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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Schwimmer. Zahnschnäbler. Gänse.
kleinen Teiche ausgebrütet werden, werden von den Alten, welche sie dort nicht sicher glauben
gewöhnlich schon in den ersten Tagen ihres Lebens einem größeren Gewässer zugeführt, meist in der
Dämmerung, des Morgens oder Abends. Merkwürdig genug, kann man diese sonst so scheuen
Geschöpfe hierbei oft wie zahme Gänse dicht vor sich hintreiben. Die Angst der Alten, in welcher sie
es nicht wagt, sich von den Jungen zu entfernen, ist unbeschreiblich. Fährt man unter sie oder fängt
man gar ein Junges, so stürzt sie schreiend herbei, fliegt dem Kinderräuber beinahe an den Kopf und
verfolgt ihn noch eine weite Strecke, kehrt dann zurück, um die Versprengten wieder zu sammeln und
eilt endlich mit ihnen dem Ziele zu. Oft bewirken solche Störungen, wenn sie der Reisegesellschaft
nicht fern vom Auswanderungsorte begegnen, auch das Gegentheil, weil sie sich genöthigt sieht, wieder
umzukehren; allein mögen sie auch noch so oft wiederkehren, so sind sie doch nicht im Stande, die Alte
von ihrem Vorhaben abzubringen, selbst wenn mehrere Junge dabei zu Grunde gehen sollten. Man
hat mehrmals sämmtliche Jungen einer solchen wandernden Familie eingefangen und sie auf denselben
Teich, den sie eben verlassen hatten, zurückgetragen, und dennoch fand man sie am nächsten Abende
oder Morgen, ja zuweilen noch in derselben Stunde auf dem nämlichen Wege, und immer wieder, so
oft man Dies auch wiederholte. Andere Alte denken ganz entgegengesetzt und führen ihre Kleinen
umgekehrt von der großen Gesellschaft hinweg auf einen abgelegeneren kleinen Teich, suchen also die
Einsamkeit. Von so entgegengesetzten Ansichten führen sie eine wie die andere mit gleich großer
Beharrlichkeit aus. Andere begreift man vollends nicht, wenn sie, um ihren Aufenthalt mit den
Kleinen an einen entfernten Ort zu verlegen, noch viel weitere Fußreisen wagen. Die auf dem
Badezer Teiche, in Anhalt, nistenden Graugänse kamen mehr als einmal auf den tollen Einfall,
nach anderthalb Meilen entfernten Teichen zu wandern, als ihre Jungen kaum zwei Wochen alt
waren, ungeachtet die Richtung des langen und beschwerlichen Weges über freies Feld, quer über ein
paar Landstraßen, mehrere Feldwege, das Nuthethal mit mehreren Dörfern und Mühlen besetzt,
durchschneidend und kaum eine Viertelmeile von der Stadt Zerbst vorüberführt. Höchst wahrscheinlich
erreichte niemals der zehnte Theil von allen solchen oder kaum ein paar Familien das Ziel einer so
unsinnigen Reise.... Was sie zu solchen Fußreisen bewogen haben mag, ist schwer zu errathen;
doch ist wahrscheinlich Wassermangel die Hauptursache" ...

"Wenn man die Alten von den Jungen wegschießt, ehe diese Federn erhalten, müssen viele von
ihnen umkommen. Es schlagen sich zwar die Verwaisten zu den Jungen anderer Alten, welche diese
leiden wollen; da jedoch Dies nur wenige thun, so versammelt oft eine mitleidige Alte eine sehr zahl-
reiche Familie um sich. Wir sahen einst eine so gutmüthige Familienmutter von sechzig und einigen
Jungen umgeben, die sie führte, als ob alle ihre leiblichen Kinder gewesen wären. Finden sie keine
Familie, welche sie aufnimmt, so halten sie zwar geschwisterlich zusammen, da sie aber mütterliche
Sorge und väterlichen Schutz entbehren, gehen die meisten sehr bald zu Grunde. Sind sie bereits
soweit herangewachsen, daß sie statt der Dunen Federn bekommen, mithin auch schon reicher an
Erfahrung, so bringen sie sich besser durch."

Wenn die Jungen nach und nach herangewachsen, kümmert sich der Familienvater nicht mehr
so ängstlich um sie. Sobald die Mauser beginnt, welche bei ihm stets ein bis zwei Wochen früher
als bei seiner Gattin eintritt, entzieht er sich der Familie und verbirgt sich später, wenn er nicht fliegen
kann, im Schilfe. Wenn auch die Familienmutter in diese Verlegenheit kommt, sind die Jungen
bereits flugbar und fähig, den Führer entbehren zu können.

Jung eingefangene Graugänse werden sehr bald zahm; selbst Alte, welche in die Gewalt des
Menschen geriethen, gewöhnen sich an den Verlust ihrer Freiheit und erkennen in dem Menschen einen
ihm wohlwollenden Pfleger. Da, wo Wildgänse brüten, thut man wohl, ihre Eier auszunehmen und
diese von zahmen Gänsen ausbrüten zu lassen. Die Jungen behandelt man dann ganz wie zahme
Gänse und zieht sie in der Regel ohne sonderliche Mühe groß. Doch verleugnen sie ihr Wesen nie;
denn sobald sie sich erwachsen fühlen, regt sich in ihnen das Gefühl der Freiheit: sie beginnen zu

Die Schwimmer. Zahnſchnäbler. Gänſe.
kleinen Teiche ausgebrütet werden, werden von den Alten, welche ſie dort nicht ſicher glauben
gewöhnlich ſchon in den erſten Tagen ihres Lebens einem größeren Gewäſſer zugeführt, meiſt in der
Dämmerung, des Morgens oder Abends. Merkwürdig genug, kann man dieſe ſonſt ſo ſcheuen
Geſchöpfe hierbei oft wie zahme Gänſe dicht vor ſich hintreiben. Die Angſt der Alten, in welcher ſie
es nicht wagt, ſich von den Jungen zu entfernen, iſt unbeſchreiblich. Fährt man unter ſie oder fängt
man gar ein Junges, ſo ſtürzt ſie ſchreiend herbei, fliegt dem Kinderräuber beinahe an den Kopf und
verfolgt ihn noch eine weite Strecke, kehrt dann zurück, um die Verſprengten wieder zu ſammeln und
eilt endlich mit ihnen dem Ziele zu. Oft bewirken ſolche Störungen, wenn ſie der Reiſegeſellſchaft
nicht fern vom Auswanderungsorte begegnen, auch das Gegentheil, weil ſie ſich genöthigt ſieht, wieder
umzukehren; allein mögen ſie auch noch ſo oft wiederkehren, ſo ſind ſie doch nicht im Stande, die Alte
von ihrem Vorhaben abzubringen, ſelbſt wenn mehrere Junge dabei zu Grunde gehen ſollten. Man
hat mehrmals ſämmtliche Jungen einer ſolchen wandernden Familie eingefangen und ſie auf denſelben
Teich, den ſie eben verlaſſen hatten, zurückgetragen, und dennoch fand man ſie am nächſten Abende
oder Morgen, ja zuweilen noch in derſelben Stunde auf dem nämlichen Wege, und immer wieder, ſo
oft man Dies auch wiederholte. Andere Alte denken ganz entgegengeſetzt und führen ihre Kleinen
umgekehrt von der großen Geſellſchaft hinweg auf einen abgelegeneren kleinen Teich, ſuchen alſo die
Einſamkeit. Von ſo entgegengeſetzten Anſichten führen ſie eine wie die andere mit gleich großer
Beharrlichkeit aus. Andere begreift man vollends nicht, wenn ſie, um ihren Aufenthalt mit den
Kleinen an einen entfernten Ort zu verlegen, noch viel weitere Fußreiſen wagen. Die auf dem
Badezer Teiche, in Anhalt, niſtenden Graugänſe kamen mehr als einmal auf den tollen Einfall,
nach anderthalb Meilen entfernten Teichen zu wandern, als ihre Jungen kaum zwei Wochen alt
waren, ungeachtet die Richtung des langen und beſchwerlichen Weges über freies Feld, quer über ein
paar Landſtraßen, mehrere Feldwege, das Nuthethal mit mehreren Dörfern und Mühlen beſetzt,
durchſchneidend und kaum eine Viertelmeile von der Stadt Zerbſt vorüberführt. Höchſt wahrſcheinlich
erreichte niemals der zehnte Theil von allen ſolchen oder kaum ein paar Familien das Ziel einer ſo
unſinnigen Reiſe.... Was ſie zu ſolchen Fußreiſen bewogen haben mag, iſt ſchwer zu errathen;
doch iſt wahrſcheinlich Waſſermangel die Haupturſache“ ...

„Wenn man die Alten von den Jungen wegſchießt, ehe dieſe Federn erhalten, müſſen viele von
ihnen umkommen. Es ſchlagen ſich zwar die Verwaiſten zu den Jungen anderer Alten, welche dieſe
leiden wollen; da jedoch Dies nur wenige thun, ſo verſammelt oft eine mitleidige Alte eine ſehr zahl-
reiche Familie um ſich. Wir ſahen einſt eine ſo gutmüthige Familienmutter von ſechzig und einigen
Jungen umgeben, die ſie führte, als ob alle ihre leiblichen Kinder geweſen wären. Finden ſie keine
Familie, welche ſie aufnimmt, ſo halten ſie zwar geſchwiſterlich zuſammen, da ſie aber mütterliche
Sorge und väterlichen Schutz entbehren, gehen die meiſten ſehr bald zu Grunde. Sind ſie bereits
ſoweit herangewachſen, daß ſie ſtatt der Dunen Federn bekommen, mithin auch ſchon reicher an
Erfahrung, ſo bringen ſie ſich beſſer durch.“

Wenn die Jungen nach und nach herangewachſen, kümmert ſich der Familienvater nicht mehr
ſo ängſtlich um ſie. Sobald die Mauſer beginnt, welche bei ihm ſtets ein bis zwei Wochen früher
als bei ſeiner Gattin eintritt, entzieht er ſich der Familie und verbirgt ſich ſpäter, wenn er nicht fliegen
kann, im Schilfe. Wenn auch die Familienmutter in dieſe Verlegenheit kommt, ſind die Jungen
bereits flugbar und fähig, den Führer entbehren zu können.

Jung eingefangene Graugänſe werden ſehr bald zahm; ſelbſt Alte, welche in die Gewalt des
Menſchen geriethen, gewöhnen ſich an den Verluſt ihrer Freiheit und erkennen in dem Menſchen einen
ihm wohlwollenden Pfleger. Da, wo Wildgänſe brüten, thut man wohl, ihre Eier auszunehmen und
dieſe von zahmen Gänſen ausbrüten zu laſſen. Die Jungen behandelt man dann ganz wie zahme
Gänſe und zieht ſie in der Regel ohne ſonderliche Mühe groß. Doch verleugnen ſie ihr Weſen nie;
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[798/0846] Die Schwimmer. Zahnſchnäbler. Gänſe. kleinen Teiche ausgebrütet werden, werden von den Alten, welche ſie dort nicht ſicher glauben gewöhnlich ſchon in den erſten Tagen ihres Lebens einem größeren Gewäſſer zugeführt, meiſt in der Dämmerung, des Morgens oder Abends. Merkwürdig genug, kann man dieſe ſonſt ſo ſcheuen Geſchöpfe hierbei oft wie zahme Gänſe dicht vor ſich hintreiben. Die Angſt der Alten, in welcher ſie es nicht wagt, ſich von den Jungen zu entfernen, iſt unbeſchreiblich. Fährt man unter ſie oder fängt man gar ein Junges, ſo ſtürzt ſie ſchreiend herbei, fliegt dem Kinderräuber beinahe an den Kopf und verfolgt ihn noch eine weite Strecke, kehrt dann zurück, um die Verſprengten wieder zu ſammeln und eilt endlich mit ihnen dem Ziele zu. Oft bewirken ſolche Störungen, wenn ſie der Reiſegeſellſchaft nicht fern vom Auswanderungsorte begegnen, auch das Gegentheil, weil ſie ſich genöthigt ſieht, wieder umzukehren; allein mögen ſie auch noch ſo oft wiederkehren, ſo ſind ſie doch nicht im Stande, die Alte von ihrem Vorhaben abzubringen, ſelbſt wenn mehrere Junge dabei zu Grunde gehen ſollten. Man hat mehrmals ſämmtliche Jungen einer ſolchen wandernden Familie eingefangen und ſie auf denſelben Teich, den ſie eben verlaſſen hatten, zurückgetragen, und dennoch fand man ſie am nächſten Abende oder Morgen, ja zuweilen noch in derſelben Stunde auf dem nämlichen Wege, und immer wieder, ſo oft man Dies auch wiederholte. Andere Alte denken ganz entgegengeſetzt und führen ihre Kleinen umgekehrt von der großen Geſellſchaft hinweg auf einen abgelegeneren kleinen Teich, ſuchen alſo die Einſamkeit. Von ſo entgegengeſetzten Anſichten führen ſie eine wie die andere mit gleich großer Beharrlichkeit aus. Andere begreift man vollends nicht, wenn ſie, um ihren Aufenthalt mit den Kleinen an einen entfernten Ort zu verlegen, noch viel weitere Fußreiſen wagen. Die auf dem Badezer Teiche, in Anhalt, niſtenden Graugänſe kamen mehr als einmal auf den tollen Einfall, nach anderthalb Meilen entfernten Teichen zu wandern, als ihre Jungen kaum zwei Wochen alt waren, ungeachtet die Richtung des langen und beſchwerlichen Weges über freies Feld, quer über ein paar Landſtraßen, mehrere Feldwege, das Nuthethal mit mehreren Dörfern und Mühlen beſetzt, durchſchneidend und kaum eine Viertelmeile von der Stadt Zerbſt vorüberführt. Höchſt wahrſcheinlich erreichte niemals der zehnte Theil von allen ſolchen oder kaum ein paar Familien das Ziel einer ſo unſinnigen Reiſe.... Was ſie zu ſolchen Fußreiſen bewogen haben mag, iſt ſchwer zu errathen; doch iſt wahrſcheinlich Waſſermangel die Haupturſache“ ... „Wenn man die Alten von den Jungen wegſchießt, ehe dieſe Federn erhalten, müſſen viele von ihnen umkommen. Es ſchlagen ſich zwar die Verwaiſten zu den Jungen anderer Alten, welche dieſe leiden wollen; da jedoch Dies nur wenige thun, ſo verſammelt oft eine mitleidige Alte eine ſehr zahl- reiche Familie um ſich. Wir ſahen einſt eine ſo gutmüthige Familienmutter von ſechzig und einigen Jungen umgeben, die ſie führte, als ob alle ihre leiblichen Kinder geweſen wären. Finden ſie keine Familie, welche ſie aufnimmt, ſo halten ſie zwar geſchwiſterlich zuſammen, da ſie aber mütterliche Sorge und väterlichen Schutz entbehren, gehen die meiſten ſehr bald zu Grunde. Sind ſie bereits ſoweit herangewachſen, daß ſie ſtatt der Dunen Federn bekommen, mithin auch ſchon reicher an Erfahrung, ſo bringen ſie ſich beſſer durch.“ Wenn die Jungen nach und nach herangewachſen, kümmert ſich der Familienvater nicht mehr ſo ängſtlich um ſie. Sobald die Mauſer beginnt, welche bei ihm ſtets ein bis zwei Wochen früher als bei ſeiner Gattin eintritt, entzieht er ſich der Familie und verbirgt ſich ſpäter, wenn er nicht fliegen kann, im Schilfe. Wenn auch die Familienmutter in dieſe Verlegenheit kommt, ſind die Jungen bereits flugbar und fähig, den Führer entbehren zu können. Jung eingefangene Graugänſe werden ſehr bald zahm; ſelbſt Alte, welche in die Gewalt des Menſchen geriethen, gewöhnen ſich an den Verluſt ihrer Freiheit und erkennen in dem Menſchen einen ihm wohlwollenden Pfleger. Da, wo Wildgänſe brüten, thut man wohl, ihre Eier auszunehmen und dieſe von zahmen Gänſen ausbrüten zu laſſen. Die Jungen behandelt man dann ganz wie zahme Gänſe und zieht ſie in der Regel ohne ſonderliche Mühe groß. Doch verleugnen ſie ihr Weſen nie; denn ſobald ſie ſich erwachſen fühlen, regt ſich in ihnen das Gefühl der Freiheit: ſie beginnen zu

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 798. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/846>, abgerufen am 22.11.2024.