſer als Queckſilber wirken würde. So vortrefflich in ſeiner Art dieſer Gedanke des Franzoſen
ſein mag, fragt es ſich doch ſehr, ob der Arzt, welcher ein ſolches Heilmittel verordnen wollte, auch
willige Einnehmer finden dürfte.



Der ſchlangenähnliche Leib, das Fehlen der Vorder- und Hintergliedmaßen, das verſteckte Ohr
und die Bekleidung, welche aus kleinen, ſechsſeitigen, in Längsreihen geordneten, glatten, glänzenden
Schuppen beſteht, die auf dem Kopfe größere Schilder bilden, an den Seiten aber ſich verkleinern,
ſind die äußerlichen, das echſenähnliche Geripp, ſchlanke und ſpitze Zähne, von denen neun im
Zwiſchenkiefer, achtzehn im Ober- und achtundzwanzig im Unterkiefer ſtehen, und eine platte, etwas
breite, vorn ſeicht eingeſchnittene Zunge, zwei wohlentwickelte Lungen, die innerlichen Kennzeichen der
Bruchſchleichen (Anguis), welche durch die allbekannte Blindſchleiche (Anguis fragilis) vertreten
werden. Die Färbung der Oberſeite iſt gewöhnlich ein ſchönes Bleigrau, welches an den Seiten in
Röthlichbraun, auf dem Bauche in Bläulichſchwarz übergeht und hier durch gelbweiße Punkte geziert
wird; es gibt jedoch kaum zwei Blindſchleichen, welche ſich vollſtändig in der Färbung ähneln, und
Lenz verſichert, daß er einmal in Zeit einer halben Stunde dreiunddreißig dieſer Thiere in einem
Umkreiſe von ungefähr ſechshundert Schritt gefangen, unter ihnen aber nicht zwei gefunden habe,

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[163/0183] Erzſchleiche. kann, „wie das verirocknete Gras im Lande“. Zum Aufenthalte wählt ſie ſich vornehmlich feuchte Wieſen, aus dem einfachen Grunde, weil ſie hier am eheſten ihre Beute, Kerbthiere, kleine Nackt- ſchnecken und Würmer findet. Jn ihrem Weſen ähnelt ſie unſerer Blindſchleiche außerordentlich. Die kleinen Füßchen überſieht man leicht, und der gemeine Mann, dem nur der Leib und die ſchlängelnde Bewegung ins Auge fällt, macht deshalb eine Schlange aus ihr; auch bewegt ſich die Erzſchleiche in der That ganz ſo wie die Schlange, und wenn ſie ſtill ſitzt, wickelt ſie ſich ebenſo wie letztere zuſammen. Gleichwohl ſind die Gliedſtummel ihr nicht ganz unnütz; denn wenn ſie ſich fortbewegt, ſieht man auch die kleinen Füße beſchäftigt, nach Kräften mitzuwirken. Die Kälte ſcheut ſie mehr als ihre übrigen Verwandten, verbirgt ſich noch eher als die Schildkröten, und daher bekommt man ſie von Anfang Oktobers an nicht mehr zu Geſicht, ſondern findet ſie höchſtens bei geſchicktem Nachgraben tief im Boden. Erſt wenn der Frühling wirklich eingetreten iſt, erſcheint ſie wieder, um nunmehr ihr Sommerleben zu beginnen. Ueber die Fortpflanzung kenne ich keine verbürgte Angabe, habe aber geleſen, daß ſie wie die Blindſchleiche lebende Junge zur Welt bringt. Wie die deutſche Familienverwandte hat auch die Erzſchleiche zu leiden. Jhr ſtellen Säuge- thiere, Vögel und Kriechthiere gemeinſchaftlich nach, und zu dem zahlreichen Heere der Gegner, welche ſie doch wenigſtens freſſen, alſo nutzen, geſellt ſich als ſchlimmſter Feind der Menſch. Jhm erſcheint noch heutigentages das harmloſe Geſchöpf als ein äußerſt giftiges Thier, welches er mit allen Mitteln bekämpfen zu müſſen glaubt. Selbſt die aufgeklärteren Sardinier, welche wiſſen, daß die Erzſchleiche entweder gar nicht beißt und, wenn ſie es wirklich thut, mit ihrem Biſſe keine böſen Folgen hervor- bringt, ſagen, daß ſie, von dem Rindvieh oder von den Pferden mit den Pflanzen zugleich auf- genommen und verſchlungen, dieſen edlen Nutzthieren den Bauch ungewöhnlich aufſchwellen und eine ärztliche Behandlung nothwendig machen ſoll, weshalb auch ſie die allgemeine Vernichtungs- wuth zu rechtfertigen ſuchen. Zudem verfolgen alle Marterarten und die kleinen Raubthiere über- haupt, Falken, Raben, Heher, Störche, ja ſogar die Hühner, die Erzſchleiche, greifen ſie und verſchlucken ſie lebendig. Sauvage beobachtete, daß eine, welche ein Huhn hinabgewürgt hatte, lebendig wieder aus dem Maſtdarme herauskroch, zum zweiten Mal verſchluckt wurde und wiederum auf demſelben Wege zum Vorſchein kam, worauf endlich der ergrimmte Scharrvogel ſie zerbiß und nunmehr ſicher in ſeinem Magen vergrub. Sauvage meint, daß man die Erzſchleiche vielleicht bei gewiſſen Krankheiten verwenden und durch die Därme ſchlüpfen laſſen könne, da ſie unzweifelhaft beſſer als Queckſilber wirken würde. So vortrefflich in ſeiner Art dieſer Gedanke des Franzoſen ſein mag, fragt es ſich doch ſehr, ob der Arzt, welcher ein ſolches Heilmittel verordnen wollte, auch willige Einnehmer finden dürfte. Der ſchlangenähnliche Leib, das Fehlen der Vorder- und Hintergliedmaßen, das verſteckte Ohr und die Bekleidung, welche aus kleinen, ſechsſeitigen, in Längsreihen geordneten, glatten, glänzenden Schuppen beſteht, die auf dem Kopfe größere Schilder bilden, an den Seiten aber ſich verkleinern, ſind die äußerlichen, das echſenähnliche Geripp, ſchlanke und ſpitze Zähne, von denen neun im Zwiſchenkiefer, achtzehn im Ober- und achtundzwanzig im Unterkiefer ſtehen, und eine platte, etwas breite, vorn ſeicht eingeſchnittene Zunge, zwei wohlentwickelte Lungen, die innerlichen Kennzeichen der Bruchſchleichen (Anguis), welche durch die allbekannte Blindſchleiche (Anguis fragilis) vertreten werden. Die Färbung der Oberſeite iſt gewöhnlich ein ſchönes Bleigrau, welches an den Seiten in Röthlichbraun, auf dem Bauche in Bläulichſchwarz übergeht und hier durch gelbweiße Punkte geziert wird; es gibt jedoch kaum zwei Blindſchleichen, welche ſich vollſtändig in der Färbung ähneln, und Lenz verſichert, daß er einmal in Zeit einer halben Stunde dreiunddreißig dieſer Thiere in einem Umkreiſe von ungefähr ſechshundert Schritt gefangen, unter ihnen aber nicht zwei gefunden habe, 11 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/183>, abgerufen am 02.05.2024.