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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Klettervögel. Baumkletterer.
von unendlichem Werth. Wenn plötzlich seine kurze Strophe in den öden Höhen ertönt, in denen
die sonstige Stille des Todes nur durch das Heulen des Sturmwindes und das Grollen des Donners
von den stürzenden Lawinen und den in Trümmer gehenden Felsen unterbrochen wird, so begrüßt der
Wanderer freudig die Nähe eines so schönen Wesens, und sein Blick ruht mit Wohlgefallen auf der
lieblichen Erscheinung dieser lebendigen Alpenrose, welche die großartige, aber in ewiger Erstarrung
liegende Umgebung so angenehm belebt. Und der Wanderer, erfreut und erfrischt durch den Anblick
dieses mitten in der erstorbenen Natur stets regen und frohen Lebens, setzt dann mit neuer Freude
seinen beschwerlichen Weg fort durch die hehre, in mancher Beziehung noch viel zu wenig durchforschte
Alpenwelt."



Der kleinste unserer Klettervögel, der Baumläufer, galt in den Augen früherer Naturforscher
als das Urbild einer namhaften Anzahl von Vögeln, welche ihm wenigstens in der Gestalt des
Schnabels, theilweise aber auch in der Lebensweise ähneln. Neuerdings ist man anderer Ansicht
geworden und sieht in dem Baumläufer wegen seiner vollständig entwickelten Singmuskeln den
nächsten Verwandten des Mauerläufers, während man die ihm durchaus ähnlich gestalteten und in
gleicher Weise wie er lebenden Baumhacker Südamerikas sogar einer verschiedenen Ordnung eingereiht
hat. Jch glaube nicht, daß die Unterschiede zwischen den Vaumläufern und den Baumhackern
bedeutend genug sind, um ein derartiges Verfahren zu rechtfertigen, kann wenigstens in der Ver-
einigung der beiden Gruppen keinen Verstoß gegen die Wissenschaftlichkeit erkennen; denn die Baum-
backer sind im Großen genau dasselbe, was die Baumläufer im Kleinen, und einzelne Arten von jenen
ähneln diesen in wirklich überraschender Weise.

Die Baumläufer (Certhiae) sind kleine, lang gestreckte Vögel mit schwachem, mehr oder
weniger gebogenen, kantigen, scharfspitzigen Schnabel, schwächlichen, langzehigen und mit großen,
krummen, scharfen Nägeln bewaffneten Füßen, stumpfen, schwachfedrigen Flügeln, unter deren
Schwingen die vierte die längste ist, und einem ziemlich langen, schmalen, keilförmigen, aber in zwei
Spitzen getheilten Schwanz, welcher aus zwölf gleich starken, schnellkräftigen Federn besteht. Das
Gefieder ist lang und weich, auf der Oberseite rindenfarbig, auf der unteren weißlich. Die Zunge ist
hornig, scharfrandig, lang und schmal, vorn etwas gefasert, hinten gezahnt und nicht vorschnellbar.
Die Singmuskeln sind vorhanden, aber sehr schwach.

Die Baumhacker sind kräftiger gebaut. Jhr Schnabel ist verschieden lang und verhältniß-
mäßig stark, meist länger als der Kopf, mehr oder weniger gebogen und scharf spitzig; die Füße sind
ziemlich kurz, groß und starkzehig und mit hohen, scharfen, sehr gekrümmten Krallen bewehrt; in den
mäßig spitzen Flügeln ist die dritte oder vierte Schwinge die längste; der Schwanz ist lang und steif,
seine Federn sind ebenfalls schnellkräftig und meist auch zweispitzig. Das Gefieder ist oben einfarbiger,
auf der Unterseite aber bunter, als bei den Baumläufern. Die Zunge ist kürzer als der Schnabel,
ebenfalls nicht vorschnellbar, an der Spitze hornig und bald ganzrandig, bald zerfasert. Die Sing-
muskeln sollen nicht vollständig entwickelt sein.

Man sieht aus diesen Kennzeichen, daß die einen und die andern Vögel sich in allem Wesent-
lichen ähneln und deshalb wohl vereinigt bleiben können. Um Jrrthümer zu vermeiden, will ich die
Gesammtheit mit dem Namen Baumkletterer (Seandentes) bezeichnen, wie schon Prinz von
Wied
es gethan hat.

Alle Baumkletterer sind Bewohner des Waldes und bringen in ihm ihr ganzes Leben zu. Sie
beklettern die Baumschäfte, wie die Spechte, nur von der Wurzel bis in den Wipfel hinauf, klettern auch
wagrecht auf den Aesten dahin, steigen aber niemals, wie die Spechtmeisen, kopfabwärts nach unten. Die
meisten sind einsam lebende und stille Vögel, welche ihrer Nahrung nachgehen, ohne sich sehr bemerklich
zu machen. Gewöhnlich trifft man sie paarweise, nur nach dem Ausfliegen der Jungen familienweise

Die Späher. Klettervögel. Baumkletterer.
von unendlichem Werth. Wenn plötzlich ſeine kurze Strophe in den öden Höhen ertönt, in denen
die ſonſtige Stille des Todes nur durch das Heulen des Sturmwindes und das Grollen des Donners
von den ſtürzenden Lawinen und den in Trümmer gehenden Felſen unterbrochen wird, ſo begrüßt der
Wanderer freudig die Nähe eines ſo ſchönen Weſens, und ſein Blick ruht mit Wohlgefallen auf der
lieblichen Erſcheinung dieſer lebendigen Alpenroſe, welche die großartige, aber in ewiger Erſtarrung
liegende Umgebung ſo angenehm belebt. Und der Wanderer, erfreut und erfriſcht durch den Anblick
dieſes mitten in der erſtorbenen Natur ſtets regen und frohen Lebens, ſetzt dann mit neuer Freude
ſeinen beſchwerlichen Weg fort durch die hehre, in mancher Beziehung noch viel zu wenig durchforſchte
Alpenwelt.“



Der kleinſte unſerer Klettervögel, der Baumläufer, galt in den Augen früherer Naturforſcher
als das Urbild einer namhaften Anzahl von Vögeln, welche ihm wenigſtens in der Geſtalt des
Schnabels, theilweiſe aber auch in der Lebensweiſe ähneln. Neuerdings iſt man anderer Anſicht
geworden und ſieht in dem Baumläufer wegen ſeiner vollſtändig entwickelten Singmuskeln den
nächſten Verwandten des Mauerläufers, während man die ihm durchaus ähnlich geſtalteten und in
gleicher Weiſe wie er lebenden Baumhacker Südamerikas ſogar einer verſchiedenen Ordnung eingereiht
hat. Jch glaube nicht, daß die Unterſchiede zwiſchen den Vaumläufern und den Baumhackern
bedeutend genug ſind, um ein derartiges Verfahren zu rechtfertigen, kann wenigſtens in der Ver-
einigung der beiden Gruppen keinen Verſtoß gegen die Wiſſenſchaftlichkeit erkennen; denn die Baum-
backer ſind im Großen genau daſſelbe, was die Baumläufer im Kleinen, und einzelne Arten von jenen
ähneln dieſen in wirklich überraſchender Weiſe.

Die Baumläufer (Certhiae) ſind kleine, lang geſtreckte Vögel mit ſchwachem, mehr oder
weniger gebogenen, kantigen, ſcharfſpitzigen Schnabel, ſchwächlichen, langzehigen und mit großen,
krummen, ſcharfen Nägeln bewaffneten Füßen, ſtumpfen, ſchwachfedrigen Flügeln, unter deren
Schwingen die vierte die längſte iſt, und einem ziemlich langen, ſchmalen, keilförmigen, aber in zwei
Spitzen getheilten Schwanz, welcher aus zwölf gleich ſtarken, ſchnellkräftigen Federn beſteht. Das
Gefieder iſt lang und weich, auf der Oberſeite rindenfarbig, auf der unteren weißlich. Die Zunge iſt
hornig, ſcharfrandig, lang und ſchmal, vorn etwas gefaſert, hinten gezahnt und nicht vorſchnellbar.
Die Singmuskeln ſind vorhanden, aber ſehr ſchwach.

Die Baumhacker ſind kräftiger gebaut. Jhr Schnabel iſt verſchieden lang und verhältniß-
mäßig ſtark, meiſt länger als der Kopf, mehr oder weniger gebogen und ſcharf ſpitzig; die Füße ſind
ziemlich kurz, groß und ſtarkzehig und mit hohen, ſcharfen, ſehr gekrümmten Krallen bewehrt; in den
mäßig ſpitzen Flügeln iſt die dritte oder vierte Schwinge die längſte; der Schwanz iſt lang und ſteif,
ſeine Federn ſind ebenfalls ſchnellkräftig und meiſt auch zweiſpitzig. Das Gefieder iſt oben einfarbiger,
auf der Unterſeite aber bunter, als bei den Baumläufern. Die Zunge iſt kürzer als der Schnabel,
ebenfalls nicht vorſchnellbar, an der Spitze hornig und bald ganzrandig, bald zerfaſert. Die Sing-
muskeln ſollen nicht vollſtändig entwickelt ſein.

Man ſieht aus dieſen Kennzeichen, daß die einen und die andern Vögel ſich in allem Weſent-
lichen ähneln und deshalb wohl vereinigt bleiben können. Um Jrrthümer zu vermeiden, will ich die
Geſammtheit mit dem Namen Baumkletterer (Seandentes) bezeichnen, wie ſchon Prinz von
Wied
es gethan hat.

Alle Baumkletterer ſind Bewohner des Waldes und bringen in ihm ihr ganzes Leben zu. Sie
beklettern die Baumſchäfte, wie die Spechte, nur von der Wurzel bis in den Wipfel hinauf, klettern auch
wagrecht auf den Aeſten dahin, ſteigen aber niemals, wie die Spechtmeiſen, kopfabwärts nach unten. Die
meiſten ſind einſam lebende und ſtille Vögel, welche ihrer Nahrung nachgehen, ohne ſich ſehr bemerklich
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[52/0064] Die Späher. Klettervögel. Baumkletterer. von unendlichem Werth. Wenn plötzlich ſeine kurze Strophe in den öden Höhen ertönt, in denen die ſonſtige Stille des Todes nur durch das Heulen des Sturmwindes und das Grollen des Donners von den ſtürzenden Lawinen und den in Trümmer gehenden Felſen unterbrochen wird, ſo begrüßt der Wanderer freudig die Nähe eines ſo ſchönen Weſens, und ſein Blick ruht mit Wohlgefallen auf der lieblichen Erſcheinung dieſer lebendigen Alpenroſe, welche die großartige, aber in ewiger Erſtarrung liegende Umgebung ſo angenehm belebt. Und der Wanderer, erfreut und erfriſcht durch den Anblick dieſes mitten in der erſtorbenen Natur ſtets regen und frohen Lebens, ſetzt dann mit neuer Freude ſeinen beſchwerlichen Weg fort durch die hehre, in mancher Beziehung noch viel zu wenig durchforſchte Alpenwelt.“ Der kleinſte unſerer Klettervögel, der Baumläufer, galt in den Augen früherer Naturforſcher als das Urbild einer namhaften Anzahl von Vögeln, welche ihm wenigſtens in der Geſtalt des Schnabels, theilweiſe aber auch in der Lebensweiſe ähneln. Neuerdings iſt man anderer Anſicht geworden und ſieht in dem Baumläufer wegen ſeiner vollſtändig entwickelten Singmuskeln den nächſten Verwandten des Mauerläufers, während man die ihm durchaus ähnlich geſtalteten und in gleicher Weiſe wie er lebenden Baumhacker Südamerikas ſogar einer verſchiedenen Ordnung eingereiht hat. Jch glaube nicht, daß die Unterſchiede zwiſchen den Vaumläufern und den Baumhackern bedeutend genug ſind, um ein derartiges Verfahren zu rechtfertigen, kann wenigſtens in der Ver- einigung der beiden Gruppen keinen Verſtoß gegen die Wiſſenſchaftlichkeit erkennen; denn die Baum- backer ſind im Großen genau daſſelbe, was die Baumläufer im Kleinen, und einzelne Arten von jenen ähneln dieſen in wirklich überraſchender Weiſe. Die Baumläufer (Certhiae) ſind kleine, lang geſtreckte Vögel mit ſchwachem, mehr oder weniger gebogenen, kantigen, ſcharfſpitzigen Schnabel, ſchwächlichen, langzehigen und mit großen, krummen, ſcharfen Nägeln bewaffneten Füßen, ſtumpfen, ſchwachfedrigen Flügeln, unter deren Schwingen die vierte die längſte iſt, und einem ziemlich langen, ſchmalen, keilförmigen, aber in zwei Spitzen getheilten Schwanz, welcher aus zwölf gleich ſtarken, ſchnellkräftigen Federn beſteht. Das Gefieder iſt lang und weich, auf der Oberſeite rindenfarbig, auf der unteren weißlich. Die Zunge iſt hornig, ſcharfrandig, lang und ſchmal, vorn etwas gefaſert, hinten gezahnt und nicht vorſchnellbar. Die Singmuskeln ſind vorhanden, aber ſehr ſchwach. Die Baumhacker ſind kräftiger gebaut. Jhr Schnabel iſt verſchieden lang und verhältniß- mäßig ſtark, meiſt länger als der Kopf, mehr oder weniger gebogen und ſcharf ſpitzig; die Füße ſind ziemlich kurz, groß und ſtarkzehig und mit hohen, ſcharfen, ſehr gekrümmten Krallen bewehrt; in den mäßig ſpitzen Flügeln iſt die dritte oder vierte Schwinge die längſte; der Schwanz iſt lang und ſteif, ſeine Federn ſind ebenfalls ſchnellkräftig und meiſt auch zweiſpitzig. Das Gefieder iſt oben einfarbiger, auf der Unterſeite aber bunter, als bei den Baumläufern. Die Zunge iſt kürzer als der Schnabel, ebenfalls nicht vorſchnellbar, an der Spitze hornig und bald ganzrandig, bald zerfaſert. Die Sing- muskeln ſollen nicht vollſtändig entwickelt ſein. Man ſieht aus dieſen Kennzeichen, daß die einen und die andern Vögel ſich in allem Weſent- lichen ähneln und deshalb wohl vereinigt bleiben können. Um Jrrthümer zu vermeiden, will ich die Geſammtheit mit dem Namen Baumkletterer (Seandentes) bezeichnen, wie ſchon Prinz von Wied es gethan hat. Alle Baumkletterer ſind Bewohner des Waldes und bringen in ihm ihr ganzes Leben zu. Sie beklettern die Baumſchäfte, wie die Spechte, nur von der Wurzel bis in den Wipfel hinauf, klettern auch wagrecht auf den Aeſten dahin, ſteigen aber niemals, wie die Spechtmeiſen, kopfabwärts nach unten. Die meiſten ſind einſam lebende und ſtille Vögel, welche ihrer Nahrung nachgehen, ohne ſich ſehr bemerklich zu machen. Gewöhnlich trifft man ſie paarweiſe, nur nach dem Ausfliegen der Jungen familienweiſe

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/64>, abgerufen am 27.11.2024.