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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Nachtreiher.
auch nicht gerade sehr lebendig und dabei unter allen Umständen vorsichtig, weicht furchtsam jedem
Menschen aus, welcher sich nähert, und wird, wenn er sich verfolgt sieht, bald ungemein scheu. Seine
Fischerei betreibt er ungefähr in derselben Weise wie die Tagreiher, jedenfalls vollkommen lautlos.
Jn einer Hinsicht unterscheidet sich der Vogel von vielen seiner Verwandten: er ist entschieden
geselliger als sie, mindestens ebenso gesellig wie der Kuhreiher. Naumann sagt zwar, daß ihm
ein Hang zur Geselligkeit nicht inne zu wohnen scheine, und diejenigen, welche man an geeigneten
Futterplätzen antreffe, mehr durch den Zufall zusammengebracht worden seien; ich aber glaube das
Gegentheil behaupten zu können. Allerdings trifft man in Nordostafrika zuweilen auch einzelne
Nachtreiher an, in der Regel jedoch stets Gesellschaften und zwar solche, welche hunderte von Stücken
zählen, größere, als sie irgend ein anderer Reiher eingeht; und wenn man die Vögel des Nachts
beobachtet, muß man sehr bald bemerken, wie ihr beständiges Schreien und Krächzen zur Folge hat,
daß immer neue Zuzügler dem Schwarme sich anschließen. Dagegen ist es gewiß richtig, daß der
Nachtreiher um andere Vögel sich wenig oder nicht kümmert.

Das Brutgeschäft fällt in die Monate Mai bis Juli. Um diese Zeit bezieht der Vogel
entweder mit Verwandten gewisse Reiherstände oder bildet selbst Ansiedelungen. Jn Holland muß er
sehr häufig brüten, weil man von dort aus alljährlich lebende Junge erhalten kann; in Deutschland
nistet er selten, wahrscheinlich aber doch häufiger als wir wähnen. So fand Wicke im Jahre 1863
eine von ihm gebildete Ansiedelung in der Nähe von Göttingen. Auf den ungarischen Reiher-
ständen ist er stets das zahlreichste Mitglied: Baldamus fand auf einer einzigen, mäßig großen
Weide unter sechszehn Reihernestern elf des Nachtreihers. Seine Nester werden in der Regel in der
Mitte der Wipfel auf Gabelästen angelegt oder auch auf den Rand von Fischreihernestern gestützt.
Höhere Bäume zieht er den niederen vor, ohne jedoch besonders wählerisch zu sein. Der Horst ist
verhältnißmäßig nachlässig gebaut, außen von trockenem Gezweige nach Art eines Krähennestes
zusammengeschichtet, innen mit trockenen Schilf- und Riedblättern sparsam ausgelegt. Vor Anfang
Mai's findet man auch in Südungarn keine Eier in den Nestern, zu Ende des Monats hingegen sind
fast alle mit vier bis fünf Stück belegt. Die Eier gleichen, laut Baldamus, in Gestalt und
Größe mehr denen eines rothhälsigen Steißfußes als denen anderer Reiher. Obschon welche von
reiner Eigestalt vorkommen, so nähern sich doch die meisten der länglichen Form, deren größter
Durchmesser nahe der Mitte oder gerade in diese fällt. Jhre Färbung ist ein vielfach abwechselndes
Grün. Wahrscheinlich brütet nur das Weibchen; wenigstens scheint Dies bei Tage zu geschehen.
Die Männchen sitzen, nach den Beobachtungen von Baldamus, ungestört in der Nähe des
brütenden Weibchens, haben aber auch noch gewisse Sammelplätze, zu denen sie sich begeben, wenn
sie behelligt werden; denn es tritt nur auf Augenblicke vollkommene Ruhe ein. "Wenn kein Räuber
sie aufstörte", berichtet genannter Forscher, "fanden sie unter einander Anlaß genug, sich gegenseitig
zu necken, schreiend zu verfolgen und zur Wehre zu setzen. Dies geschah mehrentheils steigend. Sie
erschienen dabei oft in sonderbar lächerlichen Stellungen und schrieen beständig. Während nämlich
das brütende Weibchen oft ein Reis oder dergleichen von einem nachbarlichen Neste sich zueignete und
schreienden Widerstand erfuhr, fiel es vielleicht dem nebenstehenden Männchen ein, seinem über ihm
stehenden Nachbar in die Ständer oder in die Zehen zu zwicken. Dieser breitet seine Flügel
abwehrend aus, sperrt den Schnabel weit auf und sucht zu vergelten, wird aber vom Angreifer steigend
verfolgt, bis das Ende eines Astes nach dem Stamme oder nach außen dem Verfolgten entweder
den Muth der Verzweiflung oder die Flucht durch die Schwingen gebietet. Jm letzteren Falle wird
er in der Regel nicht weiter verfolgt, im ersteren Falle der Angreifer in ähnlicher Weise zurückgetrieben.
Lächerlich wirkt der Gegensatz zwischen dem großartig erscheinenden Aufwande von Mitteln und dem
geringen Erfolge. Der weit aufgesperrte Schnabel, die unendlichen Veränderungen ihrer rauhen
"Koau", "Krau", "Kräü", "Krää" u. s. w., die gleichsam von Zornesfeuer und blutrothleuchtenden
großen Augen, die drohend erhobenen Flügel, das Zurückbiegen und Vorschnellen des Kopfes, die
abenteuerlichen Wendungen des ganzen Körpers, das Anlegen und Aufrichten der Scheitel- und

Nachtreiher.
auch nicht gerade ſehr lebendig und dabei unter allen Umſtänden vorſichtig, weicht furchtſam jedem
Menſchen aus, welcher ſich nähert, und wird, wenn er ſich verfolgt ſieht, bald ungemein ſcheu. Seine
Fiſcherei betreibt er ungefähr in derſelben Weiſe wie die Tagreiher, jedenfalls vollkommen lautlos.
Jn einer Hinſicht unterſcheidet ſich der Vogel von vielen ſeiner Verwandten: er iſt entſchieden
geſelliger als ſie, mindeſtens ebenſo geſellig wie der Kuhreiher. Naumann ſagt zwar, daß ihm
ein Hang zur Geſelligkeit nicht inne zu wohnen ſcheine, und diejenigen, welche man an geeigneten
Futterplätzen antreffe, mehr durch den Zufall zuſammengebracht worden ſeien; ich aber glaube das
Gegentheil behaupten zu können. Allerdings trifft man in Nordoſtafrika zuweilen auch einzelne
Nachtreiher an, in der Regel jedoch ſtets Geſellſchaften und zwar ſolche, welche hunderte von Stücken
zählen, größere, als ſie irgend ein anderer Reiher eingeht; und wenn man die Vögel des Nachts
beobachtet, muß man ſehr bald bemerken, wie ihr beſtändiges Schreien und Krächzen zur Folge hat,
daß immer neue Zuzügler dem Schwarme ſich anſchließen. Dagegen iſt es gewiß richtig, daß der
Nachtreiher um andere Vögel ſich wenig oder nicht kümmert.

Das Brutgeſchäft fällt in die Monate Mai bis Juli. Um dieſe Zeit bezieht der Vogel
entweder mit Verwandten gewiſſe Reiherſtände oder bildet ſelbſt Anſiedelungen. Jn Holland muß er
ſehr häufig brüten, weil man von dort aus alljährlich lebende Junge erhalten kann; in Deutſchland
niſtet er ſelten, wahrſcheinlich aber doch häufiger als wir wähnen. So fand Wicke im Jahre 1863
eine von ihm gebildete Anſiedelung in der Nähe von Göttingen. Auf den ungariſchen Reiher-
ſtänden iſt er ſtets das zahlreichſte Mitglied: Baldamus fand auf einer einzigen, mäßig großen
Weide unter ſechszehn Reiherneſtern elf des Nachtreihers. Seine Neſter werden in der Regel in der
Mitte der Wipfel auf Gabeläſten angelegt oder auch auf den Rand von Fiſchreiherneſtern geſtützt.
Höhere Bäume zieht er den niederen vor, ohne jedoch beſonders wähleriſch zu ſein. Der Horſt iſt
verhältnißmäßig nachläſſig gebaut, außen von trockenem Gezweige nach Art eines Krähenneſtes
zuſammengeſchichtet, innen mit trockenen Schilf- und Riedblättern ſparſam ausgelegt. Vor Anfang
Mai’s findet man auch in Südungarn keine Eier in den Neſtern, zu Ende des Monats hingegen ſind
faſt alle mit vier bis fünf Stück belegt. Die Eier gleichen, laut Baldamus, in Geſtalt und
Größe mehr denen eines rothhälſigen Steißfußes als denen anderer Reiher. Obſchon welche von
reiner Eigeſtalt vorkommen, ſo nähern ſich doch die meiſten der länglichen Form, deren größter
Durchmeſſer nahe der Mitte oder gerade in dieſe fällt. Jhre Färbung iſt ein vielfach abwechſelndes
Grün. Wahrſcheinlich brütet nur das Weibchen; wenigſtens ſcheint Dies bei Tage zu geſchehen.
Die Männchen ſitzen, nach den Beobachtungen von Baldamus, ungeſtört in der Nähe des
brütenden Weibchens, haben aber auch noch gewiſſe Sammelplätze, zu denen ſie ſich begeben, wenn
ſie behelligt werden; denn es tritt nur auf Augenblicke vollkommene Ruhe ein. „Wenn kein Räuber
ſie aufſtörte“, berichtet genannter Forſcher, „fanden ſie unter einander Anlaß genug, ſich gegenſeitig
zu necken, ſchreiend zu verfolgen und zur Wehre zu ſetzen. Dies geſchah mehrentheils ſteigend. Sie
erſchienen dabei oft in ſonderbar lächerlichen Stellungen und ſchrieen beſtändig. Während nämlich
das brütende Weibchen oft ein Reis oder dergleichen von einem nachbarlichen Neſte ſich zueignete und
ſchreienden Widerſtand erfuhr, fiel es vielleicht dem nebenſtehenden Männchen ein, ſeinem über ihm
ſtehenden Nachbar in die Ständer oder in die Zehen zu zwicken. Dieſer breitet ſeine Flügel
abwehrend aus, ſperrt den Schnabel weit auf und ſucht zu vergelten, wird aber vom Angreifer ſteigend
verfolgt, bis das Ende eines Aſtes nach dem Stamme oder nach außen dem Verfolgten entweder
den Muth der Verzweiflung oder die Flucht durch die Schwingen gebietet. Jm letzteren Falle wird
er in der Regel nicht weiter verfolgt, im erſteren Falle der Angreifer in ähnlicher Weiſe zurückgetrieben.
Lächerlich wirkt der Gegenſatz zwiſchen dem großartig erſcheinenden Aufwande von Mitteln und dem
geringen Erfolge. Der weit aufgeſperrte Schnabel, die unendlichen Veränderungen ihrer rauhen
„Koau“, „Krau“, „Kräü“, „Krää“ u. ſ. w., die gleichſam von Zornesfeuer und blutrothleuchtenden
großen Augen, die drohend erhobenen Flügel, das Zurückbiegen und Vorſchnellen des Kopfes, die
abenteuerlichen Wendungen des ganzen Körpers, das Anlegen und Aufrichten der Scheitel- und

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[709/0753] Nachtreiher. auch nicht gerade ſehr lebendig und dabei unter allen Umſtänden vorſichtig, weicht furchtſam jedem Menſchen aus, welcher ſich nähert, und wird, wenn er ſich verfolgt ſieht, bald ungemein ſcheu. Seine Fiſcherei betreibt er ungefähr in derſelben Weiſe wie die Tagreiher, jedenfalls vollkommen lautlos. Jn einer Hinſicht unterſcheidet ſich der Vogel von vielen ſeiner Verwandten: er iſt entſchieden geſelliger als ſie, mindeſtens ebenſo geſellig wie der Kuhreiher. Naumann ſagt zwar, daß ihm ein Hang zur Geſelligkeit nicht inne zu wohnen ſcheine, und diejenigen, welche man an geeigneten Futterplätzen antreffe, mehr durch den Zufall zuſammengebracht worden ſeien; ich aber glaube das Gegentheil behaupten zu können. Allerdings trifft man in Nordoſtafrika zuweilen auch einzelne Nachtreiher an, in der Regel jedoch ſtets Geſellſchaften und zwar ſolche, welche hunderte von Stücken zählen, größere, als ſie irgend ein anderer Reiher eingeht; und wenn man die Vögel des Nachts beobachtet, muß man ſehr bald bemerken, wie ihr beſtändiges Schreien und Krächzen zur Folge hat, daß immer neue Zuzügler dem Schwarme ſich anſchließen. Dagegen iſt es gewiß richtig, daß der Nachtreiher um andere Vögel ſich wenig oder nicht kümmert. Das Brutgeſchäft fällt in die Monate Mai bis Juli. Um dieſe Zeit bezieht der Vogel entweder mit Verwandten gewiſſe Reiherſtände oder bildet ſelbſt Anſiedelungen. Jn Holland muß er ſehr häufig brüten, weil man von dort aus alljährlich lebende Junge erhalten kann; in Deutſchland niſtet er ſelten, wahrſcheinlich aber doch häufiger als wir wähnen. So fand Wicke im Jahre 1863 eine von ihm gebildete Anſiedelung in der Nähe von Göttingen. Auf den ungariſchen Reiher- ſtänden iſt er ſtets das zahlreichſte Mitglied: Baldamus fand auf einer einzigen, mäßig großen Weide unter ſechszehn Reiherneſtern elf des Nachtreihers. Seine Neſter werden in der Regel in der Mitte der Wipfel auf Gabeläſten angelegt oder auch auf den Rand von Fiſchreiherneſtern geſtützt. Höhere Bäume zieht er den niederen vor, ohne jedoch beſonders wähleriſch zu ſein. Der Horſt iſt verhältnißmäßig nachläſſig gebaut, außen von trockenem Gezweige nach Art eines Krähenneſtes zuſammengeſchichtet, innen mit trockenen Schilf- und Riedblättern ſparſam ausgelegt. Vor Anfang Mai’s findet man auch in Südungarn keine Eier in den Neſtern, zu Ende des Monats hingegen ſind faſt alle mit vier bis fünf Stück belegt. Die Eier gleichen, laut Baldamus, in Geſtalt und Größe mehr denen eines rothhälſigen Steißfußes als denen anderer Reiher. Obſchon welche von reiner Eigeſtalt vorkommen, ſo nähern ſich doch die meiſten der länglichen Form, deren größter Durchmeſſer nahe der Mitte oder gerade in dieſe fällt. Jhre Färbung iſt ein vielfach abwechſelndes Grün. Wahrſcheinlich brütet nur das Weibchen; wenigſtens ſcheint Dies bei Tage zu geſchehen. Die Männchen ſitzen, nach den Beobachtungen von Baldamus, ungeſtört in der Nähe des brütenden Weibchens, haben aber auch noch gewiſſe Sammelplätze, zu denen ſie ſich begeben, wenn ſie behelligt werden; denn es tritt nur auf Augenblicke vollkommene Ruhe ein. „Wenn kein Räuber ſie aufſtörte“, berichtet genannter Forſcher, „fanden ſie unter einander Anlaß genug, ſich gegenſeitig zu necken, ſchreiend zu verfolgen und zur Wehre zu ſetzen. Dies geſchah mehrentheils ſteigend. Sie erſchienen dabei oft in ſonderbar lächerlichen Stellungen und ſchrieen beſtändig. Während nämlich das brütende Weibchen oft ein Reis oder dergleichen von einem nachbarlichen Neſte ſich zueignete und ſchreienden Widerſtand erfuhr, fiel es vielleicht dem nebenſtehenden Männchen ein, ſeinem über ihm ſtehenden Nachbar in die Ständer oder in die Zehen zu zwicken. Dieſer breitet ſeine Flügel abwehrend aus, ſperrt den Schnabel weit auf und ſucht zu vergelten, wird aber vom Angreifer ſteigend verfolgt, bis das Ende eines Aſtes nach dem Stamme oder nach außen dem Verfolgten entweder den Muth der Verzweiflung oder die Flucht durch die Schwingen gebietet. Jm letzteren Falle wird er in der Regel nicht weiter verfolgt, im erſteren Falle der Angreifer in ähnlicher Weiſe zurückgetrieben. Lächerlich wirkt der Gegenſatz zwiſchen dem großartig erſcheinenden Aufwande von Mitteln und dem geringen Erfolge. Der weit aufgeſperrte Schnabel, die unendlichen Veränderungen ihrer rauhen „Koau“, „Krau“, „Kräü“, „Krää“ u. ſ. w., die gleichſam von Zornesfeuer und blutrothleuchtenden großen Augen, die drohend erhobenen Flügel, das Zurückbiegen und Vorſchnellen des Kopfes, die abenteuerlichen Wendungen des ganzen Körpers, das Anlegen und Aufrichten der Scheitel- und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 709. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/753>, abgerufen am 22.11.2024.