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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lachmöve.

Alle Kappenmöven bewohnen gemäßigte Länder und kommen nicht oder doch nur selten in
nördlichen Gegenden vor. Die Lachmöve ist erst diesseits des 60. Grades der Breite häufig und von
hier an bis gegen den dreißigsten hin Brutvogel. Als solcher bewohnt sie alle geeigneten Binnengewässer
Europas, Asiens und Amerikas in entsprechend gleicher Häufigkeit. Früher war sie an den Seen
und Teichen Deutschlands ein wohl bekannter Vogel; gegenwärtig ist sie durch den zunehmenden
Anbau des Bodens aus vielen Gegenden verdrängt worden, besucht dieselben aber noch regelmäßig
während ihres Zuges. Jn Südeuropa verweilt sie jahraus, jahrein. Unsere Breiten verläßt sie im
Oktober und November, um den Winter in den Mittelmeerländern zuzubringen. Gegen die Eis-
schmelze kehrt sie zurück, in günstigen Jahren bereits im März, sonst in den ersten Tagen des April.
Die älteren Paare haben schon in der Winterherberge ihre Ehe geschlossen und treffen gemeinschaftlich
am Brutplatze ein; die jüngeren scheinen sich hier erst zu vereinigen, und die noch nicht brutfähigen
schweifen im Lande umher. Das Meer besucht und bewohnt die Lachmöve nur während des Winters;
denn selten kommt es vor, daß sie auf einer Jnsel nah der Küste sich bleibend niederlassen, d. h. brüten.
Süße Gewässer, welche von Feldern umgeben werden, sind ihre liebsten Wohnsitze; hier findet sie
Alles, was sie zum Leben bedarf.

Auch die Lachmöve zählt zu den schönen Schwimmvögeln, zumal, wenn sie ihren hochzeitlichen
Schmuck trägt. Jhre Bewegungen sind im höchsten Grade anmuthig, gewandt und leicht. Sie geht
rasch und anhaltend, oft stundenlang dem Pflüger folgend oder sich auf den Wiesen oder Feldern mit
Kerbthierfang beschäftigend, schwimmt höchst zierlich, wenn auch nicht gerade rasch, erhebt sich leicht
vom Boden oder vom Wasser und fliegt sanft, gewandt, gleichsam behaglich, jedenfalls ohne sichtliche
Anstrengung, unter den manchfaltigsten Schwenkungen abwechselnd durch die Luft. Auch ihr Wesen
ist ansprechend. Man muß sie einen vorsichtigen und etwas mißtrauischen Vogel nennen; gleichwohl
siedelt sie sich gern in unmittelbarer Nähe des Menschen an, vergewissert sich von dessen Gesinnungen
und richtet darnach ihr Benehmen ein. Jn den Städten der Schweiz und in allen Ortschaften Süd-
europas, welche nah am Meere liegen, lernt man sie als halben Hausvogel kennen: sie treibt sich hier
sorglos vor, ja unter den Menschen umher, weil sie weiß, daß Niemand ihr Etwas zu Leide thut;
aber sie nimmt jede Mißhandlung, welche ihr zugefügt wird, sehr übel und vergißt eine ihr angethane
Unbill soleicht nicht wieder. Mit Jhresgleichen lebt sie im besten Einvernehmen, obgleich auch bei ihr
Neid und Habgier vorherrschende Züge des Wesens sind; aber jede einzelne denkt genau wie die
andere, und das Sprüchwort, daß keine Krähe der anderen die Augen aushackt, wird auch bei ihr zur
Wahrheit. Mit anderen Vögeln macht sie sich nicht gern Etwas zu schaffen, meidet daher so viel als
möglich deren Gefellschaft und greift diejenigen, welche sich ihr nähern, mit vereinten Kräften an, in
der Absicht, sie zurückzuscheuchen. Da, wo sie mit anderen Mövenarten eine und dieselbe Jnsel
bewohnt, fällt sie über die Verwandten, welche sich ihrem Gebiete nähern, fast grimmig her, wird aber
auch andererseits in ähnlicher Weise empfangen. Raubvögel, Raben und Krähen, Reiher, Störche,
Enten und andere unschuldige Wasserbewohner gelten ihr ebenfalls als Feinde, namentlich wenn sie
sich dem Brutorte nahen.

Die Stimme ist so mißlautend, daß der Name Seekrähe durch sie erklärlich wird. Ein kreischendes
"Kriäh" ist der Lockton; die Unterhaltungslaute klingen wie "Kek" oder "Scherr"; der Ausdruck der
Wuth ist ein kreischendes "Kerreckeckeck" oder ein heiseres "Girr", auf welches das "Kriäh" zu
folgen pflegt.

Kerbthiere und kleine Fischen bilden wohl die Hauptnahrung der Lachmöve; eine Maus jedoch
wird auch nicht verschmäht und ein Aas nicht unberücksichtigt gelassen. Die Kerbthiere liest sie vom
Boden oder Wasser auf, nimmt sie auch wohl von Blättern ab und fängt sie im Fluge aus der Luft;
auf Feldern und Wiesen beschäftigt sie sich stundenlang mit ihrer Jagd; dem Pflüger folgt sie
nach Art der Krähen; kleine Fischen erbeutet sie stoßtauchend oder schwimmend, erstere Jagdweise
besonders auf dem Meere, letztere auf süßen Gewässern anwendend. Die Jungen füttert sie fast nur
mit Kerbthieren groß. Ungeachtet ihrer Schwäche wagt sie sich an ziemlich große Thiere, wenn solche

Lachmöve.

Alle Kappenmöven bewohnen gemäßigte Länder und kommen nicht oder doch nur ſelten in
nördlichen Gegenden vor. Die Lachmöve iſt erſt dieſſeits des 60. Grades der Breite häufig und von
hier an bis gegen den dreißigſten hin Brutvogel. Als ſolcher bewohnt ſie alle geeigneten Binnengewäſſer
Europas, Aſiens und Amerikas in entſprechend gleicher Häufigkeit. Früher war ſie an den Seen
und Teichen Deutſchlands ein wohl bekannter Vogel; gegenwärtig iſt ſie durch den zunehmenden
Anbau des Bodens aus vielen Gegenden verdrängt worden, beſucht dieſelben aber noch regelmäßig
während ihres Zuges. Jn Südeuropa verweilt ſie jahraus, jahrein. Unſere Breiten verläßt ſie im
Oktober und November, um den Winter in den Mittelmeerländern zuzubringen. Gegen die Eis-
ſchmelze kehrt ſie zurück, in günſtigen Jahren bereits im März, ſonſt in den erſten Tagen des April.
Die älteren Paare haben ſchon in der Winterherberge ihre Ehe geſchloſſen und treffen gemeinſchaftlich
am Brutplatze ein; die jüngeren ſcheinen ſich hier erſt zu vereinigen, und die noch nicht brutfähigen
ſchweifen im Lande umher. Das Meer beſucht und bewohnt die Lachmöve nur während des Winters;
denn ſelten kommt es vor, daß ſie auf einer Jnſel nah der Küſte ſich bleibend niederlaſſen, d. h. brüten.
Süße Gewäſſer, welche von Feldern umgeben werden, ſind ihre liebſten Wohnſitze; hier findet ſie
Alles, was ſie zum Leben bedarf.

Auch die Lachmöve zählt zu den ſchönen Schwimmvögeln, zumal, wenn ſie ihren hochzeitlichen
Schmuck trägt. Jhre Bewegungen ſind im höchſten Grade anmuthig, gewandt und leicht. Sie geht
raſch und anhaltend, oft ſtundenlang dem Pflüger folgend oder ſich auf den Wieſen oder Feldern mit
Kerbthierfang beſchäftigend, ſchwimmt höchſt zierlich, wenn auch nicht gerade raſch, erhebt ſich leicht
vom Boden oder vom Waſſer und fliegt ſanft, gewandt, gleichſam behaglich, jedenfalls ohne ſichtliche
Anſtrengung, unter den manchfaltigſten Schwenkungen abwechſelnd durch die Luft. Auch ihr Weſen
iſt anſprechend. Man muß ſie einen vorſichtigen und etwas mißtrauiſchen Vogel nennen; gleichwohl
ſiedelt ſie ſich gern in unmittelbarer Nähe des Menſchen an, vergewiſſert ſich von deſſen Geſinnungen
und richtet darnach ihr Benehmen ein. Jn den Städten der Schweiz und in allen Ortſchaften Süd-
europas, welche nah am Meere liegen, lernt man ſie als halben Hausvogel kennen: ſie treibt ſich hier
ſorglos vor, ja unter den Menſchen umher, weil ſie weiß, daß Niemand ihr Etwas zu Leide thut;
aber ſie nimmt jede Mißhandlung, welche ihr zugefügt wird, ſehr übel und vergißt eine ihr angethane
Unbill ſoleicht nicht wieder. Mit Jhresgleichen lebt ſie im beſten Einvernehmen, obgleich auch bei ihr
Neid und Habgier vorherrſchende Züge des Weſens ſind; aber jede einzelne denkt genau wie die
andere, und das Sprüchwort, daß keine Krähe der anderen die Augen aushackt, wird auch bei ihr zur
Wahrheit. Mit anderen Vögeln macht ſie ſich nicht gern Etwas zu ſchaffen, meidet daher ſo viel als
möglich deren Gefellſchaft und greift diejenigen, welche ſich ihr nähern, mit vereinten Kräften an, in
der Abſicht, ſie zurückzuſcheuchen. Da, wo ſie mit anderen Mövenarten eine und dieſelbe Jnſel
bewohnt, fällt ſie über die Verwandten, welche ſich ihrem Gebiete nähern, faſt grimmig her, wird aber
auch andererſeits in ähnlicher Weiſe empfangen. Raubvögel, Raben und Krähen, Reiher, Störche,
Enten und andere unſchuldige Waſſerbewohner gelten ihr ebenfalls als Feinde, namentlich wenn ſie
ſich dem Brutorte nahen.

Die Stimme iſt ſo mißlautend, daß der Name Seekrähe durch ſie erklärlich wird. Ein kreiſchendes
„Kriäh“ iſt der Lockton; die Unterhaltungslaute klingen wie „Kek“ oder „Scherr“; der Ausdruck der
Wuth iſt ein kreiſchendes „Kerreckeckeck“ oder ein heiſeres „Girr“, auf welches das „Kriäh“ zu
folgen pflegt.

Kerbthiere und kleine Fiſchen bilden wohl die Hauptnahrung der Lachmöve; eine Maus jedoch
wird auch nicht verſchmäht und ein Aas nicht unberückſichtigt gelaſſen. Die Kerbthiere lieſt ſie vom
Boden oder Waſſer auf, nimmt ſie auch wohl von Blättern ab und fängt ſie im Fluge aus der Luft;
auf Feldern und Wieſen beſchäftigt ſie ſich ſtundenlang mit ihrer Jagd; dem Pflüger folgt ſie
nach Art der Krähen; kleine Fiſchen erbeutet ſie ſtoßtauchend oder ſchwimmend, erſtere Jagdweiſe
beſonders auf dem Meere, letztere auf ſüßen Gewäſſern anwendend. Die Jungen füttert ſie faſt nur
mit Kerbthieren groß. Ungeachtet ihrer Schwäche wagt ſie ſich an ziemlich große Thiere, wenn ſolche

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[877/0929] Lachmöve. Alle Kappenmöven bewohnen gemäßigte Länder und kommen nicht oder doch nur ſelten in nördlichen Gegenden vor. Die Lachmöve iſt erſt dieſſeits des 60. Grades der Breite häufig und von hier an bis gegen den dreißigſten hin Brutvogel. Als ſolcher bewohnt ſie alle geeigneten Binnengewäſſer Europas, Aſiens und Amerikas in entſprechend gleicher Häufigkeit. Früher war ſie an den Seen und Teichen Deutſchlands ein wohl bekannter Vogel; gegenwärtig iſt ſie durch den zunehmenden Anbau des Bodens aus vielen Gegenden verdrängt worden, beſucht dieſelben aber noch regelmäßig während ihres Zuges. Jn Südeuropa verweilt ſie jahraus, jahrein. Unſere Breiten verläßt ſie im Oktober und November, um den Winter in den Mittelmeerländern zuzubringen. Gegen die Eis- ſchmelze kehrt ſie zurück, in günſtigen Jahren bereits im März, ſonſt in den erſten Tagen des April. Die älteren Paare haben ſchon in der Winterherberge ihre Ehe geſchloſſen und treffen gemeinſchaftlich am Brutplatze ein; die jüngeren ſcheinen ſich hier erſt zu vereinigen, und die noch nicht brutfähigen ſchweifen im Lande umher. Das Meer beſucht und bewohnt die Lachmöve nur während des Winters; denn ſelten kommt es vor, daß ſie auf einer Jnſel nah der Küſte ſich bleibend niederlaſſen, d. h. brüten. Süße Gewäſſer, welche von Feldern umgeben werden, ſind ihre liebſten Wohnſitze; hier findet ſie Alles, was ſie zum Leben bedarf. Auch die Lachmöve zählt zu den ſchönen Schwimmvögeln, zumal, wenn ſie ihren hochzeitlichen Schmuck trägt. Jhre Bewegungen ſind im höchſten Grade anmuthig, gewandt und leicht. Sie geht raſch und anhaltend, oft ſtundenlang dem Pflüger folgend oder ſich auf den Wieſen oder Feldern mit Kerbthierfang beſchäftigend, ſchwimmt höchſt zierlich, wenn auch nicht gerade raſch, erhebt ſich leicht vom Boden oder vom Waſſer und fliegt ſanft, gewandt, gleichſam behaglich, jedenfalls ohne ſichtliche Anſtrengung, unter den manchfaltigſten Schwenkungen abwechſelnd durch die Luft. Auch ihr Weſen iſt anſprechend. Man muß ſie einen vorſichtigen und etwas mißtrauiſchen Vogel nennen; gleichwohl ſiedelt ſie ſich gern in unmittelbarer Nähe des Menſchen an, vergewiſſert ſich von deſſen Geſinnungen und richtet darnach ihr Benehmen ein. Jn den Städten der Schweiz und in allen Ortſchaften Süd- europas, welche nah am Meere liegen, lernt man ſie als halben Hausvogel kennen: ſie treibt ſich hier ſorglos vor, ja unter den Menſchen umher, weil ſie weiß, daß Niemand ihr Etwas zu Leide thut; aber ſie nimmt jede Mißhandlung, welche ihr zugefügt wird, ſehr übel und vergißt eine ihr angethane Unbill ſoleicht nicht wieder. Mit Jhresgleichen lebt ſie im beſten Einvernehmen, obgleich auch bei ihr Neid und Habgier vorherrſchende Züge des Weſens ſind; aber jede einzelne denkt genau wie die andere, und das Sprüchwort, daß keine Krähe der anderen die Augen aushackt, wird auch bei ihr zur Wahrheit. Mit anderen Vögeln macht ſie ſich nicht gern Etwas zu ſchaffen, meidet daher ſo viel als möglich deren Gefellſchaft und greift diejenigen, welche ſich ihr nähern, mit vereinten Kräften an, in der Abſicht, ſie zurückzuſcheuchen. Da, wo ſie mit anderen Mövenarten eine und dieſelbe Jnſel bewohnt, fällt ſie über die Verwandten, welche ſich ihrem Gebiete nähern, faſt grimmig her, wird aber auch andererſeits in ähnlicher Weiſe empfangen. Raubvögel, Raben und Krähen, Reiher, Störche, Enten und andere unſchuldige Waſſerbewohner gelten ihr ebenfalls als Feinde, namentlich wenn ſie ſich dem Brutorte nahen. Die Stimme iſt ſo mißlautend, daß der Name Seekrähe durch ſie erklärlich wird. Ein kreiſchendes „Kriäh“ iſt der Lockton; die Unterhaltungslaute klingen wie „Kek“ oder „Scherr“; der Ausdruck der Wuth iſt ein kreiſchendes „Kerreckeckeck“ oder ein heiſeres „Girr“, auf welches das „Kriäh“ zu folgen pflegt. Kerbthiere und kleine Fiſchen bilden wohl die Hauptnahrung der Lachmöve; eine Maus jedoch wird auch nicht verſchmäht und ein Aas nicht unberückſichtigt gelaſſen. Die Kerbthiere lieſt ſie vom Boden oder Waſſer auf, nimmt ſie auch wohl von Blättern ab und fängt ſie im Fluge aus der Luft; auf Feldern und Wieſen beſchäftigt ſie ſich ſtundenlang mit ihrer Jagd; dem Pflüger folgt ſie nach Art der Krähen; kleine Fiſchen erbeutet ſie ſtoßtauchend oder ſchwimmend, erſtere Jagdweiſe beſonders auf dem Meere, letztere auf ſüßen Gewäſſern anwendend. Die Jungen füttert ſie faſt nur mit Kerbthieren groß. Ungeachtet ihrer Schwäche wagt ſie ſich an ziemlich große Thiere, wenn ſolche

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 877. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/929>, abgerufen am 23.11.2024.