Drüsen ziehen sich an den Unterkieferseiten dahin und reichen bis unter die Ohröffnungen. Sie sondern einen klebrigen Schleim ab und überziehen mit diesem den langen Zungenhals ganz in ähnlicher Weise, wie es bei dem Ameisenfresser geschieht. Der Schlund ist ohne Kropf, der Vormagen meist lang, der Magen muskelig.
Es leuchtet ein, daß eine derartige Bildung den Specht in gewisser Hinsicht außerordentlich befähigt. Mit seinen scharf eingreifenden Nägeln, welche eine ausgedehnte Fläche umklammern, hängt er sich ohne Mühe an senkrechte Stämme an; der Schwanz unterstützt ihn dabei gegen das Hinabrutschen. Wenn er sich nun auf diesen stemmt, drücken sich nicht blos die Spitzen der acht Hauptfedern, sondern auch fast alle einzelnen, gleichsam selbständig gewordenen Federenden, die widerstandsfähigen Fahnenstrahlen der drei mittleren Federn jeder Seite, an den Stamm und finden wegen ihrer großen Anzahl auch in der kleinsten Ungleichheit desselben einen sichern Anhalte- punkt. Der kräftige, scharfe Schnabel ist zum Meiseln vortrefflich geeignet, und der Schwanz dient, wenn der Specht dies Geschäft ausführt, als Schnellfeder. Die Zunge kann, wie bemerkt, weit vor- gestreckt werden, dringt vermöge ihrer Dünne oder Fadenartigkeit in alle Löcher und vermag, Dank ihrer allseitlichen Beweglichkeit, jeder Biegung eines von dem Kerbthier ausgehöhlten Ganges zu folgen.
Die Spechte fehlen nur in Neuholland oder Ozeanien überhaupt und auf Madagaskar; im übrigen sind sie über alle Theile der Erde verbreitet und auch im Norden keineswegs seltene Erschei- nungen. "Jhre Gesammtzahl", sagt Gloger, "steigt mit dem zunehmenden Reichthume der Länder an Wäldern und wächst mit dem üppigen Gedeihen der letzteren." Wahre Paradiese für sie sind die ausgedehnten, zusammenhängenden Urwaldungen der Wendekreisländer und namentlich die Südame- rika's und Jndiens; denn in Afrika kommen merkwürdigerweise nur wenige und fast ausschließlich kleine Arten vor. Jn den brasilianischen Waldungen gehören sie, wie uns der Prinz mittheilt, zu den gemeinsten, überall verbreiteten Vögeln. "Ueberall gibt es verfaulte alte Stämme, überall eine reiche Kerbthierernte für diese einsamen Waldbewohner. Da, wo in Brasilien die Stille der weiten Wildniß nicht durch die Stimme anderer lebender Wesen unterbrochen wird, hört man doch gewiß den Ruf der Spechte. Aber sie bewohnen in jenem schönen Lande nicht blos die Urwälder, sondern bele- ben auch die Vorhölzer und Gebüsche, ja sogar die offenen Triften." Warum sie in den oben genann- ten Ländern fehlen, ist schwer zu begreifen. Gloger's Meinung, daß sie Bäume mit fester Rinde und sehr hartem Holze meiden, mag im ganzen das Rechte treffen, schließt aber doch manche Einwen- dung nicht aus; denn einerseits gibt es in den Waldungen jener Länder auch viele Bäume, auf welche jene Angabe nicht paßt, und andrerseits leben in ihnen Klettervögel, welche scheinbar noch weit weniger, als die Spechte, für solche Bäume geeignet sind. Bei uns zu Lande finden sie sich in Waldungen, Baumpflanzungen und Gärten, überall nur einzeln; denn auch sie zeigen sich, andern ihrer Art gegen- über, sehr ungesellig und vereinigen sich höchstens mit den schon wiederholt genannten Strichvögeln der Wälder.
Der Verbreitungskreis der einzelnen Arten ist ziemlich beschränkt. Jeder Erdtheil, ja, jedes Land besitzt seine eigenen Arten, sogar seine besonderen Sippen und Horden. Ein und dieselbe Art kommt höchstens in Europa und Asien vor; einzelne altweltliche Arten werden aber in der neuen Welt durch nahe Verwandte vertreten.
Alle Spechte haben im wesentlichen dieselbe Lebensweise. Sie bringen den größten Theil ihres Lebens kletternd zu; sie hängen sich sogar, während sie schlafen, in der Kletterstellung an die inneren Wände der Baumhöhlungen, also an senkrechte Flächen an. Zum Boden herab kommen sie selten, und wenn sie es thun, hüpfen sie mit ungeschickten Sprüngen umher. Sie fliegen ungern weit; doch geschieht Dies wahrscheinlich weniger deshalb, weil sie der Flug anstrengt, als vielmehr in Folge der ihnen überhaupt eigenen Ruh- und Rastlosigkeit, welche sie veranlaßt, womöglich jeden Baum auf ihrem Wege zu untersuchen. Der Specht fliegt in sehr tiefen Wellenlinien dahin. Er erklettert gewissermaßen den aufsteigenden Bogen einer dieser Linien mit raschen, schwirrenden Flügel- schlägen, legt dann plötzlich die Flügel hart an den Leib und schießt nun in steilen Bogen
Die Späher. Klettervögel. Spechte.
Drüſen ziehen ſich an den Unterkieferſeiten dahin und reichen bis unter die Ohröffnungen. Sie ſondern einen klebrigen Schleim ab und überziehen mit dieſem den langen Zungenhals ganz in ähnlicher Weiſe, wie es bei dem Ameiſenfreſſer geſchieht. Der Schlund iſt ohne Kropf, der Vormagen meiſt lang, der Magen muskelig.
Es leuchtet ein, daß eine derartige Bildung den Specht in gewiſſer Hinſicht außerordentlich befähigt. Mit ſeinen ſcharf eingreifenden Nägeln, welche eine ausgedehnte Fläche umklammern, hängt er ſich ohne Mühe an ſenkrechte Stämme an; der Schwanz unterſtützt ihn dabei gegen das Hinabrutſchen. Wenn er ſich nun auf dieſen ſtemmt, drücken ſich nicht blos die Spitzen der acht Hauptfedern, ſondern auch faſt alle einzelnen, gleichſam ſelbſtändig gewordenen Federenden, die widerſtandsfähigen Fahnenſtrahlen der drei mittleren Federn jeder Seite, an den Stamm und finden wegen ihrer großen Anzahl auch in der kleinſten Ungleichheit deſſelben einen ſichern Anhalte- punkt. Der kräftige, ſcharfe Schnabel iſt zum Meiſeln vortrefflich geeignet, und der Schwanz dient, wenn der Specht dies Geſchäft ausführt, als Schnellfeder. Die Zunge kann, wie bemerkt, weit vor- geſtreckt werden, dringt vermöge ihrer Dünne oder Fadenartigkeit in alle Löcher und vermag, Dank ihrer allſeitlichen Beweglichkeit, jeder Biegung eines von dem Kerbthier ausgehöhlten Ganges zu folgen.
Die Spechte fehlen nur in Neuholland oder Ozeanien überhaupt und auf Madagaskar; im übrigen ſind ſie über alle Theile der Erde verbreitet und auch im Norden keineswegs ſeltene Erſchei- nungen. „Jhre Geſammtzahl“, ſagt Gloger, „ſteigt mit dem zunehmenden Reichthume der Länder an Wäldern und wächſt mit dem üppigen Gedeihen der letzteren.“ Wahre Paradieſe für ſie ſind die ausgedehnten, zuſammenhängenden Urwaldungen der Wendekreisländer und namentlich die Südame- rika’s und Jndiens; denn in Afrika kommen merkwürdigerweiſe nur wenige und faſt ausſchließlich kleine Arten vor. Jn den braſilianiſchen Waldungen gehören ſie, wie uns der Prinz mittheilt, zu den gemeinſten, überall verbreiteten Vögeln. „Ueberall gibt es verfaulte alte Stämme, überall eine reiche Kerbthierernte für dieſe einſamen Waldbewohner. Da, wo in Braſilien die Stille der weiten Wildniß nicht durch die Stimme anderer lebender Weſen unterbrochen wird, hört man doch gewiß den Ruf der Spechte. Aber ſie bewohnen in jenem ſchönen Lande nicht blos die Urwälder, ſondern bele- ben auch die Vorhölzer und Gebüſche, ja ſogar die offenen Triften.“ Warum ſie in den oben genann- ten Ländern fehlen, iſt ſchwer zu begreifen. Gloger’s Meinung, daß ſie Bäume mit feſter Rinde und ſehr hartem Holze meiden, mag im ganzen das Rechte treffen, ſchließt aber doch manche Einwen- dung nicht aus; denn einerſeits gibt es in den Waldungen jener Länder auch viele Bäume, auf welche jene Angabe nicht paßt, und andrerſeits leben in ihnen Klettervögel, welche ſcheinbar noch weit weniger, als die Spechte, für ſolche Bäume geeignet ſind. Bei uns zu Lande finden ſie ſich in Waldungen, Baumpflanzungen und Gärten, überall nur einzeln; denn auch ſie zeigen ſich, andern ihrer Art gegen- über, ſehr ungeſellig und vereinigen ſich höchſtens mit den ſchon wiederholt genannten Strichvögeln der Wälder.
Der Verbreitungskreis der einzelnen Arten iſt ziemlich beſchränkt. Jeder Erdtheil, ja, jedes Land beſitzt ſeine eigenen Arten, ſogar ſeine beſonderen Sippen und Horden. Ein und dieſelbe Art kommt höchſtens in Europa und Aſien vor; einzelne altweltliche Arten werden aber in der neuen Welt durch nahe Verwandte vertreten.
Alle Spechte haben im weſentlichen dieſelbe Lebensweiſe. Sie bringen den größten Theil ihres Lebens kletternd zu; ſie hängen ſich ſogar, während ſie ſchlafen, in der Kletterſtellung an die inneren Wände der Baumhöhlungen, alſo an ſenkrechte Flächen an. Zum Boden herab kommen ſie ſelten, und wenn ſie es thun, hüpfen ſie mit ungeſchickten Sprüngen umher. Sie fliegen ungern weit; doch geſchieht Dies wahrſcheinlich weniger deshalb, weil ſie der Flug anſtrengt, als vielmehr in Folge der ihnen überhaupt eigenen Ruh- und Raſtloſigkeit, welche ſie veranlaßt, womöglich jeden Baum auf ihrem Wege zu unterſuchen. Der Specht fliegt in ſehr tiefen Wellenlinien dahin. Er erklettert gewiſſermaßen den aufſteigenden Bogen einer dieſer Linien mit raſchen, ſchwirrenden Flügel- ſchlägen, legt dann plötzlich die Flügel hart an den Leib und ſchießt nun in ſteilen Bogen
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[58/0070]
Die Späher. Klettervögel. Spechte.
Drüſen ziehen ſich an den Unterkieferſeiten dahin und reichen bis unter die Ohröffnungen. Sie
ſondern einen klebrigen Schleim ab und überziehen mit dieſem den langen Zungenhals ganz in
ähnlicher Weiſe, wie es bei dem Ameiſenfreſſer geſchieht. Der Schlund iſt ohne Kropf, der Vormagen
meiſt lang, der Magen muskelig.
Es leuchtet ein, daß eine derartige Bildung den Specht in gewiſſer Hinſicht außerordentlich
befähigt. Mit ſeinen ſcharf eingreifenden Nägeln, welche eine ausgedehnte Fläche umklammern,
hängt er ſich ohne Mühe an ſenkrechte Stämme an; der Schwanz unterſtützt ihn dabei gegen das
Hinabrutſchen. Wenn er ſich nun auf dieſen ſtemmt, drücken ſich nicht blos die Spitzen der
acht Hauptfedern, ſondern auch faſt alle einzelnen, gleichſam ſelbſtändig gewordenen Federenden,
die widerſtandsfähigen Fahnenſtrahlen der drei mittleren Federn jeder Seite, an den Stamm und
finden wegen ihrer großen Anzahl auch in der kleinſten Ungleichheit deſſelben einen ſichern Anhalte-
punkt. Der kräftige, ſcharfe Schnabel iſt zum Meiſeln vortrefflich geeignet, und der Schwanz dient,
wenn der Specht dies Geſchäft ausführt, als Schnellfeder. Die Zunge kann, wie bemerkt, weit vor-
geſtreckt werden, dringt vermöge ihrer Dünne oder Fadenartigkeit in alle Löcher und vermag, Dank
ihrer allſeitlichen Beweglichkeit, jeder Biegung eines von dem Kerbthier ausgehöhlten Ganges zu folgen.
Die Spechte fehlen nur in Neuholland oder Ozeanien überhaupt und auf Madagaskar; im
übrigen ſind ſie über alle Theile der Erde verbreitet und auch im Norden keineswegs ſeltene Erſchei-
nungen. „Jhre Geſammtzahl“, ſagt Gloger, „ſteigt mit dem zunehmenden Reichthume der Länder
an Wäldern und wächſt mit dem üppigen Gedeihen der letzteren.“ Wahre Paradieſe für ſie ſind die
ausgedehnten, zuſammenhängenden Urwaldungen der Wendekreisländer und namentlich die Südame-
rika’s und Jndiens; denn in Afrika kommen merkwürdigerweiſe nur wenige und faſt ausſchließlich
kleine Arten vor. Jn den braſilianiſchen Waldungen gehören ſie, wie uns der Prinz mittheilt, zu
den gemeinſten, überall verbreiteten Vögeln. „Ueberall gibt es verfaulte alte Stämme, überall eine
reiche Kerbthierernte für dieſe einſamen Waldbewohner. Da, wo in Braſilien die Stille der weiten
Wildniß nicht durch die Stimme anderer lebender Weſen unterbrochen wird, hört man doch gewiß den
Ruf der Spechte. Aber ſie bewohnen in jenem ſchönen Lande nicht blos die Urwälder, ſondern bele-
ben auch die Vorhölzer und Gebüſche, ja ſogar die offenen Triften.“ Warum ſie in den oben genann-
ten Ländern fehlen, iſt ſchwer zu begreifen. Gloger’s Meinung, daß ſie Bäume mit feſter Rinde
und ſehr hartem Holze meiden, mag im ganzen das Rechte treffen, ſchließt aber doch manche Einwen-
dung nicht aus; denn einerſeits gibt es in den Waldungen jener Länder auch viele Bäume, auf welche
jene Angabe nicht paßt, und andrerſeits leben in ihnen Klettervögel, welche ſcheinbar noch weit weniger,
als die Spechte, für ſolche Bäume geeignet ſind. Bei uns zu Lande finden ſie ſich in Waldungen,
Baumpflanzungen und Gärten, überall nur einzeln; denn auch ſie zeigen ſich, andern ihrer Art gegen-
über, ſehr ungeſellig und vereinigen ſich höchſtens mit den ſchon wiederholt genannten Strichvögeln
der Wälder.
Der Verbreitungskreis der einzelnen Arten iſt ziemlich beſchränkt. Jeder Erdtheil, ja, jedes
Land beſitzt ſeine eigenen Arten, ſogar ſeine beſonderen Sippen und Horden. Ein und dieſelbe
Art kommt höchſtens in Europa und Aſien vor; einzelne altweltliche Arten werden aber in der neuen
Welt durch nahe Verwandte vertreten.
Alle Spechte haben im weſentlichen dieſelbe Lebensweiſe. Sie bringen den größten Theil ihres
Lebens kletternd zu; ſie hängen ſich ſogar, während ſie ſchlafen, in der Kletterſtellung an die inneren
Wände der Baumhöhlungen, alſo an ſenkrechte Flächen an. Zum Boden herab kommen ſie ſelten,
und wenn ſie es thun, hüpfen ſie mit ungeſchickten Sprüngen umher. Sie fliegen ungern weit; doch
geſchieht Dies wahrſcheinlich weniger deshalb, weil ſie der Flug anſtrengt, als vielmehr in Folge der
ihnen überhaupt eigenen Ruh- und Raſtloſigkeit, welche ſie veranlaßt, womöglich jeden Baum auf
ihrem Wege zu unterſuchen. Der Specht fliegt in ſehr tiefen Wellenlinien dahin. Er erklettert
gewiſſermaßen den aufſteigenden Bogen einer dieſer Linien mit raſchen, ſchwirrenden Flügel-
ſchlägen, legt dann plötzlich die Flügel hart an den Leib und ſchießt nun in ſteilen Bogen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/70>, abgerufen am 26.11.2024.
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