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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Hohltaube. Felsentaube.

Früher nahm man an, daß sich die Felsentaube über ganz Europa, den größten Theil Asiens
und Nordafrika verbreite; gegenwärtig unterscheidet man, und wohl mit Recht, wenigstens zwei
verschiedene Arten, die Felsentaube, welche im Norden wohnt, und die Bergtaube, welche im Süden
zu Hause ist. Mein Vater hat die letztere unter dem Namen Columba glauconotos, Strickland
unter dem Namen Columba intermedia von jener getrennt. Jn Südeuropa scheint der Verbreitungs-
kreis der einen an den der andern zu greuzen: ich beobachtete in der Sierra Nevada Flüge von
dieser und von jener Art. Schon in Egypten gibt es keine weißrückige Felsentaube mehr, und
auch in Jndien scheint, laut Jerdon, nur die Vergtaube vorzukommen. Hinsichtlich ihres Aufent-
halts, ihrer Lebensweise und ihres Betragens unterscheiden sich die beiden Arten, soviel ich wahr-
nehmen konnte, nicht im geringsten; es wird also kein Fehler sein, wenn ich unter Berücksichtigung
der verschiedenen Heimat das mir von beiden Bekannte zu einer Beschreibung zusammenfasse.

Alle Felsentauben weichen von den meisten Ordnungsverwandten darin ab, daß sie ihren
Aufenthalt auf Felsen oder im alten Gemäuer nehmen, Bäume aber meiden. Die eigentliche Felsen-
taube bewohnt Klippen und Felsenhöhlen Europas, namentlich verschiedene Gegenden längs der
Westküste von Schottland, insbesondere die Hebriden, Orkney- und Shetlandsinseln, die Faroerinseln
und das kleine Felseneiland Rennesö bei Stavanger an Norwegens westlicher Küste, ferner fast alle
geeigneten Oertlichkeiten um das Mittelmeer, von Triest an bis Griechenland und von Frankreich an
bis Südspanien hinab; die Bergtaube ersetzt sie in den südlichen und südöstlichen Ländern. Jene
gehört im Jnnern des Landes als Wildling überall zu den Seltenheiten, diese findet sich auch fern vom
Meere und selbst von Gewässern inmitten des Landes, obwohl nicht zu verkennen ist, daß sie Fels-
wände in der Nähe vom Meere, von Flüssen oder andern Gewässern allen übrigen Oertlichkeiten
vorzieht. Graba traf die Felsentaube auf den Faroerinseln an. "Sie ist", sagt er, "hier gemein,
nistet fast auf jeder bewohnten Jnsel, weiß sich aber so zu verbergen, daß die Bewohner weder ihrer
Eier, noch ihrer Jungen habhaft werden können. Auch wenn sie ihre Nahrung auf der Jndmark
sucht, ist sie sehr scheu, dabei im Fliegen so gewandt, daß weder die Naubmöven, noch die Naben ihr
Etwas anhaben können, während die zahmen Tauben sogleich von letzteren getödtet werden. Jch sah
sie in eine geräumige Höhle fliegen, in welche man allenfalls gelangen konnte. Nach vieler Mühe
und Gefahr kamen wir dahin und bemerkten, daß die Höhle sehr verschüttet war und aus mehreren
kleineren bestand. Die Eingänge waren durch größere und kleinere Steine verdeckt, sodaß von den
Tauben oder gar ihren Brutplätzen Nichts zu sehen war. Weder Sprechen, noch Schreien, noch
Steinwerfen brachten sie heraus; es wurde also ein Gewehr abgefeuert. Plötzlich belebte sich die
Höhle, und die Tauben flatterten nach allen Seiten davon." Auf den Canareen ist sie, d. h. die
Bergtaube, laut Bolle, nicht nur längs der Küsten, sondern auch tief im Jnnern der Jnseln, wo
diese nicht bewaldet sind, im Ueberfluß vorhanden; sie wurde selbst noch in 8 bis 10,000 Fuß
Höhe am Teide angetroffen, ja, Verthelot fand sie auf Lazarote in dem noch frischen Krater
der Feuerspeier, trotz des Schwefelgeruchs und der großen Hitze, welche darin herrschten. Auch
dort brüten oder schlafen sie am liebsten in Höhlen, und auf Lazarote gewähren sie ein ganz beson-
deres Jagdvergnügen, indem man im Dunkeln mit Fackeln in ihre Grotten dringt, den Eingang
verstopft und dann mit Stangen auf sie losschlägt. Jn Egypten sah ich sie an Felswänden,
namentlich in der Nähe der Katarakten in sehr großer Menge, einzelne Flüge von ihnen aber auch
inmitten der Wüste, wo man sich fragen mußte, wie die arme Erde hier im Stande sei, den Massen
genügende Nahrung zu bieten. Jm Jnnern Afrikas ist sie viel seltener als dort, aus dem ganz
einfachen Grunde, weil es hier wenige felsige Gebirge gibt; an günstigen Stellen aber vermißt
man sie nicht, und ein einzeln stehender Felsen mit steilen Wänden beherbergt sie gewiß. Jn Jndien
gehört sie zu den gemeinsten und häufigsten Vögeln, brütet ebenfalls in Höhlen und Nischen der
Felsen und Klippen, wo möglich in der Nähe vom Wasser und oft in Gemeinschaft mit dem Alpen-
segler, so in der Nähe der berühmten Fälle von Grisoppa. Hier, wie in Egypten, lebt die Bergtaube
aber auch in einem halbwilden Zustande. Sie bewohnt nämlich alle alten ruhigen Gebäude, Stadt-

Hohltaube. Felſentaube.

Früher nahm man an, daß ſich die Felſentaube über ganz Europa, den größten Theil Aſiens
und Nordafrika verbreite; gegenwärtig unterſcheidet man, und wohl mit Recht, wenigſtens zwei
verſchiedene Arten, die Felſentaube, welche im Norden wohnt, und die Bergtaube, welche im Süden
zu Hauſe iſt. Mein Vater hat die letztere unter dem Namen Columba glauconotos, Strickland
unter dem Namen Columba intermedia von jener getrennt. Jn Südeuropa ſcheint der Verbreitungs-
kreis der einen an den der andern zu greuzen: ich beobachtete in der Sierra Nevada Flüge von
dieſer und von jener Art. Schon in Egypten gibt es keine weißrückige Felſentaube mehr, und
auch in Jndien ſcheint, laut Jerdon, nur die Vergtaube vorzukommen. Hinſichtlich ihres Aufent-
halts, ihrer Lebensweiſe und ihres Betragens unterſcheiden ſich die beiden Arten, ſoviel ich wahr-
nehmen konnte, nicht im geringſten; es wird alſo kein Fehler ſein, wenn ich unter Berückſichtigung
der verſchiedenen Heimat das mir von beiden Bekannte zu einer Beſchreibung zuſammenfaſſe.

Alle Felſentauben weichen von den meiſten Ordnungsverwandten darin ab, daß ſie ihren
Aufenthalt auf Felſen oder im alten Gemäuer nehmen, Bäume aber meiden. Die eigentliche Felſen-
taube bewohnt Klippen und Felſenhöhlen Europas, namentlich verſchiedene Gegenden längs der
Weſtküſte von Schottland, insbeſondere die Hebriden, Orkney- und Shetlandsinſeln, die Faroerinſeln
und das kleine Felſeneiland Rennesö bei Stavanger an Norwegens weſtlicher Küſte, ferner faſt alle
geeigneten Oertlichkeiten um das Mittelmeer, von Trieſt an bis Griechenland und von Frankreich an
bis Südſpanien hinab; die Bergtaube erſetzt ſie in den ſüdlichen und ſüdöſtlichen Ländern. Jene
gehört im Jnnern des Landes als Wildling überall zu den Seltenheiten, dieſe findet ſich auch fern vom
Meere und ſelbſt von Gewäſſern inmitten des Landes, obwohl nicht zu verkennen iſt, daß ſie Fels-
wände in der Nähe vom Meere, von Flüſſen oder andern Gewäſſern allen übrigen Oertlichkeiten
vorzieht. Graba traf die Felſentaube auf den Faroerinſeln an. „Sie iſt“, ſagt er, „hier gemein,
niſtet faſt auf jeder bewohnten Jnſel, weiß ſich aber ſo zu verbergen, daß die Bewohner weder ihrer
Eier, noch ihrer Jungen habhaft werden können. Auch wenn ſie ihre Nahrung auf der Jndmark
ſucht, iſt ſie ſehr ſcheu, dabei im Fliegen ſo gewandt, daß weder die Naubmöven, noch die Naben ihr
Etwas anhaben können, während die zahmen Tauben ſogleich von letzteren getödtet werden. Jch ſah
ſie in eine geräumige Höhle fliegen, in welche man allenfalls gelangen konnte. Nach vieler Mühe
und Gefahr kamen wir dahin und bemerkten, daß die Höhle ſehr verſchüttet war und aus mehreren
kleineren beſtand. Die Eingänge waren durch größere und kleinere Steine verdeckt, ſodaß von den
Tauben oder gar ihren Brutplätzen Nichts zu ſehen war. Weder Sprechen, noch Schreien, noch
Steinwerfen brachten ſie heraus; es wurde alſo ein Gewehr abgefeuert. Plötzlich belebte ſich die
Höhle, und die Tauben flatterten nach allen Seiten davon.“ Auf den Canareen iſt ſie, d. h. die
Bergtaube, laut Bolle, nicht nur längs der Küſten, ſondern auch tief im Jnnern der Jnſeln, wo
dieſe nicht bewaldet ſind, im Ueberfluß vorhanden; ſie wurde ſelbſt noch in 8 bis 10,000 Fuß
Höhe am Teide angetroffen, ja, Verthelot fand ſie auf Lazarote in dem noch friſchen Krater
der Feuerſpeier, trotz des Schwefelgeruchs und der großen Hitze, welche darin herrſchten. Auch
dort brüten oder ſchlafen ſie am liebſten in Höhlen, und auf Lazarote gewähren ſie ein ganz beſon-
deres Jagdvergnügen, indem man im Dunkeln mit Fackeln in ihre Grotten dringt, den Eingang
verſtopft und dann mit Stangen auf ſie losſchlägt. Jn Egypten ſah ich ſie an Felswänden,
namentlich in der Nähe der Katarakten in ſehr großer Menge, einzelne Flüge von ihnen aber auch
inmitten der Wüſte, wo man ſich fragen mußte, wie die arme Erde hier im Stande ſei, den Maſſen
genügende Nahrung zu bieten. Jm Jnnern Afrikas iſt ſie viel ſeltener als dort, aus dem ganz
einfachen Grunde, weil es hier wenige felſige Gebirge gibt; an günſtigen Stellen aber vermißt
man ſie nicht, und ein einzeln ſtehender Felſen mit ſteilen Wänden beherbergt ſie gewiß. Jn Jndien
gehört ſie zu den gemeinſten und häufigſten Vögeln, brütet ebenfalls in Höhlen und Niſchen der
Felſen und Klippen, wo möglich in der Nähe vom Waſſer und oft in Gemeinſchaft mit dem Alpen-
ſegler, ſo in der Nähe der berühmten Fälle von Griſoppa. Hier, wie in Egypten, lebt die Bergtaube
aber auch in einem halbwilden Zuſtande. Sie bewohnt nämlich alle alten ruhigen Gebäude, Stadt-

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[269/0291] Hohltaube. Felſentaube. Früher nahm man an, daß ſich die Felſentaube über ganz Europa, den größten Theil Aſiens und Nordafrika verbreite; gegenwärtig unterſcheidet man, und wohl mit Recht, wenigſtens zwei verſchiedene Arten, die Felſentaube, welche im Norden wohnt, und die Bergtaube, welche im Süden zu Hauſe iſt. Mein Vater hat die letztere unter dem Namen Columba glauconotos, Strickland unter dem Namen Columba intermedia von jener getrennt. Jn Südeuropa ſcheint der Verbreitungs- kreis der einen an den der andern zu greuzen: ich beobachtete in der Sierra Nevada Flüge von dieſer und von jener Art. Schon in Egypten gibt es keine weißrückige Felſentaube mehr, und auch in Jndien ſcheint, laut Jerdon, nur die Vergtaube vorzukommen. Hinſichtlich ihres Aufent- halts, ihrer Lebensweiſe und ihres Betragens unterſcheiden ſich die beiden Arten, ſoviel ich wahr- nehmen konnte, nicht im geringſten; es wird alſo kein Fehler ſein, wenn ich unter Berückſichtigung der verſchiedenen Heimat das mir von beiden Bekannte zu einer Beſchreibung zuſammenfaſſe. Alle Felſentauben weichen von den meiſten Ordnungsverwandten darin ab, daß ſie ihren Aufenthalt auf Felſen oder im alten Gemäuer nehmen, Bäume aber meiden. Die eigentliche Felſen- taube bewohnt Klippen und Felſenhöhlen Europas, namentlich verſchiedene Gegenden längs der Weſtküſte von Schottland, insbeſondere die Hebriden, Orkney- und Shetlandsinſeln, die Faroerinſeln und das kleine Felſeneiland Rennesö bei Stavanger an Norwegens weſtlicher Küſte, ferner faſt alle geeigneten Oertlichkeiten um das Mittelmeer, von Trieſt an bis Griechenland und von Frankreich an bis Südſpanien hinab; die Bergtaube erſetzt ſie in den ſüdlichen und ſüdöſtlichen Ländern. Jene gehört im Jnnern des Landes als Wildling überall zu den Seltenheiten, dieſe findet ſich auch fern vom Meere und ſelbſt von Gewäſſern inmitten des Landes, obwohl nicht zu verkennen iſt, daß ſie Fels- wände in der Nähe vom Meere, von Flüſſen oder andern Gewäſſern allen übrigen Oertlichkeiten vorzieht. Graba traf die Felſentaube auf den Faroerinſeln an. „Sie iſt“, ſagt er, „hier gemein, niſtet faſt auf jeder bewohnten Jnſel, weiß ſich aber ſo zu verbergen, daß die Bewohner weder ihrer Eier, noch ihrer Jungen habhaft werden können. Auch wenn ſie ihre Nahrung auf der Jndmark ſucht, iſt ſie ſehr ſcheu, dabei im Fliegen ſo gewandt, daß weder die Naubmöven, noch die Naben ihr Etwas anhaben können, während die zahmen Tauben ſogleich von letzteren getödtet werden. Jch ſah ſie in eine geräumige Höhle fliegen, in welche man allenfalls gelangen konnte. Nach vieler Mühe und Gefahr kamen wir dahin und bemerkten, daß die Höhle ſehr verſchüttet war und aus mehreren kleineren beſtand. Die Eingänge waren durch größere und kleinere Steine verdeckt, ſodaß von den Tauben oder gar ihren Brutplätzen Nichts zu ſehen war. Weder Sprechen, noch Schreien, noch Steinwerfen brachten ſie heraus; es wurde alſo ein Gewehr abgefeuert. Plötzlich belebte ſich die Höhle, und die Tauben flatterten nach allen Seiten davon.“ Auf den Canareen iſt ſie, d. h. die Bergtaube, laut Bolle, nicht nur längs der Küſten, ſondern auch tief im Jnnern der Jnſeln, wo dieſe nicht bewaldet ſind, im Ueberfluß vorhanden; ſie wurde ſelbſt noch in 8 bis 10,000 Fuß Höhe am Teide angetroffen, ja, Verthelot fand ſie auf Lazarote in dem noch friſchen Krater der Feuerſpeier, trotz des Schwefelgeruchs und der großen Hitze, welche darin herrſchten. Auch dort brüten oder ſchlafen ſie am liebſten in Höhlen, und auf Lazarote gewähren ſie ein ganz beſon- deres Jagdvergnügen, indem man im Dunkeln mit Fackeln in ihre Grotten dringt, den Eingang verſtopft und dann mit Stangen auf ſie losſchlägt. Jn Egypten ſah ich ſie an Felswänden, namentlich in der Nähe der Katarakten in ſehr großer Menge, einzelne Flüge von ihnen aber auch inmitten der Wüſte, wo man ſich fragen mußte, wie die arme Erde hier im Stande ſei, den Maſſen genügende Nahrung zu bieten. Jm Jnnern Afrikas iſt ſie viel ſeltener als dort, aus dem ganz einfachen Grunde, weil es hier wenige felſige Gebirge gibt; an günſtigen Stellen aber vermißt man ſie nicht, und ein einzeln ſtehender Felſen mit ſteilen Wänden beherbergt ſie gewiß. Jn Jndien gehört ſie zu den gemeinſten und häufigſten Vögeln, brütet ebenfalls in Höhlen und Niſchen der Felſen und Klippen, wo möglich in der Nähe vom Waſſer und oft in Gemeinſchaft mit dem Alpen- ſegler, ſo in der Nähe der berühmten Fälle von Griſoppa. Hier, wie in Egypten, lebt die Bergtaube aber auch in einem halbwilden Zuſtande. Sie bewohnt nämlich alle alten ruhigen Gebäude, Stadt-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/291>, abgerufen am 28.11.2024.