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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Grünspecht.
Gebiet als im Sommer, pflegt aber allabendlich eine Höhle auszusuchen, um in ihr zu schlafen: dann
erscheint er monatelang in Gärten, unmittelbar neben den Wohnungen, auch selbst in den
Gebäuden: einer, welchen ich lange beobachtet habe, schlief regelmäßig im Gebälk der Kirche meines
Heimatdorfs, ein anderer in einem Staarkübel, welcher in unserm Garten aufgehängt war.

Der Grünspecht bekundet dieselbe Munterkeit und Fröhlichkeit, dieselbe List und Vorsicht und
dieselbe Unruhe und Rastlosigkeit, wie seine Verwandten. Er klettert ebenso gut wie sie, übertrifft
die bei uns einheimischen aber im Gehen; denn er bewegt sich sehr viel auf dem Boden und hüpft hier
mit großem Geschick umher. Sein Flug ist hart, rauschend und dadurch von dem anderer Spechte
verschieden, daß er sehr tiefe Bogenlinien beschreibt. Die Stimme ist ein helles, weit tönendes
"Glück", welches, wenn es oft wiederholt wird, einem durchdringenden Gelächter ähnelt; der Laut
der Zärtlichkeit ist ein wohltönendes "Gück, gäck oder kipp", der Angstruf ein häßliches Gekreisch.
Das so vielen andern Spechten gemeinsame Trommeln scheint der Grünspecht nicht auszuführen;
wenigstens haben es weder mein Vater noch Naumann jemals gehört.

Das tägliche Leben unseres Bogels ähnelt dem der Verwandten. Es ist etwa folgendes.
Sobald der Morgenthau einigermaßen abgetrocknet ist, verläßt der Specht seine Nachtherberge, schreit
vergnügt in die Welt hinaus und schickt sich an, sein Gebiet zu durchstreifen. Wenn nicht gerade die
Liebe in ihm rege ist, bekümmert er sich wenig um seinen Gatten, geht vielmehr selbständig seine Wege
und kommt nur gelegentlich mit dem Ehegenossen zusammen. Er streift von einem Baum zum
andern, in einer gewissen Reihenfolge zwar, aber doch so regelmäßig, daß man ihn mit Sicherheit an
einem bestimmten Orte erwarten könnte. Die Bäume sucht er stets von unten nach oben ab; auf die
Aeste hinaus versteigt er sich seltener. Nähert man sich einem Baume, auf dem er gerade beschäftigt
ist, so rutscht er schnell auf die dem Beobachter abgekehrte Seite, schaut zuweilen, eben den Kopf vor-
steckend, hinter dem Stamme hervor, klettert höher aufwärts und verläßt plötzlich unbemerkt den
Baum, pflegt aber dann seine Freude über die glücklich gelungene Flucht durch ein lautes, frohlockendes
Geschrei kundzugeben. Bis gegen den Mittag hin ist er in ununterbrochener Thätigkeit. Er unter-
sucht in den Vormittagsstunden gewiß über hundert Bäume und nimmt außerdem jeden Ameisen-
haufen mit. An den Bäumen hämmert er viel weniger als andere Spechte, dagegen meiselt er nicht
selten in das Gebälk der Wohnungen oder in Lehmwände tiefe Löcher. Wenn im Sommer die
Wiesen abgemäht sind, läuft er viel auf dem Boden umher und sucht dort Würmer und Larven
zusammen; im Winter fliegt er auf die Gehänge, von denen die Sonne den Schnee weggeleckt hat
und späht hier nach verborgenen Kerfen. Er ist kein Kostverächter, zieht aber doch die rothe Ameise
jeglicher anderen Nahrung vor und fliegt ihr zu Gefallen weit auf den Feldern umher. Pflanzen-
nahrung behagt ihm wenig, doch verschmäht er sie nicht gänzlich: so frißt er, nach Snell's Erfahrung,
zuweilen Vogelbeeren. Jm Ameisenfang ist er geschickter, als alle übrigen Spechte, weil seine Zunge
verhältnißmäßig länger ist und, Dank ihrer Klebrigkeit, in derselben Weise wie beim Ameisenfresser
gebraucht werden kann.

Ende Februars stellt er sich auf seinem Brutplatze ein; aber erst im April macht das Weibchen
Anstalt zum Neste. Jm März sieht man beide Gatten stets vereinigt, und das Männchen zeigt sich
dann sehr erregt. Es setzt sich auf die Spitze eines hohen Baumes, schreit stark und oft und jagt
sodann das herbei gekommene Weibchen spielend von Baum zu Baum. Gegen andere Grünspechte
benimmt sich das Pärchen sehr unfreundlich; das einmal gewählte Gebiet wird gegen jeden Eindring-
ling hartnäckig vertheidigt. Zum Neste wählt sich der Vogel einen Baum, welcher im Jnnern kern-
faul oder schon hohl ist. Hier sucht er sich eine Stelle aus, wo ein Ast ausgefault war, und diese Stelle
wird nun erweitert. Beide Gatten arbeiten gemeinschaftlich und sehr fleißig, sodaß die Höhlung schon
innerhalb vierzehn Tagen vollendet ist. Der runde Eingang ist so klein, daß der Vogel eben aus-
und einschlüpfen kann; die innere Höhlung ist 10 bis 18 Zoll tief und etwa 6 bis 7 Zoll weit.
Trifft der Grünspecht im Jnnern auf sehr festes Holz, so läßt er die begonnene Arbeit liegen, und
lieber noch, als er eine neue Höhlung sich zimmert, benntzt er eine alte, welche ein anderer seiner Art

Grünſpecht.
Gebiet als im Sommer, pflegt aber allabendlich eine Höhle auszuſuchen, um in ihr zu ſchlafen: dann
erſcheint er monatelang in Gärten, unmittelbar neben den Wohnungen, auch ſelbſt in den
Gebäuden: einer, welchen ich lange beobachtet habe, ſchlief regelmäßig im Gebälk der Kirche meines
Heimatdorfs, ein anderer in einem Staarkübel, welcher in unſerm Garten aufgehängt war.

Der Grünſpecht bekundet dieſelbe Munterkeit und Fröhlichkeit, dieſelbe Liſt und Vorſicht und
dieſelbe Unruhe und Raſtloſigkeit, wie ſeine Verwandten. Er klettert ebenſo gut wie ſie, übertrifft
die bei uns einheimiſchen aber im Gehen; denn er bewegt ſich ſehr viel auf dem Boden und hüpft hier
mit großem Geſchick umher. Sein Flug iſt hart, rauſchend und dadurch von dem anderer Spechte
verſchieden, daß er ſehr tiefe Bogenlinien beſchreibt. Die Stimme iſt ein helles, weit tönendes
„Glück“, welches, wenn es oft wiederholt wird, einem durchdringenden Gelächter ähnelt; der Laut
der Zärtlichkeit iſt ein wohltönendes „Gück, gäck oder kipp“, der Angſtruf ein häßliches Gekreiſch.
Das ſo vielen andern Spechten gemeinſame Trommeln ſcheint der Grünſpecht nicht auszuführen;
wenigſtens haben es weder mein Vater noch Naumann jemals gehört.

Das tägliche Leben unſeres Bogels ähnelt dem der Verwandten. Es iſt etwa folgendes.
Sobald der Morgenthau einigermaßen abgetrocknet iſt, verläßt der Specht ſeine Nachtherberge, ſchreit
vergnügt in die Welt hinaus und ſchickt ſich an, ſein Gebiet zu durchſtreifen. Wenn nicht gerade die
Liebe in ihm rege iſt, bekümmert er ſich wenig um ſeinen Gatten, geht vielmehr ſelbſtändig ſeine Wege
und kommt nur gelegentlich mit dem Ehegenoſſen zuſammen. Er ſtreift von einem Baum zum
andern, in einer gewiſſen Reihenfolge zwar, aber doch ſo regelmäßig, daß man ihn mit Sicherheit an
einem beſtimmten Orte erwarten könnte. Die Bäume ſucht er ſtets von unten nach oben ab; auf die
Aeſte hinaus verſteigt er ſich ſeltener. Nähert man ſich einem Baume, auf dem er gerade beſchäftigt
iſt, ſo rutſcht er ſchnell auf die dem Beobachter abgekehrte Seite, ſchaut zuweilen, eben den Kopf vor-
ſteckend, hinter dem Stamme hervor, klettert höher aufwärts und verläßt plötzlich unbemerkt den
Baum, pflegt aber dann ſeine Freude über die glücklich gelungene Flucht durch ein lautes, frohlockendes
Geſchrei kundzugeben. Bis gegen den Mittag hin iſt er in ununterbrochener Thätigkeit. Er unter-
ſucht in den Vormittagsſtunden gewiß über hundert Bäume und nimmt außerdem jeden Ameiſen-
haufen mit. An den Bäumen hämmert er viel weniger als andere Spechte, dagegen meiſelt er nicht
ſelten in das Gebälk der Wohnungen oder in Lehmwände tiefe Löcher. Wenn im Sommer die
Wieſen abgemäht ſind, läuft er viel auf dem Boden umher und ſucht dort Würmer und Larven
zuſammen; im Winter fliegt er auf die Gehänge, von denen die Sonne den Schnee weggeleckt hat
und ſpäht hier nach verborgenen Kerfen. Er iſt kein Koſtverächter, zieht aber doch die rothe Ameiſe
jeglicher anderen Nahrung vor und fliegt ihr zu Gefallen weit auf den Feldern umher. Pflanzen-
nahrung behagt ihm wenig, doch verſchmäht er ſie nicht gänzlich: ſo frißt er, nach Snell’s Erfahrung,
zuweilen Vogelbeeren. Jm Ameiſenfang iſt er geſchickter, als alle übrigen Spechte, weil ſeine Zunge
verhältnißmäßig länger iſt und, Dank ihrer Klebrigkeit, in derſelben Weiſe wie beim Ameiſenfreſſer
gebraucht werden kann.

Ende Februars ſtellt er ſich auf ſeinem Brutplatze ein; aber erſt im April macht das Weibchen
Anſtalt zum Neſte. Jm März ſieht man beide Gatten ſtets vereinigt, und das Männchen zeigt ſich
dann ſehr erregt. Es ſetzt ſich auf die Spitze eines hohen Baumes, ſchreit ſtark und oft und jagt
ſodann das herbei gekommene Weibchen ſpielend von Baum zu Baum. Gegen andere Grünſpechte
benimmt ſich das Pärchen ſehr unfreundlich; das einmal gewählte Gebiet wird gegen jeden Eindring-
ling hartnäckig vertheidigt. Zum Neſte wählt ſich der Vogel einen Baum, welcher im Jnnern kern-
faul oder ſchon hohl iſt. Hier ſucht er ſich eine Stelle aus, wo ein Aſt ausgefault war, und dieſe Stelle
wird nun erweitert. Beide Gatten arbeiten gemeinſchaftlich und ſehr fleißig, ſodaß die Höhlung ſchon
innerhalb vierzehn Tagen vollendet iſt. Der runde Eingang iſt ſo klein, daß der Vogel eben aus-
und einſchlüpfen kann; die innere Höhlung iſt 10 bis 18 Zoll tief und etwa 6 bis 7 Zoll weit.
Trifft der Grünſpecht im Jnnern auf ſehr feſtes Holz, ſo läßt er die begonnene Arbeit liegen, und
lieber noch, als er eine neue Höhlung ſich zimmert, benntzt er eine alte, welche ein anderer ſeiner Art

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[79/0093] Grünſpecht. Gebiet als im Sommer, pflegt aber allabendlich eine Höhle auszuſuchen, um in ihr zu ſchlafen: dann erſcheint er monatelang in Gärten, unmittelbar neben den Wohnungen, auch ſelbſt in den Gebäuden: einer, welchen ich lange beobachtet habe, ſchlief regelmäßig im Gebälk der Kirche meines Heimatdorfs, ein anderer in einem Staarkübel, welcher in unſerm Garten aufgehängt war. Der Grünſpecht bekundet dieſelbe Munterkeit und Fröhlichkeit, dieſelbe Liſt und Vorſicht und dieſelbe Unruhe und Raſtloſigkeit, wie ſeine Verwandten. Er klettert ebenſo gut wie ſie, übertrifft die bei uns einheimiſchen aber im Gehen; denn er bewegt ſich ſehr viel auf dem Boden und hüpft hier mit großem Geſchick umher. Sein Flug iſt hart, rauſchend und dadurch von dem anderer Spechte verſchieden, daß er ſehr tiefe Bogenlinien beſchreibt. Die Stimme iſt ein helles, weit tönendes „Glück“, welches, wenn es oft wiederholt wird, einem durchdringenden Gelächter ähnelt; der Laut der Zärtlichkeit iſt ein wohltönendes „Gück, gäck oder kipp“, der Angſtruf ein häßliches Gekreiſch. Das ſo vielen andern Spechten gemeinſame Trommeln ſcheint der Grünſpecht nicht auszuführen; wenigſtens haben es weder mein Vater noch Naumann jemals gehört. Das tägliche Leben unſeres Bogels ähnelt dem der Verwandten. Es iſt etwa folgendes. Sobald der Morgenthau einigermaßen abgetrocknet iſt, verläßt der Specht ſeine Nachtherberge, ſchreit vergnügt in die Welt hinaus und ſchickt ſich an, ſein Gebiet zu durchſtreifen. Wenn nicht gerade die Liebe in ihm rege iſt, bekümmert er ſich wenig um ſeinen Gatten, geht vielmehr ſelbſtändig ſeine Wege und kommt nur gelegentlich mit dem Ehegenoſſen zuſammen. Er ſtreift von einem Baum zum andern, in einer gewiſſen Reihenfolge zwar, aber doch ſo regelmäßig, daß man ihn mit Sicherheit an einem beſtimmten Orte erwarten könnte. Die Bäume ſucht er ſtets von unten nach oben ab; auf die Aeſte hinaus verſteigt er ſich ſeltener. Nähert man ſich einem Baume, auf dem er gerade beſchäftigt iſt, ſo rutſcht er ſchnell auf die dem Beobachter abgekehrte Seite, ſchaut zuweilen, eben den Kopf vor- ſteckend, hinter dem Stamme hervor, klettert höher aufwärts und verläßt plötzlich unbemerkt den Baum, pflegt aber dann ſeine Freude über die glücklich gelungene Flucht durch ein lautes, frohlockendes Geſchrei kundzugeben. Bis gegen den Mittag hin iſt er in ununterbrochener Thätigkeit. Er unter- ſucht in den Vormittagsſtunden gewiß über hundert Bäume und nimmt außerdem jeden Ameiſen- haufen mit. An den Bäumen hämmert er viel weniger als andere Spechte, dagegen meiſelt er nicht ſelten in das Gebälk der Wohnungen oder in Lehmwände tiefe Löcher. Wenn im Sommer die Wieſen abgemäht ſind, läuft er viel auf dem Boden umher und ſucht dort Würmer und Larven zuſammen; im Winter fliegt er auf die Gehänge, von denen die Sonne den Schnee weggeleckt hat und ſpäht hier nach verborgenen Kerfen. Er iſt kein Koſtverächter, zieht aber doch die rothe Ameiſe jeglicher anderen Nahrung vor und fliegt ihr zu Gefallen weit auf den Feldern umher. Pflanzen- nahrung behagt ihm wenig, doch verſchmäht er ſie nicht gänzlich: ſo frißt er, nach Snell’s Erfahrung, zuweilen Vogelbeeren. Jm Ameiſenfang iſt er geſchickter, als alle übrigen Spechte, weil ſeine Zunge verhältnißmäßig länger iſt und, Dank ihrer Klebrigkeit, in derſelben Weiſe wie beim Ameiſenfreſſer gebraucht werden kann. Ende Februars ſtellt er ſich auf ſeinem Brutplatze ein; aber erſt im April macht das Weibchen Anſtalt zum Neſte. Jm März ſieht man beide Gatten ſtets vereinigt, und das Männchen zeigt ſich dann ſehr erregt. Es ſetzt ſich auf die Spitze eines hohen Baumes, ſchreit ſtark und oft und jagt ſodann das herbei gekommene Weibchen ſpielend von Baum zu Baum. Gegen andere Grünſpechte benimmt ſich das Pärchen ſehr unfreundlich; das einmal gewählte Gebiet wird gegen jeden Eindring- ling hartnäckig vertheidigt. Zum Neſte wählt ſich der Vogel einen Baum, welcher im Jnnern kern- faul oder ſchon hohl iſt. Hier ſucht er ſich eine Stelle aus, wo ein Aſt ausgefault war, und dieſe Stelle wird nun erweitert. Beide Gatten arbeiten gemeinſchaftlich und ſehr fleißig, ſodaß die Höhlung ſchon innerhalb vierzehn Tagen vollendet iſt. Der runde Eingang iſt ſo klein, daß der Vogel eben aus- und einſchlüpfen kann; die innere Höhlung iſt 10 bis 18 Zoll tief und etwa 6 bis 7 Zoll weit. Trifft der Grünſpecht im Jnnern auf ſehr feſtes Holz, ſo läßt er die begonnene Arbeit liegen, und lieber noch, als er eine neue Höhlung ſich zimmert, benntzt er eine alte, welche ein anderer ſeiner Art

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/93>, abgerufen am 02.05.2024.