Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.Kleiber. nicht mit dem Finger ausbrechen kann, sondern den Meisel gebrauchen muß, wenn man sie sprengenwill. Das Eingangsloch, welches sich stets in der Mitte der Lehmwand befindet, ist kreisrund und so eng, daß ein Kleiber kaum durchkriechen kann. Jst das Nest einmal so weit fertig, dann ist es vor allen Raubthieren gesichert; nur die Spechte vermögen die Wand zu zerstören und thun es, wenn ihnen der Kleiber ihr Nestloch weggenommen hat. Jm Jahre 1819 hatte dieser kleine Vogel ein Schwarzspechtsloch für seine Brut eingerichtet. Kaum war er damit fertig, so kam das Schwarz- spechtspaar, um sein Nest zur neuen Brut zurecht zu machen. Das Weibchen näherte sich, staunte die Lehmwand an und zertrümmerte sie mit wenigen Schlägen. Ueberhaupt hat der Kleiber wegen der Behauptung seines Nestes, ehe dieses durch die Lehmwand gesichert ist, mit mehreren Vögeln zu kämpfen und muß ihnen oft weichen. So sah ich ein Kleiberpaar emsig bauen, aber noch ehe es das Eingangsloch verkleiben konnte, kamen ein paar Staaren und vertrieben die schwachen Spechtmeisen in kurzer Zeit." Die Vollendung des Baues scheint beiden Gatten große Freude zu machen. "Das Männchen sitzt", wie Päßler sagt, "in der Nähe der gewählten Nisthöhle und jauchzt seinen Paarungsruf in die Luft, während das Weibchen eifrig ein- und ausschlüpft." Man meint es ihnen aber auch anzumerken, daß sie nicht blos erfreut sind, sondern sich auch vollkommen sicher fühlen. So untersuchte Pralle ein Nest und klopfte, um sich zu vergewissern, ob es bewohnt sei, unten an den Stamm. Der Vogel kam mit halbem Leib aus dem Loche heraus, betrachtete den forschenden Postmeister eine Weile neugierig und schlüpfte dann mit dem Gefühl der vollsten Sicherheit wieder in das Jnnere zurück. Dieses Spiel wiederholte sich noch einigemale, und erst, als der Baum erstiegen wurde, flog er ab. "Das Nest", schließt mein Vater, "welches nach der Weite der Höhlung, in der es steht, bald Der Kleiber macht weder dem Schützen, noch dem Fänger große Mühe. Er geht ohne Umstände Kleiber. nicht mit dem Finger ausbrechen kann, ſondern den Meiſel gebrauchen muß, wenn man ſie ſprengenwill. Das Eingangsloch, welches ſich ſtets in der Mitte der Lehmwand befindet, iſt kreisrund und ſo eng, daß ein Kleiber kaum durchkriechen kann. Jſt das Neſt einmal ſo weit fertig, dann iſt es vor allen Raubthieren geſichert; nur die Spechte vermögen die Wand zu zerſtören und thun es, wenn ihnen der Kleiber ihr Neſtloch weggenommen hat. Jm Jahre 1819 hatte dieſer kleine Vogel ein Schwarzſpechtsloch für ſeine Brut eingerichtet. Kaum war er damit fertig, ſo kam das Schwarz- ſpechtspaar, um ſein Neſt zur neuen Brut zurecht zu machen. Das Weibchen näherte ſich, ſtaunte die Lehmwand an und zertrümmerte ſie mit wenigen Schlägen. Ueberhaupt hat der Kleiber wegen der Behauptung ſeines Neſtes, ehe dieſes durch die Lehmwand geſichert iſt, mit mehreren Vögeln zu kämpfen und muß ihnen oft weichen. So ſah ich ein Kleiberpaar emſig bauen, aber noch ehe es das Eingangsloch verkleiben konnte, kamen ein paar Staaren und vertrieben die ſchwachen Spechtmeiſen in kurzer Zeit.“ Die Vollendung des Baues ſcheint beiden Gatten große Freude zu machen. „Das Männchen ſitzt“, wie Päßler ſagt, „in der Nähe der gewählten Niſthöhle und jauchzt ſeinen Paarungsruf in die Luft, während das Weibchen eifrig ein- und ausſchlüpft.“ Man meint es ihnen aber auch anzumerken, daß ſie nicht blos erfreut ſind, ſondern ſich auch vollkommen ſicher fühlen. So unterſuchte Pralle ein Neſt und klopfte, um ſich zu vergewiſſern, ob es bewohnt ſei, unten an den Stamm. Der Vogel kam mit halbem Leib aus dem Loche heraus, betrachtete den forſchenden Poſtmeiſter eine Weile neugierig und ſchlüpfte dann mit dem Gefühl der vollſten Sicherheit wieder in das Jnnere zurück. Dieſes Spiel wiederholte ſich noch einigemale, und erſt, als der Baum erſtiegen wurde, flog er ab. „Das Neſt“, ſchließt mein Vater, „welches nach der Weite der Höhlung, in der es ſteht, bald Der Kleiber macht weder dem Schützen, noch dem Fänger große Mühe. Er geht ohne Umſtände <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053" n="41"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Kleiber.</hi></fw><lb/> nicht mit dem Finger ausbrechen kann, ſondern den Meiſel gebrauchen muß, wenn man ſie ſprengen<lb/> will. Das Eingangsloch, welches ſich ſtets in der Mitte der Lehmwand befindet, iſt kreisrund und ſo<lb/> eng, daß ein Kleiber kaum durchkriechen kann. 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Man ſollte denken, ſie müßten unter dem Wuſte<lb/> dieſer dünnen Schalenblättchen begraben werden.“ Auf dieſer ſchlechten Unterlage findet man in den<lb/> letzten Tagen des April oder in den erſten des Mai ſechs bis neun, auf kalk- oder milchweißem<lb/> Grunde äußerſt fein mit hell- oder dunklerrothen, bald ſchärfer gezeichneten, bald verwaſchenen<lb/> Pünktchen bezeichnete Eier, welche mit denen der Meiſen viele Aehnlichkeit haben. Das Weibchen<lb/> bebrütet ſie allein und zeitigt ſie in dreizehn bis vierzehn Tagen. Die Jungen werden von beiden<lb/> Eltern mit Kerbthieren, namentlich mit Raupen groß gefüttert, wachſen raſch heran, ſitzen aber ſo<lb/> lange im Neſte, bis ſie völlig fliegen können. Nach dem Ausfliegen halten ſie ſich noch längere Zeit<lb/> zu den Alten, von denen ſie ernährt, vor Gefahren gewarnt und unterrichtet werden. Nach der<lb/> Mauſer vertheilen ſie ſich.</p><lb/> <p>Der Kleiber macht weder dem Schützen, noch dem Fänger große Mühe. Er geht ohne Umſtände<lb/> in den Meiſenkaſten, wenn dieſer durch Hanf oder Hafer geködert wurde, kommt mit den Meiſen auf den<lb/> Meiſentanz, fängt ſich in Sprenkeln, auf Leimruthen oder auf dem Vogelherd und zufällig auch wohl<lb/> in den Zimmern der Häuſer, welche er unvorſichtiger Weiſe beſuchte. Der Verluſt der Freiheit ſcheint<lb/> ihn nicht zu ſchmerzen: er geht ohne weiteres an das Futter und macht wenig Anſprüche. Mit<lb/> Hafer friſtet er ſich ſein Leben, bei Hanf hält er ſich recht gut; doch muß man ihm, wenn man ſich<lb/> längere Zeit ſeiner erfreuen will, ein gemiſchtes Futter vorſetzen. Er iſt im kleinen Raum ſehr nett,<lb/> im größeren allerliebſt; denn er behält auch in der Gefangenſchaft die Anmuth ſeines Weſens bei.<lb/> Findet er geeignete Plätze, ſo benutzt er dieſe zu Vorrathskammern und ſtopft ſie bald mit allem<lb/> Möglichen voll. Die Haferkörner ſteckt er, wie <hi rendition="#g">Naumann</hi> beobachtete, allemal mit dem ſtumpfen<lb/> Ende in die Ritze, ſodaß die Spitze herausſteht. Damit ſpart er ſich die Mühe, wenn er eins ver-<lb/> zehren will, es erſt herauszunehmen: er geht blos hin und ſpelzt die feſtgeſteckten Körner aus,<lb/> wobei er ſie jederzeit am ſpitzen Ende zu öffnen pflegt. Mit andern Vögeln verträgt er ſich vor-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0053]
Kleiber.
nicht mit dem Finger ausbrechen kann, ſondern den Meiſel gebrauchen muß, wenn man ſie ſprengen
will. Das Eingangsloch, welches ſich ſtets in der Mitte der Lehmwand befindet, iſt kreisrund und ſo
eng, daß ein Kleiber kaum durchkriechen kann. Jſt das Neſt einmal ſo weit fertig, dann iſt es vor
allen Raubthieren geſichert; nur die Spechte vermögen die Wand zu zerſtören und thun es, wenn
ihnen der Kleiber ihr Neſtloch weggenommen hat. Jm Jahre 1819 hatte dieſer kleine Vogel ein
Schwarzſpechtsloch für ſeine Brut eingerichtet. Kaum war er damit fertig, ſo kam das Schwarz-
ſpechtspaar, um ſein Neſt zur neuen Brut zurecht zu machen. Das Weibchen näherte ſich, ſtaunte
die Lehmwand an und zertrümmerte ſie mit wenigen Schlägen. Ueberhaupt hat der Kleiber wegen
der Behauptung ſeines Neſtes, ehe dieſes durch die Lehmwand geſichert iſt, mit mehreren Vögeln zu
kämpfen und muß ihnen oft weichen. So ſah ich ein Kleiberpaar emſig bauen, aber noch ehe es das
Eingangsloch verkleiben konnte, kamen ein paar Staaren und vertrieben die ſchwachen Spechtmeiſen
in kurzer Zeit.“ Die Vollendung des Baues ſcheint beiden Gatten große Freude zu machen. „Das
Männchen ſitzt“, wie Päßler ſagt, „in der Nähe der gewählten Niſthöhle und jauchzt ſeinen
Paarungsruf in die Luft, während das Weibchen eifrig ein- und ausſchlüpft.“ Man meint es
ihnen aber auch anzumerken, daß ſie nicht blos erfreut ſind, ſondern ſich auch vollkommen ſicher fühlen.
So unterſuchte Pralle ein Neſt und klopfte, um ſich zu vergewiſſern, ob es bewohnt ſei, unten an
den Stamm. Der Vogel kam mit halbem Leib aus dem Loche heraus, betrachtete den forſchenden
Poſtmeiſter eine Weile neugierig und ſchlüpfte dann mit dem Gefühl der vollſten Sicherheit wieder in
das Jnnere zurück. Dieſes Spiel wiederholte ſich noch einigemale, und erſt, als der Baum erſtiegen
wurde, flog er ab.
„Das Neſt“, ſchließt mein Vater, „welches nach der Weite der Höhlung, in der es ſteht, bald
einen großen, bald einen kleinen Umfang hat, iſt ſtets von ſehr trockenen, leichten Stoffen gebaut. Jn
Laubhölzern beſteht es aus Stückchen von Buchen- und Eichenblättern, in Nadelwäldern immer aus
äußerſt dünnen Stückchen Kiefernſchale, welche, da ſie eng verbunden werden können, ſo locker über-
einander liegen, daß man kaum begreift, wie die Eier beim Aus- und Einfliegen des Vogels zuſammen
und oben auf den Schalen gehalten werden können. Man ſollte denken, ſie müßten unter dem Wuſte
dieſer dünnen Schalenblättchen begraben werden.“ Auf dieſer ſchlechten Unterlage findet man in den
letzten Tagen des April oder in den erſten des Mai ſechs bis neun, auf kalk- oder milchweißem
Grunde äußerſt fein mit hell- oder dunklerrothen, bald ſchärfer gezeichneten, bald verwaſchenen
Pünktchen bezeichnete Eier, welche mit denen der Meiſen viele Aehnlichkeit haben. Das Weibchen
bebrütet ſie allein und zeitigt ſie in dreizehn bis vierzehn Tagen. Die Jungen werden von beiden
Eltern mit Kerbthieren, namentlich mit Raupen groß gefüttert, wachſen raſch heran, ſitzen aber ſo
lange im Neſte, bis ſie völlig fliegen können. Nach dem Ausfliegen halten ſie ſich noch längere Zeit
zu den Alten, von denen ſie ernährt, vor Gefahren gewarnt und unterrichtet werden. Nach der
Mauſer vertheilen ſie ſich.
Der Kleiber macht weder dem Schützen, noch dem Fänger große Mühe. Er geht ohne Umſtände
in den Meiſenkaſten, wenn dieſer durch Hanf oder Hafer geködert wurde, kommt mit den Meiſen auf den
Meiſentanz, fängt ſich in Sprenkeln, auf Leimruthen oder auf dem Vogelherd und zufällig auch wohl
in den Zimmern der Häuſer, welche er unvorſichtiger Weiſe beſuchte. Der Verluſt der Freiheit ſcheint
ihn nicht zu ſchmerzen: er geht ohne weiteres an das Futter und macht wenig Anſprüche. Mit
Hafer friſtet er ſich ſein Leben, bei Hanf hält er ſich recht gut; doch muß man ihm, wenn man ſich
längere Zeit ſeiner erfreuen will, ein gemiſchtes Futter vorſetzen. Er iſt im kleinen Raum ſehr nett,
im größeren allerliebſt; denn er behält auch in der Gefangenſchaft die Anmuth ſeines Weſens bei.
Findet er geeignete Plätze, ſo benutzt er dieſe zu Vorrathskammern und ſtopft ſie bald mit allem
Möglichen voll. Die Haferkörner ſteckt er, wie Naumann beobachtete, allemal mit dem ſtumpfen
Ende in die Ritze, ſodaß die Spitze herausſteht. Damit ſpart er ſich die Mühe, wenn er eins ver-
zehren will, es erſt herauszunehmen: er geht blos hin und ſpelzt die feſtgeſteckten Körner aus,
wobei er ſie jederzeit am ſpitzen Ende zu öffnen pflegt. Mit andern Vögeln verträgt er ſich vor-
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