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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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und gewahrt zu seiner Ueberraschung beim Näherkommen, daß er es mit lebendigen Blüthen, mit
Stelzvögeln, welche zu Tausenden vereinigt, auf den Bäumen sitzen, zu thun hat. An den Seen
drängen sich ebenfalls unschätzbare Massen dieser Vögel zusammen und an den flachen Seeküsten stehen
sie meilenweit in ununterbrochener Folge. Spix und Martius schildern in ihrem Reisewerke den
Eindruck, welchen ein kleiner fischreicher Teich auf sie machte. Die rosenrothen Löffler standen in
langen Reihen am Ufer, die Riesenstörche wateten in tieferem Wasser auf und nieder, Rohr- und
Teichhühnchen trieben sich unter mancherlei Enten umher und zahlreiche Kiebitze umkreisten im
schnellen Fluge die Ränder des Waldes. "Hier herrschte endloses Geschnatter, Geschrei und
Gezwitscher der manchfaltigsten Vögelgeschlechter, und je länger wir das seltsame Schauspiel betrach-
teten, in welchem die Thiere mit aller ihnen innwohnenden Selbständigkeit und Lebendigkeit allein
die Rollen ausfüllten, um so weniger konnten wir es über uns gewinnen, durch einen feindseligen
Schuß die Behaglichkeit dieses Naturzustandes zu stören. Wir sahen hier gewiß mehr als zehntausend
Thiere neben einander, welche, jedes nach seiner Weise, den angeborenen Trieb der Selbsterhaltung
verfolgten. Das Gemälde der ersten Schöpfung schien vor unseren Blicken erneuert, und dieses so
überraschende Schauspiel hätte noch angenehmer auf uns wirken müssen, wäre nicht das Ergebniß
unserer Betrachtung der Gedanke gewesen, daß Krieg und ewiger Krieg die Losung und die geheimniß-
volle Bedingung alles thierischen Daseins sei."

Gewiß, einen ewigen Krieg führen auch die ihrerseits ohne Unterlaß befehdeten und bekriegten
Stelzvögel. Sie alle, ohne Ausnahme, sind Raubthiere. Allerdings gibt es unter ihnen noch
einige, welche zeitweilig oder von einem gewissen Alter an, Pflanzenstoffe verzehren, keinen einzigen
aber, welcher thierische Nahrung gänzlich verschmäht. Viele wetteifern an Mordgier mit dem blut-
dürstigsten Räuber von Gewerbe. Sie begnügen sich keineswegs mit den niederen Thieren, auf
welche sie hingewiesen zu sein scheinen, sondern rauben die verschiedenartigsten Wirbelthiere, wenn
auch fast nur solche, welche sie eben noch verschlingen können. Der Reiher, den wir gewöhnlich als
Fischjäger ansehen, tödtet und verschlingt ohne Bedenken jede Maus, jeden kleinen Vogel, falls er
eines derartigen Thieres habhaft werden kann; der Stelzvogel, dessen hauptsächlichste Nahrung Kerb-
thiere, Würmer und Weichthiere bilden, verschmäht auch ein Fischchen oder einen kleinen Lurch nicht.
Jn der Regel deckt ihnen das Wasser mit seinem verschiedenen Gethier den Tisch, und ausnahmsweise
nur muß auch das Land mit seinen Erzeugnissen ihnen zollen.

An Begabung stehen die Stelzvögel anderen Mitgliedern ihrer Klasse wenig nach. Mit Papa-
geien und Singvögeln darf man sie freilich nicht vergleichen; denn es fehlt ihnen die Allseitigkeit der
erstgenannten und, auch abgesehen von der Stimme, die Bewegungsfreudigkeit und Bewegungsfähigkeit
der letzteren: aber sie stehen hoch über vielen anderen Vögeln, welche wir bereits kennen gelernt haben.
Jhr Lauf umfaßt vom ernsten Schreiten an bis zum pfeilschnellen Rennen alle Gangarten; ihr Flug
geschieht nicht minder verschiedenartig. Diejenigen, welche rasch laufen, pflegen auch schnell zu
fliegen, die, welche langsam schreiten, sich mit langsamem Flügelschlag durch die Luft zu fördern.
Einzelne Stelzvögel erheben sich fast mit derselben Schnelligkeit, mit welcher ein Raubvogel auf
Beute stößt, andere arbeiten sich schwerfällig empor und fliegen gemachsam in einförmiger Weise
dahin, während anscheinend nah Verwandte von ihnen es verstehen, im Fluge Drehungen und
Wendungen auszuführen, wie wir sie sonst fast nur von Raubvögeln sehen. Ueberhaupt zeichnen sich
gerade die Stelzvögel durch die Manchfaltigkeit ihres Fluges aus; einzelne gaukeln förmlich. Jm
Gezweig der Bäume ist die große Mehrzahl unserer Ordnung fremd; indessen gibt es doch viele
unter ihnen, welche mit vollem Rechte Baumvögel genannt werden dürfen, da sie nicht nur des
Nachts regelmäßig bäumen, sondern auch ihr Nest auf Baumwipfeln anlegen, und demgemäß ihre
erste Kindheit in der Höhe verbringen. Das Wasser beherrschen die meisten in ziemlich vollendeter
Weise. Mit Ausnahme derer, welche wirkliche Landvögel genannt werden müssen, schwimmen alle
im Nothfalle und zwar ganz leidlich; viele von ihnen sind aber zu förmlichen Wasservögeln geworden
und schwimmen und tauchen meisterhaft. Jn einer Hinsicht scheint die Natur die Stelzvögel ver-

Allgemeines.
und gewahrt zu ſeiner Ueberraſchung beim Näherkommen, daß er es mit lebendigen Blüthen, mit
Stelzvögeln, welche zu Tauſenden vereinigt, auf den Bäumen ſitzen, zu thun hat. An den Seen
drängen ſich ebenfalls unſchätzbare Maſſen dieſer Vögel zuſammen und an den flachen Seeküſten ſtehen
ſie meilenweit in ununterbrochener Folge. Spix und Martius ſchildern in ihrem Reiſewerke den
Eindruck, welchen ein kleiner fiſchreicher Teich auf ſie machte. Die roſenrothen Löffler ſtanden in
langen Reihen am Ufer, die Rieſenſtörche wateten in tieferem Waſſer auf und nieder, Rohr- und
Teichhühnchen trieben ſich unter mancherlei Enten umher und zahlreiche Kiebitze umkreiſten im
ſchnellen Fluge die Ränder des Waldes. „Hier herrſchte endloſes Geſchnatter, Geſchrei und
Gezwitſcher der manchfaltigſten Vögelgeſchlechter, und je länger wir das ſeltſame Schauſpiel betrach-
teten, in welchem die Thiere mit aller ihnen innwohnenden Selbſtändigkeit und Lebendigkeit allein
die Rollen ausfüllten, um ſo weniger konnten wir es über uns gewinnen, durch einen feindſeligen
Schuß die Behaglichkeit dieſes Naturzuſtandes zu ſtören. Wir ſahen hier gewiß mehr als zehntauſend
Thiere neben einander, welche, jedes nach ſeiner Weiſe, den angeborenen Trieb der Selbſterhaltung
verfolgten. Das Gemälde der erſten Schöpfung ſchien vor unſeren Blicken erneuert, und dieſes ſo
überraſchende Schauſpiel hätte noch angenehmer auf uns wirken müſſen, wäre nicht das Ergebniß
unſerer Betrachtung der Gedanke geweſen, daß Krieg und ewiger Krieg die Loſung und die geheimniß-
volle Bedingung alles thieriſchen Daſeins ſei.“

Gewiß, einen ewigen Krieg führen auch die ihrerſeits ohne Unterlaß befehdeten und bekriegten
Stelzvögel. Sie alle, ohne Ausnahme, ſind Raubthiere. Allerdings gibt es unter ihnen noch
einige, welche zeitweilig oder von einem gewiſſen Alter an, Pflanzenſtoffe verzehren, keinen einzigen
aber, welcher thieriſche Nahrung gänzlich verſchmäht. Viele wetteifern an Mordgier mit dem blut-
dürſtigſten Räuber von Gewerbe. Sie begnügen ſich keineswegs mit den niederen Thieren, auf
welche ſie hingewieſen zu ſein ſcheinen, ſondern rauben die verſchiedenartigſten Wirbelthiere, wenn
auch faſt nur ſolche, welche ſie eben noch verſchlingen können. Der Reiher, den wir gewöhnlich als
Fiſchjäger anſehen, tödtet und verſchlingt ohne Bedenken jede Maus, jeden kleinen Vogel, falls er
eines derartigen Thieres habhaft werden kann; der Stelzvogel, deſſen hauptſächlichſte Nahrung Kerb-
thiere, Würmer und Weichthiere bilden, verſchmäht auch ein Fiſchchen oder einen kleinen Lurch nicht.
Jn der Regel deckt ihnen das Waſſer mit ſeinem verſchiedenen Gethier den Tiſch, und ausnahmsweiſe
nur muß auch das Land mit ſeinen Erzeugniſſen ihnen zollen.

An Begabung ſtehen die Stelzvögel anderen Mitgliedern ihrer Klaſſe wenig nach. Mit Papa-
geien und Singvögeln darf man ſie freilich nicht vergleichen; denn es fehlt ihnen die Allſeitigkeit der
erſtgenannten und, auch abgeſehen von der Stimme, die Bewegungsfreudigkeit und Bewegungsfähigkeit
der letzteren: aber ſie ſtehen hoch über vielen anderen Vögeln, welche wir bereits kennen gelernt haben.
Jhr Lauf umfaßt vom ernſten Schreiten an bis zum pfeilſchnellen Rennen alle Gangarten; ihr Flug
geſchieht nicht minder verſchiedenartig. Diejenigen, welche raſch laufen, pflegen auch ſchnell zu
fliegen, die, welche langſam ſchreiten, ſich mit langſamem Flügelſchlag durch die Luft zu fördern.
Einzelne Stelzvögel erheben ſich faſt mit derſelben Schnelligkeit, mit welcher ein Raubvogel auf
Beute ſtößt, andere arbeiten ſich ſchwerfällig empor und fliegen gemachſam in einförmiger Weiſe
dahin, während anſcheinend nah Verwandte von ihnen es verſtehen, im Fluge Drehungen und
Wendungen auszuführen, wie wir ſie ſonſt faſt nur von Raubvögeln ſehen. Ueberhaupt zeichnen ſich
gerade die Stelzvögel durch die Manchfaltigkeit ihres Fluges aus; einzelne gaukeln förmlich. Jm
Gezweig der Bäume iſt die große Mehrzahl unſerer Ordnung fremd; indeſſen gibt es doch viele
unter ihnen, welche mit vollem Rechte Baumvögel genannt werden dürfen, da ſie nicht nur des
Nachts regelmäßig bäumen, ſondern auch ihr Neſt auf Baumwipfeln anlegen, und demgemäß ihre
erſte Kindheit in der Höhe verbringen. Das Waſſer beherrſchen die meiſten in ziemlich vollendeter
Weiſe. Mit Ausnahme derer, welche wirkliche Landvögel genannt werden müſſen, ſchwimmen alle
im Nothfalle und zwar ganz leidlich; viele von ihnen ſind aber zu förmlichen Waſſervögeln geworden
und ſchwimmen und tauchen meiſterhaft. Jn einer Hinſicht ſcheint die Natur die Stelzvögel ver-

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[555/0591] Allgemeines. und gewahrt zu ſeiner Ueberraſchung beim Näherkommen, daß er es mit lebendigen Blüthen, mit Stelzvögeln, welche zu Tauſenden vereinigt, auf den Bäumen ſitzen, zu thun hat. An den Seen drängen ſich ebenfalls unſchätzbare Maſſen dieſer Vögel zuſammen und an den flachen Seeküſten ſtehen ſie meilenweit in ununterbrochener Folge. Spix und Martius ſchildern in ihrem Reiſewerke den Eindruck, welchen ein kleiner fiſchreicher Teich auf ſie machte. Die roſenrothen Löffler ſtanden in langen Reihen am Ufer, die Rieſenſtörche wateten in tieferem Waſſer auf und nieder, Rohr- und Teichhühnchen trieben ſich unter mancherlei Enten umher und zahlreiche Kiebitze umkreiſten im ſchnellen Fluge die Ränder des Waldes. „Hier herrſchte endloſes Geſchnatter, Geſchrei und Gezwitſcher der manchfaltigſten Vögelgeſchlechter, und je länger wir das ſeltſame Schauſpiel betrach- teten, in welchem die Thiere mit aller ihnen innwohnenden Selbſtändigkeit und Lebendigkeit allein die Rollen ausfüllten, um ſo weniger konnten wir es über uns gewinnen, durch einen feindſeligen Schuß die Behaglichkeit dieſes Naturzuſtandes zu ſtören. Wir ſahen hier gewiß mehr als zehntauſend Thiere neben einander, welche, jedes nach ſeiner Weiſe, den angeborenen Trieb der Selbſterhaltung verfolgten. Das Gemälde der erſten Schöpfung ſchien vor unſeren Blicken erneuert, und dieſes ſo überraſchende Schauſpiel hätte noch angenehmer auf uns wirken müſſen, wäre nicht das Ergebniß unſerer Betrachtung der Gedanke geweſen, daß Krieg und ewiger Krieg die Loſung und die geheimniß- volle Bedingung alles thieriſchen Daſeins ſei.“ Gewiß, einen ewigen Krieg führen auch die ihrerſeits ohne Unterlaß befehdeten und bekriegten Stelzvögel. Sie alle, ohne Ausnahme, ſind Raubthiere. Allerdings gibt es unter ihnen noch einige, welche zeitweilig oder von einem gewiſſen Alter an, Pflanzenſtoffe verzehren, keinen einzigen aber, welcher thieriſche Nahrung gänzlich verſchmäht. Viele wetteifern an Mordgier mit dem blut- dürſtigſten Räuber von Gewerbe. Sie begnügen ſich keineswegs mit den niederen Thieren, auf welche ſie hingewieſen zu ſein ſcheinen, ſondern rauben die verſchiedenartigſten Wirbelthiere, wenn auch faſt nur ſolche, welche ſie eben noch verſchlingen können. Der Reiher, den wir gewöhnlich als Fiſchjäger anſehen, tödtet und verſchlingt ohne Bedenken jede Maus, jeden kleinen Vogel, falls er eines derartigen Thieres habhaft werden kann; der Stelzvogel, deſſen hauptſächlichſte Nahrung Kerb- thiere, Würmer und Weichthiere bilden, verſchmäht auch ein Fiſchchen oder einen kleinen Lurch nicht. Jn der Regel deckt ihnen das Waſſer mit ſeinem verſchiedenen Gethier den Tiſch, und ausnahmsweiſe nur muß auch das Land mit ſeinen Erzeugniſſen ihnen zollen. An Begabung ſtehen die Stelzvögel anderen Mitgliedern ihrer Klaſſe wenig nach. Mit Papa- geien und Singvögeln darf man ſie freilich nicht vergleichen; denn es fehlt ihnen die Allſeitigkeit der erſtgenannten und, auch abgeſehen von der Stimme, die Bewegungsfreudigkeit und Bewegungsfähigkeit der letzteren: aber ſie ſtehen hoch über vielen anderen Vögeln, welche wir bereits kennen gelernt haben. Jhr Lauf umfaßt vom ernſten Schreiten an bis zum pfeilſchnellen Rennen alle Gangarten; ihr Flug geſchieht nicht minder verſchiedenartig. Diejenigen, welche raſch laufen, pflegen auch ſchnell zu fliegen, die, welche langſam ſchreiten, ſich mit langſamem Flügelſchlag durch die Luft zu fördern. Einzelne Stelzvögel erheben ſich faſt mit derſelben Schnelligkeit, mit welcher ein Raubvogel auf Beute ſtößt, andere arbeiten ſich ſchwerfällig empor und fliegen gemachſam in einförmiger Weiſe dahin, während anſcheinend nah Verwandte von ihnen es verſtehen, im Fluge Drehungen und Wendungen auszuführen, wie wir ſie ſonſt faſt nur von Raubvögeln ſehen. Ueberhaupt zeichnen ſich gerade die Stelzvögel durch die Manchfaltigkeit ihres Fluges aus; einzelne gaukeln förmlich. Jm Gezweig der Bäume iſt die große Mehrzahl unſerer Ordnung fremd; indeſſen gibt es doch viele unter ihnen, welche mit vollem Rechte Baumvögel genannt werden dürfen, da ſie nicht nur des Nachts regelmäßig bäumen, ſondern auch ihr Neſt auf Baumwipfeln anlegen, und demgemäß ihre erſte Kindheit in der Höhe verbringen. Das Waſſer beherrſchen die meiſten in ziemlich vollendeter Weiſe. Mit Ausnahme derer, welche wirkliche Landvögel genannt werden müſſen, ſchwimmen alle im Nothfalle und zwar ganz leidlich; viele von ihnen ſind aber zu förmlichen Waſſervögeln geworden und ſchwimmen und tauchen meiſterhaft. Jn einer Hinſicht ſcheint die Natur die Stelzvögel ver-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/591>, abgerufen am 22.11.2024.