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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Allgemeines.
Gatten eines Paares hängen mit Treue an einander und lieben ihre Brut warm und innig,
setzen sich auch ohne Bedenken augenscheinlichen Gefahren aus, so sehr sie solche sonst meiden, wenn
sie die Eier oder Jungen bedroht sehen. Möglicherweise bilden sie ihre so außerordentlich zahlreichen
Nistgesellschaften hauptsächlich deshalb, weil sie glauben, daß sie mit vereinten Kräften einen Feind
leichter verjagen können, als wenn sie sich in geringer Zahl mit ihm in einen Kampf einlassen.

Fische und Kerbthiere sind das allgemeine Futter der Seeschwalben; die größeren Arten nehmen
jedoch auch kleinere Säugethiere und Vögel oder Lurche und die schwächeren Arten verschiedene
Würmer und ebenso mancherlei kleinere Seethiere zu sich. Alle Beute wird stoßend oder stoßtauchend
gewonnen. Sie fliegen in geringer Höhe über dem Wasserspiegel dahin, richten ihre Blicke scharf auf
den letzteren, halten, wenn sie eine Beute erspähten, an, rütteln ein paar Augenblicke lang über ihr,
um sie sicher auf das Korn nehmen zu können, stürzen schnell herab und versuchen, das Opfer mit
dem Schnabel zu fassen.

Schon einige Wochen vor Beginn des Eierlegens sammeln sich die Seeschwalben am Brutorte, ein
Jahr wie das andere möglichst an derselben Stelle. Diejenigen, welche das Meer bewohnen, wählen
hierzu sandige Landzungen oder kahle Jnseln, Korallenbänke und bezügliche Mangle oder ähnliche
Waldungen, diejenigen, welche mehr im Binnenlande leben, entsprechende, jedoch minder kahle Stellen
an oder in Seen und Sümpfen. Gewöhnlich brütet jede Art abgesondert von den übrigen und in Masse,
ausnahmsweise unter anderen Strand- und Wasservögeln und bezüglich einzeln. Ein eigentliches
Nest bauen blos die Arten, welche in Sümpfen brüten; denn die seichte Vertiefung, welche andere für ihre
Eier ausgraben, kann man kein Nest nennen. Bei jenen stehen die Nester einzeln, bei diesen so dicht
neben einander, daß die brütenden Vögel den Strand buchstäblich bedecken und genöthigt sind, im Sitzen
eine und dieselbe Richtung einzunehmen, daß man kaum oder nicht im Stande ist, ohne Eier zu
zertreten, zwischen den Nestern zu gehen. Jene endlich, welche auf Bäumen nisten, legen die Eier
ohne eigentliche Unterlage zwischen Unebenheiten der Astrinde oder in Gabelungen nieder. Die
meisten legen drei Eier, einige vier, andere regelmäßig zwei, und die, welche auf Bäumen
brüten, gewöhnlich nur eins. Beide Gatten widmen sich den Eiern abwechselnd, überlassen sie aber
in den heißeren Stunden des Tages gewöhnlich der Sonne. Die Jungen kommen nach zwei- bis
dreiwöchentlicher Bebrütung in einem bunten Dunenkleide zur Welt, verlassen ihre Nestmulde
gewöhnlich schon an demselben Tage und laufen, behender fast als die Alten, am Strande umher,
ängstlich bewacht, sorgsam beobachtet und genährt von ihren zärtlichen Eltern. Jhr Wachsthum
schreitet verhältnißmäßig rasch vorwärts; doch kann man sie erst, wenn sie vollkommen fliegen gelernt
haben und in allen Künsten des Gewerbes unterrichtet sind, erwachsen nennen. Nunmehr verlassen
die Alten mit ihnen die Brutstelle und schweifen, wenn auch nicht ziellos, so doch ohne Regel
umher.

Alle vierfüßigen Raubthiere, welche sich den Brutplätzen der Seeschwalbe nähern können, die
Raben und größeren Möven stellen den Eiern und Jungen, die schnelleren Raubvögel auch den Alten
nach; die Schmarotzermöven plagen und quälen sie in der Absicht, sie zum Ausspeien der frisch
gefangenen Beute zu nöthigen. Auch der Mensch tritt ihnen feindlich gegenüber, da die Eier sich
durch Wohlgeschmack auszeichnen. Jm übrigen verfolgt man diese Vögel aus dem Grunde nicht,
weil man weder das Fleisch noch die Federn benutzen und sie auch kaum oder doch nur für kurze Zeit
in der Gefangenschaft halten kann. Mißgünstige Menschen zählen ihnen jedes Fischen nach, welche
sie sich erbeuten, ohne an die Kerbthiere zu denken, durch deren Vertilgung sie mindestens ebensoviel
nützen, als sie im übrigen durch ihre Jagd uns schaden. Diejenigen, welche am Meere leben,
beeinträchtigen unser Besitzthum in keiner Weise und alle übrigen erfreuen durch die Regsamkeit und
die Anmuth ihres Wesens den wahren Naturfreund in so hohem Grade, daß er wohl berechtigt ist, für
sie Schonung zu erbitten.



Allgemeines.
Gatten eines Paares hängen mit Treue an einander und lieben ihre Brut warm und innig,
ſetzen ſich auch ohne Bedenken augenſcheinlichen Gefahren aus, ſo ſehr ſie ſolche ſonſt meiden, wenn
ſie die Eier oder Jungen bedroht ſehen. Möglicherweiſe bilden ſie ihre ſo außerordentlich zahlreichen
Niſtgeſellſchaften hauptſächlich deshalb, weil ſie glauben, daß ſie mit vereinten Kräften einen Feind
leichter verjagen können, als wenn ſie ſich in geringer Zahl mit ihm in einen Kampf einlaſſen.

Fiſche und Kerbthiere ſind das allgemeine Futter der Seeſchwalben; die größeren Arten nehmen
jedoch auch kleinere Säugethiere und Vögel oder Lurche und die ſchwächeren Arten verſchiedene
Würmer und ebenſo mancherlei kleinere Seethiere zu ſich. Alle Beute wird ſtoßend oder ſtoßtauchend
gewonnen. Sie fliegen in geringer Höhe über dem Waſſerſpiegel dahin, richten ihre Blicke ſcharf auf
den letzteren, halten, wenn ſie eine Beute erſpähten, an, rütteln ein paar Augenblicke lang über ihr,
um ſie ſicher auf das Korn nehmen zu können, ſtürzen ſchnell herab und verſuchen, das Opfer mit
dem Schnabel zu faſſen.

Schon einige Wochen vor Beginn des Eierlegens ſammeln ſich die Seeſchwalben am Brutorte, ein
Jahr wie das andere möglichſt an derſelben Stelle. Diejenigen, welche das Meer bewohnen, wählen
hierzu ſandige Landzungen oder kahle Jnſeln, Korallenbänke und bezügliche Mangle oder ähnliche
Waldungen, diejenigen, welche mehr im Binnenlande leben, entſprechende, jedoch minder kahle Stellen
an oder in Seen und Sümpfen. Gewöhnlich brütet jede Art abgeſondert von den übrigen und in Maſſe,
ausnahmsweiſe unter anderen Strand- und Waſſervögeln und bezüglich einzeln. Ein eigentliches
Neſt bauen blos die Arten, welche in Sümpfen brüten; denn die ſeichte Vertiefung, welche andere für ihre
Eier ausgraben, kann man kein Neſt nennen. Bei jenen ſtehen die Neſter einzeln, bei dieſen ſo dicht
neben einander, daß die brütenden Vögel den Strand buchſtäblich bedecken und genöthigt ſind, im Sitzen
eine und dieſelbe Richtung einzunehmen, daß man kaum oder nicht im Stande iſt, ohne Eier zu
zertreten, zwiſchen den Neſtern zu gehen. Jene endlich, welche auf Bäumen niſten, legen die Eier
ohne eigentliche Unterlage zwiſchen Unebenheiten der Aſtrinde oder in Gabelungen nieder. Die
meiſten legen drei Eier, einige vier, andere regelmäßig zwei, und die, welche auf Bäumen
brüten, gewöhnlich nur eins. Beide Gatten widmen ſich den Eiern abwechſelnd, überlaſſen ſie aber
in den heißeren Stunden des Tages gewöhnlich der Sonne. Die Jungen kommen nach zwei- bis
dreiwöchentlicher Bebrütung in einem bunten Dunenkleide zur Welt, verlaſſen ihre Neſtmulde
gewöhnlich ſchon an demſelben Tage und laufen, behender faſt als die Alten, am Strande umher,
ängſtlich bewacht, ſorgſam beobachtet und genährt von ihren zärtlichen Eltern. Jhr Wachsthum
ſchreitet verhältnißmäßig raſch vorwärts; doch kann man ſie erſt, wenn ſie vollkommen fliegen gelernt
haben und in allen Künſten des Gewerbes unterrichtet ſind, erwachſen nennen. Nunmehr verlaſſen
die Alten mit ihnen die Brutſtelle und ſchweifen, wenn auch nicht ziellos, ſo doch ohne Regel
umher.

Alle vierfüßigen Raubthiere, welche ſich den Brutplätzen der Seeſchwalbe nähern können, die
Raben und größeren Möven ſtellen den Eiern und Jungen, die ſchnelleren Raubvögel auch den Alten
nach; die Schmarotzermöven plagen und quälen ſie in der Abſicht, ſie zum Ausſpeien der friſch
gefangenen Beute zu nöthigen. Auch der Menſch tritt ihnen feindlich gegenüber, da die Eier ſich
durch Wohlgeſchmack auszeichnen. Jm übrigen verfolgt man dieſe Vögel aus dem Grunde nicht,
weil man weder das Fleiſch noch die Federn benutzen und ſie auch kaum oder doch nur für kurze Zeit
in der Gefangenſchaft halten kann. Mißgünſtige Menſchen zählen ihnen jedes Fiſchen nach, welche
ſie ſich erbeuten, ohne an die Kerbthiere zu denken, durch deren Vertilgung ſie mindeſtens ebenſoviel
nützen, als ſie im übrigen durch ihre Jagd uns ſchaden. Diejenigen, welche am Meere leben,
beeinträchtigen unſer Beſitzthum in keiner Weiſe und alle übrigen erfreuen durch die Regſamkeit und
die Anmuth ihres Weſens den wahren Naturfreund in ſo hohem Grade, daß er wohl berechtigt iſt, für
ſie Schonung zu erbitten.



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[855/0905] Allgemeines. Gatten eines Paares hängen mit Treue an einander und lieben ihre Brut warm und innig, ſetzen ſich auch ohne Bedenken augenſcheinlichen Gefahren aus, ſo ſehr ſie ſolche ſonſt meiden, wenn ſie die Eier oder Jungen bedroht ſehen. Möglicherweiſe bilden ſie ihre ſo außerordentlich zahlreichen Niſtgeſellſchaften hauptſächlich deshalb, weil ſie glauben, daß ſie mit vereinten Kräften einen Feind leichter verjagen können, als wenn ſie ſich in geringer Zahl mit ihm in einen Kampf einlaſſen. Fiſche und Kerbthiere ſind das allgemeine Futter der Seeſchwalben; die größeren Arten nehmen jedoch auch kleinere Säugethiere und Vögel oder Lurche und die ſchwächeren Arten verſchiedene Würmer und ebenſo mancherlei kleinere Seethiere zu ſich. Alle Beute wird ſtoßend oder ſtoßtauchend gewonnen. Sie fliegen in geringer Höhe über dem Waſſerſpiegel dahin, richten ihre Blicke ſcharf auf den letzteren, halten, wenn ſie eine Beute erſpähten, an, rütteln ein paar Augenblicke lang über ihr, um ſie ſicher auf das Korn nehmen zu können, ſtürzen ſchnell herab und verſuchen, das Opfer mit dem Schnabel zu faſſen. Schon einige Wochen vor Beginn des Eierlegens ſammeln ſich die Seeſchwalben am Brutorte, ein Jahr wie das andere möglichſt an derſelben Stelle. Diejenigen, welche das Meer bewohnen, wählen hierzu ſandige Landzungen oder kahle Jnſeln, Korallenbänke und bezügliche Mangle oder ähnliche Waldungen, diejenigen, welche mehr im Binnenlande leben, entſprechende, jedoch minder kahle Stellen an oder in Seen und Sümpfen. Gewöhnlich brütet jede Art abgeſondert von den übrigen und in Maſſe, ausnahmsweiſe unter anderen Strand- und Waſſervögeln und bezüglich einzeln. Ein eigentliches Neſt bauen blos die Arten, welche in Sümpfen brüten; denn die ſeichte Vertiefung, welche andere für ihre Eier ausgraben, kann man kein Neſt nennen. Bei jenen ſtehen die Neſter einzeln, bei dieſen ſo dicht neben einander, daß die brütenden Vögel den Strand buchſtäblich bedecken und genöthigt ſind, im Sitzen eine und dieſelbe Richtung einzunehmen, daß man kaum oder nicht im Stande iſt, ohne Eier zu zertreten, zwiſchen den Neſtern zu gehen. Jene endlich, welche auf Bäumen niſten, legen die Eier ohne eigentliche Unterlage zwiſchen Unebenheiten der Aſtrinde oder in Gabelungen nieder. Die meiſten legen drei Eier, einige vier, andere regelmäßig zwei, und die, welche auf Bäumen brüten, gewöhnlich nur eins. Beide Gatten widmen ſich den Eiern abwechſelnd, überlaſſen ſie aber in den heißeren Stunden des Tages gewöhnlich der Sonne. Die Jungen kommen nach zwei- bis dreiwöchentlicher Bebrütung in einem bunten Dunenkleide zur Welt, verlaſſen ihre Neſtmulde gewöhnlich ſchon an demſelben Tage und laufen, behender faſt als die Alten, am Strande umher, ängſtlich bewacht, ſorgſam beobachtet und genährt von ihren zärtlichen Eltern. Jhr Wachsthum ſchreitet verhältnißmäßig raſch vorwärts; doch kann man ſie erſt, wenn ſie vollkommen fliegen gelernt haben und in allen Künſten des Gewerbes unterrichtet ſind, erwachſen nennen. Nunmehr verlaſſen die Alten mit ihnen die Brutſtelle und ſchweifen, wenn auch nicht ziellos, ſo doch ohne Regel umher. Alle vierfüßigen Raubthiere, welche ſich den Brutplätzen der Seeſchwalbe nähern können, die Raben und größeren Möven ſtellen den Eiern und Jungen, die ſchnelleren Raubvögel auch den Alten nach; die Schmarotzermöven plagen und quälen ſie in der Abſicht, ſie zum Ausſpeien der friſch gefangenen Beute zu nöthigen. Auch der Menſch tritt ihnen feindlich gegenüber, da die Eier ſich durch Wohlgeſchmack auszeichnen. Jm übrigen verfolgt man dieſe Vögel aus dem Grunde nicht, weil man weder das Fleiſch noch die Federn benutzen und ſie auch kaum oder doch nur für kurze Zeit in der Gefangenſchaft halten kann. Mißgünſtige Menſchen zählen ihnen jedes Fiſchen nach, welche ſie ſich erbeuten, ohne an die Kerbthiere zu denken, durch deren Vertilgung ſie mindeſtens ebenſoviel nützen, als ſie im übrigen durch ihre Jagd uns ſchaden. Diejenigen, welche am Meere leben, beeinträchtigen unſer Beſitzthum in keiner Weiſe und alle übrigen erfreuen durch die Regſamkeit und die Anmuth ihres Weſens den wahren Naturfreund in ſo hohem Grade, daß er wohl berechtigt iſt, für ſie Schonung zu erbitten.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 855. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/905>, abgerufen am 23.11.2024.