sucht, sondern der Eifer des Forschers, so mag er sein Gewehr vom Rücken herabnehmen, und wenn der Vogel einen Augenblick lang unschlüssig ist, wohin er sich wende, recht scharf zielen. Er darf dann freilich einen kleinen Steinhagel nicht fürchten, den ihm der alte Berggeist, ergrimmt über die stete Verfolgung seiner Schützlinge, sofort nach gefallenem Schusse von oben herab zuschlendert; er muß sich auch darauf gefaßt machen, daß ihm der Alte vom Verge die Bosheit anthut, gerade im schönsten Zielen einen kleinen Stein unter dem rückstehenden Fuß wegzuziehen, wie es eben zu geschehen pflegt in den Bergen und am ehesten, wenn es gilt, sich dieses Alpenkinds zu bemächtigen. Hat der Jäger Glück, so sieht er nach dem Schusse den kleinen Wicht todt herabkommen, und wenn den Leichnam nicht eine barmherzige Felsschrunde in sich aufnimmt und begräbt, hält er den Prachtvogel wirklich in seiner Hand."
"Leichter freilich gelingt es, diesen zu berücken, wenn er im Winter in tiefere Gegenden herab- kommt. Wie alle Alpenvögel ist auch der Mauerläufer ein Strichvogel. Er geht an sonnigen Tagen den Felshängen entlang bis über 10,000 Fuß unbedingter Höhe empor. Man hat ihn schon hier und da mitten in den Gletschern getroffen, an einem Felsblocke eifrig mit Kerbthierjagd beschäftigt. Unter den Alpengürtel hinab steigt er im Sommer nur selten, obwohl er zuweilen auch hier gefehen wird. Wenn aber die Tage immer kürzer, die Nächte immer länger und kälter werden, wenn die Sonne des kurzen Tages die langsame, aber stete Zunahme der Eisrinde nicht mehr zu verhindern vermag, dann freilich bleibt auch diesem Alpenbewohner nichts Anderes mehr übrig, als sich allmählich in die tieferen, wärmeren und geschützteren Gürtel zurückzuziehen, da jede einigermaßen dicke Eiskruste eine für seinen zarten Schnabel unüberwindliche Scheidewand zwischen ihm und seiner Nahrung bildet. So kam er im Winter von 1863 zu 64, welcher sich durch seine ausdauernde große Kälte auszeichnete, wieder einmal bis in unsere Stadt herunter. Jch beobachtete ihn häufig an den Nagelfluefelsen der Steinach- schlucht unmittelbar vor der Stadt, sowie an den Kirchthürmen und an altem Gemäuer, oft nahe über dem Boden, und ich konnte ihn zuweilen in so großer Nähe betrachten, daß ich einen von ihnen, welcher sich flink und fröhlich an einem Felsen umhertrieb, buchstäblich fast mit der Hand hätte erreichen können. Folgt aber eine kurze Reihe sonniger Tage, so eilt er sofort wieder höheren Gegenden zu, und erst die wiederkehrende Kälte bringt auch ihn in das Thal zurück."
"Nur ganz kahle Felsen beklettert der Mauerläufer gern, und je wilder und pflanzenloser ein Alpengebiet, um so sicherer ist er dort zu finden. Breite Grasbänder, welche sich den Hängen entlang ziehen, besucht er nur, um dort den Kerbthieren, überhaupt, um seiner Nahrung nachzugehen; sonst überfliegt er sie eiligst und strebt, sobald als möglich, das nackte Gestein zu erreichen. An Baum- stämme geht er nie; ich sah ihn auch niemals sich auf Gestrüpp oder aus den Felsen hervorragendes Astwerk setzen. Er lebt nur in der Lust und am steilen Felsen. Auch den Erdboden liebt er nicht. Dort liegende Kerbthiere sucht er wo möglich vom Felsen aus zu ergreifen, erreicht er aber trotz alles Streckens und Wendens seinen Zweck auf diese Weise nicht, so fliegt er eilends zu, setzt sich einen Augenblick, ergreift die Beute und haftet im nächsten Augenblick schon wieder an der Wand, wo er sich nun erst eine bequeme Stelle zur Verspeisung der geholten Nahrung aussucht. Kleine Käfer, welche sich todt stellen und in der Hoffnung, an eine unerreichbare Stelle zu fallen, sich über die Steine hinunterrollen lassen, Spinnen, die sich in aller Eile an ihrem Rettungstau über die Felsen hin- unter zu flüchten suchen, fängt er mit Leichtigkeit in der Luft auf, meist, ehe sie nur einige Fuß tiefer gelangt sind."
"Beim Aufklettern trägt er den Kopf stets gerade nach oben gerichtet und sieht dann fast ebenso kurzhälfig aus, wie der Kleiber. An überhängenden Stämmen beugt er ihn sogar zurück, um den zarten Schnabel nicht an vorstehenden Steinen zu beschädigen. Theils in einzelnen Sätzen, von denen jeder durch einen gleichzeitigen Flügelschlag unterstützt wird und oft, besonders bei großer Eile oder Anstrengung, von einem kurzen Kehlton begleitet wird, theils förmlich springend, geht es nun mit erstaunlicher Schnelligkeit die steilsten Felswände, die höchsten Thürme hinauf. Nie stützt er sich dabei auf die Spitze der Schwungfedern, wie Dies oft gehört wird: hierzu wären dieselben viel zu weich und
Die Späher. Klettervögel. Mauerkletten.
ſucht, ſondern der Eifer des Forſchers, ſo mag er ſein Gewehr vom Rücken herabnehmen, und wenn der Vogel einen Augenblick lang unſchlüſſig iſt, wohin er ſich wende, recht ſcharf zielen. Er darf dann freilich einen kleinen Steinhagel nicht fürchten, den ihm der alte Berggeiſt, ergrimmt über die ſtete Verfolgung ſeiner Schützlinge, ſofort nach gefallenem Schuſſe von oben herab zuſchlendert; er muß ſich auch darauf gefaßt machen, daß ihm der Alte vom Verge die Bosheit anthut, gerade im ſchönſten Zielen einen kleinen Stein unter dem rückſtehenden Fuß wegzuziehen, wie es eben zu geſchehen pflegt in den Bergen und am eheſten, wenn es gilt, ſich dieſes Alpenkinds zu bemächtigen. Hat der Jäger Glück, ſo ſieht er nach dem Schuſſe den kleinen Wicht todt herabkommen, und wenn den Leichnam nicht eine barmherzige Felsſchrunde in ſich aufnimmt und begräbt, hält er den Prachtvogel wirklich in ſeiner Hand.“
„Leichter freilich gelingt es, dieſen zu berücken, wenn er im Winter in tiefere Gegenden herab- kommt. Wie alle Alpenvögel iſt auch der Mauerläufer ein Strichvogel. Er geht an ſonnigen Tagen den Felshängen entlang bis über 10,000 Fuß unbedingter Höhe empor. Man hat ihn ſchon hier und da mitten in den Gletſchern getroffen, an einem Felsblocke eifrig mit Kerbthierjagd beſchäftigt. Unter den Alpengürtel hinab ſteigt er im Sommer nur ſelten, obwohl er zuweilen auch hier gefehen wird. Wenn aber die Tage immer kürzer, die Nächte immer länger und kälter werden, wenn die Sonne des kurzen Tages die langſame, aber ſtete Zunahme der Eisrinde nicht mehr zu verhindern vermag, dann freilich bleibt auch dieſem Alpenbewohner nichts Anderes mehr übrig, als ſich allmählich in die tieferen, wärmeren und geſchützteren Gürtel zurückzuziehen, da jede einigermaßen dicke Eiskruſte eine für ſeinen zarten Schnabel unüberwindliche Scheidewand zwiſchen ihm und ſeiner Nahrung bildet. So kam er im Winter von 1863 zu 64, welcher ſich durch ſeine ausdauernde große Kälte auszeichnete, wieder einmal bis in unſere Stadt herunter. Jch beobachtete ihn häufig an den Nagelfluefelſen der Steinach- ſchlucht unmittelbar vor der Stadt, ſowie an den Kirchthürmen und an altem Gemäuer, oft nahe über dem Boden, und ich konnte ihn zuweilen in ſo großer Nähe betrachten, daß ich einen von ihnen, welcher ſich flink und fröhlich an einem Felſen umhertrieb, buchſtäblich faſt mit der Hand hätte erreichen können. Folgt aber eine kurze Reihe ſonniger Tage, ſo eilt er ſofort wieder höheren Gegenden zu, und erſt die wiederkehrende Kälte bringt auch ihn in das Thal zurück.“
„Nur ganz kahle Felſen beklettert der Mauerläufer gern, und je wilder und pflanzenloſer ein Alpengebiet, um ſo ſicherer iſt er dort zu finden. Breite Grasbänder, welche ſich den Hängen entlang ziehen, beſucht er nur, um dort den Kerbthieren, überhaupt, um ſeiner Nahrung nachzugehen; ſonſt überfliegt er ſie eiligſt und ſtrebt, ſobald als möglich, das nackte Geſtein zu erreichen. An Baum- ſtämme geht er nie; ich ſah ihn auch niemals ſich auf Geſtrüpp oder aus den Felſen hervorragendes Aſtwerk ſetzen. Er lebt nur in der Luſt und am ſteilen Felſen. Auch den Erdboden liebt er nicht. Dort liegende Kerbthiere ſucht er wo möglich vom Felſen aus zu ergreifen, erreicht er aber trotz alles Streckens und Wendens ſeinen Zweck auf dieſe Weiſe nicht, ſo fliegt er eilends zu, ſetzt ſich einen Augenblick, ergreift die Beute und haftet im nächſten Augenblick ſchon wieder an der Wand, wo er ſich nun erſt eine bequeme Stelle zur Verſpeiſung der geholten Nahrung ausſucht. Kleine Käfer, welche ſich todt ſtellen und in der Hoffnung, an eine unerreichbare Stelle zu fallen, ſich über die Steine hinunterrollen laſſen, Spinnen, die ſich in aller Eile an ihrem Rettungstau über die Felſen hin- unter zu flüchten ſuchen, fängt er mit Leichtigkeit in der Luft auf, meiſt, ehe ſie nur einige Fuß tiefer gelangt ſind.“
„Beim Aufklettern trägt er den Kopf ſtets gerade nach oben gerichtet und ſieht dann faſt ebenſo kurzhälfig aus, wie der Kleiber. An überhängenden Stämmen beugt er ihn ſogar zurück, um den zarten Schnabel nicht an vorſtehenden Steinen zu beſchädigen. Theils in einzelnen Sätzen, von denen jeder durch einen gleichzeitigen Flügelſchlag unterſtützt wird und oft, beſonders bei großer Eile oder Anſtrengung, von einem kurzen Kehlton begleitet wird, theils förmlich ſpringend, geht es nun mit erſtaunlicher Schnelligkeit die ſteilſten Felswände, die höchſten Thürme hinauf. Nie ſtützt er ſich dabei auf die Spitze der Schwungfedern, wie Dies oft gehört wird: hierzu wären dieſelben viel zu weich und
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[46/0058]
Die Späher. Klettervögel. Mauerkletten.
ſucht, ſondern der Eifer des Forſchers, ſo mag er ſein Gewehr vom Rücken herabnehmen, und wenn
der Vogel einen Augenblick lang unſchlüſſig iſt, wohin er ſich wende, recht ſcharf zielen. Er darf dann
freilich einen kleinen Steinhagel nicht fürchten, den ihm der alte Berggeiſt, ergrimmt über die ſtete
Verfolgung ſeiner Schützlinge, ſofort nach gefallenem Schuſſe von oben herab zuſchlendert; er muß
ſich auch darauf gefaßt machen, daß ihm der Alte vom Verge die Bosheit anthut, gerade im ſchönſten
Zielen einen kleinen Stein unter dem rückſtehenden Fuß wegzuziehen, wie es eben zu geſchehen pflegt
in den Bergen und am eheſten, wenn es gilt, ſich dieſes Alpenkinds zu bemächtigen. Hat der Jäger
Glück, ſo ſieht er nach dem Schuſſe den kleinen Wicht todt herabkommen, und wenn den Leichnam nicht
eine barmherzige Felsſchrunde in ſich aufnimmt und begräbt, hält er den Prachtvogel wirklich in ſeiner
Hand.“
„Leichter freilich gelingt es, dieſen zu berücken, wenn er im Winter in tiefere Gegenden herab-
kommt. Wie alle Alpenvögel iſt auch der Mauerläufer ein Strichvogel. Er geht an ſonnigen Tagen
den Felshängen entlang bis über 10,000 Fuß unbedingter Höhe empor. Man hat ihn ſchon hier und
da mitten in den Gletſchern getroffen, an einem Felsblocke eifrig mit Kerbthierjagd beſchäftigt. Unter
den Alpengürtel hinab ſteigt er im Sommer nur ſelten, obwohl er zuweilen auch hier gefehen wird.
Wenn aber die Tage immer kürzer, die Nächte immer länger und kälter werden, wenn die Sonne des
kurzen Tages die langſame, aber ſtete Zunahme der Eisrinde nicht mehr zu verhindern vermag, dann
freilich bleibt auch dieſem Alpenbewohner nichts Anderes mehr übrig, als ſich allmählich in die tieferen,
wärmeren und geſchützteren Gürtel zurückzuziehen, da jede einigermaßen dicke Eiskruſte eine für ſeinen
zarten Schnabel unüberwindliche Scheidewand zwiſchen ihm und ſeiner Nahrung bildet. So kam er
im Winter von 1863 zu 64, welcher ſich durch ſeine ausdauernde große Kälte auszeichnete, wieder
einmal bis in unſere Stadt herunter. Jch beobachtete ihn häufig an den Nagelfluefelſen der Steinach-
ſchlucht unmittelbar vor der Stadt, ſowie an den Kirchthürmen und an altem Gemäuer, oft nahe über
dem Boden, und ich konnte ihn zuweilen in ſo großer Nähe betrachten, daß ich einen von ihnen,
welcher ſich flink und fröhlich an einem Felſen umhertrieb, buchſtäblich faſt mit der Hand hätte erreichen
können. Folgt aber eine kurze Reihe ſonniger Tage, ſo eilt er ſofort wieder höheren Gegenden zu,
und erſt die wiederkehrende Kälte bringt auch ihn in das Thal zurück.“
„Nur ganz kahle Felſen beklettert der Mauerläufer gern, und je wilder und pflanzenloſer ein
Alpengebiet, um ſo ſicherer iſt er dort zu finden. Breite Grasbänder, welche ſich den Hängen entlang
ziehen, beſucht er nur, um dort den Kerbthieren, überhaupt, um ſeiner Nahrung nachzugehen; ſonſt
überfliegt er ſie eiligſt und ſtrebt, ſobald als möglich, das nackte Geſtein zu erreichen. An Baum-
ſtämme geht er nie; ich ſah ihn auch niemals ſich auf Geſtrüpp oder aus den Felſen hervorragendes
Aſtwerk ſetzen. Er lebt nur in der Luſt und am ſteilen Felſen. Auch den Erdboden liebt er nicht.
Dort liegende Kerbthiere ſucht er wo möglich vom Felſen aus zu ergreifen, erreicht er aber trotz alles
Streckens und Wendens ſeinen Zweck auf dieſe Weiſe nicht, ſo fliegt er eilends zu, ſetzt ſich einen
Augenblick, ergreift die Beute und haftet im nächſten Augenblick ſchon wieder an der Wand, wo er
ſich nun erſt eine bequeme Stelle zur Verſpeiſung der geholten Nahrung ausſucht. Kleine Käfer,
welche ſich todt ſtellen und in der Hoffnung, an eine unerreichbare Stelle zu fallen, ſich über die Steine
hinunterrollen laſſen, Spinnen, die ſich in aller Eile an ihrem Rettungstau über die Felſen hin-
unter zu flüchten ſuchen, fängt er mit Leichtigkeit in der Luft auf, meiſt, ehe ſie nur einige Fuß tiefer
gelangt ſind.“
„Beim Aufklettern trägt er den Kopf ſtets gerade nach oben gerichtet und ſieht dann faſt ebenſo
kurzhälfig aus, wie der Kleiber. An überhängenden Stämmen beugt er ihn ſogar zurück, um den
zarten Schnabel nicht an vorſtehenden Steinen zu beſchädigen. Theils in einzelnen Sätzen, von denen
jeder durch einen gleichzeitigen Flügelſchlag unterſtützt wird und oft, beſonders bei großer Eile oder
Anſtrengung, von einem kurzen Kehlton begleitet wird, theils förmlich ſpringend, geht es nun mit
erſtaunlicher Schnelligkeit die ſteilſten Felswände, die höchſten Thürme hinauf. Nie ſtützt er ſich dabei
auf die Spitze der Schwungfedern, wie Dies oft gehört wird: hierzu wären dieſelben viel zu weich und
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/58>, abgerufen am 27.11.2024.
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