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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Schwirrvögel.
wichtige Theile ihrer Naturgeschichte für uns immer in einem Halbdunkel verborgen blieben. Hierher
gehört ganz besonders ihre Nahrung. Begreiflich ist es, daß man diesen niedlichen Thieren, welche
ihren langen, zarten Schnabel in die röhrenförmigen Blumen versenken, eine ihrer Schönheit ange-
messene Nahrung in den süßen Honigsästen der Pflanzen zuschrieb. Da man ihre lange Zunge für
röhrenförmig hielt, so glaubte man auch, sie müßte Blumennektar aussaugen, und man liest deshalb
noch jetzt in verschiedenen Werken von dem Honigsaugen der Kolibris. Azara, ein übrigens gewissen-
hafter Schriftsteller, hatte diesen wichtigen Theil der Naturgeschichte unserer kleinen Vögel nicht selbst
untersucht, und er ist daher bei der irrigen, bisher allgemein angenommenen Meinung stehen geblieben.
Er war in der günstigsten Lage, uns über diesen Gegenstand zu belehren, verdient aber mit Recht
den Vorwurf, daß er sich einzig und allein an die äußere Gestalt der Vögel hielt, sonst würde er ihre
Geschichte richtiger erkannt haben. Einige andere Schriftsteller haben den Jrrweg bemerkt, auf welchem
die Vogelkundigen sich befanden, und unter ihnen muß zuerst Badier genannt werden, der die
Kerbthiernahrung der Kolibris entdeckte." Dieser Forscher berichtete bereits im Jahre 1778, daß
ihm sehr erklärlich sei, warum alle Kolibris, welche man mit Zuckerwasser und Syrup zu ernähren
gesucht habe, nach kurzer Zeit gestorben seien, da sie Blumennektar höchstens zufällig mit verschlucken,
in Wirklichkeit aber ganz kleine Käferchen verzehren, und zwar diejenigen, welche sich auf dem Boden
der Blumen aufhalten und von dem Honig nähren. Er schoß und untersuchte verschiedene Kolibris,
und fand bei allen, daß sie Käfer und Spinnen gefressen hatten. Zwei Gesangene fütterte er etwa
sechs Wochen lang mit Syrup und Zwieback; aber sie wurden immer schwächer, starben, und bei der
Zergliederung fand sich in ihren zerriebenen Därmen kristallisirter Zucker. Ungefähr um dieselbe Zeit
übersetzte Brandes Molina's Naturgeschichte von Chile und gelangte zu derselben Ueberzeugung
wie Badier. Ausführlicheres veröffentliche Wilson im Jahre 1810. "Man hat bis jetzt die
Ansicht gehegt", sagt er, "daß der Kolibri sich von dem Honig der Pflanzen nähre und ein oder zwei
neuere Beobachter nur haben bemerkt, daß sie Bruchstücke von Kerbthieren in dem Magen des Vogels
gefunden hätten, Bruchstücke, von denen man glaubte, daß sie durch Zufall dahin gekommen seien.
Der Mangel an Gelegenheit, welchen die Europäer haben, um diesen Gegenstand durch Beobachtung
oder Zergliederung zu erledigen, ist Ursache geworden, daß jene Ansicht allgemein wurde. Jch meines-
theils kann entschieden über diese Angelegenheit sprechen. Jch habe den Kolibri an schönen Sommer-
abenden zeitweilig halbe Stunden lang auf jene kleinen, schwirrenden Kerbthiere Jagd machen sehen,
nach Art der Fliegenfänger, aber mit einer Gewandtheit, welche deren Flugbewegungen bei weitem
übertrafen. Jch habe von Zeit zu Zeit eine große Anzahl dieser Vögel zergliedert; ich habe den Jnhalt
des Magens mit Vergrößerungsgläsern untersucht und in drei von vier Fällen gefunden, daß er aus
zertrümmerten Bruchstücken von Kerbthieren bestand. Oft wurden ganze, aber sehr kleine Käfer noch
unversehrt wahrgenommen. Beobachtungen meiner Freunde stimmen mit diesem Ergebniß vollständig
überein. Man weiß sehr wohl, daß die Kolibris hauptsächlich jene glockenförmigen Blumen lieben;
sie aber gerade sind der Aufenthaltsort von kleinen Kerbthieren." -- "Es ist sehr möglich", sagt mit
Wilson übereinstimmend Bullock (1825), "daß die ganze Gesellschaft Kerbthiere frißt; daß es
viele thun, weiß ich gewiß. Jch habe sie in Verfolgung ihrer kleinen Beute mit Aufmerksamkeit
beobachtet, im Pflanzeugarten von Mejiko sowohl, wie in dem Hofe eines Hauses von Tehuan-
tepec, wo einer von ihnen von einem blühenden Pomeranzenbaume vollständig Besitz genommen
hatte, indem er auf ihm den ganzen Tag saß und die kleinen Fliegen, welche zu den Blüthen kamen,
wegschnappte. Jch habe auch sehr häufig gesehen, daß sie Fliegen und andere Kerbthiere im Fluge
aufnahmen und bei der Zergliederung diese in ihrem Magen gefunden. Jn einem Hause zu Jalapa,
dessen Hof ein Garten war, habe ich oft mit Vergnügen den Kolibris zugesehen, wie sie ihre Jagd
zwischen den unzähligen Spinnengeweben betreiben. Sie begaben sich mit Vorsicht in das Gewirr von
Netzen und Fäden, um die gefangenen Fliegen wegzunehmen; aber weil die größeren Spinnen ihre
Beute nicht gutmüthig hergeben wollten, waren die Eindringlinge oft zum Nückzug gezwungen. Die
behenden kleinen Vögel pflegten, wenn sie kamen, den Hof erst ein- oder zweimal zu umfliegen, als

Die Späher. Schwirrvögel.
wichtige Theile ihrer Naturgeſchichte für uns immer in einem Halbdunkel verborgen blieben. Hierher
gehört ganz beſonders ihre Nahrung. Begreiflich iſt es, daß man dieſen niedlichen Thieren, welche
ihren langen, zarten Schnabel in die röhrenförmigen Blumen verſenken, eine ihrer Schönheit ange-
meſſene Nahrung in den ſüßen Honigſäſten der Pflanzen zuſchrieb. Da man ihre lange Zunge für
röhrenförmig hielt, ſo glaubte man auch, ſie müßte Blumennektar ausſaugen, und man lieſt deshalb
noch jetzt in verſchiedenen Werken von dem Honigſaugen der Kolibris. Azara, ein übrigens gewiſſen-
hafter Schriftſteller, hatte dieſen wichtigen Theil der Naturgeſchichte unſerer kleinen Vögel nicht ſelbſt
unterſucht, und er iſt daher bei der irrigen, bisher allgemein angenommenen Meinung ſtehen geblieben.
Er war in der günſtigſten Lage, uns über dieſen Gegenſtand zu belehren, verdient aber mit Recht
den Vorwurf, daß er ſich einzig und allein an die äußere Geſtalt der Vögel hielt, ſonſt würde er ihre
Geſchichte richtiger erkannt haben. Einige andere Schriftſteller haben den Jrrweg bemerkt, auf welchem
die Vogelkundigen ſich befanden, und unter ihnen muß zuerſt Badier genannt werden, der die
Kerbthiernahrung der Kolibris entdeckte.“ Dieſer Forſcher berichtete bereits im Jahre 1778, daß
ihm ſehr erklärlich ſei, warum alle Kolibris, welche man mit Zuckerwaſſer und Syrup zu ernähren
geſucht habe, nach kurzer Zeit geſtorben ſeien, da ſie Blumennektar höchſtens zufällig mit verſchlucken,
in Wirklichkeit aber ganz kleine Käferchen verzehren, und zwar diejenigen, welche ſich auf dem Boden
der Blumen aufhalten und von dem Honig nähren. Er ſchoß und unterſuchte verſchiedene Kolibris,
und fand bei allen, daß ſie Käfer und Spinnen gefreſſen hatten. Zwei Geſangene fütterte er etwa
ſechs Wochen lang mit Syrup und Zwieback; aber ſie wurden immer ſchwächer, ſtarben, und bei der
Zergliederung fand ſich in ihren zerriebenen Därmen kriſtalliſirter Zucker. Ungefähr um dieſelbe Zeit
überſetzte Brandes Molina’s Naturgeſchichte von Chile und gelangte zu derſelben Ueberzeugung
wie Badier. Ausführlicheres veröffentliche Wilſon im Jahre 1810. „Man hat bis jetzt die
Anſicht gehegt“, ſagt er, „daß der Kolibri ſich von dem Honig der Pflanzen nähre und ein oder zwei
neuere Beobachter nur haben bemerkt, daß ſie Bruchſtücke von Kerbthieren in dem Magen des Vogels
gefunden hätten, Bruchſtücke, von denen man glaubte, daß ſie durch Zufall dahin gekommen ſeien.
Der Mangel an Gelegenheit, welchen die Europäer haben, um dieſen Gegenſtand durch Beobachtung
oder Zergliederung zu erledigen, iſt Urſache geworden, daß jene Anſicht allgemein wurde. Jch meines-
theils kann entſchieden über dieſe Angelegenheit ſprechen. Jch habe den Kolibri an ſchönen Sommer-
abenden zeitweilig halbe Stunden lang auf jene kleinen, ſchwirrenden Kerbthiere Jagd machen ſehen,
nach Art der Fliegenfänger, aber mit einer Gewandtheit, welche deren Flugbewegungen bei weitem
übertrafen. Jch habe von Zeit zu Zeit eine große Anzahl dieſer Vögel zergliedert; ich habe den Jnhalt
des Magens mit Vergrößerungsgläſern unterſucht und in drei von vier Fällen gefunden, daß er aus
zertrümmerten Bruchſtücken von Kerbthieren beſtand. Oft wurden ganze, aber ſehr kleine Käfer noch
unverſehrt wahrgenommen. Beobachtungen meiner Freunde ſtimmen mit dieſem Ergebniß vollſtändig
überein. Man weiß ſehr wohl, daß die Kolibris hauptſächlich jene glockenförmigen Blumen lieben;
ſie aber gerade ſind der Aufenthaltsort von kleinen Kerbthieren.“ — „Es iſt ſehr möglich“, ſagt mit
Wilſon übereinſtimmend Bullock (1825), „daß die ganze Geſellſchaft Kerbthiere frißt; daß es
viele thun, weiß ich gewiß. Jch habe ſie in Verfolgung ihrer kleinen Beute mit Aufmerkſamkeit
beobachtet, im Pflanzeugarten von Mejiko ſowohl, wie in dem Hofe eines Hauſes von Tehuan-
tepec, wo einer von ihnen von einem blühenden Pomeranzenbaume vollſtändig Beſitz genommen
hatte, indem er auf ihm den ganzen Tag ſaß und die kleinen Fliegen, welche zu den Blüthen kamen,
wegſchnappte. Jch habe auch ſehr häufig geſehen, daß ſie Fliegen und andere Kerbthiere im Fluge
aufnahmen und bei der Zergliederung dieſe in ihrem Magen gefunden. Jn einem Hauſe zu Jalapa,
deſſen Hof ein Garten war, habe ich oft mit Vergnügen den Kolibris zugeſehen, wie ſie ihre Jagd
zwiſchen den unzähligen Spinnengeweben betreiben. Sie begaben ſich mit Vorſicht in das Gewirr von
Netzen und Fäden, um die gefangenen Fliegen wegzunehmen; aber weil die größeren Spinnen ihre
Beute nicht gutmüthig hergeben wollten, waren die Eindringlinge oft zum Nückzug gezwungen. Die
behenden kleinen Vögel pflegten, wenn ſie kamen, den Hof erſt ein- oder zweimal zu umfliegen, als

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[120/0134] Die Späher. Schwirrvögel. wichtige Theile ihrer Naturgeſchichte für uns immer in einem Halbdunkel verborgen blieben. Hierher gehört ganz beſonders ihre Nahrung. Begreiflich iſt es, daß man dieſen niedlichen Thieren, welche ihren langen, zarten Schnabel in die röhrenförmigen Blumen verſenken, eine ihrer Schönheit ange- meſſene Nahrung in den ſüßen Honigſäſten der Pflanzen zuſchrieb. Da man ihre lange Zunge für röhrenförmig hielt, ſo glaubte man auch, ſie müßte Blumennektar ausſaugen, und man lieſt deshalb noch jetzt in verſchiedenen Werken von dem Honigſaugen der Kolibris. Azara, ein übrigens gewiſſen- hafter Schriftſteller, hatte dieſen wichtigen Theil der Naturgeſchichte unſerer kleinen Vögel nicht ſelbſt unterſucht, und er iſt daher bei der irrigen, bisher allgemein angenommenen Meinung ſtehen geblieben. Er war in der günſtigſten Lage, uns über dieſen Gegenſtand zu belehren, verdient aber mit Recht den Vorwurf, daß er ſich einzig und allein an die äußere Geſtalt der Vögel hielt, ſonſt würde er ihre Geſchichte richtiger erkannt haben. Einige andere Schriftſteller haben den Jrrweg bemerkt, auf welchem die Vogelkundigen ſich befanden, und unter ihnen muß zuerſt Badier genannt werden, der die Kerbthiernahrung der Kolibris entdeckte.“ Dieſer Forſcher berichtete bereits im Jahre 1778, daß ihm ſehr erklärlich ſei, warum alle Kolibris, welche man mit Zuckerwaſſer und Syrup zu ernähren geſucht habe, nach kurzer Zeit geſtorben ſeien, da ſie Blumennektar höchſtens zufällig mit verſchlucken, in Wirklichkeit aber ganz kleine Käferchen verzehren, und zwar diejenigen, welche ſich auf dem Boden der Blumen aufhalten und von dem Honig nähren. Er ſchoß und unterſuchte verſchiedene Kolibris, und fand bei allen, daß ſie Käfer und Spinnen gefreſſen hatten. Zwei Geſangene fütterte er etwa ſechs Wochen lang mit Syrup und Zwieback; aber ſie wurden immer ſchwächer, ſtarben, und bei der Zergliederung fand ſich in ihren zerriebenen Därmen kriſtalliſirter Zucker. Ungefähr um dieſelbe Zeit überſetzte Brandes Molina’s Naturgeſchichte von Chile und gelangte zu derſelben Ueberzeugung wie Badier. Ausführlicheres veröffentliche Wilſon im Jahre 1810. „Man hat bis jetzt die Anſicht gehegt“, ſagt er, „daß der Kolibri ſich von dem Honig der Pflanzen nähre und ein oder zwei neuere Beobachter nur haben bemerkt, daß ſie Bruchſtücke von Kerbthieren in dem Magen des Vogels gefunden hätten, Bruchſtücke, von denen man glaubte, daß ſie durch Zufall dahin gekommen ſeien. Der Mangel an Gelegenheit, welchen die Europäer haben, um dieſen Gegenſtand durch Beobachtung oder Zergliederung zu erledigen, iſt Urſache geworden, daß jene Anſicht allgemein wurde. Jch meines- theils kann entſchieden über dieſe Angelegenheit ſprechen. Jch habe den Kolibri an ſchönen Sommer- abenden zeitweilig halbe Stunden lang auf jene kleinen, ſchwirrenden Kerbthiere Jagd machen ſehen, nach Art der Fliegenfänger, aber mit einer Gewandtheit, welche deren Flugbewegungen bei weitem übertrafen. Jch habe von Zeit zu Zeit eine große Anzahl dieſer Vögel zergliedert; ich habe den Jnhalt des Magens mit Vergrößerungsgläſern unterſucht und in drei von vier Fällen gefunden, daß er aus zertrümmerten Bruchſtücken von Kerbthieren beſtand. Oft wurden ganze, aber ſehr kleine Käfer noch unverſehrt wahrgenommen. Beobachtungen meiner Freunde ſtimmen mit dieſem Ergebniß vollſtändig überein. Man weiß ſehr wohl, daß die Kolibris hauptſächlich jene glockenförmigen Blumen lieben; ſie aber gerade ſind der Aufenthaltsort von kleinen Kerbthieren.“ — „Es iſt ſehr möglich“, ſagt mit Wilſon übereinſtimmend Bullock (1825), „daß die ganze Geſellſchaft Kerbthiere frißt; daß es viele thun, weiß ich gewiß. Jch habe ſie in Verfolgung ihrer kleinen Beute mit Aufmerkſamkeit beobachtet, im Pflanzeugarten von Mejiko ſowohl, wie in dem Hofe eines Hauſes von Tehuan- tepec, wo einer von ihnen von einem blühenden Pomeranzenbaume vollſtändig Beſitz genommen hatte, indem er auf ihm den ganzen Tag ſaß und die kleinen Fliegen, welche zu den Blüthen kamen, wegſchnappte. Jch habe auch ſehr häufig geſehen, daß ſie Fliegen und andere Kerbthiere im Fluge aufnahmen und bei der Zergliederung dieſe in ihrem Magen gefunden. Jn einem Hauſe zu Jalapa, deſſen Hof ein Garten war, habe ich oft mit Vergnügen den Kolibris zugeſehen, wie ſie ihre Jagd zwiſchen den unzähligen Spinnengeweben betreiben. Sie begaben ſich mit Vorſicht in das Gewirr von Netzen und Fäden, um die gefangenen Fliegen wegzunehmen; aber weil die größeren Spinnen ihre Beute nicht gutmüthig hergeben wollten, waren die Eindringlinge oft zum Nückzug gezwungen. Die behenden kleinen Vögel pflegten, wenn ſie kamen, den Hof erſt ein- oder zweimal zu umfliegen, als

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/134>, abgerufen am 27.11.2024.