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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Stelzvögel. Reiher.
daß ich mehrere derselben besteigen konnte. Die Anzahl der Eier scheint zwischen drei und vier zu
schwanken; fünf fanden sich nirgends. Das Hauptkennzeichen derselben ist das Korn, denn die Größe
gibt ebensowenig als die Gestalt ein untrügliches Merkmal zu ihrer Bestimmung, obgleich sie die der
Purpurreiher um vieles, die der Fischreiher noch bedeutend an Größe übertreffen. Das Korn ist ein
anderes, die Eier sind fühlbar glätter, als die der genannten beiden Arten, die Erhöhungen weniger
scharf und spitz, die Poren weiter von einander entfernt und größer; die Färbung hat einen mehr
bläulichen Ton, die Gestalt eine gestrecktere Eiform. -- Der Edelreiher scheint in der Regel gegen
Mitte des April und um eine Woche später als der Purpurreiher in seiner Sommerherberge einzu-
treffen; gewiß ist, daß er seine Brutgeschäfte wenigstens um so viel später beginnt."

Baldamus fand keinen Menschen, welcher noch einmal den Muth gehabt hätte, in das so
überaus unzugängliche Versteck der Edelreiher einzudringen und mußte deshalb den Vorsatz aufgeben,
weitere Beobachtungen anzustellen. Zum Glück für unsere Wißbegierde fand A. v. Homeyer
Gelegenheit, Weiteres zu erfahren. Homeyer besitzt nicht blos die Gabe, Alles zu sehen, welches
sich überhaupt sehen läßt, sondern hat auch ein ganz besonderes Glück. Da Mahammed nicht zum
Berge gehen konnte, kam der Berg zu ihm. Der Edelreiher, welcher bisher, soviel bekannt, noch nie
in Deutschland genistet hatte, stellte sich im Jahre 1863 in der Umgegend von Glogau, dem damaligen
Aufenthaltsorte unseres Forschers, ein und brütete hier unter Fischreihern.

Jch hätte meinen Freund sehen mögen, als ihm der Forstaufseher Bätzold mittheilte, daß auf
dem Reiherstande sich vier weiße Reiher aufhielten und diese "fabelhaft" klingende Aussage durch den
Förster bestätigt wurde. "Obgleich es schon zu dunkeln beginnt", schreibt der entzückte Forscher in
seinem Tagebuch, "so gehe ich doch sogleich mit den beiden Herren nach dem Stande, um mich zu über-
zeugen. Ein Schuß erregt die Ansiedelung. Laut stieben die Reiher von den Horsten, alsdann diese
umkreisend; alle sind grau, doch einer ist blendendweiß: es ist wirklich der Edelreiher. Er fliegt
einige Zeit hin und her, beginnt dann niedrig über den Baumkronen weite Bogen zu beschreiben und
setzt sich endlich auf eine Kiefer. Für diesmal habe ich genug gesehen; ich entferne mich, um den
seltenen Gast nicht zu stören und merke mir die ersten Eindrücke an." Von nun an besucht Homeyer
den Stand jeden zweiten Tag, bemerkt am 31. Mai, daß nur noch zwei Edelreiher auf dem Stande
sind, daß diese aber brüten, findet den Horst und legt sich bis zum Dunkelwerden unter den Baum,
um das brütende Weibchen zu beobachten. Am 4. Juni liegt er wieder drei Stunden unter dem
Baume, beide Bögel zeigen aber sich nicht, weil sie fischen oder weil das Weibchen sich im Brutgeschäfte
nicht stören läßt. Ein paar Tage später trifft Freund Bolle ein und geht mit nach dem Horste.
"Das brütende Weibchen richtet sich stehend auf, zeigt sich und setzt sich wieder. Der Berliner
Freund findet unter dem Horste eine große Edelreiherfeder, steckt diese an den Hut, legt sich, das
Gesicht dem Horste zugewendet, auf den Mosteppich und -- schwelgt". Homeyer bemerkt: "Der
Horst sitzt in einer nicht ganz starken Kiefer am Rande der eigentlichen Reiheransiedelungen, ist nur
dürftig gebaut, fast durchsichtig und jedenfalls in diesem Jahre neu durch die Edelreiher selbst auf-
geführt. Der nächste Horst des Fischreihers ist acht Schritte entfernt und um soviel höher gestellt,
daß dessen Jnhaber bequem den Edelreiherhorst einsehen kann. Letzterer steht ganz oben in einer
starken Gabelung, nur von fünf bis sieben Fuß langen Aesten seitwärts überragt, während gerade
über ihm Alles frei ist. Auf demselben Baume, funfzehn Fuß weiter unten, steht auch ein Horst des
Thurmfalken. Der Edelreiher richtet sich erst nach mehrmaligem Klopfen auf. Sein schlanker Hals
ist lang aufwärts gestreckt, sein Schnabel wird wagrecht gehalten, der Körper bewegt sich nicht, der
Kopf indeß dreht sich rechts und links. Jch klopfe noch einmal. Da fliegt der Vogel ab, ver-
schwindet auf drei Minuten und kehrt zurück, umkreist zwei Mal den Horst baumhoch und setzt sich
auf eine benachbarte Kiefer. Um nicht das Brutgeschäft zu stören, gehen wir nach dem Forsthause
zurück. Das heutige Verhalten des Vogels läßt mit Bestimmtheit annehmen, daß er stark bebrütete
Eier habe." Unser Forscher beobachtet weiter, findet am 15. Juni, daß das Weibchen sehr fest brütet
und sich nur auf wenige Augenblicke erhebt, wenn geklopft wird, bemerkt am 28. Juni, daß die

Die Läufer. Stelzvögel. Reiher.
daß ich mehrere derſelben beſteigen konnte. Die Anzahl der Eier ſcheint zwiſchen drei und vier zu
ſchwanken; fünf fanden ſich nirgends. Das Hauptkennzeichen derſelben iſt das Korn, denn die Größe
gibt ebenſowenig als die Geſtalt ein untrügliches Merkmal zu ihrer Beſtimmung, obgleich ſie die der
Purpurreiher um vieles, die der Fiſchreiher noch bedeutend an Größe übertreffen. Das Korn iſt ein
anderes, die Eier ſind fühlbar glätter, als die der genannten beiden Arten, die Erhöhungen weniger
ſcharf und ſpitz, die Poren weiter von einander entfernt und größer; die Färbung hat einen mehr
bläulichen Ton, die Geſtalt eine geſtrecktere Eiform. — Der Edelreiher ſcheint in der Regel gegen
Mitte des April und um eine Woche ſpäter als der Purpurreiher in ſeiner Sommerherberge einzu-
treffen; gewiß iſt, daß er ſeine Brutgeſchäfte wenigſtens um ſo viel ſpäter beginnt.“

Baldamus fand keinen Menſchen, welcher noch einmal den Muth gehabt hätte, in das ſo
überaus unzugängliche Verſteck der Edelreiher einzudringen und mußte deshalb den Vorſatz aufgeben,
weitere Beobachtungen anzuſtellen. Zum Glück für unſere Wißbegierde fand A. v. Homeyer
Gelegenheit, Weiteres zu erfahren. Homeyer beſitzt nicht blos die Gabe, Alles zu ſehen, welches
ſich überhaupt ſehen läßt, ſondern hat auch ein ganz beſonderes Glück. Da Mahammed nicht zum
Berge gehen konnte, kam der Berg zu ihm. Der Edelreiher, welcher bisher, ſoviel bekannt, noch nie
in Deutſchland geniſtet hatte, ſtellte ſich im Jahre 1863 in der Umgegend von Glogau, dem damaligen
Aufenthaltsorte unſeres Forſchers, ein und brütete hier unter Fiſchreihern.

Jch hätte meinen Freund ſehen mögen, als ihm der Forſtaufſeher Bätzold mittheilte, daß auf
dem Reiherſtande ſich vier weiße Reiher aufhielten und dieſe „fabelhaft“ klingende Ausſage durch den
Förſter beſtätigt wurde. „Obgleich es ſchon zu dunkeln beginnt“, ſchreibt der entzückte Forſcher in
ſeinem Tagebuch, „ſo gehe ich doch ſogleich mit den beiden Herren nach dem Stande, um mich zu über-
zeugen. Ein Schuß erregt die Anſiedelung. Laut ſtieben die Reiher von den Horſten, alsdann dieſe
umkreiſend; alle ſind grau, doch einer iſt blendendweiß: es iſt wirklich der Edelreiher. Er fliegt
einige Zeit hin und her, beginnt dann niedrig über den Baumkronen weite Bogen zu beſchreiben und
ſetzt ſich endlich auf eine Kiefer. Für diesmal habe ich genug geſehen; ich entferne mich, um den
ſeltenen Gaſt nicht zu ſtören und merke mir die erſten Eindrücke an.“ Von nun an beſucht Homeyer
den Stand jeden zweiten Tag, bemerkt am 31. Mai, daß nur noch zwei Edelreiher auf dem Stande
ſind, daß dieſe aber brüten, findet den Horſt und legt ſich bis zum Dunkelwerden unter den Baum,
um das brütende Weibchen zu beobachten. Am 4. Juni liegt er wieder drei Stunden unter dem
Baume, beide Bögel zeigen aber ſich nicht, weil ſie fiſchen oder weil das Weibchen ſich im Brutgeſchäfte
nicht ſtören läßt. Ein paar Tage ſpäter trifft Freund Bolle ein und geht mit nach dem Horſte.
„Das brütende Weibchen richtet ſich ſtehend auf, zeigt ſich und ſetzt ſich wieder. Der Berliner
Freund findet unter dem Horſte eine große Edelreiherfeder, ſteckt dieſe an den Hut, legt ſich, das
Geſicht dem Horſte zugewendet, auf den Mosteppich und — ſchwelgt“. Homeyer bemerkt: „Der
Horſt ſitzt in einer nicht ganz ſtarken Kiefer am Rande der eigentlichen Reiheranſiedelungen, iſt nur
dürftig gebaut, faſt durchſichtig und jedenfalls in dieſem Jahre neu durch die Edelreiher ſelbſt auf-
geführt. Der nächſte Horſt des Fiſchreihers iſt acht Schritte entfernt und um ſoviel höher geſtellt,
daß deſſen Jnhaber bequem den Edelreiherhorſt einſehen kann. Letzterer ſteht ganz oben in einer
ſtarken Gabelung, nur von fünf bis ſieben Fuß langen Aeſten ſeitwärts überragt, während gerade
über ihm Alles frei iſt. Auf demſelben Baume, funfzehn Fuß weiter unten, ſteht auch ein Horſt des
Thurmfalken. Der Edelreiher richtet ſich erſt nach mehrmaligem Klopfen auf. Sein ſchlanker Hals
iſt lang aufwärts geſtreckt, ſein Schnabel wird wagrecht gehalten, der Körper bewegt ſich nicht, der
Kopf indeß dreht ſich rechts und links. Jch klopfe noch einmal. Da fliegt der Vogel ab, ver-
ſchwindet auf drei Minuten und kehrt zurück, umkreiſt zwei Mal den Horſt baumhoch und ſetzt ſich
auf eine benachbarte Kiefer. Um nicht das Brutgeſchäft zu ſtören, gehen wir nach dem Forſthauſe
zurück. Das heutige Verhalten des Vogels läßt mit Beſtimmtheit annehmen, daß er ſtark bebrütete
Eier habe.“ Unſer Forſcher beobachtet weiter, findet am 15. Juni, daß das Weibchen ſehr feſt brütet
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[704/0746] Die Läufer. Stelzvögel. Reiher. daß ich mehrere derſelben beſteigen konnte. Die Anzahl der Eier ſcheint zwiſchen drei und vier zu ſchwanken; fünf fanden ſich nirgends. Das Hauptkennzeichen derſelben iſt das Korn, denn die Größe gibt ebenſowenig als die Geſtalt ein untrügliches Merkmal zu ihrer Beſtimmung, obgleich ſie die der Purpurreiher um vieles, die der Fiſchreiher noch bedeutend an Größe übertreffen. Das Korn iſt ein anderes, die Eier ſind fühlbar glätter, als die der genannten beiden Arten, die Erhöhungen weniger ſcharf und ſpitz, die Poren weiter von einander entfernt und größer; die Färbung hat einen mehr bläulichen Ton, die Geſtalt eine geſtrecktere Eiform. — Der Edelreiher ſcheint in der Regel gegen Mitte des April und um eine Woche ſpäter als der Purpurreiher in ſeiner Sommerherberge einzu- treffen; gewiß iſt, daß er ſeine Brutgeſchäfte wenigſtens um ſo viel ſpäter beginnt.“ Baldamus fand keinen Menſchen, welcher noch einmal den Muth gehabt hätte, in das ſo überaus unzugängliche Verſteck der Edelreiher einzudringen und mußte deshalb den Vorſatz aufgeben, weitere Beobachtungen anzuſtellen. Zum Glück für unſere Wißbegierde fand A. v. Homeyer Gelegenheit, Weiteres zu erfahren. Homeyer beſitzt nicht blos die Gabe, Alles zu ſehen, welches ſich überhaupt ſehen läßt, ſondern hat auch ein ganz beſonderes Glück. Da Mahammed nicht zum Berge gehen konnte, kam der Berg zu ihm. Der Edelreiher, welcher bisher, ſoviel bekannt, noch nie in Deutſchland geniſtet hatte, ſtellte ſich im Jahre 1863 in der Umgegend von Glogau, dem damaligen Aufenthaltsorte unſeres Forſchers, ein und brütete hier unter Fiſchreihern. Jch hätte meinen Freund ſehen mögen, als ihm der Forſtaufſeher Bätzold mittheilte, daß auf dem Reiherſtande ſich vier weiße Reiher aufhielten und dieſe „fabelhaft“ klingende Ausſage durch den Förſter beſtätigt wurde. „Obgleich es ſchon zu dunkeln beginnt“, ſchreibt der entzückte Forſcher in ſeinem Tagebuch, „ſo gehe ich doch ſogleich mit den beiden Herren nach dem Stande, um mich zu über- zeugen. Ein Schuß erregt die Anſiedelung. Laut ſtieben die Reiher von den Horſten, alsdann dieſe umkreiſend; alle ſind grau, doch einer iſt blendendweiß: es iſt wirklich der Edelreiher. Er fliegt einige Zeit hin und her, beginnt dann niedrig über den Baumkronen weite Bogen zu beſchreiben und ſetzt ſich endlich auf eine Kiefer. Für diesmal habe ich genug geſehen; ich entferne mich, um den ſeltenen Gaſt nicht zu ſtören und merke mir die erſten Eindrücke an.“ Von nun an beſucht Homeyer den Stand jeden zweiten Tag, bemerkt am 31. Mai, daß nur noch zwei Edelreiher auf dem Stande ſind, daß dieſe aber brüten, findet den Horſt und legt ſich bis zum Dunkelwerden unter den Baum, um das brütende Weibchen zu beobachten. Am 4. Juni liegt er wieder drei Stunden unter dem Baume, beide Bögel zeigen aber ſich nicht, weil ſie fiſchen oder weil das Weibchen ſich im Brutgeſchäfte nicht ſtören läßt. Ein paar Tage ſpäter trifft Freund Bolle ein und geht mit nach dem Horſte. „Das brütende Weibchen richtet ſich ſtehend auf, zeigt ſich und ſetzt ſich wieder. Der Berliner Freund findet unter dem Horſte eine große Edelreiherfeder, ſteckt dieſe an den Hut, legt ſich, das Geſicht dem Horſte zugewendet, auf den Mosteppich und — ſchwelgt“. Homeyer bemerkt: „Der Horſt ſitzt in einer nicht ganz ſtarken Kiefer am Rande der eigentlichen Reiheranſiedelungen, iſt nur dürftig gebaut, faſt durchſichtig und jedenfalls in dieſem Jahre neu durch die Edelreiher ſelbſt auf- geführt. Der nächſte Horſt des Fiſchreihers iſt acht Schritte entfernt und um ſoviel höher geſtellt, daß deſſen Jnhaber bequem den Edelreiherhorſt einſehen kann. Letzterer ſteht ganz oben in einer ſtarken Gabelung, nur von fünf bis ſieben Fuß langen Aeſten ſeitwärts überragt, während gerade über ihm Alles frei iſt. Auf demſelben Baume, funfzehn Fuß weiter unten, ſteht auch ein Horſt des Thurmfalken. Der Edelreiher richtet ſich erſt nach mehrmaligem Klopfen auf. Sein ſchlanker Hals iſt lang aufwärts geſtreckt, ſein Schnabel wird wagrecht gehalten, der Körper bewegt ſich nicht, der Kopf indeß dreht ſich rechts und links. Jch klopfe noch einmal. Da fliegt der Vogel ab, ver- ſchwindet auf drei Minuten und kehrt zurück, umkreiſt zwei Mal den Horſt baumhoch und ſetzt ſich auf eine benachbarte Kiefer. Um nicht das Brutgeſchäft zu ſtören, gehen wir nach dem Forſthauſe zurück. Das heutige Verhalten des Vogels läßt mit Beſtimmtheit annehmen, daß er ſtark bebrütete Eier habe.“ Unſer Forſcher beobachtet weiter, findet am 15. Juni, daß das Weibchen ſehr feſt brütet und ſich nur auf wenige Augenblicke erhebt, wenn geklopft wird, bemerkt am 28. Juni, daß die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/746>, abgerufen am 23.11.2024.