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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Wandertaube.
sich deren Feinde fast ängstlich auf ihren Empfang vor. Viele erschienen mit eisernen Töpfen,
welche Schwefel enthielten, andere mit Kienfackeln, wieder andere mit Pfählen, die übrigen mit
Gewehren. Die Sonne war unsern Blicken entschwunden, und noch nicht eine einzige Taube war
erschienen; aber Alles stand bereit, und Aller Augen schauten auf zum klaren Himmel, welcher
zwischen den hohen Bäumen hindurch schimmerte. Plötzlich vernahm man den allgemeinen Schrei: sie
kommen. Und sie kamen, obgleich noch entfernt, so doch mit einem Dröhnen, welches mich an
einen starken Seesturm erinnerte, der durch das Takelwerk braust. Als die Vögel wirklich da waren,
und der Zug über mir wegging, verspürte ich einen heftigen Luftzug."

"Tausende von Tauben wurden rasch von den Pfahlmännern zu Boden geschlagen; aber
ununterbrochen stürzten andere herbei. Jetzt wurden die Feuer entzündet, und ein großartiges, ebenso
wundervolles, wie entsetzliches Schauspiel bot sich den Blicken. Die Tauben, welche zu Tausenden
ankamen, ließen sich allerorten nieder, bis um die Aeste und Zweige der Bäume sich feste Massen
gebildet hatten. Hier und da brachen die Aeste unter ihrer Last, stürzten krachend nieder und
vernichteten Hunderte der darunter sitzenden Vögel, ganze Klumpen von ihnen zu Boden reißend.
Es war ein Auftritt der Verwirrung und des Aufruhrs. Jch fand es gänzlich unnütz, zu sprechen,
oder auch den mir zunächst Stehenden zuzuschreien. Bemerkte man doch selbst das Abbrennen der
Gewehre meist nur an dem Blitze des Pulvers!"

"Niemand durfte wagen, sich auf den Schauplatz der Verheerung zu begeben. Die Schweine
waren in einen Pferch gebracht worden; denn ihr Geschäft, die Todten und Verwundeten aufzulesen,
sollte erst am nächsten Morgen beginnen. Schon war es Mitternacht, und noch fortwährend kamen
die Tauben, noch immer zeigte sich keine Abnahme. Der Aufruhr währte die ganze Nacht hindurch
fort. Jch war begierig zu erfahren, auf wie weit hin man den Lärm vernehmen könne, und sandte
deshalb einen Mann ab, Dies zu erforschen. Er kehrte mit der Nachricht zurück, daß er drei
Meilen vom Orte noch Alles deutlich gehört habe. Erst gegen Tagesanbruch legte sich das Geräusch
einigermaßen. Lange, bevor man einen Gegenstand unterscheiden konnte, begannen die Tauben bereits
wegzuziehen und zwar in einer ganz andern Richtung, als sie gekommen waren. Bei Sonnen-
aufgang waren alle verschwunden, welche noch fliegen konnten. Nun vernahm man das Heulen der
Wölse, der Füchse, der Luchse, des Kuguars, der Bären, Waschbären und Beutelthiere, welche unten
umherschnüsselten, während Adler und eine Masse von Geiern sich einfanden, um mit jenen die
Beute zu theilen. Jetzt begannen auch die Urheber der Niederlagen die todten, sterbenden und
verstümmelten Tauben aufzulesen. Sie wurden auf Haufen geworfen, bis Jeder so viel hatte, als er
wünschte; dann ließ man die Schweine los, um den Rest zu vertilgen."

Genau dieselbe Schlächterei findet auf den Brutplätzen der Wandertaube statt. "Das Brut-
geschäft der Wildtaube", erzählt Audubon ferner, "und die Plätze, welche zu diesem Zwecke gewählt
werden, sind der Beachtung werth. Die Fortpflanzung hängt nicht gerade von der Jahreszeit ab,
aber der gewählte Platz ist immer ein solcher, welcher leicht zu erlangende Nahrung im Ueberflusse
enthält und in passender Nähe von Wasser belegen ist. Waldbäume von großer Höhe tragen die
Nester. Zu dieser Zeit ruckst die Wandertaube sanft, aber doch stärker, als unsere Haustaube, wie
"Kuh kuh kuh", während sie sonst nur die Silben "Ki ki ki" auszustoßen pflegt. Der Tauber zeigt
einen stolzen Anstand und folgt dem Weibchen, entweder auf den Boden oder auf den Zweigen, mit
ausgebreitetem Schwanze und hängenden Flügeln, welche er unten zu schleifen pflegt. Der Leib wird
aufrecht gehalten, der Kropf vorgedrückt. Die Augen blitzen, er ruckst, hebt dann und wann
seine Flügel, fliegt einige Ellen weit vorwärts, kehrt zum Weibchen zurück, schnäbelt sich liebkosend
mit diesem und füttert es aus seinem Kropfe. Nach solchem Vorspiel beginnen beide den Bau
ihres Nestes. Dasselbe besteht aus wenigen dürren Zweigen, welche auf einer Astgabel durch
einander gelegt werden. Auf ein und demselben Baume sieht man oft funfzig bis hundert Nester
beisammen, ich würde sagen, noch mehr, fürchtete ich nicht, daß man die wunderbare Geschichte dieser
Taube für märchenhaft halten möchte. Die zwei Eier sind rundlich und reinweiß. Während das

Wandertaube.
ſich deren Feinde faſt ängſtlich auf ihren Empfang vor. Viele erſchienen mit eiſernen Töpfen,
welche Schwefel enthielten, andere mit Kienfackeln, wieder andere mit Pfählen, die übrigen mit
Gewehren. Die Sonne war unſern Blicken entſchwunden, und noch nicht eine einzige Taube war
erſchienen; aber Alles ſtand bereit, und Aller Augen ſchauten auf zum klaren Himmel, welcher
zwiſchen den hohen Bäumen hindurch ſchimmerte. Plötzlich vernahm man den allgemeinen Schrei: ſie
kommen. Und ſie kamen, obgleich noch entfernt, ſo doch mit einem Dröhnen, welches mich an
einen ſtarken Seeſturm erinnerte, der durch das Takelwerk brauſt. Als die Vögel wirklich da waren,
und der Zug über mir wegging, verſpürte ich einen heftigen Luftzug.“

„Tauſende von Tauben wurden raſch von den Pfahlmännern zu Boden geſchlagen; aber
ununterbrochen ſtürzten andere herbei. Jetzt wurden die Feuer entzündet, und ein großartiges, ebenſo
wundervolles, wie entſetzliches Schauſpiel bot ſich den Blicken. Die Tauben, welche zu Tauſenden
ankamen, ließen ſich allerorten nieder, bis um die Aeſte und Zweige der Bäume ſich feſte Maſſen
gebildet hatten. Hier und da brachen die Aeſte unter ihrer Laſt, ſtürzten krachend nieder und
vernichteten Hunderte der darunter ſitzenden Vögel, ganze Klumpen von ihnen zu Boden reißend.
Es war ein Auftritt der Verwirrung und des Aufruhrs. Jch fand es gänzlich unnütz, zu ſprechen,
oder auch den mir zunächſt Stehenden zuzuſchreien. Bemerkte man doch ſelbſt das Abbrennen der
Gewehre meiſt nur an dem Blitze des Pulvers!“

„Niemand durfte wagen, ſich auf den Schauplatz der Verheerung zu begeben. Die Schweine
waren in einen Pferch gebracht worden; denn ihr Geſchäft, die Todten und Verwundeten aufzuleſen,
ſollte erſt am nächſten Morgen beginnen. Schon war es Mitternacht, und noch fortwährend kamen
die Tauben, noch immer zeigte ſich keine Abnahme. Der Aufruhr währte die ganze Nacht hindurch
fort. Jch war begierig zu erfahren, auf wie weit hin man den Lärm vernehmen könne, und ſandte
deshalb einen Mann ab, Dies zu erforſchen. Er kehrte mit der Nachricht zurück, daß er drei
Meilen vom Orte noch Alles deutlich gehört habe. Erſt gegen Tagesanbruch legte ſich das Geräuſch
einigermaßen. Lange, bevor man einen Gegenſtand unterſcheiden konnte, begannen die Tauben bereits
wegzuziehen und zwar in einer ganz andern Richtung, als ſie gekommen waren. Bei Sonnen-
aufgang waren alle verſchwunden, welche noch fliegen konnten. Nun vernahm man das Heulen der
Wölſe, der Füchſe, der Luchſe, des Kuguars, der Bären, Waſchbären und Beutelthiere, welche unten
umherſchnüſſelten, während Adler und eine Maſſe von Geiern ſich einfanden, um mit jenen die
Beute zu theilen. Jetzt begannen auch die Urheber der Niederlagen die todten, ſterbenden und
verſtümmelten Tauben aufzuleſen. Sie wurden auf Haufen geworfen, bis Jeder ſo viel hatte, als er
wünſchte; dann ließ man die Schweine los, um den Reſt zu vertilgen.“

Genau dieſelbe Schlächterei findet auf den Brutplätzen der Wandertaube ſtatt. „Das Brut-
geſchäft der Wildtaube“, erzählt Audubon ferner, „und die Plätze, welche zu dieſem Zwecke gewählt
werden, ſind der Beachtung werth. Die Fortpflanzung hängt nicht gerade von der Jahreszeit ab,
aber der gewählte Platz iſt immer ein ſolcher, welcher leicht zu erlangende Nahrung im Ueberfluſſe
enthält und in paſſender Nähe von Waſſer belegen iſt. Waldbäume von großer Höhe tragen die
Neſter. Zu dieſer Zeit ruckſt die Wandertaube ſanft, aber doch ſtärker, als unſere Haustaube, wie
„Kuh kuh kuh“, während ſie ſonſt nur die Silben „Ki ki ki“ auszuſtoßen pflegt. Der Tauber zeigt
einen ſtolzen Anſtand und folgt dem Weibchen, entweder auf den Boden oder auf den Zweigen, mit
ausgebreitetem Schwanze und hängenden Flügeln, welche er unten zu ſchleifen pflegt. Der Leib wird
aufrecht gehalten, der Kropf vorgedrückt. Die Augen blitzen, er ruckſt, hebt dann und wann
ſeine Flügel, fliegt einige Ellen weit vorwärts, kehrt zum Weibchen zurück, ſchnäbelt ſich liebkoſend
mit dieſem und füttert es aus ſeinem Kropfe. Nach ſolchem Vorſpiel beginnen beide den Bau
ihres Neſtes. Daſſelbe beſteht aus wenigen dürren Zweigen, welche auf einer Aſtgabel durch
einander gelegt werden. Auf ein und demſelben Baume ſieht man oft funfzig bis hundert Neſter
beiſammen, ich würde ſagen, noch mehr, fürchtete ich nicht, daß man die wunderbare Geſchichte dieſer
Taube für märchenhaft halten möchte. Die zwei Eier ſind rundlich und reinweiß. Während das

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[277/0299] Wandertaube. ſich deren Feinde faſt ängſtlich auf ihren Empfang vor. Viele erſchienen mit eiſernen Töpfen, welche Schwefel enthielten, andere mit Kienfackeln, wieder andere mit Pfählen, die übrigen mit Gewehren. Die Sonne war unſern Blicken entſchwunden, und noch nicht eine einzige Taube war erſchienen; aber Alles ſtand bereit, und Aller Augen ſchauten auf zum klaren Himmel, welcher zwiſchen den hohen Bäumen hindurch ſchimmerte. Plötzlich vernahm man den allgemeinen Schrei: ſie kommen. Und ſie kamen, obgleich noch entfernt, ſo doch mit einem Dröhnen, welches mich an einen ſtarken Seeſturm erinnerte, der durch das Takelwerk brauſt. Als die Vögel wirklich da waren, und der Zug über mir wegging, verſpürte ich einen heftigen Luftzug.“ „Tauſende von Tauben wurden raſch von den Pfahlmännern zu Boden geſchlagen; aber ununterbrochen ſtürzten andere herbei. Jetzt wurden die Feuer entzündet, und ein großartiges, ebenſo wundervolles, wie entſetzliches Schauſpiel bot ſich den Blicken. Die Tauben, welche zu Tauſenden ankamen, ließen ſich allerorten nieder, bis um die Aeſte und Zweige der Bäume ſich feſte Maſſen gebildet hatten. Hier und da brachen die Aeſte unter ihrer Laſt, ſtürzten krachend nieder und vernichteten Hunderte der darunter ſitzenden Vögel, ganze Klumpen von ihnen zu Boden reißend. Es war ein Auftritt der Verwirrung und des Aufruhrs. Jch fand es gänzlich unnütz, zu ſprechen, oder auch den mir zunächſt Stehenden zuzuſchreien. Bemerkte man doch ſelbſt das Abbrennen der Gewehre meiſt nur an dem Blitze des Pulvers!“ „Niemand durfte wagen, ſich auf den Schauplatz der Verheerung zu begeben. Die Schweine waren in einen Pferch gebracht worden; denn ihr Geſchäft, die Todten und Verwundeten aufzuleſen, ſollte erſt am nächſten Morgen beginnen. Schon war es Mitternacht, und noch fortwährend kamen die Tauben, noch immer zeigte ſich keine Abnahme. Der Aufruhr währte die ganze Nacht hindurch fort. Jch war begierig zu erfahren, auf wie weit hin man den Lärm vernehmen könne, und ſandte deshalb einen Mann ab, Dies zu erforſchen. Er kehrte mit der Nachricht zurück, daß er drei Meilen vom Orte noch Alles deutlich gehört habe. Erſt gegen Tagesanbruch legte ſich das Geräuſch einigermaßen. Lange, bevor man einen Gegenſtand unterſcheiden konnte, begannen die Tauben bereits wegzuziehen und zwar in einer ganz andern Richtung, als ſie gekommen waren. Bei Sonnen- aufgang waren alle verſchwunden, welche noch fliegen konnten. Nun vernahm man das Heulen der Wölſe, der Füchſe, der Luchſe, des Kuguars, der Bären, Waſchbären und Beutelthiere, welche unten umherſchnüſſelten, während Adler und eine Maſſe von Geiern ſich einfanden, um mit jenen die Beute zu theilen. Jetzt begannen auch die Urheber der Niederlagen die todten, ſterbenden und verſtümmelten Tauben aufzuleſen. Sie wurden auf Haufen geworfen, bis Jeder ſo viel hatte, als er wünſchte; dann ließ man die Schweine los, um den Reſt zu vertilgen.“ Genau dieſelbe Schlächterei findet auf den Brutplätzen der Wandertaube ſtatt. „Das Brut- geſchäft der Wildtaube“, erzählt Audubon ferner, „und die Plätze, welche zu dieſem Zwecke gewählt werden, ſind der Beachtung werth. Die Fortpflanzung hängt nicht gerade von der Jahreszeit ab, aber der gewählte Platz iſt immer ein ſolcher, welcher leicht zu erlangende Nahrung im Ueberfluſſe enthält und in paſſender Nähe von Waſſer belegen iſt. Waldbäume von großer Höhe tragen die Neſter. Zu dieſer Zeit ruckſt die Wandertaube ſanft, aber doch ſtärker, als unſere Haustaube, wie „Kuh kuh kuh“, während ſie ſonſt nur die Silben „Ki ki ki“ auszuſtoßen pflegt. Der Tauber zeigt einen ſtolzen Anſtand und folgt dem Weibchen, entweder auf den Boden oder auf den Zweigen, mit ausgebreitetem Schwanze und hängenden Flügeln, welche er unten zu ſchleifen pflegt. Der Leib wird aufrecht gehalten, der Kropf vorgedrückt. Die Augen blitzen, er ruckſt, hebt dann und wann ſeine Flügel, fliegt einige Ellen weit vorwärts, kehrt zum Weibchen zurück, ſchnäbelt ſich liebkoſend mit dieſem und füttert es aus ſeinem Kropfe. Nach ſolchem Vorſpiel beginnen beide den Bau ihres Neſtes. Daſſelbe beſteht aus wenigen dürren Zweigen, welche auf einer Aſtgabel durch einander gelegt werden. Auf ein und demſelben Baume ſieht man oft funfzig bis hundert Neſter beiſammen, ich würde ſagen, noch mehr, fürchtete ich nicht, daß man die wunderbare Geſchichte dieſer Taube für märchenhaft halten möchte. Die zwei Eier ſind rundlich und reinweiß. Während das

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/299>, abgerufen am 29.11.2024.