Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Läufer. Scharrvögel. Flughühner.
nügend, die inzwischen größer gewordene Last des Leibes zu tragen; sie werden aber so oft gewechselt,
daß sie ihre Dienste niemals versagen: der Fittig eines Huhns, welches zum ersten Mal die Tracht
der ausgewachsenen Vögel seiner Art anlegt, hat einen vier- bis fünfmaligen Federwechsel durchmachen
müssen. Bei den meisten Arten geht die Umkleidung schon vor Beendigung des ersten Jahres in die der
alten Vögel über, andere hingegen bedürfen eines Zeitraumes von zwei und selbst drei Jahren, bevor
sie als ausgefiedert gelten können. Jene pflegen sich bereits im ersten Herbste ihres Lebens zu paaren,
brechen mindestens schon eine Lanze zu Ehren des andern Geschlechts; diese bekümmern sich, bevor sie
erwachsen sind, wenig um die Weibchen.

Sehr viele Hennen werden von Raubthieren, denen sie sonst leicht entgehen würden, weg-
genommen, während sie brüten, weil sie sich nicht entschließen können, die Eier zu verlassen. Geschieht
Letzteres, so pflegen auch sie zur Verstellung ihre Zuflucht zu nehmen: sie stellen sich lahm und
hüpfen halb laufend, halb flatternd vor dem Verfolger dahin, bis sie diesen glücklich vom Neste
entfernt haben; noch besorgter zeigen sie sich, wenn erst die Schar der Küchlein ausgeschlüpft ist.

Die Scharrvögel haben so viel Feinde, daß nur ihre ungewöhnlich starke Vermehrung das
Gleichgewicht zwischen Vernichtung und Ersetzung herzustellen vermag. Alle Raubthiere, große und
kleine, stellen den Hühnern eifrig nach, und der Mensch gesellt sich überall als der schlimmste Feind zu
den so zu sagen natürlichen Verfolgern. Die Hühner sind es, welche allerorten zuerst und
mehr gejagt werden, als die übrigen Vögel zusammengenommen. Aber der Mensch hat auch bald
einsehen lernen, daß diese wichtigen Thiere sich noch ganz anders verwerthen lassen. Er hat schon
seit altersgrauer Zeit wenigstens einige von ihnen an sich zu fesseln gesucht und sie von den
Waldungen Südasiens über die ganze Erde verbreitet, unter den verschiedensten Himmelsstrichen,
unter den verschiedensten Umständen heimisch gemacht. Es ist wahrscheinlich, daß er sich die brauch-
barsten unter allen ausgewählt; es unterliegt aber auch keinem Zweifel, daß er viele von denen,
welche gegenwärtig noch wild leben, unter seine Botmäßigkeit zwingen und in ihnen nützliche
Hausthiere gewinnen können wird. Das Bestreben der Neuzeit, fremdländische Thiere bei uns ein-
zubürgern, kann durch keine Thierordnung besser gerechtfertigt und glänzender belohnt werden, als
durch die Scharrvögel, deren Schönheit, leichte Zähmbarkeit und Nützlichkeit von keiner andern
Vogelgruppe übertroffen wird.



Die bereits erwähnten Flug- oder Wüstenhühner (Pteroclae) nehmen in der Ordnung
der Scharrvögel eine so vereinzelte Stellung ein, daß sie nicht blos eine eigene Familie, sondern
eine besondere Zunft bilden. Gewöhnlich sieht man sie als Uebergangsglieder von den Tauben
zu den Hühnern an, und es läßt sich gar nicht leugnen, daß diese Ansicht Vieles für sich hat;
andererseits aber kann man nicht verkennen, daß sie sich doch nur auf oberflächliche Vergleichung
gründet. Dasselbe gilt für die neuerdings geltend gemachte Meinung, daß man in ihnen die
Vertreter der Trappen unter den Scharrvögeln zu sehen habe, weil dafür der Bau des Schnabels
und der Füße, sowie auch die Beschaffenheit der Besiederung und die Fortpflanzung spricht. Jch
meinestheils bin der Ansicht, daß man die Flughühner mit anderen Scharrvögeln oder mit Tauben
gar nicht vergleichen kann, daß sie vielmehr eine jener Familien bilden, welche das Gepräge ihrer
Heimat auf das Schärfste bekunden und ebenso eigenthümlich sind und leben, wie diese Heimat es ist.
Jch sehe in ihnen nicht die am höchsten stehenden Scharrvögel; aber ich trage einer Begabung, ihrer
außerordentlichen Flugfertigkeit, welche sie vor allen übrigen auszeichnet, Rechnung. Nicht umsonst
haben die Flughühner ihren Namen erhalten: sie verdienen ihn in vollstem Sinne des Wortes.
Der Schnabel ist es nicht, welcher sie kennzeichnet, der Bau des Fußes ebenso wenig: ihr Merk-
mal ist die Entwickelung des Gefieders, und vor allem die Ausbildung der Flugwerkzeuge. Es
gibt kein Huhn, keinen Scharrvogel, welcher ihnen hierin gleicht; es gibt keinen Laufvogel, welcher sie

Die Läufer. Scharrvögel. Flughühner.
nügend, die inzwiſchen größer gewordene Laſt des Leibes zu tragen; ſie werden aber ſo oft gewechſelt,
daß ſie ihre Dienſte niemals verſagen: der Fittig eines Huhns, welches zum erſten Mal die Tracht
der ausgewachſenen Vögel ſeiner Art anlegt, hat einen vier- bis fünfmaligen Federwechſel durchmachen
müſſen. Bei den meiſten Arten geht die Umkleidung ſchon vor Beendigung des erſten Jahres in die der
alten Vögel über, andere hingegen bedürfen eines Zeitraumes von zwei und ſelbſt drei Jahren, bevor
ſie als ausgefiedert gelten können. Jene pflegen ſich bereits im erſten Herbſte ihres Lebens zu paaren,
brechen mindeſtens ſchon eine Lanze zu Ehren des andern Geſchlechts; dieſe bekümmern ſich, bevor ſie
erwachſen ſind, wenig um die Weibchen.

Sehr viele Hennen werden von Raubthieren, denen ſie ſonſt leicht entgehen würden, weg-
genommen, während ſie brüten, weil ſie ſich nicht entſchließen können, die Eier zu verlaſſen. Geſchieht
Letzteres, ſo pflegen auch ſie zur Verſtellung ihre Zuflucht zu nehmen: ſie ſtellen ſich lahm und
hüpfen halb laufend, halb flatternd vor dem Verfolger dahin, bis ſie dieſen glücklich vom Neſte
entfernt haben; noch beſorgter zeigen ſie ſich, wenn erſt die Schar der Küchlein ausgeſchlüpft iſt.

Die Scharrvögel haben ſo viel Feinde, daß nur ihre ungewöhnlich ſtarke Vermehrung das
Gleichgewicht zwiſchen Vernichtung und Erſetzung herzuſtellen vermag. Alle Raubthiere, große und
kleine, ſtellen den Hühnern eifrig nach, und der Menſch geſellt ſich überall als der ſchlimmſte Feind zu
den ſo zu ſagen natürlichen Verfolgern. Die Hühner ſind es, welche allerorten zuerſt und
mehr gejagt werden, als die übrigen Vögel zuſammengenommen. Aber der Menſch hat auch bald
einſehen lernen, daß dieſe wichtigen Thiere ſich noch ganz anders verwerthen laſſen. Er hat ſchon
ſeit altersgrauer Zeit wenigſtens einige von ihnen an ſich zu feſſeln geſucht und ſie von den
Waldungen Südaſiens über die ganze Erde verbreitet, unter den verſchiedenſten Himmelsſtrichen,
unter den verſchiedenſten Umſtänden heimiſch gemacht. Es iſt wahrſcheinlich, daß er ſich die brauch-
barſten unter allen ausgewählt; es unterliegt aber auch keinem Zweifel, daß er viele von denen,
welche gegenwärtig noch wild leben, unter ſeine Botmäßigkeit zwingen und in ihnen nützliche
Hausthiere gewinnen können wird. Das Beſtreben der Neuzeit, fremdländiſche Thiere bei uns ein-
zubürgern, kann durch keine Thierordnung beſſer gerechtfertigt und glänzender belohnt werden, als
durch die Scharrvögel, deren Schönheit, leichte Zähmbarkeit und Nützlichkeit von keiner andern
Vogelgruppe übertroffen wird.



Die bereits erwähnten Flug- oder Wüſtenhühner (Pteroclae) nehmen in der Ordnung
der Scharrvögel eine ſo vereinzelte Stellung ein, daß ſie nicht blos eine eigene Familie, ſondern
eine beſondere Zunft bilden. Gewöhnlich ſieht man ſie als Uebergangsglieder von den Tauben
zu den Hühnern an, und es läßt ſich gar nicht leugnen, daß dieſe Anſicht Vieles für ſich hat;
andererſeits aber kann man nicht verkennen, daß ſie ſich doch nur auf oberflächliche Vergleichung
gründet. Daſſelbe gilt für die neuerdings geltend gemachte Meinung, daß man in ihnen die
Vertreter der Trappen unter den Scharrvögeln zu ſehen habe, weil dafür der Bau des Schnabels
und der Füße, ſowie auch die Beſchaffenheit der Beſiederung und die Fortpflanzung ſpricht. Jch
meinestheils bin der Anſicht, daß man die Flughühner mit anderen Scharrvögeln oder mit Tauben
gar nicht vergleichen kann, daß ſie vielmehr eine jener Familien bilden, welche das Gepräge ihrer
Heimat auf das Schärfſte bekunden und ebenſo eigenthümlich ſind und leben, wie dieſe Heimat es iſt.
Jch ſehe in ihnen nicht die am höchſten ſtehenden Scharrvögel; aber ich trage einer Begabung, ihrer
außerordentlichen Flugfertigkeit, welche ſie vor allen übrigen auszeichnet, Rechnung. Nicht umſonſt
haben die Flughühner ihren Namen erhalten: ſie verdienen ihn in vollſtem Sinne des Wortes.
Der Schnabel iſt es nicht, welcher ſie kennzeichnet, der Bau des Fußes ebenſo wenig: ihr Merk-
mal iſt die Entwickelung des Gefieders, und vor allem die Ausbildung der Flugwerkzeuge. Es
gibt kein Huhn, keinen Scharrvogel, welcher ihnen hierin gleicht; es gibt keinen Laufvogel, welcher ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0334" n="310"/><fw place="top" type="header">Die Läufer. Scharrvögel. Flughühner.</fw><lb/>
nügend, die inzwi&#x017F;chen größer gewordene La&#x017F;t des Leibes zu tragen; &#x017F;ie werden aber &#x017F;o oft gewech&#x017F;elt,<lb/>
daß &#x017F;ie ihre Dien&#x017F;te niemals ver&#x017F;agen: der Fittig eines Huhns, welches zum er&#x017F;ten Mal die Tracht<lb/>
der ausgewach&#x017F;enen Vögel &#x017F;einer Art anlegt, hat einen vier- bis fünfmaligen Federwech&#x017F;el durchmachen<lb/>&#x017F;&#x017F;en. Bei den mei&#x017F;ten Arten geht die Umkleidung &#x017F;chon vor Beendigung des er&#x017F;ten Jahres in die der<lb/>
alten Vögel über, andere hingegen bedürfen eines Zeitraumes von zwei und &#x017F;elb&#x017F;t drei Jahren, bevor<lb/>
&#x017F;ie als ausgefiedert gelten können. Jene pflegen &#x017F;ich bereits im er&#x017F;ten Herb&#x017F;te ihres Lebens zu paaren,<lb/>
brechen minde&#x017F;tens &#x017F;chon eine Lanze zu Ehren des andern Ge&#x017F;chlechts; die&#x017F;e bekümmern &#x017F;ich, bevor &#x017F;ie<lb/>
erwach&#x017F;en &#x017F;ind, wenig um die Weibchen.</p><lb/>
          <p>Sehr viele Hennen werden von Raubthieren, denen &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t leicht entgehen würden, weg-<lb/>
genommen, während &#x017F;ie brüten, weil &#x017F;ie &#x017F;ich nicht ent&#x017F;chließen können, die Eier zu verla&#x017F;&#x017F;en. Ge&#x017F;chieht<lb/>
Letzteres, &#x017F;o pflegen auch &#x017F;ie zur Ver&#x017F;tellung ihre Zuflucht zu nehmen: &#x017F;ie &#x017F;tellen &#x017F;ich lahm und<lb/>
hüpfen halb laufend, halb flatternd vor dem Verfolger dahin, bis &#x017F;ie die&#x017F;en glücklich vom Ne&#x017F;te<lb/>
entfernt haben; noch be&#x017F;orgter zeigen &#x017F;ie &#x017F;ich, wenn er&#x017F;t die Schar der Küchlein ausge&#x017F;chlüpft i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die Scharrvögel haben &#x017F;o viel Feinde, daß nur ihre ungewöhnlich &#x017F;tarke Vermehrung das<lb/>
Gleichgewicht zwi&#x017F;chen Vernichtung und Er&#x017F;etzung herzu&#x017F;tellen vermag. Alle Raubthiere, große und<lb/>
kleine, &#x017F;tellen den Hühnern eifrig nach, und der Men&#x017F;ch ge&#x017F;ellt &#x017F;ich überall als der &#x017F;chlimm&#x017F;te Feind zu<lb/>
den &#x017F;o zu &#x017F;agen natürlichen Verfolgern. Die Hühner &#x017F;ind es, welche allerorten zuer&#x017F;t und<lb/>
mehr gejagt werden, als die übrigen Vögel zu&#x017F;ammengenommen. Aber der Men&#x017F;ch hat auch bald<lb/>
ein&#x017F;ehen lernen, daß die&#x017F;e wichtigen Thiere &#x017F;ich noch ganz anders verwerthen la&#x017F;&#x017F;en. Er hat &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;eit altersgrauer Zeit wenig&#x017F;tens einige von ihnen an &#x017F;ich zu fe&#x017F;&#x017F;eln ge&#x017F;ucht und &#x017F;ie von den<lb/>
Waldungen Süda&#x017F;iens über die ganze Erde verbreitet, unter den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Himmels&#x017F;trichen,<lb/>
unter den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Um&#x017F;tänden heimi&#x017F;ch gemacht. Es i&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich, daß er &#x017F;ich die brauch-<lb/>
bar&#x017F;ten unter allen ausgewählt; es unterliegt aber auch keinem Zweifel, daß er viele von denen,<lb/>
welche gegenwärtig noch wild leben, unter &#x017F;eine Botmäßigkeit zwingen und in ihnen nützliche<lb/>
Hausthiere gewinnen können wird. Das Be&#x017F;treben der Neuzeit, fremdländi&#x017F;che Thiere bei uns ein-<lb/>
zubürgern, kann durch keine Thierordnung be&#x017F;&#x017F;er gerechtfertigt und glänzender belohnt werden, als<lb/>
durch die Scharrvögel, deren Schönheit, leichte Zähmbarkeit und Nützlichkeit von keiner andern<lb/>
Vogelgruppe übertroffen wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die bereits erwähnten <hi rendition="#g">Flug-</hi> oder <hi rendition="#g">&#x017F;tenhühner</hi> <hi rendition="#aq">(Pteroclae)</hi> nehmen in der Ordnung<lb/>
der Scharrvögel eine &#x017F;o vereinzelte Stellung ein, daß &#x017F;ie nicht blos eine eigene Familie, &#x017F;ondern<lb/>
eine be&#x017F;ondere Zunft bilden. Gewöhnlich &#x017F;ieht man &#x017F;ie als Uebergangsglieder von den Tauben<lb/>
zu den Hühnern an, und es läßt &#x017F;ich gar nicht leugnen, daß die&#x017F;e An&#x017F;icht Vieles für &#x017F;ich hat;<lb/>
anderer&#x017F;eits aber kann man nicht verkennen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich doch nur auf oberflächliche Vergleichung<lb/>
gründet. Da&#x017F;&#x017F;elbe gilt für die neuerdings geltend gemachte Meinung, daß man in ihnen die<lb/>
Vertreter der Trappen unter den Scharrvögeln zu &#x017F;ehen habe, weil dafür der Bau des Schnabels<lb/>
und der Füße, &#x017F;owie auch die Be&#x017F;chaffenheit der Be&#x017F;iederung und die Fortpflanzung &#x017F;pricht. Jch<lb/>
meinestheils bin der An&#x017F;icht, daß man die Flughühner mit anderen Scharrvögeln oder mit Tauben<lb/>
gar nicht vergleichen kann, daß &#x017F;ie vielmehr eine jener Familien bilden, welche das Gepräge ihrer<lb/>
Heimat auf das Schärf&#x017F;te bekunden und eben&#x017F;o eigenthümlich &#x017F;ind und leben, wie die&#x017F;e Heimat es i&#x017F;t.<lb/>
Jch &#x017F;ehe in ihnen nicht die am höch&#x017F;ten &#x017F;tehenden Scharrvögel; aber ich trage einer Begabung, ihrer<lb/>
außerordentlichen Flugfertigkeit, welche &#x017F;ie vor allen übrigen auszeichnet, Rechnung. Nicht um&#x017F;on&#x017F;t<lb/>
haben die Flughühner ihren Namen erhalten: &#x017F;ie <hi rendition="#g">verdienen ihn</hi> in voll&#x017F;tem Sinne des Wortes.<lb/>
Der Schnabel i&#x017F;t es nicht, welcher &#x017F;ie kennzeichnet, der Bau des Fußes eben&#x017F;o wenig: ihr Merk-<lb/>
mal i&#x017F;t die Entwickelung des Gefieders, und vor allem die Ausbildung der Flugwerkzeuge. Es<lb/>
gibt kein Huhn, keinen Scharrvogel, welcher ihnen hierin gleicht; es gibt keinen Laufvogel, welcher &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0334] Die Läufer. Scharrvögel. Flughühner. nügend, die inzwiſchen größer gewordene Laſt des Leibes zu tragen; ſie werden aber ſo oft gewechſelt, daß ſie ihre Dienſte niemals verſagen: der Fittig eines Huhns, welches zum erſten Mal die Tracht der ausgewachſenen Vögel ſeiner Art anlegt, hat einen vier- bis fünfmaligen Federwechſel durchmachen müſſen. Bei den meiſten Arten geht die Umkleidung ſchon vor Beendigung des erſten Jahres in die der alten Vögel über, andere hingegen bedürfen eines Zeitraumes von zwei und ſelbſt drei Jahren, bevor ſie als ausgefiedert gelten können. Jene pflegen ſich bereits im erſten Herbſte ihres Lebens zu paaren, brechen mindeſtens ſchon eine Lanze zu Ehren des andern Geſchlechts; dieſe bekümmern ſich, bevor ſie erwachſen ſind, wenig um die Weibchen. Sehr viele Hennen werden von Raubthieren, denen ſie ſonſt leicht entgehen würden, weg- genommen, während ſie brüten, weil ſie ſich nicht entſchließen können, die Eier zu verlaſſen. Geſchieht Letzteres, ſo pflegen auch ſie zur Verſtellung ihre Zuflucht zu nehmen: ſie ſtellen ſich lahm und hüpfen halb laufend, halb flatternd vor dem Verfolger dahin, bis ſie dieſen glücklich vom Neſte entfernt haben; noch beſorgter zeigen ſie ſich, wenn erſt die Schar der Küchlein ausgeſchlüpft iſt. Die Scharrvögel haben ſo viel Feinde, daß nur ihre ungewöhnlich ſtarke Vermehrung das Gleichgewicht zwiſchen Vernichtung und Erſetzung herzuſtellen vermag. Alle Raubthiere, große und kleine, ſtellen den Hühnern eifrig nach, und der Menſch geſellt ſich überall als der ſchlimmſte Feind zu den ſo zu ſagen natürlichen Verfolgern. Die Hühner ſind es, welche allerorten zuerſt und mehr gejagt werden, als die übrigen Vögel zuſammengenommen. Aber der Menſch hat auch bald einſehen lernen, daß dieſe wichtigen Thiere ſich noch ganz anders verwerthen laſſen. Er hat ſchon ſeit altersgrauer Zeit wenigſtens einige von ihnen an ſich zu feſſeln geſucht und ſie von den Waldungen Südaſiens über die ganze Erde verbreitet, unter den verſchiedenſten Himmelsſtrichen, unter den verſchiedenſten Umſtänden heimiſch gemacht. Es iſt wahrſcheinlich, daß er ſich die brauch- barſten unter allen ausgewählt; es unterliegt aber auch keinem Zweifel, daß er viele von denen, welche gegenwärtig noch wild leben, unter ſeine Botmäßigkeit zwingen und in ihnen nützliche Hausthiere gewinnen können wird. Das Beſtreben der Neuzeit, fremdländiſche Thiere bei uns ein- zubürgern, kann durch keine Thierordnung beſſer gerechtfertigt und glänzender belohnt werden, als durch die Scharrvögel, deren Schönheit, leichte Zähmbarkeit und Nützlichkeit von keiner andern Vogelgruppe übertroffen wird. Die bereits erwähnten Flug- oder Wüſtenhühner (Pteroclae) nehmen in der Ordnung der Scharrvögel eine ſo vereinzelte Stellung ein, daß ſie nicht blos eine eigene Familie, ſondern eine beſondere Zunft bilden. Gewöhnlich ſieht man ſie als Uebergangsglieder von den Tauben zu den Hühnern an, und es läßt ſich gar nicht leugnen, daß dieſe Anſicht Vieles für ſich hat; andererſeits aber kann man nicht verkennen, daß ſie ſich doch nur auf oberflächliche Vergleichung gründet. Daſſelbe gilt für die neuerdings geltend gemachte Meinung, daß man in ihnen die Vertreter der Trappen unter den Scharrvögeln zu ſehen habe, weil dafür der Bau des Schnabels und der Füße, ſowie auch die Beſchaffenheit der Beſiederung und die Fortpflanzung ſpricht. Jch meinestheils bin der Anſicht, daß man die Flughühner mit anderen Scharrvögeln oder mit Tauben gar nicht vergleichen kann, daß ſie vielmehr eine jener Familien bilden, welche das Gepräge ihrer Heimat auf das Schärfſte bekunden und ebenſo eigenthümlich ſind und leben, wie dieſe Heimat es iſt. Jch ſehe in ihnen nicht die am höchſten ſtehenden Scharrvögel; aber ich trage einer Begabung, ihrer außerordentlichen Flugfertigkeit, welche ſie vor allen übrigen auszeichnet, Rechnung. Nicht umſonſt haben die Flughühner ihren Namen erhalten: ſie verdienen ihn in vollſtem Sinne des Wortes. Der Schnabel iſt es nicht, welcher ſie kennzeichnet, der Bau des Fußes ebenſo wenig: ihr Merk- mal iſt die Entwickelung des Gefieders, und vor allem die Ausbildung der Flugwerkzeuge. Es gibt kein Huhn, keinen Scharrvogel, welcher ihnen hierin gleicht; es gibt keinen Laufvogel, welcher ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/334
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/334>, abgerufen am 28.11.2024.