meiden sogar diese und ziehen süße Gewässer der Salzflut vor: sie aber können die Regel nicht umstoßen. Ueber den Wogen dahin schwebend, die Nähe des Landes meidend, durchwandern, im Gegensatze zu ihnen, andere ziellos die Meere, umfliegen sie, gleichsam ohne zu rasten, den Erdball. Für sie gibt es nur ein Band, welches sie mit dem festen Elemente zusammenhält: die Kindheit. Auf festem Grunde liegen die Eier, denen sie entschlüpften, hier verweilen sie, bis sie ihrer Schwingen mächtig wurden, und hierher kehren sie wieder, wenn sie selbst fortpflanzungsfähig geworden: die übrige Zeit ihres Lebens verbringen sie auf dem Meere, gewöhnlich fliegend, ausnahmsweise auch wohl ruhend auf den Wellen oder selbst am Strande. Sie fliegen verhältnißmäßig mehr als alle übrigen Vögel -- mehr als die Raubvögel, mehr als Schwalben oder Segler, mehr noch als die Schwirrvögel; denn sie fliegen so lange es Tag ist und oft noch während der Nacht. Dieser uner- müdlichen Thätigkeit und Beweglichkeit entspricht der Verbreitungskreis der einzelnen Arten. Mehrere scheinen Weltbürger zu sein, da sie nicht blos rings um den Erdball fliegen, sondern auch alle Gürtel der Erde besuchen; andere hingegen beschränken ihr Fliegen, Streichen, Reisen oder wie man es sonst nennen will, doch auf ein gewisses Gebiet, auf einen mehr oder weniger scharf umgrenzten Meerestheil oder Gürtel innerhalb bestimmter Grade der Breite. Jmmerhin aber handelt es sich bei einem solchen Gebiete um ein ganzes Meer, nicht um einen Theil, eine Küste desselben.
Jeder Seeflieger ist befähigt, dem Meere zu trotzen: kein einziger aber freut sich, wie die Sage meint, des Sturmes oder Unwetters. Selbst ihm, dem Kinde des Meeres, ist die erhabene Mutter lieber, wenn sie heiter lächelt, als wenn Sturm die Wogen zu Bergen thürmt. Bei heiterem Wetter hält sich die Möve fern der Küste, der Albatroß fern dem Schiffe: Sturm scheucht jene dem Lande zu und treibt diesen in die Nähe des Schiffes; Sturm ist des "Sturmvogels" gefährlichster Feind. Man hat früher glauben wollen, daß die Weltmeervögel, welche fast sämmtlich der Zunft der Sturmvögel angehören, durch ihr Erscheinen am Schiffe schweres Wetter im Voraus künden, während sie sich umgekehrt nur dann in Menge einem Fahrzeuge nähern, wenn das schwere Wetter bereits eingetreten ist und sie schon länger mit ihm gekämpft haben. Das durch Stürme aufgeregte Meer erschwert es ihnen, die Nahrung, welche sie bei ruhigem Wetter ohne Mühe auffinden, zu erspähen und nöthigt sie, in der Nähe der Schiffe sich einzufinden, weil sie erfahrungsmäßig wissen, daß ihnen von diesen aus ab und zu etwas Genießbares zugeworfen wird. Der Hunger ist es, welcher sie den Schiffen zuführt. Wenn bei heftigem Winde und hochgehender See ein Schiff beilegen muß, wird es bald von Hunderten verschiedener Seeflieger umringt, während sich in derselben Breite oder Gegend kaum einer zeigt, wenn Windstille das Fahrzeug festhält. Wird zu dieser Zeit ein Köder ausgeworfen, so kann er lange oder ganz vergeblich hinter dem Steuerruder treiben, während er bei Sturm gewöhnlich schon verschlungen wird, noch ehe er das Wasser berührte. Bei Wogenglätte erbeuten sich alle Seeflieger mit Leichtigkeit bessere Nahrung, als sie vom Schiffe aus ihnen zugeworfen wird: Sturm deckt ihnen den Acker zu, welcher für sie Früchte trägt, und dann erscheint ihrem bellenden Magen selbst der ekelhafteste Unrath, welcher über Bord geworfen wird, noch genießbar; ja, sie stürzen sich mit Heiß- hunger über Dinge her, welche sie sonst gänzlich verschmähen oder doch gleichgiltig betrachten.
Alle Seeflieger sind Stoßtaucher, nicht alle aber im Stande, ihren reichbefiederten Leib unter die Oberfläche des Wassers zu zwingen, während einzelne den Schwimmtauchern kaum Etwas nach- geben. Sie fliegen in einer gewissen Höhe über den Wellen dahin, bei gutem Wetter spielend leicht, bei schlechtem nach Kräften gegen den Wind ankämpfend, spähen achtsam nach unten und stürzen sich auf die gesehene Beute herab, um sie mit dem Schnabel zu ergreifen oder doch aufzunehmen; denn das Stoßtauchen geschieht in sehr verschiedener Weise. Einzelne werden gleichsam selbst zu einem Pfeile, welcher nach einem bestimmten Ziele gerichtet ist, andere lesen im Fluge von den Wellen ab, noch andere setzen sich erst schwimmend nieder, bevor sie die Speise aufnehmen. Raubvögel sind sie alle, mögen sie nun selbst für sich sorgen oder andere für sich sorgen lassen, mögen sie nur lebende Beute genießen oder wie die Geier mehr an Aas sich halten. Was das Meer ihnen bietet, wird von ihnen angenommen, Walfischaas wie kleine, kaum sichtbare Krebse, Fische wie Quallen, Würmer etc.
Die Schwimmer. Seeflieger.
meiden ſogar dieſe und ziehen ſüße Gewäſſer der Salzflut vor: ſie aber können die Regel nicht umſtoßen. Ueber den Wogen dahin ſchwebend, die Nähe des Landes meidend, durchwandern, im Gegenſatze zu ihnen, andere ziellos die Meere, umfliegen ſie, gleichſam ohne zu raſten, den Erdball. Für ſie gibt es nur ein Band, welches ſie mit dem feſten Elemente zuſammenhält: die Kindheit. Auf feſtem Grunde liegen die Eier, denen ſie entſchlüpften, hier verweilen ſie, bis ſie ihrer Schwingen mächtig wurden, und hierher kehren ſie wieder, wenn ſie ſelbſt fortpflanzungsfähig geworden: die übrige Zeit ihres Lebens verbringen ſie auf dem Meere, gewöhnlich fliegend, ausnahmsweiſe auch wohl ruhend auf den Wellen oder ſelbſt am Strande. Sie fliegen verhältnißmäßig mehr als alle übrigen Vögel — mehr als die Raubvögel, mehr als Schwalben oder Segler, mehr noch als die Schwirrvögel; denn ſie fliegen ſo lange es Tag iſt und oft noch während der Nacht. Dieſer uner- müdlichen Thätigkeit und Beweglichkeit entſpricht der Verbreitungskreis der einzelnen Arten. Mehrere ſcheinen Weltbürger zu ſein, da ſie nicht blos rings um den Erdball fliegen, ſondern auch alle Gürtel der Erde beſuchen; andere hingegen beſchränken ihr Fliegen, Streichen, Reiſen oder wie man es ſonſt nennen will, doch auf ein gewiſſes Gebiet, auf einen mehr oder weniger ſcharf umgrenzten Meerestheil oder Gürtel innerhalb beſtimmter Grade der Breite. Jmmerhin aber handelt es ſich bei einem ſolchen Gebiete um ein ganzes Meer, nicht um einen Theil, eine Küſte deſſelben.
Jeder Seeflieger iſt befähigt, dem Meere zu trotzen: kein einziger aber freut ſich, wie die Sage meint, des Sturmes oder Unwetters. Selbſt ihm, dem Kinde des Meeres, iſt die erhabene Mutter lieber, wenn ſie heiter lächelt, als wenn Sturm die Wogen zu Bergen thürmt. Bei heiterem Wetter hält ſich die Möve fern der Küſte, der Albatroß fern dem Schiffe: Sturm ſcheucht jene dem Lande zu und treibt dieſen in die Nähe des Schiffes; Sturm iſt des „Sturmvogels“ gefährlichſter Feind. Man hat früher glauben wollen, daß die Weltmeervögel, welche faſt ſämmtlich der Zunft der Sturmvögel angehören, durch ihr Erſcheinen am Schiffe ſchweres Wetter im Voraus künden, während ſie ſich umgekehrt nur dann in Menge einem Fahrzeuge nähern, wenn das ſchwere Wetter bereits eingetreten iſt und ſie ſchon länger mit ihm gekämpft haben. Das durch Stürme aufgeregte Meer erſchwert es ihnen, die Nahrung, welche ſie bei ruhigem Wetter ohne Mühe auffinden, zu erſpähen und nöthigt ſie, in der Nähe der Schiffe ſich einzufinden, weil ſie erfahrungsmäßig wiſſen, daß ihnen von dieſen aus ab und zu etwas Genießbares zugeworfen wird. Der Hunger iſt es, welcher ſie den Schiffen zuführt. Wenn bei heftigem Winde und hochgehender See ein Schiff beilegen muß, wird es bald von Hunderten verſchiedener Seeflieger umringt, während ſich in derſelben Breite oder Gegend kaum einer zeigt, wenn Windſtille das Fahrzeug feſthält. Wird zu dieſer Zeit ein Köder ausgeworfen, ſo kann er lange oder ganz vergeblich hinter dem Steuerruder treiben, während er bei Sturm gewöhnlich ſchon verſchlungen wird, noch ehe er das Waſſer berührte. Bei Wogenglätte erbeuten ſich alle Seeflieger mit Leichtigkeit beſſere Nahrung, als ſie vom Schiffe aus ihnen zugeworfen wird: Sturm deckt ihnen den Acker zu, welcher für ſie Früchte trägt, und dann erſcheint ihrem bellenden Magen ſelbſt der ekelhafteſte Unrath, welcher über Bord geworfen wird, noch genießbar; ja, ſie ſtürzen ſich mit Heiß- hunger über Dinge her, welche ſie ſonſt gänzlich verſchmähen oder doch gleichgiltig betrachten.
Alle Seeflieger ſind Stoßtaucher, nicht alle aber im Stande, ihren reichbefiederten Leib unter die Oberfläche des Waſſers zu zwingen, während einzelne den Schwimmtauchern kaum Etwas nach- geben. Sie fliegen in einer gewiſſen Höhe über den Wellen dahin, bei gutem Wetter ſpielend leicht, bei ſchlechtem nach Kräften gegen den Wind ankämpfend, ſpähen achtſam nach unten und ſtürzen ſich auf die geſehene Beute herab, um ſie mit dem Schnabel zu ergreifen oder doch aufzunehmen; denn das Stoßtauchen geſchieht in ſehr verſchiedener Weiſe. Einzelne werden gleichſam ſelbſt zu einem Pfeile, welcher nach einem beſtimmten Ziele gerichtet iſt, andere leſen im Fluge von den Wellen ab, noch andere ſetzen ſich erſt ſchwimmend nieder, bevor ſie die Speiſe aufnehmen. Raubvögel ſind ſie alle, mögen ſie nun ſelbſt für ſich ſorgen oder andere für ſich ſorgen laſſen, mögen ſie nur lebende Beute genießen oder wie die Geier mehr an Aas ſich halten. Was das Meer ihnen bietet, wird von ihnen angenommen, Walfiſchaas wie kleine, kaum ſichtbare Krebſe, Fiſche wie Quallen, Würmer ꝛc.
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[852/0902]
Die Schwimmer. Seeflieger.
meiden ſogar dieſe und ziehen ſüße Gewäſſer der Salzflut vor: ſie aber können die Regel nicht
umſtoßen. Ueber den Wogen dahin ſchwebend, die Nähe des Landes meidend, durchwandern, im
Gegenſatze zu ihnen, andere ziellos die Meere, umfliegen ſie, gleichſam ohne zu raſten, den Erdball.
Für ſie gibt es nur ein Band, welches ſie mit dem feſten Elemente zuſammenhält: die Kindheit.
Auf feſtem Grunde liegen die Eier, denen ſie entſchlüpften, hier verweilen ſie, bis ſie ihrer Schwingen
mächtig wurden, und hierher kehren ſie wieder, wenn ſie ſelbſt fortpflanzungsfähig geworden: die
übrige Zeit ihres Lebens verbringen ſie auf dem Meere, gewöhnlich fliegend, ausnahmsweiſe auch
wohl ruhend auf den Wellen oder ſelbſt am Strande. Sie fliegen verhältnißmäßig mehr als alle
übrigen Vögel — mehr als die Raubvögel, mehr als Schwalben oder Segler, mehr noch als die
Schwirrvögel; denn ſie fliegen ſo lange es Tag iſt und oft noch während der Nacht. Dieſer uner-
müdlichen Thätigkeit und Beweglichkeit entſpricht der Verbreitungskreis der einzelnen Arten.
Mehrere ſcheinen Weltbürger zu ſein, da ſie nicht blos rings um den Erdball fliegen, ſondern auch
alle Gürtel der Erde beſuchen; andere hingegen beſchränken ihr Fliegen, Streichen, Reiſen oder wie
man es ſonſt nennen will, doch auf ein gewiſſes Gebiet, auf einen mehr oder weniger ſcharf
umgrenzten Meerestheil oder Gürtel innerhalb beſtimmter Grade der Breite. Jmmerhin aber handelt
es ſich bei einem ſolchen Gebiete um ein ganzes Meer, nicht um einen Theil, eine Küſte deſſelben.
Jeder Seeflieger iſt befähigt, dem Meere zu trotzen: kein einziger aber freut ſich, wie die Sage
meint, des Sturmes oder Unwetters. Selbſt ihm, dem Kinde des Meeres, iſt die erhabene Mutter
lieber, wenn ſie heiter lächelt, als wenn Sturm die Wogen zu Bergen thürmt. Bei heiterem Wetter
hält ſich die Möve fern der Küſte, der Albatroß fern dem Schiffe: Sturm ſcheucht jene dem Lande zu
und treibt dieſen in die Nähe des Schiffes; Sturm iſt des „Sturmvogels“ gefährlichſter Feind. Man
hat früher glauben wollen, daß die Weltmeervögel, welche faſt ſämmtlich der Zunft der Sturmvögel
angehören, durch ihr Erſcheinen am Schiffe ſchweres Wetter im Voraus künden, während ſie ſich
umgekehrt nur dann in Menge einem Fahrzeuge nähern, wenn das ſchwere Wetter bereits eingetreten iſt
und ſie ſchon länger mit ihm gekämpft haben. Das durch Stürme aufgeregte Meer erſchwert es
ihnen, die Nahrung, welche ſie bei ruhigem Wetter ohne Mühe auffinden, zu erſpähen und nöthigt ſie,
in der Nähe der Schiffe ſich einzufinden, weil ſie erfahrungsmäßig wiſſen, daß ihnen von dieſen aus
ab und zu etwas Genießbares zugeworfen wird. Der Hunger iſt es, welcher ſie den Schiffen zuführt.
Wenn bei heftigem Winde und hochgehender See ein Schiff beilegen muß, wird es bald von Hunderten
verſchiedener Seeflieger umringt, während ſich in derſelben Breite oder Gegend kaum einer zeigt,
wenn Windſtille das Fahrzeug feſthält. Wird zu dieſer Zeit ein Köder ausgeworfen, ſo kann er
lange oder ganz vergeblich hinter dem Steuerruder treiben, während er bei Sturm gewöhnlich ſchon
verſchlungen wird, noch ehe er das Waſſer berührte. Bei Wogenglätte erbeuten ſich alle Seeflieger
mit Leichtigkeit beſſere Nahrung, als ſie vom Schiffe aus ihnen zugeworfen wird: Sturm deckt ihnen
den Acker zu, welcher für ſie Früchte trägt, und dann erſcheint ihrem bellenden Magen ſelbſt der
ekelhafteſte Unrath, welcher über Bord geworfen wird, noch genießbar; ja, ſie ſtürzen ſich mit Heiß-
hunger über Dinge her, welche ſie ſonſt gänzlich verſchmähen oder doch gleichgiltig betrachten.
Alle Seeflieger ſind Stoßtaucher, nicht alle aber im Stande, ihren reichbefiederten Leib unter
die Oberfläche des Waſſers zu zwingen, während einzelne den Schwimmtauchern kaum Etwas nach-
geben. Sie fliegen in einer gewiſſen Höhe über den Wellen dahin, bei gutem Wetter ſpielend leicht,
bei ſchlechtem nach Kräften gegen den Wind ankämpfend, ſpähen achtſam nach unten und ſtürzen ſich
auf die geſehene Beute herab, um ſie mit dem Schnabel zu ergreifen oder doch aufzunehmen; denn
das Stoßtauchen geſchieht in ſehr verſchiedener Weiſe. Einzelne werden gleichſam ſelbſt zu einem
Pfeile, welcher nach einem beſtimmten Ziele gerichtet iſt, andere leſen im Fluge von den Wellen ab,
noch andere ſetzen ſich erſt ſchwimmend nieder, bevor ſie die Speiſe aufnehmen. Raubvögel ſind ſie
alle, mögen ſie nun ſelbſt für ſich ſorgen oder andere für ſich ſorgen laſſen, mögen ſie nur lebende
Beute genießen oder wie die Geier mehr an Aas ſich halten. Was das Meer ihnen bietet, wird von
ihnen angenommen, Walfiſchaas wie kleine, kaum ſichtbare Krebſe, Fiſche wie Quallen, Würmer ꝛc.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 852. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/902>, abgerufen am 23.11.2024.
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