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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Baumwachtel.
welche so tief zu sein pflegt, daß sie den sitzenden Vogel fast vollständig aufnimmt. Wenn das um-
stehende Gras emporwächst, umhüllt und verdeckt es das Nest in erwünschter Weise und wölbt sich
zugleich an der Seite, welche zum Aus- und Einschlüpfen benutzt wird, zu einem thorartigen Aus-
gange. Die Eier sind rundlich, dünnschalig und reinweiß von Farbe oder auch wohl mit schwachen
lehmgelben Tüpfeln gezeichnet. Jhre Anzahl schwankt zwischen zwölf und zwanzig: man hat sogar
dreißig in einem und demselben Neste gefunden. Beide Eltern brüten, und das Männchen über-
nimmt noch außerdem das Amt eines treuen Wächters. Nach dreiundzwanzigtägiger Bebrütung
schlüpfen die niedlichen, auf rostbraunem Grunde lichtfahlbräunlich längsgestreiften, unten, mit Aus-
nahme der gelben Kehle, fahlgrauen Jungen aus, und nunmehr theilen sich beide Eltern in deren
Leitung und Pflege; wenigstens habe ich an Gefangenen beobachtet, daß sich der Hahn vom ersten Tage
ihres Daseins an mit ebensoviel Liebe und Zärtlichkeit ihrer annimmt wie die Henne. Beide Alten pflegen
sich dicht neben einander niederzulassen, gewöhnlich so, daß der Kopf des einen nach dieser, der des
andern nach jener Richtung sieht, und beide zusammen hudern in dieser Stellung die zahlreiche Brut.
Wenn die Familie umher läuft, geht der Vater regelmäßig voraus, weil er sich auch jetzt das Wächter-
amt nicht nehmen lassen will, und die Mutter mit den Kleinen folgt erst in einer gewissen Entfernung.
Stolzen Ganges schreitet jener dahin, und unablässig wendet er den Kopf bald nach einer, bald nach
der anderen Seite. Jeder harmlose Vogel, welchen er sieht, flößt ihm jetzt Beforgniß ein; aber sein Muth
ist ebenso groß wie seine Vorsorge für das Wohl der Kinder: er stürzt sich auf jeden Gegner, welchem
er gewachsen zu sein glaubt, in der Absicht, den Weg frei zu halten. Eine solche Familie dieser
schmucken Vögel gewährt ein überaus anziehendes Bild! Bei wirklicher Gefahr gibt sich der Vater
dem Feinde preis, und während er ihn beschäftigt, schafft die Mutter die Kinderschar in Sicherheit.
Schon in der dritten Woche ihres Lebens vermögen die Baumwachteln sich flatternd zu erheben, und
sobald sie Dies können, vermindern sich die Gefahren, welche sie bedrohen; denn jetzt stiebt beim Er-
scheinen eines Feindes das ganze Volk aus einander, und jedes einzelne Küchlein rennt und flattert
weiter, einem sichern Zufluchtsorte zu, während die Eltern nach wie vor ihre Verstellungskünste treiben.
Später bäumt die plötzlich erschreckte Familie regelmäßig, sofern Bäume in der Nähe stehen.

Einige Schriftsteller glauben, daß die Baumwachtel zweimal im Jahre brütet; es scheint mir
jedoch aus der Schilderung der andern hervorzugehen, daß Dies nur dann geschieht, wenn die erste
Brut zu Grunde ging. Ein Freund von Wilson hat die Baumwachteln auch als treue Pflegeeltern
kennen gelernt. Er machte sich den Spaß, in eins ihrer Nester mehrere Hühnereier zu legen; diese
wurden trotz ihrer Größe eifrig bebrütet, und alle Jungen kamen aus. Der Beobachter überraschte
die Familie später in verschiedenen Theilen seines Geweses und bemerkte bald, daß die jungen Haus-
hennen unter Leitung der Baumwachteln alle Scheu und Vorsicht junger Rebhühner annahmen, bei
der geringsten Gefahr laufend flüchteten, sich gelegener Zeit platt auf die Erde drückten und sich ganz
wie wilde Vögel geberdeten. Leider wurden diese Jungen bald die Beute der Raubthiere oder mord-
süchtiger Jäger.

Während des Sommers nährt sich die Baumwachtel von Kerbthieren und allerlei Pflanzenstoffen,
namentlich auch von Getreidekörnern; im Herbste bilden letztere die hauptsächlichste Speise. So
lange die Fluren grün sind, lebt Alt und Jung herrlich und in Freuden; wenn aber der Winter ein-
tritt, leidet auch dieses Huhn oft bittere Noth, und dann geschieht es, daß es sich zum Wandern nach
südlicheren Gegenden entschließen muß. Auf solchen Reisen finden viele den Untergang: denn das
Raubzeug ist ihnen ununterbrochen auf den Fersen, und der Mensch setzt alle Mittel in Bewegung, um
sich des leckern Wildprets zu bemächtigen. An den Ufern der großen Ströme siedeln sich schon im
Oktober Tausende von Baumwachteln an, alle Gebüsche belebend und tagtäglich von einem Ufer zum
andern schweifend, wobei gar manche in den Wellen ihren Tod findet. Später verlassen sie diese be-
liebten Zufluchtsorte und kommen auf die befahrenen Straßen, um hier den Mist der Pferde zu durch-
suchen, und endlich, wenn tiefer Schnee ihnen draußen überall den Tisch verdeckt, erscheinen sie, getrieben
vom Hunger, in unmittelbarer Nähe der Ansiedelungen, ja selbst inmitten des Gehöftes, mischen

Baumwachtel.
welche ſo tief zu ſein pflegt, daß ſie den ſitzenden Vogel faſt vollſtändig aufnimmt. Wenn das um-
ſtehende Gras emporwächſt, umhüllt und verdeckt es das Neſt in erwünſchter Weiſe und wölbt ſich
zugleich an der Seite, welche zum Aus- und Einſchlüpfen benutzt wird, zu einem thorartigen Aus-
gange. Die Eier ſind rundlich, dünnſchalig und reinweiß von Farbe oder auch wohl mit ſchwachen
lehmgelben Tüpfeln gezeichnet. Jhre Anzahl ſchwankt zwiſchen zwölf und zwanzig: man hat ſogar
dreißig in einem und demſelben Neſte gefunden. Beide Eltern brüten, und das Männchen über-
nimmt noch außerdem das Amt eines treuen Wächters. Nach dreiundzwanzigtägiger Bebrütung
ſchlüpfen die niedlichen, auf roſtbraunem Grunde lichtfahlbräunlich längsgeſtreiften, unten, mit Aus-
nahme der gelben Kehle, fahlgrauen Jungen aus, und nunmehr theilen ſich beide Eltern in deren
Leitung und Pflege; wenigſtens habe ich an Gefangenen beobachtet, daß ſich der Hahn vom erſten Tage
ihres Daſeins an mit ebenſoviel Liebe und Zärtlichkeit ihrer annimmt wie die Henne. Beide Alten pflegen
ſich dicht neben einander niederzulaſſen, gewöhnlich ſo, daß der Kopf des einen nach dieſer, der des
andern nach jener Richtung ſieht, und beide zuſammen hudern in dieſer Stellung die zahlreiche Brut.
Wenn die Familie umher läuft, geht der Vater regelmäßig voraus, weil er ſich auch jetzt das Wächter-
amt nicht nehmen laſſen will, und die Mutter mit den Kleinen folgt erſt in einer gewiſſen Entfernung.
Stolzen Ganges ſchreitet jener dahin, und unabläſſig wendet er den Kopf bald nach einer, bald nach
der anderen Seite. Jeder harmloſe Vogel, welchen er ſieht, flößt ihm jetzt Beforgniß ein; aber ſein Muth
iſt ebenſo groß wie ſeine Vorſorge für das Wohl der Kinder: er ſtürzt ſich auf jeden Gegner, welchem
er gewachſen zu ſein glaubt, in der Abſicht, den Weg frei zu halten. Eine ſolche Familie dieſer
ſchmucken Vögel gewährt ein überaus anziehendes Bild! Bei wirklicher Gefahr gibt ſich der Vater
dem Feinde preis, und während er ihn beſchäftigt, ſchafft die Mutter die Kinderſchar in Sicherheit.
Schon in der dritten Woche ihres Lebens vermögen die Baumwachteln ſich flatternd zu erheben, und
ſobald ſie Dies können, vermindern ſich die Gefahren, welche ſie bedrohen; denn jetzt ſtiebt beim Er-
ſcheinen eines Feindes das ganze Volk aus einander, und jedes einzelne Küchlein rennt und flattert
weiter, einem ſichern Zufluchtsorte zu, während die Eltern nach wie vor ihre Verſtellungskünſte treiben.
Später bäumt die plötzlich erſchreckte Familie regelmäßig, ſofern Bäume in der Nähe ſtehen.

Einige Schriftſteller glauben, daß die Baumwachtel zweimal im Jahre brütet; es ſcheint mir
jedoch aus der Schilderung der andern hervorzugehen, daß Dies nur dann geſchieht, wenn die erſte
Brut zu Grunde ging. Ein Freund von Wilſon hat die Baumwachteln auch als treue Pflegeeltern
kennen gelernt. Er machte ſich den Spaß, in eins ihrer Neſter mehrere Hühnereier zu legen; dieſe
wurden trotz ihrer Größe eifrig bebrütet, und alle Jungen kamen aus. Der Beobachter überraſchte
die Familie ſpäter in verſchiedenen Theilen ſeines Geweſes und bemerkte bald, daß die jungen Haus-
hennen unter Leitung der Baumwachteln alle Scheu und Vorſicht junger Rebhühner annahmen, bei
der geringſten Gefahr laufend flüchteten, ſich gelegener Zeit platt auf die Erde drückten und ſich ganz
wie wilde Vögel geberdeten. Leider wurden dieſe Jungen bald die Beute der Raubthiere oder mord-
ſüchtiger Jäger.

Während des Sommers nährt ſich die Baumwachtel von Kerbthieren und allerlei Pflanzenſtoffen,
namentlich auch von Getreidekörnern; im Herbſte bilden letztere die hauptſächlichſte Speiſe. So
lange die Fluren grün ſind, lebt Alt und Jung herrlich und in Freuden; wenn aber der Winter ein-
tritt, leidet auch dieſes Huhn oft bittere Noth, und dann geſchieht es, daß es ſich zum Wandern nach
ſüdlicheren Gegenden entſchließen muß. Auf ſolchen Reiſen finden viele den Untergang: denn das
Raubzeug iſt ihnen ununterbrochen auf den Ferſen, und der Menſch ſetzt alle Mittel in Bewegung, um
ſich des leckern Wildprets zu bemächtigen. An den Ufern der großen Ströme ſiedeln ſich ſchon im
Oktober Tauſende von Baumwachteln an, alle Gebüſche belebend und tagtäglich von einem Ufer zum
andern ſchweifend, wobei gar manche in den Wellen ihren Tod findet. Später verlaſſen ſie dieſe be-
liebten Zufluchtsorte und kommen auf die befahrenen Straßen, um hier den Miſt der Pferde zu durch-
ſuchen, und endlich, wenn tiefer Schnee ihnen draußen überall den Tiſch verdeckt, erſcheinen ſie, getrieben
vom Hunger, in unmittelbarer Nähe der Anſiedelungen, ja ſelbſt inmitten des Gehöftes, miſchen

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[411/0439] Baumwachtel. welche ſo tief zu ſein pflegt, daß ſie den ſitzenden Vogel faſt vollſtändig aufnimmt. Wenn das um- ſtehende Gras emporwächſt, umhüllt und verdeckt es das Neſt in erwünſchter Weiſe und wölbt ſich zugleich an der Seite, welche zum Aus- und Einſchlüpfen benutzt wird, zu einem thorartigen Aus- gange. Die Eier ſind rundlich, dünnſchalig und reinweiß von Farbe oder auch wohl mit ſchwachen lehmgelben Tüpfeln gezeichnet. Jhre Anzahl ſchwankt zwiſchen zwölf und zwanzig: man hat ſogar dreißig in einem und demſelben Neſte gefunden. Beide Eltern brüten, und das Männchen über- nimmt noch außerdem das Amt eines treuen Wächters. Nach dreiundzwanzigtägiger Bebrütung ſchlüpfen die niedlichen, auf roſtbraunem Grunde lichtfahlbräunlich längsgeſtreiften, unten, mit Aus- nahme der gelben Kehle, fahlgrauen Jungen aus, und nunmehr theilen ſich beide Eltern in deren Leitung und Pflege; wenigſtens habe ich an Gefangenen beobachtet, daß ſich der Hahn vom erſten Tage ihres Daſeins an mit ebenſoviel Liebe und Zärtlichkeit ihrer annimmt wie die Henne. Beide Alten pflegen ſich dicht neben einander niederzulaſſen, gewöhnlich ſo, daß der Kopf des einen nach dieſer, der des andern nach jener Richtung ſieht, und beide zuſammen hudern in dieſer Stellung die zahlreiche Brut. Wenn die Familie umher läuft, geht der Vater regelmäßig voraus, weil er ſich auch jetzt das Wächter- amt nicht nehmen laſſen will, und die Mutter mit den Kleinen folgt erſt in einer gewiſſen Entfernung. Stolzen Ganges ſchreitet jener dahin, und unabläſſig wendet er den Kopf bald nach einer, bald nach der anderen Seite. Jeder harmloſe Vogel, welchen er ſieht, flößt ihm jetzt Beforgniß ein; aber ſein Muth iſt ebenſo groß wie ſeine Vorſorge für das Wohl der Kinder: er ſtürzt ſich auf jeden Gegner, welchem er gewachſen zu ſein glaubt, in der Abſicht, den Weg frei zu halten. Eine ſolche Familie dieſer ſchmucken Vögel gewährt ein überaus anziehendes Bild! Bei wirklicher Gefahr gibt ſich der Vater dem Feinde preis, und während er ihn beſchäftigt, ſchafft die Mutter die Kinderſchar in Sicherheit. Schon in der dritten Woche ihres Lebens vermögen die Baumwachteln ſich flatternd zu erheben, und ſobald ſie Dies können, vermindern ſich die Gefahren, welche ſie bedrohen; denn jetzt ſtiebt beim Er- ſcheinen eines Feindes das ganze Volk aus einander, und jedes einzelne Küchlein rennt und flattert weiter, einem ſichern Zufluchtsorte zu, während die Eltern nach wie vor ihre Verſtellungskünſte treiben. Später bäumt die plötzlich erſchreckte Familie regelmäßig, ſofern Bäume in der Nähe ſtehen. Einige Schriftſteller glauben, daß die Baumwachtel zweimal im Jahre brütet; es ſcheint mir jedoch aus der Schilderung der andern hervorzugehen, daß Dies nur dann geſchieht, wenn die erſte Brut zu Grunde ging. Ein Freund von Wilſon hat die Baumwachteln auch als treue Pflegeeltern kennen gelernt. Er machte ſich den Spaß, in eins ihrer Neſter mehrere Hühnereier zu legen; dieſe wurden trotz ihrer Größe eifrig bebrütet, und alle Jungen kamen aus. Der Beobachter überraſchte die Familie ſpäter in verſchiedenen Theilen ſeines Geweſes und bemerkte bald, daß die jungen Haus- hennen unter Leitung der Baumwachteln alle Scheu und Vorſicht junger Rebhühner annahmen, bei der geringſten Gefahr laufend flüchteten, ſich gelegener Zeit platt auf die Erde drückten und ſich ganz wie wilde Vögel geberdeten. Leider wurden dieſe Jungen bald die Beute der Raubthiere oder mord- ſüchtiger Jäger. Während des Sommers nährt ſich die Baumwachtel von Kerbthieren und allerlei Pflanzenſtoffen, namentlich auch von Getreidekörnern; im Herbſte bilden letztere die hauptſächlichſte Speiſe. So lange die Fluren grün ſind, lebt Alt und Jung herrlich und in Freuden; wenn aber der Winter ein- tritt, leidet auch dieſes Huhn oft bittere Noth, und dann geſchieht es, daß es ſich zum Wandern nach ſüdlicheren Gegenden entſchließen muß. Auf ſolchen Reiſen finden viele den Untergang: denn das Raubzeug iſt ihnen ununterbrochen auf den Ferſen, und der Menſch ſetzt alle Mittel in Bewegung, um ſich des leckern Wildprets zu bemächtigen. An den Ufern der großen Ströme ſiedeln ſich ſchon im Oktober Tauſende von Baumwachteln an, alle Gebüſche belebend und tagtäglich von einem Ufer zum andern ſchweifend, wobei gar manche in den Wellen ihren Tod findet. Später verlaſſen ſie dieſe be- liebten Zufluchtsorte und kommen auf die befahrenen Straßen, um hier den Miſt der Pferde zu durch- ſuchen, und endlich, wenn tiefer Schnee ihnen draußen überall den Tiſch verdeckt, erſcheinen ſie, getrieben vom Hunger, in unmittelbarer Nähe der Anſiedelungen, ja ſelbſt inmitten des Gehöftes, miſchen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/439>, abgerufen am 18.05.2024.