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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Schuppenechsen.
ein gewisses Wohngebiet und in demselben passende Schlupfwinkel zum Wohnraume aus, bereitet sich
wohl auch selbst einen solchen. Von diesem Wohnraume, welchen man als das Haus des Thieres
bezeichnen kann, entfernt es sich niemals weit, und bei Gefahr eilt es demselben so eilig als möglich
wieder zu. Hiervon machen auch diejenigen, welche im Wasser oder auf Bäumen leben, keine Aus-
nahme. Wer die Warans sorgfältig beobachtet, bemerkt, daß sie mehr oder weniger auf derselben
Stelle zum Sonnen oder Schlafen erscheinen, und wer sich mit denjenigen, welche auf Bäumen
leben, längere Zeit abgibt, erfährt, daß sie von dem Wohnbaume freiwillig nicht lassen. Es scheint,
daß sich jede Echse mit einem gewissen Verständniß eine Stelle auswählt, welche mit ihrer Färbung im
Einklange steht. Hier nun lauert sie auf Beute, jede Art in ihrer Weise. Alle diejenigen, welche
sich schnell bewegen können, fassen das erspähte Opfer scharf ins Auge und stürzen sich unter
Umständen mit einem weiten Sprunge auf dasselbe, packen es, zerquetschen es zwischen den Zähnen
und würgen es, den Kopf vorn, in den Schlund hinab; diejenigen hingegen, welche nur gemächlich
einen Fuß vor den anderen setzen, nahen sich äußerst langsam ihrer Beute, schießen aber im rechten
Augenblicke blitzschnell die lange Zunge hervor und erfassen die Nahrung geschickt und sicher mit dieser.
Nach reichlicher Mahlzeit werden auch die Schuppenechsen träge; niemals aber fallen sie, wie die
Schlangen, in einen Zustand vollständiger Abspannung und Gleichgültigkeit. Mit Sonnenunter-
gang ziehen sich die Tagechsen regelmäßig nach ihrem Schlupfwinkel zurück, und bei ungünstiger
Witterung verweilen sie manchmal mehrere Tage, ja Wochen in demselben. Alle Arten der Ord-
nung, welche nicht in Ländern des ewigen Frühlings auf Bäumen oder im Wasser leben, verbringen
die ungünstige Jahreszeit in einem Zustande, welcher dem Winterschlafe der Säugethiere im wesent-
lichen ähnelt. Unsere deutschen Eidechsen verbergen sich im Herbste sämmtlich in tiefen Löchern
unter der Erde und verweilen hier winterschlafend bis zum Beginne des Frühjahrs; dieselben Arten
aber, welche in Deutschland nur fünf Monate verschlafen, bringen im nördlichen Europa oder hoch-
oben im Gebirge acht bis zehn Monate in diesem Zustande der Erstarrung zu. Daß etwas Aehn-
liches auch in den Gleicherländern stattfindet, geht aus den zwar noch vereinzelten, jedoch vollkommen
übereinstimmenden Beobachtungen kundiger Reisender hervor.

Bald nach dem Erwachen im Frühjahre, gleichviel in welcher Weise derselbe auftritt, regt sich der
Fortpflanzungstrieb. Man bemerkt nunmehr unter den Schuppenechsen große Erregung, sieht, wie
zwei Männchen sich heftig verfolgen, nicht selten mit einander in Zweikampf gerathen und sich tüchtig
beißen und herumzausen. Nur während dieser Zeit halten Männchen und Weibchen inniger
zusammen. Einige Wochen später sind die sechs bis funfzehn Eier, welche das Weibchen zur Welt
bringt, legereif, und die Mutter bereitet sich nunmehr, nicht ohne Anstrengung und Sorgfalt, ein
passendes Nest zur Aufnahme derselben, indem sie in lockerer Erde oder im Mose, in dem Mulme
zerfallener Baumstämme, in den Ameisen- und Termitenhaufen u. s. w. ein Loch ausgräbt, in dieses
die Eier bringt und sie wieder leicht bedeckt. Die Eier selbst unterscheiden sich wenig von denen
anderer Kriechthiere, besitzen die zähe, wenig kalkhaltige, lederartige, elastische Schale derselben, den
großen ölreichen Dotter und das dünnflüssige Eiweiß. Etwa einen oder zwei Monate, nachdem sie
abgelegt wurden, sind sie gezeitigt. Die Jungen entschlüpfen ohne jegliche Hilfe abseitens der Eltern
und beginnen vom ersten Tage ihres Lebens an das Treiben der letzteren. Dies ist die Regel; nicht
alle Schuppenechsen aber legen Eier: viele bringen vielmehr lebende Junge zur Welt, d. h. tragen
die Eier im Mutterleibe soweit aus, daß dieselben kurz vor dem Ablegen zerplatzen und anstatt ihrer
die entschlüpften Jungen abgelegt werden. Man hat beobachtet, daß die, welche lebendige Junge
gebähren, sich vorher den Strahlen der Sonne aussetzen und hält sich für berechtigt, daraus zu
schließen, daß dieses Gebahren der Mutter zur Entwickelung der Jungen unumgänglich nöthige
Bedingung sei; doch hat man bei Berücksichtigung der eierlegenden und gebährenden Schuppen-
echsen festzuhalten, daß dieser Unterschied bedeutungslos ist für das Leben der Thiere sowohl wie
für deren systematische Stellung. Jn nördlichen Ländern häuten sich die im Spätsommer zur Welt
gekommenen Jungen noch einmal, dann suchen sie den günstigsten Ort zum Winterschlafe auf.

Die Schuppenechſen.
ein gewiſſes Wohngebiet und in demſelben paſſende Schlupfwinkel zum Wohnraume aus, bereitet ſich
wohl auch ſelbſt einen ſolchen. Von dieſem Wohnraume, welchen man als das Haus des Thieres
bezeichnen kann, entfernt es ſich niemals weit, und bei Gefahr eilt es demſelben ſo eilig als möglich
wieder zu. Hiervon machen auch diejenigen, welche im Waſſer oder auf Bäumen leben, keine Aus-
nahme. Wer die Warans ſorgfältig beobachtet, bemerkt, daß ſie mehr oder weniger auf derſelben
Stelle zum Sonnen oder Schlafen erſcheinen, und wer ſich mit denjenigen, welche auf Bäumen
leben, längere Zeit abgibt, erfährt, daß ſie von dem Wohnbaume freiwillig nicht laſſen. Es ſcheint,
daß ſich jede Echſe mit einem gewiſſen Verſtändniß eine Stelle auswählt, welche mit ihrer Färbung im
Einklange ſteht. Hier nun lauert ſie auf Beute, jede Art in ihrer Weiſe. Alle diejenigen, welche
ſich ſchnell bewegen können, faſſen das erſpähte Opfer ſcharf ins Auge und ſtürzen ſich unter
Umſtänden mit einem weiten Sprunge auf daſſelbe, packen es, zerquetſchen es zwiſchen den Zähnen
und würgen es, den Kopf vorn, in den Schlund hinab; diejenigen hingegen, welche nur gemächlich
einen Fuß vor den anderen ſetzen, nahen ſich äußerſt langſam ihrer Beute, ſchießen aber im rechten
Augenblicke blitzſchnell die lange Zunge hervor und erfaſſen die Nahrung geſchickt und ſicher mit dieſer.
Nach reichlicher Mahlzeit werden auch die Schuppenechſen träge; niemals aber fallen ſie, wie die
Schlangen, in einen Zuſtand vollſtändiger Abſpannung und Gleichgültigkeit. Mit Sonnenunter-
gang ziehen ſich die Tagechſen regelmäßig nach ihrem Schlupfwinkel zurück, und bei ungünſtiger
Witterung verweilen ſie manchmal mehrere Tage, ja Wochen in demſelben. Alle Arten der Ord-
nung, welche nicht in Ländern des ewigen Frühlings auf Bäumen oder im Waſſer leben, verbringen
die ungünſtige Jahreszeit in einem Zuſtande, welcher dem Winterſchlafe der Säugethiere im weſent-
lichen ähnelt. Unſere deutſchen Eidechſen verbergen ſich im Herbſte ſämmtlich in tiefen Löchern
unter der Erde und verweilen hier winterſchlafend bis zum Beginne des Frühjahrs; dieſelben Arten
aber, welche in Deutſchland nur fünf Monate verſchlafen, bringen im nördlichen Europa oder hoch-
oben im Gebirge acht bis zehn Monate in dieſem Zuſtande der Erſtarrung zu. Daß etwas Aehn-
liches auch in den Gleicherländern ſtattfindet, geht aus den zwar noch vereinzelten, jedoch vollkommen
übereinſtimmenden Beobachtungen kundiger Reiſender hervor.

Bald nach dem Erwachen im Frühjahre, gleichviel in welcher Weiſe derſelbe auftritt, regt ſich der
Fortpflanzungstrieb. Man bemerkt nunmehr unter den Schuppenechſen große Erregung, ſieht, wie
zwei Männchen ſich heftig verfolgen, nicht ſelten mit einander in Zweikampf gerathen und ſich tüchtig
beißen und herumzauſen. Nur während dieſer Zeit halten Männchen und Weibchen inniger
zuſammen. Einige Wochen ſpäter ſind die ſechs bis funfzehn Eier, welche das Weibchen zur Welt
bringt, legereif, und die Mutter bereitet ſich nunmehr, nicht ohne Anſtrengung und Sorgfalt, ein
paſſendes Neſt zur Aufnahme derſelben, indem ſie in lockerer Erde oder im Moſe, in dem Mulme
zerfallener Baumſtämme, in den Ameiſen- und Termitenhaufen u. ſ. w. ein Loch ausgräbt, in dieſes
die Eier bringt und ſie wieder leicht bedeckt. Die Eier ſelbſt unterſcheiden ſich wenig von denen
anderer Kriechthiere, beſitzen die zähe, wenig kalkhaltige, lederartige, elaſtiſche Schale derſelben, den
großen ölreichen Dotter und das dünnflüſſige Eiweiß. Etwa einen oder zwei Monate, nachdem ſie
abgelegt wurden, ſind ſie gezeitigt. Die Jungen entſchlüpfen ohne jegliche Hilfe abſeitens der Eltern
und beginnen vom erſten Tage ihres Lebens an das Treiben der letzteren. Dies iſt die Regel; nicht
alle Schuppenechſen aber legen Eier: viele bringen vielmehr lebende Junge zur Welt, d. h. tragen
die Eier im Mutterleibe ſoweit aus, daß dieſelben kurz vor dem Ablegen zerplatzen und anſtatt ihrer
die entſchlüpften Jungen abgelegt werden. Man hat beobachtet, daß die, welche lebendige Junge
gebähren, ſich vorher den Strahlen der Sonne ausſetzen und hält ſich für berechtigt, daraus zu
ſchließen, daß dieſes Gebahren der Mutter zur Entwickelung der Jungen unumgänglich nöthige
Bedingung ſei; doch hat man bei Berückſichtigung der eierlegenden und gebährenden Schuppen-
echſen feſtzuhalten, daß dieſer Unterſchied bedeutungslos iſt für das Leben der Thiere ſowohl wie
für deren ſyſtematiſche Stellung. Jn nördlichen Ländern häuten ſich die im Spätſommer zur Welt
gekommenen Jungen noch einmal, dann ſuchen ſie den günſtigſten Ort zum Winterſchlafe auf.

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[96/0112] Die Schuppenechſen. ein gewiſſes Wohngebiet und in demſelben paſſende Schlupfwinkel zum Wohnraume aus, bereitet ſich wohl auch ſelbſt einen ſolchen. Von dieſem Wohnraume, welchen man als das Haus des Thieres bezeichnen kann, entfernt es ſich niemals weit, und bei Gefahr eilt es demſelben ſo eilig als möglich wieder zu. Hiervon machen auch diejenigen, welche im Waſſer oder auf Bäumen leben, keine Aus- nahme. Wer die Warans ſorgfältig beobachtet, bemerkt, daß ſie mehr oder weniger auf derſelben Stelle zum Sonnen oder Schlafen erſcheinen, und wer ſich mit denjenigen, welche auf Bäumen leben, längere Zeit abgibt, erfährt, daß ſie von dem Wohnbaume freiwillig nicht laſſen. Es ſcheint, daß ſich jede Echſe mit einem gewiſſen Verſtändniß eine Stelle auswählt, welche mit ihrer Färbung im Einklange ſteht. Hier nun lauert ſie auf Beute, jede Art in ihrer Weiſe. Alle diejenigen, welche ſich ſchnell bewegen können, faſſen das erſpähte Opfer ſcharf ins Auge und ſtürzen ſich unter Umſtänden mit einem weiten Sprunge auf daſſelbe, packen es, zerquetſchen es zwiſchen den Zähnen und würgen es, den Kopf vorn, in den Schlund hinab; diejenigen hingegen, welche nur gemächlich einen Fuß vor den anderen ſetzen, nahen ſich äußerſt langſam ihrer Beute, ſchießen aber im rechten Augenblicke blitzſchnell die lange Zunge hervor und erfaſſen die Nahrung geſchickt und ſicher mit dieſer. Nach reichlicher Mahlzeit werden auch die Schuppenechſen träge; niemals aber fallen ſie, wie die Schlangen, in einen Zuſtand vollſtändiger Abſpannung und Gleichgültigkeit. Mit Sonnenunter- gang ziehen ſich die Tagechſen regelmäßig nach ihrem Schlupfwinkel zurück, und bei ungünſtiger Witterung verweilen ſie manchmal mehrere Tage, ja Wochen in demſelben. Alle Arten der Ord- nung, welche nicht in Ländern des ewigen Frühlings auf Bäumen oder im Waſſer leben, verbringen die ungünſtige Jahreszeit in einem Zuſtande, welcher dem Winterſchlafe der Säugethiere im weſent- lichen ähnelt. Unſere deutſchen Eidechſen verbergen ſich im Herbſte ſämmtlich in tiefen Löchern unter der Erde und verweilen hier winterſchlafend bis zum Beginne des Frühjahrs; dieſelben Arten aber, welche in Deutſchland nur fünf Monate verſchlafen, bringen im nördlichen Europa oder hoch- oben im Gebirge acht bis zehn Monate in dieſem Zuſtande der Erſtarrung zu. Daß etwas Aehn- liches auch in den Gleicherländern ſtattfindet, geht aus den zwar noch vereinzelten, jedoch vollkommen übereinſtimmenden Beobachtungen kundiger Reiſender hervor. Bald nach dem Erwachen im Frühjahre, gleichviel in welcher Weiſe derſelbe auftritt, regt ſich der Fortpflanzungstrieb. Man bemerkt nunmehr unter den Schuppenechſen große Erregung, ſieht, wie zwei Männchen ſich heftig verfolgen, nicht ſelten mit einander in Zweikampf gerathen und ſich tüchtig beißen und herumzauſen. Nur während dieſer Zeit halten Männchen und Weibchen inniger zuſammen. Einige Wochen ſpäter ſind die ſechs bis funfzehn Eier, welche das Weibchen zur Welt bringt, legereif, und die Mutter bereitet ſich nunmehr, nicht ohne Anſtrengung und Sorgfalt, ein paſſendes Neſt zur Aufnahme derſelben, indem ſie in lockerer Erde oder im Moſe, in dem Mulme zerfallener Baumſtämme, in den Ameiſen- und Termitenhaufen u. ſ. w. ein Loch ausgräbt, in dieſes die Eier bringt und ſie wieder leicht bedeckt. Die Eier ſelbſt unterſcheiden ſich wenig von denen anderer Kriechthiere, beſitzen die zähe, wenig kalkhaltige, lederartige, elaſtiſche Schale derſelben, den großen ölreichen Dotter und das dünnflüſſige Eiweiß. Etwa einen oder zwei Monate, nachdem ſie abgelegt wurden, ſind ſie gezeitigt. Die Jungen entſchlüpfen ohne jegliche Hilfe abſeitens der Eltern und beginnen vom erſten Tage ihres Lebens an das Treiben der letzteren. Dies iſt die Regel; nicht alle Schuppenechſen aber legen Eier: viele bringen vielmehr lebende Junge zur Welt, d. h. tragen die Eier im Mutterleibe ſoweit aus, daß dieſelben kurz vor dem Ablegen zerplatzen und anſtatt ihrer die entſchlüpften Jungen abgelegt werden. Man hat beobachtet, daß die, welche lebendige Junge gebähren, ſich vorher den Strahlen der Sonne ausſetzen und hält ſich für berechtigt, daraus zu ſchließen, daß dieſes Gebahren der Mutter zur Entwickelung der Jungen unumgänglich nöthige Bedingung ſei; doch hat man bei Berückſichtigung der eierlegenden und gebährenden Schuppen- echſen feſtzuhalten, daß dieſer Unterſchied bedeutungslos iſt für das Leben der Thiere ſowohl wie für deren ſyſtematiſche Stellung. Jn nördlichen Ländern häuten ſich die im Spätſommer zur Welt gekommenen Jungen noch einmal, dann ſuchen ſie den günſtigſten Ort zum Winterſchlafe auf.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/112>, abgerufen am 21.12.2024.