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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Stelzvögel. Reiher.

Es kann nur bedauert werden, daß die Reiherbaize, welche früher in ganz Europa üblich war,
gegenwärtig so arg in Verfall gerathen ist. Vor einigen Jahren hieß es, daß man in Holland das
adelige Waidwerk wiederum betreiben wolle und bereits mehrere Falken mit Erfolg abgerichtet
habe: die Liebhaberei scheint jedoch wieder aufgegeben worden zu sein, wenigstens hat man neuer-
dings hierüber Nichts mehr vernommen. Ebenso bleibt fraglich, ob die englischen Lords, welche
Dasselbe bezweckten, gegenwärtig wirklich noch baizen. Jm Schwunge ist diese Jagdart noch bei den
Asiaten, beispielsweise in Jndien und ebenso bei einigen Stämmen der Araber in Nordafrika.
Sowie der Reiher den Falken auf sich zukommen sah, spie er zunächst die eben gefangene Nahrung
aus, um sich zu erleichtern und stieg nun so eilig als möglich hoch zum Himmel empor, wurde
aber freilich vom Falken sehr bald überholt und nunmehr von oben angegriffen. Dabei hatte sich
dieser sehr in Acht zu nehmen, weil der Reiher stets den spitzen Schnabel zur Abwehr bereit hielt.
Konnte der Falk sein Opfer packen, so stürzten beide wirbelnd zu Boden herab; hatte er es mit einem
erfahrenen Reiher zu thun, so währte die Jagd länger; schließlich aber kam der Reiher doch auch
hernieder, weil er vor Ermüdung nicht länger fliegen konnte. Die wunderbaren Schwenkungen,
das Steigen und Herabstürzen, die Angriffe und die Abwehr beider Vögel gewährte ein prachtvolles
Schauspiel. Hatte der Jäger den Reiher in der Hand, so begnügte er sich in der Regel, ihm die
Schmuckfedern auszuziehen, oder nahm ihn mit nach Hause, um junge Falken an ihm zu üben.
Nicht selten legte man dem Reiher einen Metallring mit Namen des Fängers und Tagesangabe des
Fanges um die Ständer und ließ ihn hierauf wieder fliegen. Da soll es nun vorgekommen sein,
daß derselbe Reiher wiederholt gebaizt wurde, und man soll gleichzeitig erfahren haben, daß ein
Vogel ein Alter von funfzig und mehr Jahren erreicht. Jn Jndien baizt man noch heutigen Tags
leidenschaftlich.

Gefangene lassen sich mit Fischen, Fröschen und Mäusen leicht aufziehen, dürfen aber nicht mit
anderem Hausgeflügel zusammengehalten werden, da sie Küchlein und junge Enten ohne Weiteres
wegnehmen. Die schon von Naumann angeführte Beobachtung, daß der Fischreiher die Sperlinge
fängt, kann ich in Folge eigener Erfahrung durchaus bestätigen.

Derselben Sippe gehört der Riesenreiher (Ardea Goliath) an, ein gewaltiger Vogel von
52 Zoll Länge und 71 Zoll Breite, bei 21 Zoll Fittig- und 8 Zoll Schwanzlänge, welcher in Mittel-
afrika lebt und in Jndien durch einen Verwandten ersetzt wird. Kopf, Oberhals, Brustmitte und
Bauch sind zimmtroth, Rücken- und Vorderbrust aschgrau, Kehle und Gurgel weiß. Das Auge ist
gelb, der Augenring violet, der Zügel grün, der Oberschnabel schwarz, der Unterschnabel an der
Spitze grüngelb, an der Wurzel violet, der Fuß schwarz.

Hinsichtlich seiner Lebensweise unterscheidet sich der Riesenreiher wenig, bezüglich seines Wesens
nur durch größere Bosheit vom Fischreiher. Er lebt einsam an den süßen Gewässern Mittelafrikas,
ist sehr scheu und vorsichtig, fliegt sehr träge, besitzt eine rauhe, unangenehme Stimme und nährt sich
von Fischen, Lurchen, Vögeln und Säugethieren. Sein Fortpflanzungsgeschäft ist unbekannt.

Jung aus dem Neste genommene Niesenreiher gelangen neuerdings lebend nach Europa: ein
prachtvolles Männchen lebt gegenwärtig im Thiergarten zu Amsterdam. Die Gefangenen sind
geradezu gefährlich, weil ihr Jähzorn bei jeder Veranlassung auflodert und sie sich auch vor
Erwachsenen nicht fürchten. Andere Vögel bringen sie um.



Schlanker Leib und Gliederbau, insbesondere der lange Hals und der verhältnißmäßig schwache
Schnabel, endlich auch die langen, weitstrahligen Rückenfedern, welche die alten Vögel während des
Hochzeitkleides tragen, und das blendendweiße Gefieder kennzeichnen die Schmuckreiher (Herodias),

Die Läufer. Stelzvögel. Reiher.

Es kann nur bedauert werden, daß die Reiherbaize, welche früher in ganz Europa üblich war,
gegenwärtig ſo arg in Verfall gerathen iſt. Vor einigen Jahren hieß es, daß man in Holland das
adelige Waidwerk wiederum betreiben wolle und bereits mehrere Falken mit Erfolg abgerichtet
habe: die Liebhaberei ſcheint jedoch wieder aufgegeben worden zu ſein, wenigſtens hat man neuer-
dings hierüber Nichts mehr vernommen. Ebenſo bleibt fraglich, ob die engliſchen Lords, welche
Daſſelbe bezweckten, gegenwärtig wirklich noch baizen. Jm Schwunge iſt dieſe Jagdart noch bei den
Aſiaten, beiſpielsweiſe in Jndien und ebenſo bei einigen Stämmen der Araber in Nordafrika.
Sowie der Reiher den Falken auf ſich zukommen ſah, ſpie er zunächſt die eben gefangene Nahrung
aus, um ſich zu erleichtern und ſtieg nun ſo eilig als möglich hoch zum Himmel empor, wurde
aber freilich vom Falken ſehr bald überholt und nunmehr von oben angegriffen. Dabei hatte ſich
dieſer ſehr in Acht zu nehmen, weil der Reiher ſtets den ſpitzen Schnabel zur Abwehr bereit hielt.
Konnte der Falk ſein Opfer packen, ſo ſtürzten beide wirbelnd zu Boden herab; hatte er es mit einem
erfahrenen Reiher zu thun, ſo währte die Jagd länger; ſchließlich aber kam der Reiher doch auch
hernieder, weil er vor Ermüdung nicht länger fliegen konnte. Die wunderbaren Schwenkungen,
das Steigen und Herabſtürzen, die Angriffe und die Abwehr beider Vögel gewährte ein prachtvolles
Schauſpiel. Hatte der Jäger den Reiher in der Hand, ſo begnügte er ſich in der Regel, ihm die
Schmuckfedern auszuziehen, oder nahm ihn mit nach Hauſe, um junge Falken an ihm zu üben.
Nicht ſelten legte man dem Reiher einen Metallring mit Namen des Fängers und Tagesangabe des
Fanges um die Ständer und ließ ihn hierauf wieder fliegen. Da ſoll es nun vorgekommen ſein,
daß derſelbe Reiher wiederholt gebaizt wurde, und man ſoll gleichzeitig erfahren haben, daß ein
Vogel ein Alter von funfzig und mehr Jahren erreicht. Jn Jndien baizt man noch heutigen Tags
leidenſchaftlich.

Gefangene laſſen ſich mit Fiſchen, Fröſchen und Mäuſen leicht aufziehen, dürfen aber nicht mit
anderem Hausgeflügel zuſammengehalten werden, da ſie Küchlein und junge Enten ohne Weiteres
wegnehmen. Die ſchon von Naumann angeführte Beobachtung, daß der Fiſchreiher die Sperlinge
fängt, kann ich in Folge eigener Erfahrung durchaus beſtätigen.

Derſelben Sippe gehört der Rieſenreiher (Ardea Goliath) an, ein gewaltiger Vogel von
52 Zoll Länge und 71 Zoll Breite, bei 21 Zoll Fittig- und 8 Zoll Schwanzlänge, welcher in Mittel-
afrika lebt und in Jndien durch einen Verwandten erſetzt wird. Kopf, Oberhals, Bruſtmitte und
Bauch ſind zimmtroth, Rücken- und Vorderbruſt aſchgrau, Kehle und Gurgel weiß. Das Auge iſt
gelb, der Augenring violet, der Zügel grün, der Oberſchnabel ſchwarz, der Unterſchnabel an der
Spitze grüngelb, an der Wurzel violet, der Fuß ſchwarz.

Hinſichtlich ſeiner Lebensweiſe unterſcheidet ſich der Rieſenreiher wenig, bezüglich ſeines Weſens
nur durch größere Bosheit vom Fiſchreiher. Er lebt einſam an den ſüßen Gewäſſern Mittelafrikas,
iſt ſehr ſcheu und vorſichtig, fliegt ſehr träge, beſitzt eine rauhe, unangenehme Stimme und nährt ſich
von Fiſchen, Lurchen, Vögeln und Säugethieren. Sein Fortpflanzungsgeſchäft iſt unbekannt.

Jung aus dem Neſte genommene Nieſenreiher gelangen neuerdings lebend nach Europa: ein
prachtvolles Männchen lebt gegenwärtig im Thiergarten zu Amſterdam. Die Gefangenen ſind
geradezu gefährlich, weil ihr Jähzorn bei jeder Veranlaſſung auflodert und ſie ſich auch vor
Erwachſenen nicht fürchten. Andere Vögel bringen ſie um.



Schlanker Leib und Gliederbau, insbeſondere der lange Hals und der verhältnißmäßig ſchwache
Schnabel, endlich auch die langen, weitſtrahligen Rückenfedern, welche die alten Vögel während des
Hochzeitkleides tragen, und das blendendweiße Gefieder kennzeichnen die Schmuckreiher (Herodias),

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[700/0742] Die Läufer. Stelzvögel. Reiher. Es kann nur bedauert werden, daß die Reiherbaize, welche früher in ganz Europa üblich war, gegenwärtig ſo arg in Verfall gerathen iſt. Vor einigen Jahren hieß es, daß man in Holland das adelige Waidwerk wiederum betreiben wolle und bereits mehrere Falken mit Erfolg abgerichtet habe: die Liebhaberei ſcheint jedoch wieder aufgegeben worden zu ſein, wenigſtens hat man neuer- dings hierüber Nichts mehr vernommen. Ebenſo bleibt fraglich, ob die engliſchen Lords, welche Daſſelbe bezweckten, gegenwärtig wirklich noch baizen. Jm Schwunge iſt dieſe Jagdart noch bei den Aſiaten, beiſpielsweiſe in Jndien und ebenſo bei einigen Stämmen der Araber in Nordafrika. Sowie der Reiher den Falken auf ſich zukommen ſah, ſpie er zunächſt die eben gefangene Nahrung aus, um ſich zu erleichtern und ſtieg nun ſo eilig als möglich hoch zum Himmel empor, wurde aber freilich vom Falken ſehr bald überholt und nunmehr von oben angegriffen. Dabei hatte ſich dieſer ſehr in Acht zu nehmen, weil der Reiher ſtets den ſpitzen Schnabel zur Abwehr bereit hielt. Konnte der Falk ſein Opfer packen, ſo ſtürzten beide wirbelnd zu Boden herab; hatte er es mit einem erfahrenen Reiher zu thun, ſo währte die Jagd länger; ſchließlich aber kam der Reiher doch auch hernieder, weil er vor Ermüdung nicht länger fliegen konnte. Die wunderbaren Schwenkungen, das Steigen und Herabſtürzen, die Angriffe und die Abwehr beider Vögel gewährte ein prachtvolles Schauſpiel. Hatte der Jäger den Reiher in der Hand, ſo begnügte er ſich in der Regel, ihm die Schmuckfedern auszuziehen, oder nahm ihn mit nach Hauſe, um junge Falken an ihm zu üben. Nicht ſelten legte man dem Reiher einen Metallring mit Namen des Fängers und Tagesangabe des Fanges um die Ständer und ließ ihn hierauf wieder fliegen. Da ſoll es nun vorgekommen ſein, daß derſelbe Reiher wiederholt gebaizt wurde, und man ſoll gleichzeitig erfahren haben, daß ein Vogel ein Alter von funfzig und mehr Jahren erreicht. Jn Jndien baizt man noch heutigen Tags leidenſchaftlich. Gefangene laſſen ſich mit Fiſchen, Fröſchen und Mäuſen leicht aufziehen, dürfen aber nicht mit anderem Hausgeflügel zuſammengehalten werden, da ſie Küchlein und junge Enten ohne Weiteres wegnehmen. Die ſchon von Naumann angeführte Beobachtung, daß der Fiſchreiher die Sperlinge fängt, kann ich in Folge eigener Erfahrung durchaus beſtätigen. Derſelben Sippe gehört der Rieſenreiher (Ardea Goliath) an, ein gewaltiger Vogel von 52 Zoll Länge und 71 Zoll Breite, bei 21 Zoll Fittig- und 8 Zoll Schwanzlänge, welcher in Mittel- afrika lebt und in Jndien durch einen Verwandten erſetzt wird. Kopf, Oberhals, Bruſtmitte und Bauch ſind zimmtroth, Rücken- und Vorderbruſt aſchgrau, Kehle und Gurgel weiß. Das Auge iſt gelb, der Augenring violet, der Zügel grün, der Oberſchnabel ſchwarz, der Unterſchnabel an der Spitze grüngelb, an der Wurzel violet, der Fuß ſchwarz. Hinſichtlich ſeiner Lebensweiſe unterſcheidet ſich der Rieſenreiher wenig, bezüglich ſeines Weſens nur durch größere Bosheit vom Fiſchreiher. Er lebt einſam an den ſüßen Gewäſſern Mittelafrikas, iſt ſehr ſcheu und vorſichtig, fliegt ſehr träge, beſitzt eine rauhe, unangenehme Stimme und nährt ſich von Fiſchen, Lurchen, Vögeln und Säugethieren. Sein Fortpflanzungsgeſchäft iſt unbekannt. Jung aus dem Neſte genommene Nieſenreiher gelangen neuerdings lebend nach Europa: ein prachtvolles Männchen lebt gegenwärtig im Thiergarten zu Amſterdam. Die Gefangenen ſind geradezu gefährlich, weil ihr Jähzorn bei jeder Veranlaſſung auflodert und ſie ſich auch vor Erwachſenen nicht fürchten. Andere Vögel bringen ſie um. Schlanker Leib und Gliederbau, insbeſondere der lange Hals und der verhältnißmäßig ſchwache Schnabel, endlich auch die langen, weitſtrahligen Rückenfedern, welche die alten Vögel während des Hochzeitkleides tragen, und das blendendweiße Gefieder kennzeichnen die Schmuckreiher (Herodias),

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/742>, abgerufen am 22.11.2024.