an den Stamm der Eiche, welches erst Ende Junis seine Knospen zu Blättern entfalten kann und die kleinen freundlichen Blätter schon Ende Septembers oder Mitte Oktobers wieder von Schnee begraben lassen muß, die Saalweiden, welche hier ebenfalls verkrüppeln, die Rausch-, die Heidel-, die Mosbeere u. a. Die Renthierflechte bleibt aber unter allen Umständen der hervorragendste Theil der Pflanzenwelt da oben und verleiht dem Gebirge auf Meilen hin jenen gilblichschneeigen Schimmer, welchen man selbst gesehen haben muß, um sich von seiner Wirkung in der nach den Tageszeiten so wechselvollen Beleuchtung der Sonne eine Vorstellung machen zu können.
Ein solches Stück Erde war es, welches vor uns sich ausbreitete. Hunderte und Tausende von Bächen und Rinnsalen zerrissen den fahlen gilblichen Teppich, welchen die Flechte auf das Geröll gelegt hatte, hier und da zu einer größeren Lache sich ausbreitend, auch wohl zu einem kleinen See sich vereinigend. Das Gestrüpp der Zwergbirke säumte die Ufer und trat wohl auch an einzelnen Stellen zu einem Dickicht zusammen. Auf der Hochebene selbst war der Frühling bereits ein- gezogen; an den sie einschließenden Berglehnen hingegen hielten ausgedehnte hartkrustige Schneefelder den Winter noch fest.
Diesen Berglehnen und Schneefeldern wandten wir uns zu, schweigsam, erwartungsvoll und auf die verschiedenen Stimmen, welche um uns her laut wurden, mit Aufmerksamkeit und Wohl- gefallen hörend. Etwa vierhundert Schritte mochten wir in dieser Weise zurückgelegt haben, da blieb unser Führer stehen und lauschte und äugte wie ein Luchs in die Dämmerung hinaus: er spürte. Daß seine Aufmerksamkeit nicht den erwähnten Vögeln galt, wußten wir; von dem Vor- handensein anderer Thiere aber konnten wir nicht das Geringste wahrnehmen. Unser Jäger jedoch mußte seiner Sache wohl sicher sein; denn er begann, nachdem er uns Schweigen geboten, mit dem erwarteten Wilde zu reden, indem er mit eigenthümlicher Betonung einige Male hinter einander die Silben "Djiak, djiak, dji-ak, dji-ak" ausrief. Unmittelbar nach seinem Lockrufe hörten wir in der Ferne das Geräusch eines aufstehenden Huhnes, und in demselben Augenblicke vernahmen wir auch einen schallenden Ruf, welcher ungefähr wie "Err-reck-eck-eck-eck" klang. Dann ward wieder Alles still. Aber der Alte begann von neuem zu locken, immer schmachtender, schmelzender, hingebender, verführerischer, und ich merkte jetzt, daß er die Liebeslaute des Weibchens jenes Hühnervogels nachahmte. Auf das "Djiak", welches den liebesglühenden Hahn aufgerührt hatte, folgte jetzt ein zartes, verlangendes und Gewährung verheißendes "Gu, gu, gu, gurr"; der erregte Hahn antwortete in demselben Augenblicke, das Flügelgeräusch wurde stärker, wir fielen hinter den Büschen nieder: und unmittelbar vor uns, auf biendender Schneefläche, stand ein Hahn in voller Balze. Es war ein Anblick zum Entzücken! Aber das Jägerfeuer war doch mächtiger als der Wunsch des Forschers, solch Schauspiel zu genießen. Ehe ich noch wußte, wie, war das treu erprobte Gewehr an der Wange, und bevor der Hahn noch einen Laut von sich gegeben, wälzte er sich bereits in seinem Blute.
Der Knall des Schusses erweckte den Wiederhall, aber auch die Stimmen aller gefiederten Bewohner unseres Gebietes. Von den Bergen hernieder und von der Thalsohle herauf ließen sich Stimmen vernehmen; wenige Schritte vor uns rauschte eine Entenschar vom Wasser auf; ein auf- gescheuchter Kukuk flog durch das Dämmerungsdunkel an uns vorüber; Regenpfeifer und Strand- läufer trillerten und flöteten. Allmählich wurde es wieder ruhig, und wir setzten unsern Weg fort, den aufgenommenen Hahn mit Waidmannslust betrachtend. Schon wenige hundert Schritte weiter ließ der Alte wieder seine verführerischen Laute hören, und diesmal antworteten, anstatt eines Hahnes, deren zwei. Ganz wie vorhin wurde der hitzigste von ihnen herbeigezaubert; jetzt aber gönnte ich mir die Freude der Beobachtung.
Am entgegengesetzten Ende des Schneefeldes fiel der stolze Vogel ein, betrat leichten Ganges die Bühne und lief gerade auf uns zu. Es war noch hell genug, daß wir ihn schon in der Ferne deutlich wahrnehmen konnten. Aber der liebesrasende Gesell dachte gar nicht an Gefahr und kam näher und näher, bis auf einige Schritt an uns heran. Das Spiel halb erhoben, die Fittige gesenkt, den
Die Läufer. Scharrvögel. Rauchfußhühner.
an den Stamm der Eiche, welches erſt Ende Junis ſeine Knospen zu Blättern entfalten kann und die kleinen freundlichen Blätter ſchon Ende Septembers oder Mitte Oktobers wieder von Schnee begraben laſſen muß, die Saalweiden, welche hier ebenfalls verkrüppeln, die Rauſch-, die Heidel-, die Mosbeere u. a. Die Renthierflechte bleibt aber unter allen Umſtänden der hervorragendſte Theil der Pflanzenwelt da oben und verleiht dem Gebirge auf Meilen hin jenen gilblichſchneeigen Schimmer, welchen man ſelbſt geſehen haben muß, um ſich von ſeiner Wirkung in der nach den Tageszeiten ſo wechſelvollen Beleuchtung der Sonne eine Vorſtellung machen zu können.
Ein ſolches Stück Erde war es, welches vor uns ſich ausbreitete. Hunderte und Tauſende von Bächen und Rinnſalen zerriſſen den fahlen gilblichen Teppich, welchen die Flechte auf das Geröll gelegt hatte, hier und da zu einer größeren Lache ſich ausbreitend, auch wohl zu einem kleinen See ſich vereinigend. Das Geſtrüpp der Zwergbirke ſäumte die Ufer und trat wohl auch an einzelnen Stellen zu einem Dickicht zuſammen. Auf der Hochebene ſelbſt war der Frühling bereits ein- gezogen; an den ſie einſchließenden Berglehnen hingegen hielten ausgedehnte hartkruſtige Schneefelder den Winter noch feſt.
Dieſen Berglehnen und Schneefeldern wandten wir uns zu, ſchweigſam, erwartungsvoll und auf die verſchiedenen Stimmen, welche um uns her laut wurden, mit Aufmerkſamkeit und Wohl- gefallen hörend. Etwa vierhundert Schritte mochten wir in dieſer Weiſe zurückgelegt haben, da blieb unſer Führer ſtehen und lauſchte und äugte wie ein Luchs in die Dämmerung hinaus: er ſpürte. Daß ſeine Aufmerkſamkeit nicht den erwähnten Vögeln galt, wußten wir; von dem Vor- handenſein anderer Thiere aber konnten wir nicht das Geringſte wahrnehmen. Unſer Jäger jedoch mußte ſeiner Sache wohl ſicher ſein; denn er begann, nachdem er uns Schweigen geboten, mit dem erwarteten Wilde zu reden, indem er mit eigenthümlicher Betonung einige Male hinter einander die Silben „Djiak, djiak, dji-ak, dji-ak“ ausrief. Unmittelbar nach ſeinem Lockrufe hörten wir in der Ferne das Geräuſch eines aufſtehenden Huhnes, und in demſelben Augenblicke vernahmen wir auch einen ſchallenden Ruf, welcher ungefähr wie „Err-reck-eck-eck-eck“ klang. Dann ward wieder Alles ſtill. Aber der Alte begann von neuem zu locken, immer ſchmachtender, ſchmelzender, hingebender, verführeriſcher, und ich merkte jetzt, daß er die Liebeslaute des Weibchens jenes Hühnervogels nachahmte. Auf das „Djiak“, welches den liebesglühenden Hahn aufgerührt hatte, folgte jetzt ein zartes, verlangendes und Gewährung verheißendes „Gu, gu, gu, gurr“; der erregte Hahn antwortete in demſelben Augenblicke, das Flügelgeräuſch wurde ſtärker, wir fielen hinter den Büſchen nieder: und unmittelbar vor uns, auf biendender Schneefläche, ſtand ein Hahn in voller Balze. Es war ein Anblick zum Entzücken! Aber das Jägerfeuer war doch mächtiger als der Wunſch des Forſchers, ſolch Schauſpiel zu genießen. Ehe ich noch wußte, wie, war das treu erprobte Gewehr an der Wange, und bevor der Hahn noch einen Laut von ſich gegeben, wälzte er ſich bereits in ſeinem Blute.
Der Knall des Schuſſes erweckte den Wiederhall, aber auch die Stimmen aller gefiederten Bewohner unſeres Gebietes. Von den Bergen hernieder und von der Thalſohle herauf ließen ſich Stimmen vernehmen; wenige Schritte vor uns rauſchte eine Entenſchar vom Waſſer auf; ein auf- geſcheuchter Kukuk flog durch das Dämmerungsdunkel an uns vorüber; Regenpfeifer und Strand- läufer trillerten und flöteten. Allmählich wurde es wieder ruhig, und wir ſetzten unſern Weg fort, den aufgenommenen Hahn mit Waidmannsluſt betrachtend. Schon wenige hundert Schritte weiter ließ der Alte wieder ſeine verführeriſchen Laute hören, und diesmal antworteten, anſtatt eines Hahnes, deren zwei. Ganz wie vorhin wurde der hitzigſte von ihnen herbeigezaubert; jetzt aber gönnte ich mir die Freude der Beobachtung.
Am entgegengeſetzten Ende des Schneefeldes fiel der ſtolze Vogel ein, betrat leichten Ganges die Bühne und lief gerade auf uns zu. Es war noch hell genug, daß wir ihn ſchon in der Ferne deutlich wahrnehmen konnten. Aber der liebesraſende Geſell dachte gar nicht an Gefahr und kam näher und näher, bis auf einige Schritt an uns heran. Das Spiel halb erhoben, die Fittige geſenkt, den
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[368/0396]
Die Läufer. Scharrvögel. Rauchfußhühner.
an den Stamm der Eiche, welches erſt Ende Junis ſeine Knospen zu Blättern entfalten kann und
die kleinen freundlichen Blätter ſchon Ende Septembers oder Mitte Oktobers wieder von Schnee
begraben laſſen muß, die Saalweiden, welche hier ebenfalls verkrüppeln, die Rauſch-, die Heidel-,
die Mosbeere u. a. Die Renthierflechte bleibt aber unter allen Umſtänden der hervorragendſte
Theil der Pflanzenwelt da oben und verleiht dem Gebirge auf Meilen hin jenen gilblichſchneeigen
Schimmer, welchen man ſelbſt geſehen haben muß, um ſich von ſeiner Wirkung in der nach den
Tageszeiten ſo wechſelvollen Beleuchtung der Sonne eine Vorſtellung machen zu können.
Ein ſolches Stück Erde war es, welches vor uns ſich ausbreitete. Hunderte und Tauſende von
Bächen und Rinnſalen zerriſſen den fahlen gilblichen Teppich, welchen die Flechte auf das Geröll
gelegt hatte, hier und da zu einer größeren Lache ſich ausbreitend, auch wohl zu einem kleinen See
ſich vereinigend. Das Geſtrüpp der Zwergbirke ſäumte die Ufer und trat wohl auch an einzelnen
Stellen zu einem Dickicht zuſammen. Auf der Hochebene ſelbſt war der Frühling bereits ein-
gezogen; an den ſie einſchließenden Berglehnen hingegen hielten ausgedehnte hartkruſtige Schneefelder
den Winter noch feſt.
Dieſen Berglehnen und Schneefeldern wandten wir uns zu, ſchweigſam, erwartungsvoll und
auf die verſchiedenen Stimmen, welche um uns her laut wurden, mit Aufmerkſamkeit und Wohl-
gefallen hörend. Etwa vierhundert Schritte mochten wir in dieſer Weiſe zurückgelegt haben, da
blieb unſer Führer ſtehen und lauſchte und äugte wie ein Luchs in die Dämmerung hinaus: er
ſpürte. Daß ſeine Aufmerkſamkeit nicht den erwähnten Vögeln galt, wußten wir; von dem Vor-
handenſein anderer Thiere aber konnten wir nicht das Geringſte wahrnehmen. Unſer Jäger jedoch
mußte ſeiner Sache wohl ſicher ſein; denn er begann, nachdem er uns Schweigen geboten, mit dem
erwarteten Wilde zu reden, indem er mit eigenthümlicher Betonung einige Male hinter einander die
Silben „Djiak, djiak, dji-ak, dji-ak“ ausrief. Unmittelbar nach ſeinem Lockrufe hörten wir in
der Ferne das Geräuſch eines aufſtehenden Huhnes, und in demſelben Augenblicke vernahmen wir
auch einen ſchallenden Ruf, welcher ungefähr wie „Err-reck-eck-eck-eck“ klang. Dann
ward wieder Alles ſtill. Aber der Alte begann von neuem zu locken, immer ſchmachtender,
ſchmelzender, hingebender, verführeriſcher, und ich merkte jetzt, daß er die Liebeslaute des Weibchens
jenes Hühnervogels nachahmte. Auf das „Djiak“, welches den liebesglühenden Hahn aufgerührt
hatte, folgte jetzt ein zartes, verlangendes und Gewährung verheißendes „Gu, gu, gu, gurr“; der
erregte Hahn antwortete in demſelben Augenblicke, das Flügelgeräuſch wurde ſtärker, wir fielen
hinter den Büſchen nieder: und unmittelbar vor uns, auf biendender Schneefläche, ſtand ein Hahn
in voller Balze. Es war ein Anblick zum Entzücken! Aber das Jägerfeuer war doch mächtiger
als der Wunſch des Forſchers, ſolch Schauſpiel zu genießen. Ehe ich noch wußte, wie, war das
treu erprobte Gewehr an der Wange, und bevor der Hahn noch einen Laut von ſich gegeben, wälzte
er ſich bereits in ſeinem Blute.
Der Knall des Schuſſes erweckte den Wiederhall, aber auch die Stimmen aller gefiederten
Bewohner unſeres Gebietes. Von den Bergen hernieder und von der Thalſohle herauf ließen ſich
Stimmen vernehmen; wenige Schritte vor uns rauſchte eine Entenſchar vom Waſſer auf; ein auf-
geſcheuchter Kukuk flog durch das Dämmerungsdunkel an uns vorüber; Regenpfeifer und Strand-
läufer trillerten und flöteten. Allmählich wurde es wieder ruhig, und wir ſetzten unſern Weg fort,
den aufgenommenen Hahn mit Waidmannsluſt betrachtend. Schon wenige hundert Schritte weiter
ließ der Alte wieder ſeine verführeriſchen Laute hören, und diesmal antworteten, anſtatt eines
Hahnes, deren zwei. Ganz wie vorhin wurde der hitzigſte von ihnen herbeigezaubert; jetzt aber gönnte
ich mir die Freude der Beobachtung.
Am entgegengeſetzten Ende des Schneefeldes fiel der ſtolze Vogel ein, betrat leichten Ganges die
Bühne und lief gerade auf uns zu. Es war noch hell genug, daß wir ihn ſchon in der Ferne deutlich
wahrnehmen konnten. Aber der liebesraſende Geſell dachte gar nicht an Gefahr und kam näher
und näher, bis auf einige Schritt an uns heran. Das Spiel halb erhoben, die Fittige geſenkt, den
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/396>, abgerufen am 25.11.2024.
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