Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Sichler.
Rußland und das südliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in Asien
kommt er in allen Ländern ums kaspische und schwarze Meer, in Anatolien, Persien und Syrien vor;
in Afrika nistet er an den nördlichen Strandseen. Gelegentlich seines Zuges besucht er das Jnnere
und den Westen Afrikas, dort dem Nile, hier der Küste des Meeres folgend; in Jndien dagegen
scheint er nicht vorzukommen, da er mehr dem Westen, als dem Osten angehört. Von Ungarn und
Polen aus haben sich einzelne nach Schlesien, Anhalt, Braunschweig und anderen deutschen Gauen
verflogen; ja es ist vorgekommen, daß solche Jrrlinge bis nach Jsland verschlagen wurden. Jn
Egypten hält sich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus, jahrein in derselben Gegend auf; in
Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig Ende Aprils oder Anfangs Mai ankommen
und im August, spätestens im September wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlich-
keiten an der unteren Donau, Sau und Drau und zwar die großen Sumpflandseen und Teiche, welche
von jenen Flüssen aus zeitweilig überflutet werden. Strandseen und Brüche oder schlammige
Sümpfe, auch Moräste werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen selbst brütet er, in ihnen hält
er sich auf. Die Flüge, welche eine gewisse Gegend bewohnen, scheinen ihren Aufenthalt zu wechseln
und von einem Sumpfe zum anderen zu schweifen. Dasselbe gilt für die Winterzeit, während die
Fortpflanzung selbstverständlich an ein und denselben Ort bindet.

Der Sichler fällt jedem Beobachter auf, obgleich er, von fern gesehen, einem Brachvogel einiger-
maßen ähnelt. Bei ruhigem Gange trägt er den Hals ziemlich eingezogen, Sförmig zusammen-
gebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang selbst geschieht
mit leichten großen Schritten, deren Eile und Weite sich unter allen Umständen gleich zu bleiben scheint.
Beim Nahrungsuchen watet er gern in tieferem Wasser umher, und wenn es ihm behagt, schwimmt
er, auch ohne eigentlich genöthigt zu sein, von einem Jnselchen nach dem anderen. Jm Fliegen streckt
er den Hals und die Füße geradeaus und schlägt die Flügel ziemlich schnell, in nicht weit ausholenden
Schwingen, schwebt hierauf mit stillgehaltenen gerade fort und gibt sich durch erneuerte Flügelschläge
wiederum einen Anstoß; höchst selten sieht man einen dieser Vögel allein, fast ausnahmslos vielmehr
eine ziemliche Anzahl gemeinsam dahinfliegen, stets hoch über dem Boden und die ganze Schar in eine
einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach so dicht neben einander fortzieht, daß sich
die Schwingenspitzen der einzelnen fast zu berühren scheinen, und welche, wie Naumann sehr richtig
sagt, in den anmuthigst schlängelnden Bewegungen fortrückt. "Es gewährt einen herrlichen Anblick,
eine lange Schnur solcher Vögel die Luft durchschneiden zu sehen. Wie ein fadenfliegender Sommer,
den ein leiser Lufthauch quer forttreibt, scheinen sie dahin zu schweben; nicht streng in gerader Linie,
sondern in anmuthigsten, manchfaltigsten, sanft auf- und absteigenden, alle Augenblicke veränderten
Bogen schlängelt sie sich durch die Lüfte fort, indem sich bald die Mitte, bald das eine, bald das
andere Ende oder die Räume zwischen diesen senken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben,
sodaß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwechselt, dabei jedoch stets geschlossen und
jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in derselben Richtung bleibt. Wenn ein solcher
Zug sich niederlassen und Halt machen will, dann erst zerreißt der lange Faden in Stücke, diese lösen
sich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu schweben, sich in Kreisen zu drehen
oder einzelne Schneckenlinien zu beschreiben, und stürzen sich nun mit sausendem Hin- und Her-
schwenken einzeln, oder doch nicht alle in demselben Augenblicke, aber rasch einander folgend und ein
jeder auf seine eigene Weise, hernieder.... Beim Bilden einer solchen Linie steigen die Sichler auf,
erheben sich in Kreisen höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es sich versieht, wird
aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der sich zu beiden Seiten nach und nach,
aber sehr schnell, die übrigen Vögel anschließen, und sowie der Zug fortrückt, sieht man immer noch
bald an diesem, bald an jenem Ende andere Wanderungslustige sich anreihen und so die Schnur
verlängern." Naumann meint, daß diese Art zu fliegen blos von den wandernden Vögeln befolgt
werde; ich darf, auf meine Beobachtungen gestützt, versichern, daß die Sichler, wenn sie sich in
Massen bewegen, immer in derselben Weise dahinziehen.

Sichler.
Rußland und das ſüdliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in Aſien
kommt er in allen Ländern ums kaſpiſche und ſchwarze Meer, in Anatolien, Perſien und Syrien vor;
in Afrika niſtet er an den nördlichen Strandſeen. Gelegentlich ſeines Zuges beſucht er das Jnnere
und den Weſten Afrikas, dort dem Nile, hier der Küſte des Meeres folgend; in Jndien dagegen
ſcheint er nicht vorzukommen, da er mehr dem Weſten, als dem Oſten angehört. Von Ungarn und
Polen aus haben ſich einzelne nach Schleſien, Anhalt, Braunſchweig und anderen deutſchen Gauen
verflogen; ja es iſt vorgekommen, daß ſolche Jrrlinge bis nach Jsland verſchlagen wurden. Jn
Egypten hält ſich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus, jahrein in derſelben Gegend auf; in
Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig Ende Aprils oder Anfangs Mai ankommen
und im Auguſt, ſpäteſtens im September wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlich-
keiten an der unteren Donau, Sau und Drau und zwar die großen Sumpflandſeen und Teiche, welche
von jenen Flüſſen aus zeitweilig überflutet werden. Strandſeen und Brüche oder ſchlammige
Sümpfe, auch Moräſte werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen ſelbſt brütet er, in ihnen hält
er ſich auf. Die Flüge, welche eine gewiſſe Gegend bewohnen, ſcheinen ihren Aufenthalt zu wechſeln
und von einem Sumpfe zum anderen zu ſchweifen. Daſſelbe gilt für die Winterzeit, während die
Fortpflanzung ſelbſtverſtändlich an ein und denſelben Ort bindet.

Der Sichler fällt jedem Beobachter auf, obgleich er, von fern geſehen, einem Brachvogel einiger-
maßen ähnelt. Bei ruhigem Gange trägt er den Hals ziemlich eingezogen, Sförmig zuſammen-
gebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang ſelbſt geſchieht
mit leichten großen Schritten, deren Eile und Weite ſich unter allen Umſtänden gleich zu bleiben ſcheint.
Beim Nahrungſuchen watet er gern in tieferem Waſſer umher, und wenn es ihm behagt, ſchwimmt
er, auch ohne eigentlich genöthigt zu ſein, von einem Jnſelchen nach dem anderen. Jm Fliegen ſtreckt
er den Hals und die Füße geradeaus und ſchlägt die Flügel ziemlich ſchnell, in nicht weit ausholenden
Schwingen, ſchwebt hierauf mit ſtillgehaltenen gerade fort und gibt ſich durch erneuerte Flügelſchläge
wiederum einen Anſtoß; höchſt ſelten ſieht man einen dieſer Vögel allein, faſt ausnahmslos vielmehr
eine ziemliche Anzahl gemeinſam dahinfliegen, ſtets hoch über dem Boden und die ganze Schar in eine
einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach ſo dicht neben einander fortzieht, daß ſich
die Schwingenſpitzen der einzelnen faſt zu berühren ſcheinen, und welche, wie Naumann ſehr richtig
ſagt, in den anmuthigſt ſchlängelnden Bewegungen fortrückt. „Es gewährt einen herrlichen Anblick,
eine lange Schnur ſolcher Vögel die Luft durchſchneiden zu ſehen. Wie ein fadenfliegender Sommer,
den ein leiſer Lufthauch quer forttreibt, ſcheinen ſie dahin zu ſchweben; nicht ſtreng in gerader Linie,
ſondern in anmuthigſten, manchfaltigſten, ſanft auf- und abſteigenden, alle Augenblicke veränderten
Bogen ſchlängelt ſie ſich durch die Lüfte fort, indem ſich bald die Mitte, bald das eine, bald das
andere Ende oder die Räume zwiſchen dieſen ſenken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben,
ſodaß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwechſelt, dabei jedoch ſtets geſchloſſen und
jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in derſelben Richtung bleibt. Wenn ein ſolcher
Zug ſich niederlaſſen und Halt machen will, dann erſt zerreißt der lange Faden in Stücke, dieſe löſen
ſich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu ſchweben, ſich in Kreiſen zu drehen
oder einzelne Schneckenlinien zu beſchreiben, und ſtürzen ſich nun mit ſauſendem Hin- und Her-
ſchwenken einzeln, oder doch nicht alle in demſelben Augenblicke, aber raſch einander folgend und ein
jeder auf ſeine eigene Weiſe, hernieder.... Beim Bilden einer ſolchen Linie ſteigen die Sichler auf,
erheben ſich in Kreiſen höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es ſich verſieht, wird
aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der ſich zu beiden Seiten nach und nach,
aber ſehr ſchnell, die übrigen Vögel anſchließen, und ſowie der Zug fortrückt, ſieht man immer noch
bald an dieſem, bald an jenem Ende andere Wanderungsluſtige ſich anreihen und ſo die Schnur
verlängern.“ Naumann meint, daß dieſe Art zu fliegen blos von den wandernden Vögeln befolgt
werde; ich darf, auf meine Beobachtungen geſtützt, verſichern, daß die Sichler, wenn ſie ſich in
Maſſen bewegen, immer in derſelben Weiſe dahinziehen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0695" n="655"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sichler.</hi></fw><lb/>
Rußland und das &#x017F;üdliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in A&#x017F;ien<lb/>
kommt er in allen Ländern ums ka&#x017F;pi&#x017F;che und &#x017F;chwarze Meer, in Anatolien, Per&#x017F;ien und Syrien vor;<lb/>
in Afrika ni&#x017F;tet er an den nördlichen Strand&#x017F;een. Gelegentlich &#x017F;eines Zuges be&#x017F;ucht er das Jnnere<lb/>
und den We&#x017F;ten Afrikas, dort dem Nile, hier der Kü&#x017F;te des Meeres folgend; in Jndien dagegen<lb/>
&#x017F;cheint er nicht vorzukommen, da er mehr dem We&#x017F;ten, als dem O&#x017F;ten angehört. Von Ungarn und<lb/>
Polen aus haben &#x017F;ich einzelne nach Schle&#x017F;ien, Anhalt, Braun&#x017F;chweig und anderen deut&#x017F;chen Gauen<lb/>
verflogen; ja es i&#x017F;t vorgekommen, daß &#x017F;olche Jrrlinge bis nach Jsland ver&#x017F;chlagen wurden. Jn<lb/>
Egypten hält &#x017F;ich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus, jahrein in der&#x017F;elben Gegend auf; in<lb/>
Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig Ende Aprils oder Anfangs Mai ankommen<lb/>
und im Augu&#x017F;t, &#x017F;päte&#x017F;tens im September wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlich-<lb/>
keiten an der unteren Donau, Sau und Drau und zwar die großen Sumpfland&#x017F;een und Teiche, welche<lb/>
von jenen Flü&#x017F;&#x017F;en aus zeitweilig überflutet werden. Strand&#x017F;een und Brüche oder &#x017F;chlammige<lb/>
Sümpfe, auch Morä&#x017F;te werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen &#x017F;elb&#x017F;t brütet er, in ihnen hält<lb/>
er &#x017F;ich auf. Die Flüge, welche eine gewi&#x017F;&#x017F;e Gegend bewohnen, &#x017F;cheinen ihren Aufenthalt zu wech&#x017F;eln<lb/>
und von einem Sumpfe zum anderen zu &#x017F;chweifen. Da&#x017F;&#x017F;elbe gilt für die Winterzeit, während die<lb/>
Fortpflanzung &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich an ein und den&#x017F;elben Ort bindet.</p><lb/>
          <p>Der Sichler fällt jedem Beobachter auf, obgleich er, von fern ge&#x017F;ehen, einem Brachvogel einiger-<lb/>
maßen ähnelt. Bei ruhigem Gange trägt er den Hals ziemlich eingezogen, <hi rendition="#aq">S</hi>förmig zu&#x017F;ammen-<lb/>
gebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chieht<lb/>
mit leichten großen Schritten, deren Eile und Weite &#x017F;ich unter allen Um&#x017F;tänden gleich zu bleiben &#x017F;cheint.<lb/>
Beim Nahrung&#x017F;uchen watet er gern in tieferem Wa&#x017F;&#x017F;er umher, und wenn es ihm behagt, &#x017F;chwimmt<lb/>
er, auch ohne eigentlich genöthigt zu &#x017F;ein, von einem Jn&#x017F;elchen nach dem anderen. Jm Fliegen &#x017F;treckt<lb/>
er den Hals und die Füße geradeaus und &#x017F;chlägt die Flügel ziemlich &#x017F;chnell, in nicht weit ausholenden<lb/>
Schwingen, &#x017F;chwebt hierauf mit &#x017F;tillgehaltenen gerade fort und gibt &#x017F;ich durch erneuerte Flügel&#x017F;chläge<lb/>
wiederum einen An&#x017F;toß; höch&#x017F;t &#x017F;elten &#x017F;ieht man einen die&#x017F;er Vögel allein, fa&#x017F;t ausnahmslos vielmehr<lb/>
eine ziemliche Anzahl gemein&#x017F;am dahinfliegen, &#x017F;tets hoch über dem Boden und die ganze Schar in eine<lb/>
einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach &#x017F;o dicht neben einander fortzieht, daß &#x017F;ich<lb/>
die Schwingen&#x017F;pitzen der einzelnen fa&#x017F;t zu berühren &#x017F;cheinen, und welche, wie <hi rendition="#g">Naumann</hi> &#x017F;ehr richtig<lb/>
&#x017F;agt, in den anmuthig&#x017F;t &#x017F;chlängelnden Bewegungen fortrückt. &#x201E;Es gewährt einen herrlichen Anblick,<lb/>
eine lange Schnur &#x017F;olcher Vögel die Luft durch&#x017F;chneiden zu &#x017F;ehen. Wie ein fadenfliegender Sommer,<lb/>
den ein lei&#x017F;er Lufthauch quer forttreibt, &#x017F;cheinen &#x017F;ie dahin zu &#x017F;chweben; nicht &#x017F;treng in gerader Linie,<lb/>
&#x017F;ondern in anmuthig&#x017F;ten, manchfaltig&#x017F;ten, &#x017F;anft auf- und ab&#x017F;teigenden, alle Augenblicke veränderten<lb/>
Bogen &#x017F;chlängelt &#x017F;ie &#x017F;ich durch die Lüfte fort, indem &#x017F;ich bald die Mitte, bald das eine, bald das<lb/>
andere Ende oder die Räume zwi&#x017F;chen die&#x017F;en &#x017F;enken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben,<lb/>
&#x017F;odaß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwech&#x017F;elt, dabei jedoch &#x017F;tets ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in der&#x017F;elben Richtung bleibt. Wenn ein &#x017F;olcher<lb/>
Zug &#x017F;ich niederla&#x017F;&#x017F;en und Halt machen will, dann er&#x017F;t zerreißt der lange Faden in Stücke, die&#x017F;e lö&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu &#x017F;chweben, &#x017F;ich in Krei&#x017F;en zu drehen<lb/>
oder einzelne Schneckenlinien zu be&#x017F;chreiben, und &#x017F;türzen &#x017F;ich nun mit &#x017F;au&#x017F;endem Hin- und Her-<lb/>
&#x017F;chwenken einzeln, oder doch nicht alle in dem&#x017F;elben Augenblicke, aber ra&#x017F;ch einander folgend und ein<lb/>
jeder auf &#x017F;eine eigene Wei&#x017F;e, hernieder.... Beim Bilden einer &#x017F;olchen Linie &#x017F;teigen die Sichler auf,<lb/>
erheben &#x017F;ich in Krei&#x017F;en höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es &#x017F;ich ver&#x017F;ieht, wird<lb/>
aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der &#x017F;ich zu beiden Seiten nach und nach,<lb/>
aber &#x017F;ehr &#x017F;chnell, die übrigen Vögel an&#x017F;chließen, und &#x017F;owie der Zug fortrückt, &#x017F;ieht man immer noch<lb/>
bald an die&#x017F;em, bald an jenem Ende andere Wanderungslu&#x017F;tige &#x017F;ich anreihen und &#x017F;o die Schnur<lb/>
verlängern.&#x201C; <hi rendition="#g">Naumann</hi> meint, daß die&#x017F;e Art zu fliegen blos von den wandernden Vögeln befolgt<lb/>
werde; ich darf, auf meine Beobachtungen ge&#x017F;tützt, ver&#x017F;ichern, daß die Sichler, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich in<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;en bewegen, immer in der&#x017F;elben Wei&#x017F;e dahinziehen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[655/0695] Sichler. Rußland und das ſüdliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in Aſien kommt er in allen Ländern ums kaſpiſche und ſchwarze Meer, in Anatolien, Perſien und Syrien vor; in Afrika niſtet er an den nördlichen Strandſeen. Gelegentlich ſeines Zuges beſucht er das Jnnere und den Weſten Afrikas, dort dem Nile, hier der Küſte des Meeres folgend; in Jndien dagegen ſcheint er nicht vorzukommen, da er mehr dem Weſten, als dem Oſten angehört. Von Ungarn und Polen aus haben ſich einzelne nach Schleſien, Anhalt, Braunſchweig und anderen deutſchen Gauen verflogen; ja es iſt vorgekommen, daß ſolche Jrrlinge bis nach Jsland verſchlagen wurden. Jn Egypten hält ſich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus, jahrein in derſelben Gegend auf; in Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig Ende Aprils oder Anfangs Mai ankommen und im Auguſt, ſpäteſtens im September wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlich- keiten an der unteren Donau, Sau und Drau und zwar die großen Sumpflandſeen und Teiche, welche von jenen Flüſſen aus zeitweilig überflutet werden. Strandſeen und Brüche oder ſchlammige Sümpfe, auch Moräſte werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen ſelbſt brütet er, in ihnen hält er ſich auf. Die Flüge, welche eine gewiſſe Gegend bewohnen, ſcheinen ihren Aufenthalt zu wechſeln und von einem Sumpfe zum anderen zu ſchweifen. Daſſelbe gilt für die Winterzeit, während die Fortpflanzung ſelbſtverſtändlich an ein und denſelben Ort bindet. Der Sichler fällt jedem Beobachter auf, obgleich er, von fern geſehen, einem Brachvogel einiger- maßen ähnelt. Bei ruhigem Gange trägt er den Hals ziemlich eingezogen, Sförmig zuſammen- gebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang ſelbſt geſchieht mit leichten großen Schritten, deren Eile und Weite ſich unter allen Umſtänden gleich zu bleiben ſcheint. Beim Nahrungſuchen watet er gern in tieferem Waſſer umher, und wenn es ihm behagt, ſchwimmt er, auch ohne eigentlich genöthigt zu ſein, von einem Jnſelchen nach dem anderen. Jm Fliegen ſtreckt er den Hals und die Füße geradeaus und ſchlägt die Flügel ziemlich ſchnell, in nicht weit ausholenden Schwingen, ſchwebt hierauf mit ſtillgehaltenen gerade fort und gibt ſich durch erneuerte Flügelſchläge wiederum einen Anſtoß; höchſt ſelten ſieht man einen dieſer Vögel allein, faſt ausnahmslos vielmehr eine ziemliche Anzahl gemeinſam dahinfliegen, ſtets hoch über dem Boden und die ganze Schar in eine einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach ſo dicht neben einander fortzieht, daß ſich die Schwingenſpitzen der einzelnen faſt zu berühren ſcheinen, und welche, wie Naumann ſehr richtig ſagt, in den anmuthigſt ſchlängelnden Bewegungen fortrückt. „Es gewährt einen herrlichen Anblick, eine lange Schnur ſolcher Vögel die Luft durchſchneiden zu ſehen. Wie ein fadenfliegender Sommer, den ein leiſer Lufthauch quer forttreibt, ſcheinen ſie dahin zu ſchweben; nicht ſtreng in gerader Linie, ſondern in anmuthigſten, manchfaltigſten, ſanft auf- und abſteigenden, alle Augenblicke veränderten Bogen ſchlängelt ſie ſich durch die Lüfte fort, indem ſich bald die Mitte, bald das eine, bald das andere Ende oder die Räume zwiſchen dieſen ſenken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben, ſodaß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwechſelt, dabei jedoch ſtets geſchloſſen und jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in derſelben Richtung bleibt. Wenn ein ſolcher Zug ſich niederlaſſen und Halt machen will, dann erſt zerreißt der lange Faden in Stücke, dieſe löſen ſich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu ſchweben, ſich in Kreiſen zu drehen oder einzelne Schneckenlinien zu beſchreiben, und ſtürzen ſich nun mit ſauſendem Hin- und Her- ſchwenken einzeln, oder doch nicht alle in demſelben Augenblicke, aber raſch einander folgend und ein jeder auf ſeine eigene Weiſe, hernieder.... Beim Bilden einer ſolchen Linie ſteigen die Sichler auf, erheben ſich in Kreiſen höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es ſich verſieht, wird aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der ſich zu beiden Seiten nach und nach, aber ſehr ſchnell, die übrigen Vögel anſchließen, und ſowie der Zug fortrückt, ſieht man immer noch bald an dieſem, bald an jenem Ende andere Wanderungsluſtige ſich anreihen und ſo die Schnur verlängern.“ Naumann meint, daß dieſe Art zu fliegen blos von den wandernden Vögeln befolgt werde; ich darf, auf meine Beobachtungen geſtützt, verſichern, daß die Sichler, wenn ſie ſich in Maſſen bewegen, immer in derſelben Weiſe dahinziehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/695
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/695>, abgerufen am 22.11.2024.