werden muß, daß unser Europa, die Halbinsel Asiens, keine Art oder Familie besitzt, welche hier und bezüglich in Afrika nicht auch heimisch wäre, und daß dem ganzen Norden überhaupt dieselben Familien gemeinsam sind. Die innerhalb der Wendekreise gelegenen Länder Asiens, Afrikas, Amerikas und Oceaniens aber zeigen gerade in diesen Läufern ein selbständiges Gepräge.
Als bevorzugte Wohnstätte unserer Vögel darf man den Wald ansehen, die einzige aber ist er nicht; denn auch die pflanzenlose Ebene, die nur mit dürftigem Gesträuch und Gräsern bedeckten Berggehänge der Alpen über der Schneegrenze und die ihnen entsprechenden Mossteppen des Nordens werden von Scharrvögeln bevölkert. So weit man nach Norden hin vordrang: ein Schneehuhn hat man auf jedem größeren Eilande gefunden, und wo man auch sein mag in der Wüste, da, wo die uns kaum begreifliche Möglichkeit zum Leben vorhanden: ein Flughuhn wird man schwerlich vermissen. Die ganze Erde ist in Besitz genommen worden von den Mitgliedern dieser Ordnung; wo die einen verzweifeln, ihr Leben zu fristen, finden andere das tägliche Brot. Allüberall leben sie, von den Kuppen der Gebirge an bis zum Gestade des Meeres herab, vom Gleicher an bis zu den nächst dem Pole gelegenen Jnseln: -- nur der sechste Erdtheil, die um den Südpol gelagerten Fels- massen, beherbergt sie nicht. Wie sie es ermöglichen, sich ihren Unterhalt zu erwerben an den Orten, wo entweder die Glut der Sonne oder die Kälte der monatelangen Nacht unserer Erde Oede und Armuth bringt, Das vermögen wir nicht zu sagen, kaum zu begreifen, obgleich wir wissen, daß ihnen eigentlich alles Genießbare recht, daß sie zwar vorzugsweise Pflanzenfresser, aber doch auch tüchtige Räuber sind, daß sie mit Stoffen sich begnügen, welche nur Raupen mit ihnen theilen oder höchstens einzelne Wiederkäuer zur Azung nehmen. Eins aber sehen wir wohl, daß sie sich überall, wo sie leben, auch höchst behaglich fühlen, ja, daß sie sich allerorten mehr oder weniger gleich bleiben in Wesen und Gewohnheiten.
Man kann die Scharrvögel nicht als besonders begabte Geschöpfe bezeichnen: ihre Fähigkeiten sind gering. Die wenigsten vermögen, im Fluge mit andern Vögeln zu wetteifern, die meisten sind mehr oder weniger fremd auf den Bäumen, weil sie sich hier nicht zu benehmen wissen, und alle ohne Ausnahme scheuen das Wasser. Jhr Reich ist der flache Boden. Sie sind vollendete Läufer; nur diejenigen, deren Flugfähigkeit am höchsten entwickelt ist, sind es nicht. Jhre kräftigen und verhältnißmäßig hohen Beine gestatten ihnen nicht nur einen ausdauernden, sondern auch einen sehr schnellen Lauf: im Laufen kann schon ein kleineres Huhn die Menschen beschämen. Reicht die Kraft der Beine allein nicht aus, so werden auch die Flügel mit zu Hilfe genommen, doch mehr, um den Leib im Gleichgewicht zu halten, als um ihn vorwärts zu treiben. Zum Fliegen entschließt sich der Scharrvogel in der Regel nur, wenn er es unbedingt thun muß, wenn er laufend das Ziel seiner Wünsche und Absichten entweder nicht rasch oder nicht sicher genug erreichen zu können glaubt. Der Flug der großen Mehrzahl unserer Ordnung ist auch so schlecht, daß Dies leicht begreiflich wird: er erfordert viele, rasche Schläge der kurzen, runden Fittige, gestattet den sie bewegenden Muskeln keine Ruhepausen und ermüdet daher sehr bald. Spielendes Umherfliegen, wie es anderer Vögel Art, fällt den Scharrvögeln gar nicht ein; wenn sie ihrer Begeisterung Ausdruck verleihen wollen, gebrauchen sie die Beine mehr als die Flügel, welche höchstens benutzt werden, um alle Schönheit zu entfalten, oder um Lärm zu machen. Aber auch in dieser Hinsicht gibt es Ausnahmen. -- Die Stimme der Scharrvögel ist eigenthümlich. Wenige Arten dürfen schweigsam genannt werden; die meisten schreien gern und viel. Von angenehmen Tönen wird aber wenig vernommen, falls man von dem Ausdruck der Zärtlichkeit, welchen die Hühnermutter ihren Küchlein gegenüber anwendet, absieht und den eigentlichen Liebesruf des Hahns allein berücksichtigt. Dieser Ruf wird zwar von den wortarmen Welschen Gesang genannt, wir hingegen wenden zu seiner Bezeichnung Ausdrücke, meist Klangbilder, an, welche treffender sind: unsere Sprache läßt die Hähne krähen, kollern, knarren, balzen, schleifen, wetzen, schnalzen, schnappen, worgen, kröpfen, Gesetz'l machen etc. -- an Gesang denkt nicht einmal der Waidmann, in dessen Ohre die Laute mancher Hähne angenehmere Musik sind, als die Weisen unsrer Tonkünstler.
20 *
Allgemeines.
werden muß, daß unſer Europa, die Halbinſel Aſiens, keine Art oder Familie beſitzt, welche hier und bezüglich in Afrika nicht auch heimiſch wäre, und daß dem ganzen Norden überhaupt dieſelben Familien gemeinſam ſind. Die innerhalb der Wendekreiſe gelegenen Länder Aſiens, Afrikas, Amerikas und Oceaniens aber zeigen gerade in dieſen Läufern ein ſelbſtändiges Gepräge.
Als bevorzugte Wohnſtätte unſerer Vögel darf man den Wald anſehen, die einzige aber iſt er nicht; denn auch die pflanzenloſe Ebene, die nur mit dürftigem Geſträuch und Gräſern bedeckten Berggehänge der Alpen über der Schneegrenze und die ihnen entſprechenden Mosſteppen des Nordens werden von Scharrvögeln bevölkert. So weit man nach Norden hin vordrang: ein Schneehuhn hat man auf jedem größeren Eilande gefunden, und wo man auch ſein mag in der Wüſte, da, wo die uns kaum begreifliche Möglichkeit zum Leben vorhanden: ein Flughuhn wird man ſchwerlich vermiſſen. Die ganze Erde iſt in Beſitz genommen worden von den Mitgliedern dieſer Ordnung; wo die einen verzweifeln, ihr Leben zu friſten, finden andere das tägliche Brot. Allüberall leben ſie, von den Kuppen der Gebirge an bis zum Geſtade des Meeres herab, vom Gleicher an bis zu den nächſt dem Pole gelegenen Jnſeln: — nur der ſechſte Erdtheil, die um den Südpol gelagerten Fels- maſſen, beherbergt ſie nicht. Wie ſie es ermöglichen, ſich ihren Unterhalt zu erwerben an den Orten, wo entweder die Glut der Sonne oder die Kälte der monatelangen Nacht unſerer Erde Oede und Armuth bringt, Das vermögen wir nicht zu ſagen, kaum zu begreifen, obgleich wir wiſſen, daß ihnen eigentlich alles Genießbare recht, daß ſie zwar vorzugsweiſe Pflanzenfreſſer, aber doch auch tüchtige Räuber ſind, daß ſie mit Stoffen ſich begnügen, welche nur Raupen mit ihnen theilen oder höchſtens einzelne Wiederkäuer zur Azung nehmen. Eins aber ſehen wir wohl, daß ſie ſich überall, wo ſie leben, auch höchſt behaglich fühlen, ja, daß ſie ſich allerorten mehr oder weniger gleich bleiben in Weſen und Gewohnheiten.
Man kann die Scharrvögel nicht als beſonders begabte Geſchöpfe bezeichnen: ihre Fähigkeiten ſind gering. Die wenigſten vermögen, im Fluge mit andern Vögeln zu wetteifern, die meiſten ſind mehr oder weniger fremd auf den Bäumen, weil ſie ſich hier nicht zu benehmen wiſſen, und alle ohne Ausnahme ſcheuen das Waſſer. Jhr Reich iſt der flache Boden. Sie ſind vollendete Läufer; nur diejenigen, deren Flugfähigkeit am höchſten entwickelt iſt, ſind es nicht. Jhre kräftigen und verhältnißmäßig hohen Beine geſtatten ihnen nicht nur einen ausdauernden, ſondern auch einen ſehr ſchnellen Lauf: im Laufen kann ſchon ein kleineres Huhn die Menſchen beſchämen. Reicht die Kraft der Beine allein nicht aus, ſo werden auch die Flügel mit zu Hilfe genommen, doch mehr, um den Leib im Gleichgewicht zu halten, als um ihn vorwärts zu treiben. Zum Fliegen entſchließt ſich der Scharrvogel in der Regel nur, wenn er es unbedingt thun muß, wenn er laufend das Ziel ſeiner Wünſche und Abſichten entweder nicht raſch oder nicht ſicher genug erreichen zu können glaubt. Der Flug der großen Mehrzahl unſerer Ordnung iſt auch ſo ſchlecht, daß Dies leicht begreiflich wird: er erfordert viele, raſche Schläge der kurzen, runden Fittige, geſtattet den ſie bewegenden Muskeln keine Ruhepauſen und ermüdet daher ſehr bald. Spielendes Umherfliegen, wie es anderer Vögel Art, fällt den Scharrvögeln gar nicht ein; wenn ſie ihrer Begeiſterung Ausdruck verleihen wollen, gebrauchen ſie die Beine mehr als die Flügel, welche höchſtens benutzt werden, um alle Schönheit zu entfalten, oder um Lärm zu machen. Aber auch in dieſer Hinſicht gibt es Ausnahmen. — Die Stimme der Scharrvögel iſt eigenthümlich. Wenige Arten dürfen ſchweigſam genannt werden; die meiſten ſchreien gern und viel. Von angenehmen Tönen wird aber wenig vernommen, falls man von dem Ausdruck der Zärtlichkeit, welchen die Hühnermutter ihren Küchlein gegenüber anwendet, abſieht und den eigentlichen Liebesruf des Hahns allein berückſichtigt. Dieſer Ruf wird zwar von den wortarmen Welſchen Geſang genannt, wir hingegen wenden zu ſeiner Bezeichnung Ausdrücke, meiſt Klangbilder, an, welche treffender ſind: unſere Sprache läßt die Hähne krähen, kollern, knarren, balzen, ſchleifen, wetzen, ſchnalzen, ſchnappen, worgen, kröpfen, Geſetz’l machen ꝛc. — an Geſang denkt nicht einmal der Waidmann, in deſſen Ohre die Laute mancher Hähne angenehmere Muſik ſind, als die Weiſen unſrer Tonkünſtler.
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[307/0331]
Allgemeines.
werden muß, daß unſer Europa, die Halbinſel Aſiens, keine Art oder Familie beſitzt, welche hier und
bezüglich in Afrika nicht auch heimiſch wäre, und daß dem ganzen Norden überhaupt dieſelben
Familien gemeinſam ſind. Die innerhalb der Wendekreiſe gelegenen Länder Aſiens, Afrikas,
Amerikas und Oceaniens aber zeigen gerade in dieſen Läufern ein ſelbſtändiges Gepräge.
Als bevorzugte Wohnſtätte unſerer Vögel darf man den Wald anſehen, die einzige aber iſt er
nicht; denn auch die pflanzenloſe Ebene, die nur mit dürftigem Geſträuch und Gräſern bedeckten
Berggehänge der Alpen über der Schneegrenze und die ihnen entſprechenden Mosſteppen des Nordens
werden von Scharrvögeln bevölkert. So weit man nach Norden hin vordrang: ein Schneehuhn
hat man auf jedem größeren Eilande gefunden, und wo man auch ſein mag in der Wüſte, da, wo die
uns kaum begreifliche Möglichkeit zum Leben vorhanden: ein Flughuhn wird man ſchwerlich
vermiſſen. Die ganze Erde iſt in Beſitz genommen worden von den Mitgliedern dieſer Ordnung;
wo die einen verzweifeln, ihr Leben zu friſten, finden andere das tägliche Brot. Allüberall leben ſie,
von den Kuppen der Gebirge an bis zum Geſtade des Meeres herab, vom Gleicher an bis zu den
nächſt dem Pole gelegenen Jnſeln: — nur der ſechſte Erdtheil, die um den Südpol gelagerten Fels-
maſſen, beherbergt ſie nicht. Wie ſie es ermöglichen, ſich ihren Unterhalt zu erwerben an den Orten,
wo entweder die Glut der Sonne oder die Kälte der monatelangen Nacht unſerer Erde Oede und
Armuth bringt, Das vermögen wir nicht zu ſagen, kaum zu begreifen, obgleich wir wiſſen, daß ihnen
eigentlich alles Genießbare recht, daß ſie zwar vorzugsweiſe Pflanzenfreſſer, aber doch auch tüchtige
Räuber ſind, daß ſie mit Stoffen ſich begnügen, welche nur Raupen mit ihnen theilen oder höchſtens
einzelne Wiederkäuer zur Azung nehmen. Eins aber ſehen wir wohl, daß ſie ſich überall, wo ſie
leben, auch höchſt behaglich fühlen, ja, daß ſie ſich allerorten mehr oder weniger gleich bleiben in
Weſen und Gewohnheiten.
Man kann die Scharrvögel nicht als beſonders begabte Geſchöpfe bezeichnen: ihre Fähigkeiten
ſind gering. Die wenigſten vermögen, im Fluge mit andern Vögeln zu wetteifern, die meiſten
ſind mehr oder weniger fremd auf den Bäumen, weil ſie ſich hier nicht zu benehmen wiſſen, und alle
ohne Ausnahme ſcheuen das Waſſer. Jhr Reich iſt der flache Boden. Sie ſind vollendete Läufer;
nur diejenigen, deren Flugfähigkeit am höchſten entwickelt iſt, ſind es nicht. Jhre kräftigen und
verhältnißmäßig hohen Beine geſtatten ihnen nicht nur einen ausdauernden, ſondern auch einen ſehr
ſchnellen Lauf: im Laufen kann ſchon ein kleineres Huhn die Menſchen beſchämen. Reicht die Kraft
der Beine allein nicht aus, ſo werden auch die Flügel mit zu Hilfe genommen, doch mehr, um den
Leib im Gleichgewicht zu halten, als um ihn vorwärts zu treiben. Zum Fliegen entſchließt ſich der
Scharrvogel in der Regel nur, wenn er es unbedingt thun muß, wenn er laufend das Ziel ſeiner
Wünſche und Abſichten entweder nicht raſch oder nicht ſicher genug erreichen zu können glaubt. Der
Flug der großen Mehrzahl unſerer Ordnung iſt auch ſo ſchlecht, daß Dies leicht begreiflich wird: er
erfordert viele, raſche Schläge der kurzen, runden Fittige, geſtattet den ſie bewegenden Muskeln keine
Ruhepauſen und ermüdet daher ſehr bald. Spielendes Umherfliegen, wie es anderer Vögel Art,
fällt den Scharrvögeln gar nicht ein; wenn ſie ihrer Begeiſterung Ausdruck verleihen wollen,
gebrauchen ſie die Beine mehr als die Flügel, welche höchſtens benutzt werden, um alle Schönheit zu
entfalten, oder um Lärm zu machen. Aber auch in dieſer Hinſicht gibt es Ausnahmen. — Die
Stimme der Scharrvögel iſt eigenthümlich. Wenige Arten dürfen ſchweigſam genannt werden; die
meiſten ſchreien gern und viel. Von angenehmen Tönen wird aber wenig vernommen, falls man von
dem Ausdruck der Zärtlichkeit, welchen die Hühnermutter ihren Küchlein gegenüber anwendet, abſieht und
den eigentlichen Liebesruf des Hahns allein berückſichtigt. Dieſer Ruf wird zwar von den wortarmen
Welſchen Geſang genannt, wir hingegen wenden zu ſeiner Bezeichnung Ausdrücke, meiſt Klangbilder,
an, welche treffender ſind: unſere Sprache läßt die Hähne krähen, kollern, knarren, balzen,
ſchleifen, wetzen, ſchnalzen, ſchnappen, worgen, kröpfen, Geſetz’l machen ꝛc. — an
Geſang denkt nicht einmal der Waidmann, in deſſen Ohre die Laute mancher Hähne angenehmere
Muſik ſind, als die Weiſen unſrer Tonkünſtler.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/331>, abgerufen am 28.11.2024.
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