oder das Glas der Fenster. Sie verweilen im Gegentheil schwebend in der Luft, auf einem Raume, welcher zur Bewegung ihrer Schwingen kaum genügt; sie verweilen in dieser Stellung, anscheinend bewegungslos, Stunden nach einander. Jn jeden Käfig stellte ich ein kleines Gefäß, zur Hälfte mit dickem Zuckerwasser gefüllt, und in dieses setzte ich Blüthen, welche nun von den kleinen Gefangenen fortwährend durchsucht wurden."
"Obgleich die Kolibris, so lange sie frei sind, im höchsten Grade zanksüchtig sind, beobachtete ich von den Gefangenen doch nicht die geringste Luft zum Streiten. Jch sah im Gegentheil, daß sich die kleineren den größeren gegenüber unverzeihliche Freiheiten herausnahmen, so z. B., daß sich einer auf den Schnabel des andern setzte und in dieser Stellung mehrere Minuten verweilte, ohne daß der letztere die Absicht zeigte, ihn zu vertreiben."
"Am 25. Februar", erzählt Burmeister, "sandte mir Berckeste einen Kolibri (Argytria albi- collis). Er war völlig munter und flog in meinem Zimmer umher. Hier waren seine Bewegungen ebenso rasch als im Freien. Mit Gewalt flog er gegen die Wände oder die Fenster und stürzte bei jedem Anprall erschöpft zu Boden. Um ihn zu erquicken, holte ich einen blühenden Zweig und hielt ihm denselben entgegen: augenblicklich kam er herbei und umflatterte die Blumen ebenso sorglos als im Freien, in jede einzelne seine Zunge auf einen Augenblick hinablassend. Jch stand kaum zwei Schritte von ihm, und doch ließ er sich nicht stören, wenn ich nur ruhig war; aber die geringste Bewegung meinerseits trieb ihn aus meiner Nähe. Er lebte übrigens nicht lange. Als es dunkel wurde, hörten seine Bewegungen auf, er fiel erschöpft zu Boden und rührte sich nicht mehr, als ich ihn in die Hand nahm, obwohl das offene Auge deutlich Leben verrieth und der Herz- schlag fortdauerte. Jch legte das Thierchen, wie es mit den halbgeöffneten Flügeln sich stützte, auf eine weiche Unterlage und fand es in derselben Stellung am Morgen todt. Es war sanft einge- schlafen, um nie wieder zu erwachen. Später erhielt ich einen zweiten lebenden Kolibri, der wie jener in das offene Fenster eines Zimmers geflogen war."
Alle diese Angaben werden überboten durch die ausgezeichnete Schilderung, welche wir Gosse verdanken. "Als ich England verließ", sagt dieser begabte Forscher, "nahm ich mir vor, die glänzenden Geschöpfe, wenn möglich, lebend nach Europa zu bringen, und nachdem ich einige Erfahrungen über den Kappenkolibri gesammelt hatte, schien es mir, daß er zu Versuchen sich besonders eignen müsse. Meine Erwartungen wurden vereitelt; aber die Bemühungen, welche ich mir gab, haben mich mit seinen Sitten und Gewohnheiten sehr bekannt gemacht. Viele dieser Vögel sind von mir und meinen Dienern mit Hilfe eines gewöhnlichen Schmetterlingsnetzes gefangen worden; denn die von einigen Schriftstellern gepriesenen Fallen eignen sich meiner Ansicht nach mehr für die Studierstube, als für den Wald. Oft fanden wir, daß die Neugier dieser kleinen Vögel ihre Furcht überwog. Wenn wir ein Netz zum Fang zurecht machten, flogen sie oft nicht von der Stelle, sondern kamen im Gegentheil näher herbei und streckten ihren Hals aus, um das Werkzeug zu betrachten, sodaß es uns leicht wurde, sie wegzufangen. Nicht selten kehrte einer, nach welchem wir vergeblich gefangen hatten, zurück und erhielt sich, gerade über unsern Köpfen schwebend und uns mit einer unerschütterlichen Zutraulichkeit ins Gesicht sehend. Aber es war sehr schwierig, diese so leicht zu fangenden Vögel bis nach Haus zu bringen; gewöhnlich hatten sie, auch wenn sie nicht im geringsten verletzt waren, verendet, ehe wir unsere Wohnung erreichten, und diejenigen, welche in anscheinender Gesundheit hier ankamen, starben regelmäßig schon am nächsten Tage. Anfangs brachte ich die frisch Gefangenen baldmöglichst in Käfige; sie aber gingen, obgleich sie sich hier nicht beschädigten, regelmäßig zu Grunde. Plötzlich fielen sie auf den Boden des Gebauers herab und lagen hier bewegungslos mit geschlossenen Augen. Nahm man sie in die Hand, so schien es, als ob sie noch auf einige Augenblicke zum Leben zurückkehrten; sie drehten dann das schöne Haupt hinterwärts oder schüttelten es, wie unter großen Schmerzen, hin und her, breiteten die Flügel aus, öffneten die Augen, sträubten das Gefieder der Brust und starben regelmäßig ohne jedes krampfhafte Zucken. Dies war das Schicksal meiner ersten Versuche."
Brehm, Thierleben. IV. 9
Lebensweiſe der Schwirrvögel.
oder das Glas der Fenſter. Sie verweilen im Gegentheil ſchwebend in der Luft, auf einem Raume, welcher zur Bewegung ihrer Schwingen kaum genügt; ſie verweilen in dieſer Stellung, anſcheinend bewegungslos, Stunden nach einander. Jn jeden Käfig ſtellte ich ein kleines Gefäß, zur Hälfte mit dickem Zuckerwaſſer gefüllt, und in dieſes ſetzte ich Blüthen, welche nun von den kleinen Gefangenen fortwährend durchſucht wurden.“
„Obgleich die Kolibris, ſo lange ſie frei ſind, im höchſten Grade zankſüchtig ſind, beobachtete ich von den Gefangenen doch nicht die geringſte Luft zum Streiten. Jch ſah im Gegentheil, daß ſich die kleineren den größeren gegenüber unverzeihliche Freiheiten herausnahmen, ſo z. B., daß ſich einer auf den Schnabel des andern ſetzte und in dieſer Stellung mehrere Minuten verweilte, ohne daß der letztere die Abſicht zeigte, ihn zu vertreiben.“
„Am 25. Februar“, erzählt Burmeiſter, „ſandte mir Berckeſte einen Kolibri (Argytria albi- collis). Er war völlig munter und flog in meinem Zimmer umher. Hier waren ſeine Bewegungen ebenſo raſch als im Freien. Mit Gewalt flog er gegen die Wände oder die Fenſter und ſtürzte bei jedem Anprall erſchöpft zu Boden. Um ihn zu erquicken, holte ich einen blühenden Zweig und hielt ihm denſelben entgegen: augenblicklich kam er herbei und umflatterte die Blumen ebenſo ſorglos als im Freien, in jede einzelne ſeine Zunge auf einen Augenblick hinablaſſend. Jch ſtand kaum zwei Schritte von ihm, und doch ließ er ſich nicht ſtören, wenn ich nur ruhig war; aber die geringſte Bewegung meinerſeits trieb ihn aus meiner Nähe. Er lebte übrigens nicht lange. Als es dunkel wurde, hörten ſeine Bewegungen auf, er fiel erſchöpft zu Boden und rührte ſich nicht mehr, als ich ihn in die Hand nahm, obwohl das offene Auge deutlich Leben verrieth und der Herz- ſchlag fortdauerte. Jch legte das Thierchen, wie es mit den halbgeöffneten Flügeln ſich ſtützte, auf eine weiche Unterlage und fand es in derſelben Stellung am Morgen todt. Es war ſanft einge- ſchlafen, um nie wieder zu erwachen. Später erhielt ich einen zweiten lebenden Kolibri, der wie jener in das offene Fenſter eines Zimmers geflogen war.“
Alle dieſe Angaben werden überboten durch die ausgezeichnete Schilderung, welche wir Goſſe verdanken. „Als ich England verließ“, ſagt dieſer begabte Forſcher, „nahm ich mir vor, die glänzenden Geſchöpfe, wenn möglich, lebend nach Europa zu bringen, und nachdem ich einige Erfahrungen über den Kappenkolibri geſammelt hatte, ſchien es mir, daß er zu Verſuchen ſich beſonders eignen müſſe. Meine Erwartungen wurden vereitelt; aber die Bemühungen, welche ich mir gab, haben mich mit ſeinen Sitten und Gewohnheiten ſehr bekannt gemacht. Viele dieſer Vögel ſind von mir und meinen Dienern mit Hilfe eines gewöhnlichen Schmetterlingsnetzes gefangen worden; denn die von einigen Schriftſtellern geprieſenen Fallen eignen ſich meiner Anſicht nach mehr für die Studierſtube, als für den Wald. Oft fanden wir, daß die Neugier dieſer kleinen Vögel ihre Furcht überwog. Wenn wir ein Netz zum Fang zurecht machten, flogen ſie oft nicht von der Stelle, ſondern kamen im Gegentheil näher herbei und ſtreckten ihren Hals aus, um das Werkzeug zu betrachten, ſodaß es uns leicht wurde, ſie wegzufangen. Nicht ſelten kehrte einer, nach welchem wir vergeblich gefangen hatten, zurück und erhielt ſich, gerade über unſern Köpfen ſchwebend und uns mit einer unerſchütterlichen Zutraulichkeit ins Geſicht ſehend. Aber es war ſehr ſchwierig, dieſe ſo leicht zu fangenden Vögel bis nach Haus zu bringen; gewöhnlich hatten ſie, auch wenn ſie nicht im geringſten verletzt waren, verendet, ehe wir unſere Wohnung erreichten, und diejenigen, welche in anſcheinender Geſundheit hier ankamen, ſtarben regelmäßig ſchon am nächſten Tage. Anfangs brachte ich die friſch Gefangenen baldmöglichſt in Käfige; ſie aber gingen, obgleich ſie ſich hier nicht beſchädigten, regelmäßig zu Grunde. Plötzlich fielen ſie auf den Boden des Gebauers herab und lagen hier bewegungslos mit geſchloſſenen Augen. Nahm man ſie in die Hand, ſo ſchien es, als ob ſie noch auf einige Augenblicke zum Leben zurückkehrten; ſie drehten dann das ſchöne Haupt hinterwärts oder ſchüttelten es, wie unter großen Schmerzen, hin und her, breiteten die Flügel aus, öffneten die Augen, ſträubten das Gefieder der Bruſt und ſtarben regelmäßig ohne jedes krampfhafte Zucken. Dies war das Schickſal meiner erſten Verſuche.“
Brehm, Thierleben. IV. 9
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[129/0143]
Lebensweiſe der Schwirrvögel.
oder das Glas der Fenſter. Sie verweilen im Gegentheil ſchwebend in der Luft, auf einem Raume,
welcher zur Bewegung ihrer Schwingen kaum genügt; ſie verweilen in dieſer Stellung, anſcheinend
bewegungslos, Stunden nach einander. Jn jeden Käfig ſtellte ich ein kleines Gefäß, zur Hälfte
mit dickem Zuckerwaſſer gefüllt, und in dieſes ſetzte ich Blüthen, welche nun von den kleinen
Gefangenen fortwährend durchſucht wurden.“
„Obgleich die Kolibris, ſo lange ſie frei ſind, im höchſten Grade zankſüchtig ſind, beobachtete
ich von den Gefangenen doch nicht die geringſte Luft zum Streiten. Jch ſah im Gegentheil, daß
ſich die kleineren den größeren gegenüber unverzeihliche Freiheiten herausnahmen, ſo z. B., daß
ſich einer auf den Schnabel des andern ſetzte und in dieſer Stellung mehrere Minuten verweilte,
ohne daß der letztere die Abſicht zeigte, ihn zu vertreiben.“
„Am 25. Februar“, erzählt Burmeiſter, „ſandte mir Berckeſte einen Kolibri (Argytria albi-
collis). Er war völlig munter und flog in meinem Zimmer umher. Hier waren ſeine Bewegungen
ebenſo raſch als im Freien. Mit Gewalt flog er gegen die Wände oder die Fenſter und
ſtürzte bei jedem Anprall erſchöpft zu Boden. Um ihn zu erquicken, holte ich einen blühenden
Zweig und hielt ihm denſelben entgegen: augenblicklich kam er herbei und umflatterte die Blumen
ebenſo ſorglos als im Freien, in jede einzelne ſeine Zunge auf einen Augenblick hinablaſſend. Jch
ſtand kaum zwei Schritte von ihm, und doch ließ er ſich nicht ſtören, wenn ich nur ruhig war; aber
die geringſte Bewegung meinerſeits trieb ihn aus meiner Nähe. Er lebte übrigens nicht lange.
Als es dunkel wurde, hörten ſeine Bewegungen auf, er fiel erſchöpft zu Boden und rührte ſich nicht
mehr, als ich ihn in die Hand nahm, obwohl das offene Auge deutlich Leben verrieth und der Herz-
ſchlag fortdauerte. Jch legte das Thierchen, wie es mit den halbgeöffneten Flügeln ſich ſtützte, auf
eine weiche Unterlage und fand es in derſelben Stellung am Morgen todt. Es war ſanft einge-
ſchlafen, um nie wieder zu erwachen. Später erhielt ich einen zweiten lebenden Kolibri, der wie
jener in das offene Fenſter eines Zimmers geflogen war.“
Alle dieſe Angaben werden überboten durch die ausgezeichnete Schilderung, welche wir Goſſe
verdanken. „Als ich England verließ“, ſagt dieſer begabte Forſcher, „nahm ich mir vor, die
glänzenden Geſchöpfe, wenn möglich, lebend nach Europa zu bringen, und nachdem ich einige
Erfahrungen über den Kappenkolibri geſammelt hatte, ſchien es mir, daß er zu Verſuchen ſich
beſonders eignen müſſe. Meine Erwartungen wurden vereitelt; aber die Bemühungen, welche ich
mir gab, haben mich mit ſeinen Sitten und Gewohnheiten ſehr bekannt gemacht. Viele dieſer Vögel
ſind von mir und meinen Dienern mit Hilfe eines gewöhnlichen Schmetterlingsnetzes gefangen
worden; denn die von einigen Schriftſtellern geprieſenen Fallen eignen ſich meiner Anſicht nach mehr
für die Studierſtube, als für den Wald. Oft fanden wir, daß die Neugier dieſer kleinen Vögel ihre
Furcht überwog. Wenn wir ein Netz zum Fang zurecht machten, flogen ſie oft nicht von der Stelle,
ſondern kamen im Gegentheil näher herbei und ſtreckten ihren Hals aus, um das Werkzeug zu
betrachten, ſodaß es uns leicht wurde, ſie wegzufangen. Nicht ſelten kehrte einer, nach welchem wir
vergeblich gefangen hatten, zurück und erhielt ſich, gerade über unſern Köpfen ſchwebend und uns mit
einer unerſchütterlichen Zutraulichkeit ins Geſicht ſehend. Aber es war ſehr ſchwierig, dieſe ſo leicht
zu fangenden Vögel bis nach Haus zu bringen; gewöhnlich hatten ſie, auch wenn ſie nicht im
geringſten verletzt waren, verendet, ehe wir unſere Wohnung erreichten, und diejenigen, welche in
anſcheinender Geſundheit hier ankamen, ſtarben regelmäßig ſchon am nächſten Tage. Anfangs
brachte ich die friſch Gefangenen baldmöglichſt in Käfige; ſie aber gingen, obgleich ſie ſich hier nicht
beſchädigten, regelmäßig zu Grunde. Plötzlich fielen ſie auf den Boden des Gebauers herab und
lagen hier bewegungslos mit geſchloſſenen Augen. Nahm man ſie in die Hand, ſo ſchien es, als ob ſie
noch auf einige Augenblicke zum Leben zurückkehrten; ſie drehten dann das ſchöne Haupt hinterwärts
oder ſchüttelten es, wie unter großen Schmerzen, hin und her, breiteten die Flügel aus, öffneten die
Augen, ſträubten das Gefieder der Bruſt und ſtarben regelmäßig ohne jedes krampfhafte Zucken.
Dies war das Schickſal meiner erſten Verſuche.“
Brehm, Thierleben. IV. 9
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/143>, abgerufen am 23.11.2024.
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