den Ganges auf und ab. Der Schutz, welchen sie genießen, hat sie so dreist gemacht, daß sie sich von Vorübergehenden Nichts gefallen lassen, im Gegentheile augenblicklich zur Wehre setzen, wenn sie Jemand angreift, überhaupt keine Beleidigung ungestraft hinnehmen. Hier und da in Jndien soll man sie herdenweise in Dörfern halten, wie bei uns die Gänse, um die kostbaren Marabufedern zu gewinnen. Jn manchen Städten sollen sie sich übrigens nur eine gewisse Zeit im Jahre aufhalten und dann ihren Brutplätzen zufliegen. Tickell fand einen solchen in der Nähe von Mulmeen auf einem felsigen Berge und berichtet, daß die großen, gewaltigen Nester ebensowohl auf Bäumen als auf Felsgesimsen angelegt werden und zwei große, weiße Eier enthalten.
Während meines Aufenthaltes in Afrika bin ich mit der dort lebenden Art, dem Marabu (Leptoptilos crumenifer), bekannt geworden. Bei ihm ist der Kopf röthlichfleischfarben, nur spärlich mit kurzen, haarigen Federn bekleidet, die Haut in der Regel grindig, der Hals nackt. Das eigentliche Gefieder ist auf dem Mantel dunkelgrün, metallischglänzend, auf der ganzen Unterseite und im Nacken weiß; die Schwingen und Steuerfedern sind schwarz und glanzlos, die großen Deckfedern der Flügel auf der Außenfahne schmal weiß gerandet. Das Auge ist braun, der Schnabel schmuzig- weißgelb, der Fuß schwarz, in der Regel aber mit Koth weiß übertüncht. Die Länge beträgt 5 Fuß, wovon freilich anderthalb Fuß auf den Schnabel und mehr als ein Fuß auf den Schwanz kommen, die Breite gegen 10 Fuß, die Fittiglänge 28 Zoll.
Jn den von mir durchreisten Ländern begegnet man dem Marabu zuerst ungefähr unter dem 15. Grade nördlicher Breite, vonhieraus aber nicht selten längs der beiden Hauptströme des Landes und regelmäßig in der Nähe aller größeren Ortschaften, in welchen Markt gehalten und wenigstens an gewissen Tagen in der Woche Vieh geschlachtet wird. Jn den nördlichen Theilen seines Ver- breitungsgebietes erscheint er nach der Brutzeit im Mai und zieht im September und Oktober wieder weg, den weiter unten im Süden gelegenen Waldungen zu, um daselbst zu brüten. Schon im Dezember scheint er das Fortpflanzungsgeschäft beendigt zu haben; wenigstens bemerkten wir Mitte dieses Monats an einer größeren Lache eine ganz ungewöhnliche Anzahl der gefräßigen Vögel. Das Nest habe ich nie gefunden, auch von den Eingebornen nichts Sicheres darüber erfahren können; es wurde mir nur gesagt, daß der "Abu-Sein" auf Bäumen brüte. Dagegen habe ich den Marabu sehr oft beobachtet, bei Charthum in der Zeit meines Aufenthaltes tagtäglich.
Ganz abgesehen von seiner Größe fällt dieser Vogel auch durch seinen sonderbaren Anstand auf. Jn den Thiergärten erwirbt er sich regelmäßig einen Spitznamen: man nennt ihn den "Geheimen Rath"; er erinnert, wie Vierthaler sagt, aber auch wirklich an einen durch vieljährige Dienste krumm- gebückten, in schwarzblauen Frack und enge weiße Beinkleider eingezwängten Hofmann mit feuer- rother Perrücke, der sich scheu und ängstlich fortwährend nach dem strengen Gebieter umschaut, der gnädigsten Befehle harrend; -- er erinnert, füge ich hinzu, an einen ungeschickten Menschen, welcher zum ersten Male in einen Frack gesteckt wird und dieses Kleidungsstück nicht mit dem nöthigen Anstande trägt. Wir nannten ihn in Afrika scherzhafter Weise nur den Vogel "Frack"; denn der Vergleich mit ihm und einem befrackten Menschen drängt sich fortwährend wieder auf. Das Benehmen des Marabu steht mit seiner Gestalt und Haltung, welche unwillkürlich zum Lachen heraus- fordern, im Einklange. Jn jeder Bewegung des Thieres spricht sich eine unverwüstliche Ruhe aus. Sein Gang, ja jeder Schritt, jeder Blick scheint berechnet, genau abgemessen zu sein. Wenn er sich verfolgt wähnt, schaut er sich ernsthaft um, mißt die Entfernung zwischen sich und seinem Feinde und regelt nach ihr seine Schritte. Geht der Jäger langsam, so thut er es ebenfalls, beschleunigt jener seine Schritte, so schreitet auch er weiter aus, bleibt jener stehen, so thut es auch er. Auf einer weiten Ebene, welche ihm gestattet, jede beliebige Entfernung zwischen sich und seinem Feinde zu behaupten, läßt er es selten zum Schusse kommen, fliegt aber auch nicht auf, sondern bewegt sich immer in einer sich gleichbleibenden Entfernung von drei- bis vierhundert Schritten vor dem Jäger dahin. Er ist erstaunlich klug und lernt nach den ersten Schüssen, welche auf ihn oder andere
Brehm, Thierleben. IV. 44
Marabu.
den Ganges auf und ab. Der Schutz, welchen ſie genießen, hat ſie ſo dreiſt gemacht, daß ſie ſich von Vorübergehenden Nichts gefallen laſſen, im Gegentheile augenblicklich zur Wehre ſetzen, wenn ſie Jemand angreift, überhaupt keine Beleidigung ungeſtraft hinnehmen. Hier und da in Jndien ſoll man ſie herdenweiſe in Dörfern halten, wie bei uns die Gänſe, um die koſtbaren Marabufedern zu gewinnen. Jn manchen Städten ſollen ſie ſich übrigens nur eine gewiſſe Zeit im Jahre aufhalten und dann ihren Brutplätzen zufliegen. Tickell fand einen ſolchen in der Nähe von Mulmeen auf einem felſigen Berge und berichtet, daß die großen, gewaltigen Neſter ebenſowohl auf Bäumen als auf Felsgeſimſen angelegt werden und zwei große, weiße Eier enthalten.
Während meines Aufenthaltes in Afrika bin ich mit der dort lebenden Art, dem Marabu (Leptoptilos crumenifer), bekannt geworden. Bei ihm iſt der Kopf röthlichfleiſchfarben, nur ſpärlich mit kurzen, haarigen Federn bekleidet, die Haut in der Regel grindig, der Hals nackt. Das eigentliche Gefieder iſt auf dem Mantel dunkelgrün, metalliſchglänzend, auf der ganzen Unterſeite und im Nacken weiß; die Schwingen und Steuerfedern ſind ſchwarz und glanzlos, die großen Deckfedern der Flügel auf der Außenfahne ſchmal weiß gerandet. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſchmuzig- weißgelb, der Fuß ſchwarz, in der Regel aber mit Koth weiß übertüncht. Die Länge beträgt 5 Fuß, wovon freilich anderthalb Fuß auf den Schnabel und mehr als ein Fuß auf den Schwanz kommen, die Breite gegen 10 Fuß, die Fittiglänge 28 Zoll.
Jn den von mir durchreiſten Ländern begegnet man dem Marabu zuerſt ungefähr unter dem 15. Grade nördlicher Breite, vonhieraus aber nicht ſelten längs der beiden Hauptſtröme des Landes und regelmäßig in der Nähe aller größeren Ortſchaften, in welchen Markt gehalten und wenigſtens an gewiſſen Tagen in der Woche Vieh geſchlachtet wird. Jn den nördlichen Theilen ſeines Ver- breitungsgebietes erſcheint er nach der Brutzeit im Mai und zieht im September und Oktober wieder weg, den weiter unten im Süden gelegenen Waldungen zu, um daſelbſt zu brüten. Schon im Dezember ſcheint er das Fortpflanzungsgeſchäft beendigt zu haben; wenigſtens bemerkten wir Mitte dieſes Monats an einer größeren Lache eine ganz ungewöhnliche Anzahl der gefräßigen Vögel. Das Neſt habe ich nie gefunden, auch von den Eingebornen nichts Sicheres darüber erfahren können; es wurde mir nur geſagt, daß der „Abu-Seïn“ auf Bäumen brüte. Dagegen habe ich den Marabu ſehr oft beobachtet, bei Charthum in der Zeit meines Aufenthaltes tagtäglich.
Ganz abgeſehen von ſeiner Größe fällt dieſer Vogel auch durch ſeinen ſonderbaren Anſtand auf. Jn den Thiergärten erwirbt er ſich regelmäßig einen Spitznamen: man nennt ihn den „Geheimen Rath“; er erinnert, wie Vierthaler ſagt, aber auch wirklich an einen durch vieljährige Dienſte krumm- gebückten, in ſchwarzblauen Frack und enge weiße Beinkleider eingezwängten Hofmann mit feuer- rother Perrücke, der ſich ſcheu und ängſtlich fortwährend nach dem ſtrengen Gebieter umſchaut, der gnädigſten Befehle harrend; — er erinnert, füge ich hinzu, an einen ungeſchickten Menſchen, welcher zum erſten Male in einen Frack geſteckt wird und dieſes Kleidungsſtück nicht mit dem nöthigen Anſtande trägt. Wir nannten ihn in Afrika ſcherzhafter Weiſe nur den Vogel „Frack“; denn der Vergleich mit ihm und einem befrackten Menſchen drängt ſich fortwährend wieder auf. Das Benehmen des Marabu ſteht mit ſeiner Geſtalt und Haltung, welche unwillkürlich zum Lachen heraus- fordern, im Einklange. Jn jeder Bewegung des Thieres ſpricht ſich eine unverwüſtliche Ruhe aus. Sein Gang, ja jeder Schritt, jeder Blick ſcheint berechnet, genau abgemeſſen zu ſein. Wenn er ſich verfolgt wähnt, ſchaut er ſich ernſthaft um, mißt die Entfernung zwiſchen ſich und ſeinem Feinde und regelt nach ihr ſeine Schritte. Geht der Jäger langſam, ſo thut er es ebenfalls, beſchleunigt jener ſeine Schritte, ſo ſchreitet auch er weiter aus, bleibt jener ſtehen, ſo thut es auch er. Auf einer weiten Ebene, welche ihm geſtattet, jede beliebige Entfernung zwiſchen ſich und ſeinem Feinde zu behaupten, läßt er es ſelten zum Schuſſe kommen, fliegt aber auch nicht auf, ſondern bewegt ſich immer in einer ſich gleichbleibenden Entfernung von drei- bis vierhundert Schritten vor dem Jäger dahin. Er iſt erſtaunlich klug und lernt nach den erſten Schüſſen, welche auf ihn oder andere
Brehm, Thierleben. IV. 44
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0731"n="689"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Marabu</hi>.</fw><lb/>
den Ganges auf und ab. Der Schutz, welchen ſie genießen, hat ſie ſo dreiſt gemacht, daß ſie ſich von<lb/>
Vorübergehenden Nichts gefallen laſſen, im Gegentheile augenblicklich zur Wehre ſetzen, wenn ſie<lb/>
Jemand angreift, überhaupt keine Beleidigung ungeſtraft hinnehmen. Hier und da in Jndien ſoll<lb/>
man ſie herdenweiſe in Dörfern halten, wie bei uns die Gänſe, um die koſtbaren Marabufedern zu<lb/>
gewinnen. Jn manchen Städten ſollen ſie ſich übrigens nur eine gewiſſe Zeit im Jahre aufhalten<lb/>
und dann ihren Brutplätzen zufliegen. <hirendition="#g">Tickell</hi> fand einen ſolchen in der Nähe von Mulmeen auf<lb/>
einem felſigen Berge und berichtet, daß die großen, gewaltigen Neſter ebenſowohl auf Bäumen als<lb/>
auf Felsgeſimſen angelegt werden und zwei große, weiße Eier enthalten.</p><lb/><p>Während meines Aufenthaltes in Afrika bin ich mit der dort lebenden Art, dem <hirendition="#g">Marabu</hi><lb/>
(<hirendition="#aq">Leptoptilos crumenifer</hi>), bekannt geworden. Bei ihm iſt der Kopf röthlichfleiſchfarben, nur ſpärlich<lb/>
mit kurzen, haarigen Federn bekleidet, die Haut in der Regel grindig, der Hals nackt. Das<lb/>
eigentliche Gefieder iſt auf dem Mantel dunkelgrün, metalliſchglänzend, auf der ganzen Unterſeite und<lb/>
im Nacken weiß; die Schwingen und Steuerfedern ſind ſchwarz und glanzlos, die großen Deckfedern<lb/>
der Flügel auf der Außenfahne ſchmal weiß gerandet. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſchmuzig-<lb/>
weißgelb, der Fuß ſchwarz, in der Regel aber mit Koth weiß übertüncht. Die Länge beträgt 5 Fuß,<lb/>
wovon freilich anderthalb Fuß auf den Schnabel und mehr als ein Fuß auf den Schwanz kommen,<lb/>
die Breite gegen 10 Fuß, die Fittiglänge 28 Zoll.</p><lb/><p>Jn den von mir durchreiſten Ländern begegnet man dem Marabu zuerſt ungefähr unter dem<lb/>
15. Grade nördlicher Breite, vonhieraus aber nicht ſelten längs der beiden Hauptſtröme des Landes<lb/>
und regelmäßig in der Nähe aller größeren Ortſchaften, in welchen Markt gehalten und wenigſtens<lb/>
an gewiſſen Tagen in der Woche Vieh geſchlachtet wird. Jn den nördlichen Theilen ſeines Ver-<lb/>
breitungsgebietes erſcheint er nach der Brutzeit im Mai und zieht im September und Oktober wieder<lb/>
weg, den weiter unten im Süden gelegenen Waldungen zu, um daſelbſt zu brüten. Schon im<lb/>
Dezember ſcheint er das Fortpflanzungsgeſchäft beendigt zu haben; wenigſtens bemerkten wir Mitte<lb/>
dieſes Monats an einer größeren Lache eine ganz ungewöhnliche Anzahl der gefräßigen Vögel. Das<lb/>
Neſt habe ich nie gefunden, auch von den Eingebornen nichts Sicheres darüber erfahren können; es<lb/>
wurde mir nur geſagt, daß der „<hirendition="#g">Abu-Se<hirendition="#aq">ï</hi>n</hi>“ auf Bäumen brüte. Dagegen habe ich den Marabu<lb/>ſehr oft beobachtet, bei Charthum in der Zeit meines Aufenthaltes tagtäglich.</p><lb/><p>Ganz abgeſehen von ſeiner Größe fällt dieſer Vogel auch durch ſeinen ſonderbaren Anſtand auf.<lb/>
Jn den Thiergärten erwirbt er ſich regelmäßig einen Spitznamen: man nennt ihn den „Geheimen<lb/>
Rath“; er erinnert, wie <hirendition="#g">Vierthaler</hi>ſagt, aber auch wirklich an einen durch vieljährige Dienſte krumm-<lb/>
gebückten, in ſchwarzblauen Frack und enge weiße Beinkleider eingezwängten Hofmann mit feuer-<lb/>
rother Perrücke, der ſich ſcheu und ängſtlich fortwährend nach dem ſtrengen Gebieter umſchaut, der<lb/>
gnädigſten Befehle harrend; — er erinnert, füge ich hinzu, an einen ungeſchickten Menſchen, welcher<lb/>
zum erſten Male in einen Frack geſteckt wird und dieſes Kleidungsſtück nicht mit dem nöthigen<lb/>
Anſtande trägt. Wir nannten ihn in Afrika ſcherzhafter Weiſe nur den Vogel „Frack“; denn der<lb/>
Vergleich mit ihm und einem befrackten Menſchen drängt ſich fortwährend wieder auf. Das<lb/>
Benehmen des Marabu ſteht mit ſeiner Geſtalt und Haltung, welche unwillkürlich zum Lachen heraus-<lb/>
fordern, im Einklange. Jn jeder Bewegung des Thieres ſpricht ſich eine unverwüſtliche Ruhe aus.<lb/>
Sein Gang, ja jeder Schritt, jeder Blick ſcheint berechnet, genau abgemeſſen zu ſein. Wenn er ſich<lb/>
verfolgt wähnt, ſchaut er ſich ernſthaft um, mißt die Entfernung zwiſchen ſich und ſeinem Feinde<lb/>
und regelt nach ihr ſeine Schritte. Geht der Jäger langſam, ſo thut er es ebenfalls, beſchleunigt<lb/>
jener ſeine Schritte, ſo ſchreitet auch er weiter aus, bleibt jener ſtehen, ſo thut es auch er.<lb/>
Auf einer weiten Ebene, welche ihm geſtattet, jede beliebige Entfernung zwiſchen ſich und ſeinem<lb/>
Feinde zu behaupten, läßt er es ſelten zum Schuſſe kommen, fliegt aber auch nicht auf, ſondern bewegt<lb/>ſich immer in einer ſich gleichbleibenden Entfernung von drei- bis vierhundert Schritten vor dem<lb/>
Jäger dahin. Er iſt erſtaunlich klug und lernt nach den erſten Schüſſen, welche auf ihn oder andere<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Brehm</hi>, Thierleben. <hirendition="#aq">IV.</hi> 44</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[689/0731]
Marabu.
den Ganges auf und ab. Der Schutz, welchen ſie genießen, hat ſie ſo dreiſt gemacht, daß ſie ſich von
Vorübergehenden Nichts gefallen laſſen, im Gegentheile augenblicklich zur Wehre ſetzen, wenn ſie
Jemand angreift, überhaupt keine Beleidigung ungeſtraft hinnehmen. Hier und da in Jndien ſoll
man ſie herdenweiſe in Dörfern halten, wie bei uns die Gänſe, um die koſtbaren Marabufedern zu
gewinnen. Jn manchen Städten ſollen ſie ſich übrigens nur eine gewiſſe Zeit im Jahre aufhalten
und dann ihren Brutplätzen zufliegen. Tickell fand einen ſolchen in der Nähe von Mulmeen auf
einem felſigen Berge und berichtet, daß die großen, gewaltigen Neſter ebenſowohl auf Bäumen als
auf Felsgeſimſen angelegt werden und zwei große, weiße Eier enthalten.
Während meines Aufenthaltes in Afrika bin ich mit der dort lebenden Art, dem Marabu
(Leptoptilos crumenifer), bekannt geworden. Bei ihm iſt der Kopf röthlichfleiſchfarben, nur ſpärlich
mit kurzen, haarigen Federn bekleidet, die Haut in der Regel grindig, der Hals nackt. Das
eigentliche Gefieder iſt auf dem Mantel dunkelgrün, metalliſchglänzend, auf der ganzen Unterſeite und
im Nacken weiß; die Schwingen und Steuerfedern ſind ſchwarz und glanzlos, die großen Deckfedern
der Flügel auf der Außenfahne ſchmal weiß gerandet. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſchmuzig-
weißgelb, der Fuß ſchwarz, in der Regel aber mit Koth weiß übertüncht. Die Länge beträgt 5 Fuß,
wovon freilich anderthalb Fuß auf den Schnabel und mehr als ein Fuß auf den Schwanz kommen,
die Breite gegen 10 Fuß, die Fittiglänge 28 Zoll.
Jn den von mir durchreiſten Ländern begegnet man dem Marabu zuerſt ungefähr unter dem
15. Grade nördlicher Breite, vonhieraus aber nicht ſelten längs der beiden Hauptſtröme des Landes
und regelmäßig in der Nähe aller größeren Ortſchaften, in welchen Markt gehalten und wenigſtens
an gewiſſen Tagen in der Woche Vieh geſchlachtet wird. Jn den nördlichen Theilen ſeines Ver-
breitungsgebietes erſcheint er nach der Brutzeit im Mai und zieht im September und Oktober wieder
weg, den weiter unten im Süden gelegenen Waldungen zu, um daſelbſt zu brüten. Schon im
Dezember ſcheint er das Fortpflanzungsgeſchäft beendigt zu haben; wenigſtens bemerkten wir Mitte
dieſes Monats an einer größeren Lache eine ganz ungewöhnliche Anzahl der gefräßigen Vögel. Das
Neſt habe ich nie gefunden, auch von den Eingebornen nichts Sicheres darüber erfahren können; es
wurde mir nur geſagt, daß der „Abu-Seïn“ auf Bäumen brüte. Dagegen habe ich den Marabu
ſehr oft beobachtet, bei Charthum in der Zeit meines Aufenthaltes tagtäglich.
Ganz abgeſehen von ſeiner Größe fällt dieſer Vogel auch durch ſeinen ſonderbaren Anſtand auf.
Jn den Thiergärten erwirbt er ſich regelmäßig einen Spitznamen: man nennt ihn den „Geheimen
Rath“; er erinnert, wie Vierthaler ſagt, aber auch wirklich an einen durch vieljährige Dienſte krumm-
gebückten, in ſchwarzblauen Frack und enge weiße Beinkleider eingezwängten Hofmann mit feuer-
rother Perrücke, der ſich ſcheu und ängſtlich fortwährend nach dem ſtrengen Gebieter umſchaut, der
gnädigſten Befehle harrend; — er erinnert, füge ich hinzu, an einen ungeſchickten Menſchen, welcher
zum erſten Male in einen Frack geſteckt wird und dieſes Kleidungsſtück nicht mit dem nöthigen
Anſtande trägt. Wir nannten ihn in Afrika ſcherzhafter Weiſe nur den Vogel „Frack“; denn der
Vergleich mit ihm und einem befrackten Menſchen drängt ſich fortwährend wieder auf. Das
Benehmen des Marabu ſteht mit ſeiner Geſtalt und Haltung, welche unwillkürlich zum Lachen heraus-
fordern, im Einklange. Jn jeder Bewegung des Thieres ſpricht ſich eine unverwüſtliche Ruhe aus.
Sein Gang, ja jeder Schritt, jeder Blick ſcheint berechnet, genau abgemeſſen zu ſein. Wenn er ſich
verfolgt wähnt, ſchaut er ſich ernſthaft um, mißt die Entfernung zwiſchen ſich und ſeinem Feinde
und regelt nach ihr ſeine Schritte. Geht der Jäger langſam, ſo thut er es ebenfalls, beſchleunigt
jener ſeine Schritte, ſo ſchreitet auch er weiter aus, bleibt jener ſtehen, ſo thut es auch er.
Auf einer weiten Ebene, welche ihm geſtattet, jede beliebige Entfernung zwiſchen ſich und ſeinem
Feinde zu behaupten, läßt er es ſelten zum Schuſſe kommen, fliegt aber auch nicht auf, ſondern bewegt
ſich immer in einer ſich gleichbleibenden Entfernung von drei- bis vierhundert Schritten vor dem
Jäger dahin. Er iſt erſtaunlich klug und lernt nach den erſten Schüſſen, welche auf ihn oder andere
Brehm, Thierleben. IV. 44
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/731>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.