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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Scharrvögel. Flughühner.
Eingebornen wußten übrigens, daß die Heimat der Steppenhühner die große Ebene der Tartarei
hinter der berühmten Mauer ist.

Jch will es dahin gestellt sein lassen, ob außer den wenigen Steppenhühnern, welche bis zum
Jahre 1863 in Europa beobachtet wurden, noch andere hier erschienen waren, halte Dies jedoch für
keineswegs unwahrscheinlich; ja, meines Erachtens ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß
einzelne von diesen wenigen ihre eigentliche Heimat wieder erreicht und später einer größeren Anzahl
ihrer Artverwandten gewissermaßen als Wegweiser nach dem neu entdeckten Lande gedient haben:
jedenfalls bleibt es auffallend, daß vor der großen Einwanderung, welche im Jahre 1863 stattfand,
wiederholt die bis dahin Europa fremden Vögel beobachtet wurden. Dem sei übrigens wie ihm
wolle: thatsächlich ist, daß in dem genannten Jahre ein sehr bedeutender Schwarm in Europa
erschien und sich über die meisten nördlichen Länder unseres Erdtheils verbreitete. Auf welchem
Wege diese Einwanderung geschehen ist, läßt sich mit ziemlicher Sicherheit nachweisen, und wenn im
Südosten Europas ebenso auf die Fremdlinge geachtet worden wäre, wie bei uns zu Lande, in
Frankreich, den Niederlanden und in Großbritanien, würden wir wahrscheinlich den Weg auf das
Genaueste bestimmen können. Jch habe diese Ansicht an einem andern Orte bereits ausgesprochen;
es ist mir jedoch von einer Seite entgegnet worden, daß diese Meinung allerdings sehr großartig
laute, aber doch nur eine reine Phantasie wäre. Jch bedaure, daß mich die zur Unterstützung eines
derartigen Ausspruches vorgebrachten Gründe nicht haben überzeugen können. Es ist an der
betreffenden Stelle nämlich gesagt worden, daß man die Steppenhühner auf gewissen Jnseln der
Nordsee früher beobachtet hat als auf dem Festlande, und der Schluß wenigstens nahe gelegt
worden, daß die Vögel dort auch früher erschienen wären als hier; mein Gegner hält es sogar für
nicht unmöglich, daß ein vernünftiger Mensch glauben könne, man vermöge die Spur der Steppen-
hühner vom nördlichen Deutschland an bis nach Ungarn zu verfolgen. Ein einziger Blick auf die
Karte widerlegt jede derartige Annahme. Von den mongolischen Steppen nach Großbritanien
und den Faröerinseln gibt es nur eine Straße für Vögel, welche eine Lebensweise führen wie das
Steppenhuhn, und diese Straße ist gewiß nicht der Seeweg durch das Eismer und die Nordsee oder
meinetwegen auch die indischeuropäische Schifferstraße. Zudem steht, trotz der Mangelhaftigkeit der
erhaltenen Mittheilungen, laut Newton, Folgendes fest: Man hat den Zug der Steppenhühner
beobachtet von Brody in Gallizien bis Naran an der Westküste von Jrland und von Biscarolle in
Südfrankreich bis Thorshavn auf den Faröerinseln; man hat erfahren, daß die Einwanderer in
Sokolnitz in Mähren am 6. Mai, in Tüchel in Westpreußen am 14., in Polkwitz in Schlesien
am 17., in Wöhlau in Anhalt am 20., auf Laaland an demselben Tage, auf Helgoland und an
den englischen Küsten (Northumberland) am 21., auf Borkum, Staffordshire und an der Küste
von Lancashire am 22., auf den Faröern in den letzten Tagen des Mai angekommen oder
wenigstens wahrgenommen worden waren. Ein allmähliches Vorrücken in der gegebenen Richtung
ist also vollkommen bewiesen, und die Reisefähigkeit der Steppenhühner steht mit den ermittelten
Zeiten nicht im Widerspruch. Etwas kühner, aber immer noch gerechtfertigt ist diese Schluß-
folgerung: die Steppenhühner sind von der Mongolei in einem großen Fluge aufgebrochen und in
der angegebenen Richtung weiter gezogen. Da ihre Reise kurz vor oder während ihrer Brutzeit
stattfand, haben sich Paare oder Trupps von dem Hauptheere getrennt und seitabführende Wege ein-
geschlagen oder sich auf Stellen, welche ihnen passend erschienen, niedergelassen. Viele von denen,
welche die Meeresküste erreichten, sind wohl auch wieder umgekehrt und in das Jnnere des Landes
zurückgeflogen. Hieraus wird sich ihre Vereinzelung auch mit erklären lassen. Doch lege ich auf
diese Meinung ebenso wenig Gewicht, als auf alles Uebrige, welches nicht bewiesen werden kann,
und Dies ist ja auch meinem Belehrer recht wohl bekannt.

Zu Dank sind wir diesem letzteren, dem Herrn Dr. Altum, verpflichtet über die Mit-
theilung, welche er uns gegeben hat. Jhm wurde das Glück, die Fremdlinge während ihres
Sommerlebens in der Fremde wiederholt zu beobachten und durch sachverständige Nachfrage noch

Die Läufer. Scharrvögel. Flughühner.
Eingebornen wußten übrigens, daß die Heimat der Steppenhühner die große Ebene der Tartarei
hinter der berühmten Mauer iſt.

Jch will es dahin geſtellt ſein laſſen, ob außer den wenigen Steppenhühnern, welche bis zum
Jahre 1863 in Europa beobachtet wurden, noch andere hier erſchienen waren, halte Dies jedoch für
keineswegs unwahrſcheinlich; ja, meines Erachtens iſt die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß
einzelne von dieſen wenigen ihre eigentliche Heimat wieder erreicht und ſpäter einer größeren Anzahl
ihrer Artverwandten gewiſſermaßen als Wegweiſer nach dem neu entdeckten Lande gedient haben:
jedenfalls bleibt es auffallend, daß vor der großen Einwanderung, welche im Jahre 1863 ſtattfand,
wiederholt die bis dahin Europa fremden Vögel beobachtet wurden. Dem ſei übrigens wie ihm
wolle: thatſächlich iſt, daß in dem genannten Jahre ein ſehr bedeutender Schwarm in Europa
erſchien und ſich über die meiſten nördlichen Länder unſeres Erdtheils verbreitete. Auf welchem
Wege dieſe Einwanderung geſchehen iſt, läßt ſich mit ziemlicher Sicherheit nachweiſen, und wenn im
Südoſten Europas ebenſo auf die Fremdlinge geachtet worden wäre, wie bei uns zu Lande, in
Frankreich, den Niederlanden und in Großbritanien, würden wir wahrſcheinlich den Weg auf das
Genaueſte beſtimmen können. Jch habe dieſe Anſicht an einem andern Orte bereits ausgeſprochen;
es iſt mir jedoch von einer Seite entgegnet worden, daß dieſe Meinung allerdings ſehr großartig
laute, aber doch nur eine reine Phantaſie wäre. Jch bedaure, daß mich die zur Unterſtützung eines
derartigen Ausſpruches vorgebrachten Gründe nicht haben überzeugen können. Es iſt an der
betreffenden Stelle nämlich geſagt worden, daß man die Steppenhühner auf gewiſſen Jnſeln der
Nordſee früher beobachtet hat als auf dem Feſtlande, und der Schluß wenigſtens nahe gelegt
worden, daß die Vögel dort auch früher erſchienen wären als hier; mein Gegner hält es ſogar für
nicht unmöglich, daß ein vernünftiger Menſch glauben könne, man vermöge die Spur der Steppen-
hühner vom nördlichen Deutſchland an bis nach Ungarn zu verfolgen. Ein einziger Blick auf die
Karte widerlegt jede derartige Annahme. Von den mongoliſchen Steppen nach Großbritanien
und den Faröerinſeln gibt es nur eine Straße für Vögel, welche eine Lebensweiſe führen wie das
Steppenhuhn, und dieſe Straße iſt gewiß nicht der Seeweg durch das Eismer und die Nordſee oder
meinetwegen auch die indiſcheuropäiſche Schifferſtraße. Zudem ſteht, trotz der Mangelhaftigkeit der
erhaltenen Mittheilungen, laut Newton, Folgendes feſt: Man hat den Zug der Steppenhühner
beobachtet von Brody in Gallizien bis Naran an der Weſtküſte von Jrland und von Biscarolle in
Südfrankreich bis Thorshavn auf den Faröerinſeln; man hat erfahren, daß die Einwanderer in
Sokolnitz in Mähren am 6. Mai, in Tüchel in Weſtpreußen am 14., in Polkwitz in Schleſien
am 17., in Wöhlau in Anhalt am 20., auf Laaland an demſelben Tage, auf Helgoland und an
den engliſchen Küſten (Northumberland) am 21., auf Borkum, Staffordſhire und an der Küſte
von Lancaſhire am 22., auf den Faröern in den letzten Tagen des Mai angekommen oder
wenigſtens wahrgenommen worden waren. Ein allmähliches Vorrücken in der gegebenen Richtung
iſt alſo vollkommen bewieſen, und die Reiſefähigkeit der Steppenhühner ſteht mit den ermittelten
Zeiten nicht im Widerſpruch. Etwas kühner, aber immer noch gerechtfertigt iſt dieſe Schluß-
folgerung: die Steppenhühner ſind von der Mongolei in einem großen Fluge aufgebrochen und in
der angegebenen Richtung weiter gezogen. Da ihre Reiſe kurz vor oder während ihrer Brutzeit
ſtattfand, haben ſich Paare oder Trupps von dem Hauptheere getrennt und ſeitabführende Wege ein-
geſchlagen oder ſich auf Stellen, welche ihnen paſſend erſchienen, niedergelaſſen. Viele von denen,
welche die Meeresküſte erreichten, ſind wohl auch wieder umgekehrt und in das Jnnere des Landes
zurückgeflogen. Hieraus wird ſich ihre Vereinzelung auch mit erklären laſſen. Doch lege ich auf
dieſe Meinung ebenſo wenig Gewicht, als auf alles Uebrige, welches nicht bewieſen werden kann,
und Dies iſt ja auch meinem Belehrer recht wohl bekannt.

Zu Dank ſind wir dieſem letzteren, dem Herrn Dr. Altum, verpflichtet über die Mit-
theilung, welche er uns gegeben hat. Jhm wurde das Glück, die Fremdlinge während ihres
Sommerlebens in der Fremde wiederholt zu beobachten und durch ſachverſtändige Nachfrage noch

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[326/0352] Die Läufer. Scharrvögel. Flughühner. Eingebornen wußten übrigens, daß die Heimat der Steppenhühner die große Ebene der Tartarei hinter der berühmten Mauer iſt. Jch will es dahin geſtellt ſein laſſen, ob außer den wenigen Steppenhühnern, welche bis zum Jahre 1863 in Europa beobachtet wurden, noch andere hier erſchienen waren, halte Dies jedoch für keineswegs unwahrſcheinlich; ja, meines Erachtens iſt die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß einzelne von dieſen wenigen ihre eigentliche Heimat wieder erreicht und ſpäter einer größeren Anzahl ihrer Artverwandten gewiſſermaßen als Wegweiſer nach dem neu entdeckten Lande gedient haben: jedenfalls bleibt es auffallend, daß vor der großen Einwanderung, welche im Jahre 1863 ſtattfand, wiederholt die bis dahin Europa fremden Vögel beobachtet wurden. Dem ſei übrigens wie ihm wolle: thatſächlich iſt, daß in dem genannten Jahre ein ſehr bedeutender Schwarm in Europa erſchien und ſich über die meiſten nördlichen Länder unſeres Erdtheils verbreitete. Auf welchem Wege dieſe Einwanderung geſchehen iſt, läßt ſich mit ziemlicher Sicherheit nachweiſen, und wenn im Südoſten Europas ebenſo auf die Fremdlinge geachtet worden wäre, wie bei uns zu Lande, in Frankreich, den Niederlanden und in Großbritanien, würden wir wahrſcheinlich den Weg auf das Genaueſte beſtimmen können. Jch habe dieſe Anſicht an einem andern Orte bereits ausgeſprochen; es iſt mir jedoch von einer Seite entgegnet worden, daß dieſe Meinung allerdings ſehr großartig laute, aber doch nur eine reine Phantaſie wäre. Jch bedaure, daß mich die zur Unterſtützung eines derartigen Ausſpruches vorgebrachten Gründe nicht haben überzeugen können. Es iſt an der betreffenden Stelle nämlich geſagt worden, daß man die Steppenhühner auf gewiſſen Jnſeln der Nordſee früher beobachtet hat als auf dem Feſtlande, und der Schluß wenigſtens nahe gelegt worden, daß die Vögel dort auch früher erſchienen wären als hier; mein Gegner hält es ſogar für nicht unmöglich, daß ein vernünftiger Menſch glauben könne, man vermöge die Spur der Steppen- hühner vom nördlichen Deutſchland an bis nach Ungarn zu verfolgen. Ein einziger Blick auf die Karte widerlegt jede derartige Annahme. Von den mongoliſchen Steppen nach Großbritanien und den Faröerinſeln gibt es nur eine Straße für Vögel, welche eine Lebensweiſe führen wie das Steppenhuhn, und dieſe Straße iſt gewiß nicht der Seeweg durch das Eismer und die Nordſee oder meinetwegen auch die indiſcheuropäiſche Schifferſtraße. Zudem ſteht, trotz der Mangelhaftigkeit der erhaltenen Mittheilungen, laut Newton, Folgendes feſt: Man hat den Zug der Steppenhühner beobachtet von Brody in Gallizien bis Naran an der Weſtküſte von Jrland und von Biscarolle in Südfrankreich bis Thorshavn auf den Faröerinſeln; man hat erfahren, daß die Einwanderer in Sokolnitz in Mähren am 6. Mai, in Tüchel in Weſtpreußen am 14., in Polkwitz in Schleſien am 17., in Wöhlau in Anhalt am 20., auf Laaland an demſelben Tage, auf Helgoland und an den engliſchen Küſten (Northumberland) am 21., auf Borkum, Staffordſhire und an der Küſte von Lancaſhire am 22., auf den Faröern in den letzten Tagen des Mai angekommen oder wenigſtens wahrgenommen worden waren. Ein allmähliches Vorrücken in der gegebenen Richtung iſt alſo vollkommen bewieſen, und die Reiſefähigkeit der Steppenhühner ſteht mit den ermittelten Zeiten nicht im Widerſpruch. Etwas kühner, aber immer noch gerechtfertigt iſt dieſe Schluß- folgerung: die Steppenhühner ſind von der Mongolei in einem großen Fluge aufgebrochen und in der angegebenen Richtung weiter gezogen. Da ihre Reiſe kurz vor oder während ihrer Brutzeit ſtattfand, haben ſich Paare oder Trupps von dem Hauptheere getrennt und ſeitabführende Wege ein- geſchlagen oder ſich auf Stellen, welche ihnen paſſend erſchienen, niedergelaſſen. Viele von denen, welche die Meeresküſte erreichten, ſind wohl auch wieder umgekehrt und in das Jnnere des Landes zurückgeflogen. Hieraus wird ſich ihre Vereinzelung auch mit erklären laſſen. Doch lege ich auf dieſe Meinung ebenſo wenig Gewicht, als auf alles Uebrige, welches nicht bewieſen werden kann, und Dies iſt ja auch meinem Belehrer recht wohl bekannt. Zu Dank ſind wir dieſem letzteren, dem Herrn Dr. Altum, verpflichtet über die Mit- theilung, welche er uns gegeben hat. Jhm wurde das Glück, die Fremdlinge während ihres Sommerlebens in der Fremde wiederholt zu beobachten und durch ſachverſtändige Nachfrage noch

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/352>, abgerufen am 22.11.2024.