laut Tschudi, ebensosehr die gebirgigen Oberwälder als den mittleren Waldgürtel, und geht gern bis an die Grenze des Holzwuchses empor, wo es dann die Lichtungen mit dichtem Haidekraut oder Heidel- und Brombeerbüschen und endlich auch die Dickichte der Legföhren, welche ihm guten Schutz gewähren, aufsucht. "Das birkhuhnreichste Gebiet der Schweiz ist ohne Zweifel Graubünden und hier wieder das mit düsterem Bergwald und finsteren Flühen ausgekleidete Val Mingen, ein selten besuchter Seitenarm des Val da Scarl (Unterengadin). Jn den struppigen Leg- und Berg- kiefern und Arvenbüschen jener Gegend hört man die Hähne im Frühling von allen Seiten balzen." Auf den bayerschen Alpen und in den dichten Mösern oder Mooren ist das Birkgeflügel ebenfalls überall zu Hause: auf den Filzen von Weilheim, Diessen, Rosenheim, Reichenhall u. s. w. kann man im Spätherbst und im Winter, laut Kobell, oft achtzig bis hundert Hähne beisammen sehen. Jn Menge bewohnt es Standinavien von Nordschonen an, und zwar alle Waldungen bis zum Alpengürtel empor. Dasselbe gilt, wie wir durch Radde erfahren, für die Waldungen des südöstlichen Sibiriens. Jn der Gegend des nordöstlichen Baikalufers stieß dieser Naturforscher während seiner Reise fast täglich auf brütende Weibchen oder später auf Birkhuhnketten und erfuhr, daß im Gebiet des unteren Bureja während der Monate Oktober und November von einem einzelnen Kosakenposten gewiß gegen zweitausend Birkhühner erlegt und gefangen worden waren. Weiter oben im Norden des Festlandes der alten Erde nimmt der Vogel jedoch an Anzahl ab.
Jm mittleren Deutschland ist das Birkhuhn ein Standvogel, wenn auch vielleicht nicht im strengsten Sinne; auf dem Hochgebirge und im Norden aber tritt es ziemlich regelmäßige Wanderungen an. So verläßt es, laut Tschudi, in der Schweiz zweimal im Jahre seinen Wohnort und fliegt umher. Jm Simmenthal hat man beobachtet, daß es im Spätherbst ziemlich regelmäßig nach den walliser Bergen hinüberstreicht. Viele von den Wandernden finden sich gar nicht wieder zurück in ihre eigentliche Heimat, werden verschlagen und gerathen in fremdes Gebiet. Jn den nördlichen Gegenden werden diese Wanderungen regelmäßiger; es ziehen sich z. B. die Birkhühner, welche in der Höhe wohnen, nach tieferen geschützten Stellen zurück. Radde erfuhr, daß unsere Vögel im Winter in großen Scharen vom Apfelgebirge zum mittleren Onon wandern und hier auf den Jnseln, welche mit Weiden- und Balsampappeln bestanden sind, der reichlichen Nahrung halber Herberge nehmen. Gleiche Wanderungen lassen sich für das mittlere Amurland nachweisen; doch ist es noch nicht festgestellt, ob sie alljährlich stattfinden.
"Das Birkhuhn", sagt mein Vater, "ist zwar auch schwerfällig, wie das Auerhuhn, aber in allen seinen Bewegungen gewandter. Es läuft schneller als das Auerhuhn und trägt dabei den Leib wenig nach hinten gesenkt und den Hals vorgelegt. Auf den Bäumen ist seine Stellung bald aufgerichtet, bald wagrecht; der Hals wird bald eingezogen, bald in die Höhe gestreckt. Es steht lieber auf Laub- als auf Nadelbäumen und ist weit öfter auf dem Boden als das Auerhuhn. Ungeachtet der kurzen Schwingen ist sein Flug doch sehr gut, geht geradeaus, mit ungemein schnellem Flügelschlage und oft ganze Strecken in einem Zuge fort. Er rauscht zwar auch, aber weit weniger als der des Auerhuhns und scheint viel leichter zu sein. Die Sinne sind sehr scharf. Es sieht, hört und riecht vortrefflich, ist auch unter allen Umständen vorsichtig." Tschudi sagt, daß es ein ziemlich dummer Vogel und der Ortssinn bei ihm wenig entwickelt sei, daß es seine angeborne Scheu und Wildheit häufiger als Vorsicht und Ueberlegung vor Verfolgungen rette: ich kann diese Behauptung nicht zu der meinigen machen, da ich glaube, das Gegentheil erfahren zu haben. Nur äußerst selten läßt sich das Birkhuhn berücken; es geschieht Dies höchstens bei bevorstehender stürmischer Witterung im Winter, für welche auch dieser Vogel ein feines Gefühl zu haben scheint. Jn der Regel nimmt es, wie die Taube, das Gewisse fürs Ungewisse und sucht jeder Gefahr so bald als möglich zu entrinnen. Die Stimme ist verschieden, je nach dem Geschlechte. Der Lockton ist ein helles, kurz abgebrochenes Pfeifen, der Ausdruck der Zärtlichkeit ein sanftes "Back, back", das Lallen der Kinder ein feines Piepen; während der Balzzeit aber entwickelt der Hahn einen Reichthum an Tönen, welche man dem sonst so schweigsamen Vogel kaum zutrauen möchte.
Birkhuhn.
laut Tſchudi, ebenſoſehr die gebirgigen Oberwälder als den mittleren Waldgürtel, und geht gern bis an die Grenze des Holzwuchſes empor, wo es dann die Lichtungen mit dichtem Haidekraut oder Heidel- und Brombeerbüſchen und endlich auch die Dickichte der Legföhren, welche ihm guten Schutz gewähren, aufſucht. „Das birkhuhnreichſte Gebiet der Schweiz iſt ohne Zweifel Graubünden und hier wieder das mit düſterem Bergwald und finſteren Flühen ausgekleidete Val Mingen, ein ſelten beſuchter Seitenarm des Val da Scarl (Unterengadin). Jn den ſtruppigen Leg- und Berg- kiefern und Arvenbüſchen jener Gegend hört man die Hähne im Frühling von allen Seiten balzen.“ Auf den bayerſchen Alpen und in den dichten Möſern oder Mooren iſt das Birkgeflügel ebenfalls überall zu Hauſe: auf den Filzen von Weilheim, Dieſſen, Roſenheim, Reichenhall u. ſ. w. kann man im Spätherbſt und im Winter, laut Kobell, oft achtzig bis hundert Hähne beiſammen ſehen. Jn Menge bewohnt es Standinavien von Nordſchonen an, und zwar alle Waldungen bis zum Alpengürtel empor. Daſſelbe gilt, wie wir durch Radde erfahren, für die Waldungen des ſüdöſtlichen Sibiriens. Jn der Gegend des nordöſtlichen Baikalufers ſtieß dieſer Naturforſcher während ſeiner Reiſe faſt täglich auf brütende Weibchen oder ſpäter auf Birkhuhnketten und erfuhr, daß im Gebiet des unteren Bureja während der Monate Oktober und November von einem einzelnen Koſakenpoſten gewiß gegen zweitauſend Birkhühner erlegt und gefangen worden waren. Weiter oben im Norden des Feſtlandes der alten Erde nimmt der Vogel jedoch an Anzahl ab.
Jm mittleren Deutſchland iſt das Birkhuhn ein Standvogel, wenn auch vielleicht nicht im ſtrengſten Sinne; auf dem Hochgebirge und im Norden aber tritt es ziemlich regelmäßige Wanderungen an. So verläßt es, laut Tſchudi, in der Schweiz zweimal im Jahre ſeinen Wohnort und fliegt umher. Jm Simmenthal hat man beobachtet, daß es im Spätherbſt ziemlich regelmäßig nach den walliſer Bergen hinüberſtreicht. Viele von den Wandernden finden ſich gar nicht wieder zurück in ihre eigentliche Heimat, werden verſchlagen und gerathen in fremdes Gebiet. Jn den nördlichen Gegenden werden dieſe Wanderungen regelmäßiger; es ziehen ſich z. B. die Birkhühner, welche in der Höhe wohnen, nach tieferen geſchützten Stellen zurück. Radde erfuhr, daß unſere Vögel im Winter in großen Scharen vom Apfelgebirge zum mittleren Onon wandern und hier auf den Jnſeln, welche mit Weiden- und Balſampappeln beſtanden ſind, der reichlichen Nahrung halber Herberge nehmen. Gleiche Wanderungen laſſen ſich für das mittlere Amurland nachweiſen; doch iſt es noch nicht feſtgeſtellt, ob ſie alljährlich ſtattfinden.
„Das Birkhuhn“, ſagt mein Vater, „iſt zwar auch ſchwerfällig, wie das Auerhuhn, aber in allen ſeinen Bewegungen gewandter. Es läuft ſchneller als das Auerhuhn und trägt dabei den Leib wenig nach hinten geſenkt und den Hals vorgelegt. Auf den Bäumen iſt ſeine Stellung bald aufgerichtet, bald wagrecht; der Hals wird bald eingezogen, bald in die Höhe geſtreckt. Es ſteht lieber auf Laub- als auf Nadelbäumen und iſt weit öfter auf dem Boden als das Auerhuhn. Ungeachtet der kurzen Schwingen iſt ſein Flug doch ſehr gut, geht geradeaus, mit ungemein ſchnellem Flügelſchlage und oft ganze Strecken in einem Zuge fort. Er rauſcht zwar auch, aber weit weniger als der des Auerhuhns und ſcheint viel leichter zu ſein. Die Sinne ſind ſehr ſcharf. Es ſieht, hört und riecht vortrefflich, iſt auch unter allen Umſtänden vorſichtig.“ Tſchudi ſagt, daß es ein ziemlich dummer Vogel und der Ortsſinn bei ihm wenig entwickelt ſei, daß es ſeine angeborne Scheu und Wildheit häufiger als Vorſicht und Ueberlegung vor Verfolgungen rette: ich kann dieſe Behauptung nicht zu der meinigen machen, da ich glaube, das Gegentheil erfahren zu haben. Nur äußerſt ſelten läßt ſich das Birkhuhn berücken; es geſchieht Dies höchſtens bei bevorſtehender ſtürmiſcher Witterung im Winter, für welche auch dieſer Vogel ein feines Gefühl zu haben ſcheint. Jn der Regel nimmt es, wie die Taube, das Gewiſſe fürs Ungewiſſe und ſucht jeder Gefahr ſo bald als möglich zu entrinnen. Die Stimme iſt verſchieden, je nach dem Geſchlechte. Der Lockton iſt ein helles, kurz abgebrochenes Pfeifen, der Ausdruck der Zärtlichkeit ein ſanftes „Back, back“, das Lallen der Kinder ein feines Piepen; während der Balzzeit aber entwickelt der Hahn einen Reichthum an Tönen, welche man dem ſonſt ſo ſchweigſamen Vogel kaum zutrauen möchte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0377"n="349"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Birkhuhn.</hi></fw><lb/>
laut <hirendition="#g">Tſchudi,</hi> ebenſoſehr die gebirgigen Oberwälder als den mittleren Waldgürtel, und geht gern<lb/>
bis an die Grenze des Holzwuchſes empor, wo es dann die Lichtungen mit dichtem Haidekraut oder<lb/>
Heidel- und Brombeerbüſchen und endlich auch die Dickichte der Legföhren, welche ihm guten Schutz<lb/>
gewähren, aufſucht. „Das birkhuhnreichſte Gebiet der Schweiz iſt ohne Zweifel Graubünden und<lb/>
hier wieder das mit düſterem Bergwald und finſteren Flühen ausgekleidete Val Mingen, ein<lb/>ſelten beſuchter Seitenarm des Val da Scarl (Unterengadin). Jn den ſtruppigen Leg- und Berg-<lb/>
kiefern und Arvenbüſchen jener Gegend hört man die Hähne im Frühling von allen Seiten balzen.“<lb/>
Auf den bayerſchen Alpen und in den dichten Möſern oder Mooren iſt das Birkgeflügel ebenfalls<lb/>
überall zu Hauſe: auf den Filzen von Weilheim, Dieſſen, Roſenheim, Reichenhall u. ſ. w. kann<lb/>
man im Spätherbſt und im Winter, laut <hirendition="#g">Kobell,</hi> oft achtzig bis hundert Hähne beiſammen ſehen.<lb/>
Jn Menge bewohnt es Standinavien von Nordſchonen an, und zwar alle Waldungen bis<lb/>
zum Alpengürtel empor. Daſſelbe gilt, wie wir durch <hirendition="#g">Radde</hi> erfahren, für die Waldungen des<lb/>ſüdöſtlichen Sibiriens. Jn der Gegend des nordöſtlichen Baikalufers ſtieß dieſer Naturforſcher<lb/>
während ſeiner Reiſe faſt täglich auf brütende Weibchen oder ſpäter auf Birkhuhnketten und<lb/>
erfuhr, daß im Gebiet des unteren Bureja während der Monate Oktober und November von einem<lb/>
einzelnen Koſakenpoſten gewiß gegen zweitauſend Birkhühner erlegt und gefangen worden waren.<lb/>
Weiter oben im Norden des Feſtlandes der alten Erde nimmt der Vogel jedoch an Anzahl ab.</p><lb/><p>Jm mittleren Deutſchland iſt das Birkhuhn ein Standvogel, wenn auch vielleicht nicht<lb/>
im ſtrengſten Sinne; auf dem Hochgebirge und im Norden aber tritt es ziemlich regelmäßige<lb/>
Wanderungen an. So verläßt es, laut <hirendition="#g">Tſchudi,</hi> in der Schweiz zweimal im Jahre ſeinen<lb/>
Wohnort und fliegt umher. Jm Simmenthal hat man beobachtet, daß es im Spätherbſt ziemlich<lb/>
regelmäßig nach den walliſer Bergen hinüberſtreicht. Viele von den Wandernden finden ſich gar<lb/>
nicht wieder zurück in ihre eigentliche Heimat, werden verſchlagen und gerathen in fremdes Gebiet.<lb/>
Jn den nördlichen Gegenden werden dieſe Wanderungen regelmäßiger; es ziehen ſich z. B. die<lb/>
Birkhühner, welche in der Höhe wohnen, nach tieferen geſchützten Stellen zurück. <hirendition="#g">Radde</hi> erfuhr,<lb/>
daß unſere Vögel im Winter in großen Scharen vom Apfelgebirge zum mittleren Onon wandern<lb/>
und hier auf den Jnſeln, welche mit Weiden- und Balſampappeln beſtanden ſind, der reichlichen<lb/>
Nahrung halber Herberge nehmen. Gleiche Wanderungen laſſen ſich für das mittlere Amurland<lb/>
nachweiſen; doch iſt es noch nicht feſtgeſtellt, ob ſie alljährlich ſtattfinden.</p><lb/><p>„Das Birkhuhn“, ſagt mein Vater, „iſt zwar auch ſchwerfällig, wie das Auerhuhn, aber in<lb/>
allen ſeinen Bewegungen gewandter. Es läuft ſchneller als das Auerhuhn und trägt dabei den Leib<lb/>
wenig nach hinten geſenkt und den Hals vorgelegt. Auf den Bäumen iſt ſeine Stellung bald<lb/>
aufgerichtet, bald wagrecht; der Hals wird bald eingezogen, bald in die Höhe geſtreckt. Es ſteht<lb/>
lieber auf Laub- als auf Nadelbäumen und iſt weit öfter auf dem Boden als das Auerhuhn.<lb/>
Ungeachtet der kurzen Schwingen iſt ſein Flug doch ſehr gut, geht geradeaus, mit ungemein ſchnellem<lb/>
Flügelſchlage und oft ganze Strecken in einem Zuge fort. Er rauſcht zwar auch, aber weit weniger<lb/>
als der des Auerhuhns und ſcheint viel leichter zu ſein. Die Sinne ſind ſehr ſcharf. Es ſieht,<lb/>
hört und riecht vortrefflich, iſt auch unter allen Umſtänden vorſichtig.“<hirendition="#g">Tſchudi</hi>ſagt, daß es ein<lb/>
ziemlich dummer Vogel und der Ortsſinn bei ihm wenig entwickelt ſei, daß es ſeine angeborne<lb/>
Scheu und Wildheit häufiger als Vorſicht und Ueberlegung vor Verfolgungen rette: ich kann<lb/>
dieſe Behauptung nicht zu der meinigen machen, da ich glaube, das Gegentheil erfahren zu haben.<lb/>
Nur äußerſt ſelten läßt ſich das Birkhuhn berücken; es geſchieht Dies höchſtens bei bevorſtehender<lb/>ſtürmiſcher Witterung im Winter, für welche auch dieſer Vogel ein feines Gefühl zu haben ſcheint.<lb/>
Jn der Regel nimmt es, wie die Taube, das Gewiſſe fürs Ungewiſſe und ſucht jeder Gefahr ſo<lb/>
bald als möglich zu entrinnen. Die Stimme iſt verſchieden, je nach dem Geſchlechte. Der Lockton<lb/>
iſt ein helles, kurz abgebrochenes Pfeifen, der Ausdruck der Zärtlichkeit ein ſanftes „Back, back“,<lb/>
das Lallen der Kinder ein feines Piepen; während der Balzzeit aber entwickelt der Hahn einen<lb/>
Reichthum an Tönen, welche man dem ſonſt ſo ſchweigſamen Vogel kaum zutrauen möchte.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[349/0377]
Birkhuhn.
laut Tſchudi, ebenſoſehr die gebirgigen Oberwälder als den mittleren Waldgürtel, und geht gern
bis an die Grenze des Holzwuchſes empor, wo es dann die Lichtungen mit dichtem Haidekraut oder
Heidel- und Brombeerbüſchen und endlich auch die Dickichte der Legföhren, welche ihm guten Schutz
gewähren, aufſucht. „Das birkhuhnreichſte Gebiet der Schweiz iſt ohne Zweifel Graubünden und
hier wieder das mit düſterem Bergwald und finſteren Flühen ausgekleidete Val Mingen, ein
ſelten beſuchter Seitenarm des Val da Scarl (Unterengadin). Jn den ſtruppigen Leg- und Berg-
kiefern und Arvenbüſchen jener Gegend hört man die Hähne im Frühling von allen Seiten balzen.“
Auf den bayerſchen Alpen und in den dichten Möſern oder Mooren iſt das Birkgeflügel ebenfalls
überall zu Hauſe: auf den Filzen von Weilheim, Dieſſen, Roſenheim, Reichenhall u. ſ. w. kann
man im Spätherbſt und im Winter, laut Kobell, oft achtzig bis hundert Hähne beiſammen ſehen.
Jn Menge bewohnt es Standinavien von Nordſchonen an, und zwar alle Waldungen bis
zum Alpengürtel empor. Daſſelbe gilt, wie wir durch Radde erfahren, für die Waldungen des
ſüdöſtlichen Sibiriens. Jn der Gegend des nordöſtlichen Baikalufers ſtieß dieſer Naturforſcher
während ſeiner Reiſe faſt täglich auf brütende Weibchen oder ſpäter auf Birkhuhnketten und
erfuhr, daß im Gebiet des unteren Bureja während der Monate Oktober und November von einem
einzelnen Koſakenpoſten gewiß gegen zweitauſend Birkhühner erlegt und gefangen worden waren.
Weiter oben im Norden des Feſtlandes der alten Erde nimmt der Vogel jedoch an Anzahl ab.
Jm mittleren Deutſchland iſt das Birkhuhn ein Standvogel, wenn auch vielleicht nicht
im ſtrengſten Sinne; auf dem Hochgebirge und im Norden aber tritt es ziemlich regelmäßige
Wanderungen an. So verläßt es, laut Tſchudi, in der Schweiz zweimal im Jahre ſeinen
Wohnort und fliegt umher. Jm Simmenthal hat man beobachtet, daß es im Spätherbſt ziemlich
regelmäßig nach den walliſer Bergen hinüberſtreicht. Viele von den Wandernden finden ſich gar
nicht wieder zurück in ihre eigentliche Heimat, werden verſchlagen und gerathen in fremdes Gebiet.
Jn den nördlichen Gegenden werden dieſe Wanderungen regelmäßiger; es ziehen ſich z. B. die
Birkhühner, welche in der Höhe wohnen, nach tieferen geſchützten Stellen zurück. Radde erfuhr,
daß unſere Vögel im Winter in großen Scharen vom Apfelgebirge zum mittleren Onon wandern
und hier auf den Jnſeln, welche mit Weiden- und Balſampappeln beſtanden ſind, der reichlichen
Nahrung halber Herberge nehmen. Gleiche Wanderungen laſſen ſich für das mittlere Amurland
nachweiſen; doch iſt es noch nicht feſtgeſtellt, ob ſie alljährlich ſtattfinden.
„Das Birkhuhn“, ſagt mein Vater, „iſt zwar auch ſchwerfällig, wie das Auerhuhn, aber in
allen ſeinen Bewegungen gewandter. Es läuft ſchneller als das Auerhuhn und trägt dabei den Leib
wenig nach hinten geſenkt und den Hals vorgelegt. Auf den Bäumen iſt ſeine Stellung bald
aufgerichtet, bald wagrecht; der Hals wird bald eingezogen, bald in die Höhe geſtreckt. Es ſteht
lieber auf Laub- als auf Nadelbäumen und iſt weit öfter auf dem Boden als das Auerhuhn.
Ungeachtet der kurzen Schwingen iſt ſein Flug doch ſehr gut, geht geradeaus, mit ungemein ſchnellem
Flügelſchlage und oft ganze Strecken in einem Zuge fort. Er rauſcht zwar auch, aber weit weniger
als der des Auerhuhns und ſcheint viel leichter zu ſein. Die Sinne ſind ſehr ſcharf. Es ſieht,
hört und riecht vortrefflich, iſt auch unter allen Umſtänden vorſichtig.“ Tſchudi ſagt, daß es ein
ziemlich dummer Vogel und der Ortsſinn bei ihm wenig entwickelt ſei, daß es ſeine angeborne
Scheu und Wildheit häufiger als Vorſicht und Ueberlegung vor Verfolgungen rette: ich kann
dieſe Behauptung nicht zu der meinigen machen, da ich glaube, das Gegentheil erfahren zu haben.
Nur äußerſt ſelten läßt ſich das Birkhuhn berücken; es geſchieht Dies höchſtens bei bevorſtehender
ſtürmiſcher Witterung im Winter, für welche auch dieſer Vogel ein feines Gefühl zu haben ſcheint.
Jn der Regel nimmt es, wie die Taube, das Gewiſſe fürs Ungewiſſe und ſucht jeder Gefahr ſo
bald als möglich zu entrinnen. Die Stimme iſt verſchieden, je nach dem Geſchlechte. Der Lockton
iſt ein helles, kurz abgebrochenes Pfeifen, der Ausdruck der Zärtlichkeit ein ſanftes „Back, back“,
das Lallen der Kinder ein feines Piepen; während der Balzzeit aber entwickelt der Hahn einen
Reichthum an Tönen, welche man dem ſonſt ſo ſchweigſamen Vogel kaum zutrauen möchte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/377>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.