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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lund.
weiter und weiter streichend, sich bis in sehr südliche Gegenden, beispielsweise bis ins mittelländische
Meer verirren; Dies aber geschieht doch nur ausnahmsweise. Jhr Leben theilt sich in zwei Abschnitte:
das Sommerleben auf den Bergen und das Winterleben im Meere. Ersteres ist für uns jedoch das
bei Weitem anziehendste; über das letztere sind wir noch nicht zur Genüge unterrichtet.

Auf meiner Reise nach Lappland traf oder unterschied ich den Lund erst in der Nähe der Loffoden.
Das Erste, was mir an diesem Vogel auffiel, war sein für mich ungemein überraschender Flug dicht
über den Wellen dahin, als wenn er sich nicht von denselben erheben, sondern nur auf ihnen fort-
rutschen wolle. Der Vogel gebraucht dabei die Flügel ebensoviel als die Füße und schiebt sich rasch
von Welle zu Welle, etwa wie ein halb fliegender und halb schwimmender Fisch, schlägt mit den
Flügeln und mit den Füßen fortwährend in das Wasser, beschreibt einen Bogen nach dem anderen,
den Wogen sich anschmiegend, und arbeitet sich, anscheinend mit großer Hastigkeit, aber noch größerer
Anstrengung weiter. Der Schnabel durchschneidet beim Fliegen die Wellen, sodaß der Flug lebhaft
an den des Scherenschnabels erinnert, mich wenigstens an ihn erinnert hat. Einmal emporgekommen
fliegt der Lund gerade aus, unter schwirrender Bewegung seiner Flügel und zwar so schnell dahin, daß
der Schütz im Anfange immer zu kurz schießt. Jm Schwimmen gibt er gewiß keinem Mitgliede seiner
Familie oder Zunft etwas nach. Er liegt leicht auf den Wellen oder versenkt sich nach Belieben unter
der Oberfläche, taucht ohne ersichtliche Anstrengung und ohne jegliches Geräusch und verweilt bis drei
Minuten unter Wasser, soll auch nach Versicherung der Forscher bis in eine Tiefe von dreißig Faden
hinabtauchen können. Auf festem Boden geht er trippelnd und wackelnd, aber doch überraschend gut,
erhebt sich auch vom Sitze aus sofort in die Luft oder fällt fliegend ohne Bedenken auf festem Boden
nieder; sitzend ruht er gewöhnlich auf den Sohlen seiner Füße und dem Schwanze oder legt sich selbst
platt auf den Bauch nieder. Wie seine Verwandten bewegt er Kopf und Hals auch bei ruhigem
Sitzen ohne Unterlaß, gerade als ob er etwas suchen müsse oder sich Verschiedenes sorgfältig anzusehen
habe. Dieses Kopfnicken macht einen höchst komischen Eindruck auf den Beschauer. Seine Stimme
unterscheidet sich nur durch die Tiefe von dem Knarren der verwandten Vögel, am wenigsten von der
des Tordalk; sie klingt tief und gedehnt, wie "Orr, orr", zuweilen auch, laut Faber, wie die Laute,
welche ein schläfriger Mensch beim Gähnen hervorbringt, im Zorne knurrend, nach Art eines kleinen,
böswilligen Hundes.

Jch habe tagelang mit Lunden in innigster Gemeinschaft gelebt, d. h. sie auf den Vogelbergen
soviel als möglich zu studiren gesucht und mich förmlich mit ihnen unterhalten, und ich muß sagen,
daß mir die Beobachtung große Freude gewährt hat. Unter den mir bekannten Gliedern der Familie
halte ich den Lund für den muntersten und klügsten. Wenn er so ruhig vor seinem Loche sitzt, ist
man allerdings geneigt, ihn mit Faber für langweilig und einfältig zu halten, und wenn man
erfährt, daß er angesichts eines Menschen, welcher seinen Brutberg besucht, anstatt in das Meer zu
fliegen, nur in die kurze Nisthöhle kriecht, an deren Ende sich knurrend zur Wehre stellt, hier
aber auch, ohne eigentlich an Flucht zu denken, sich ergreifen läßt, hält man sich für berechtigt, ihn
sogar dumm zu schelten. Eine solche Ansicht wird noch wesentlich unterstützt, wenn man einen
Gefangenen, wie ich es gethan habe, vom Brutberge wegführt und wenige hundert Schritte vom
Meere auf ebenem Boden freiläßt; denn hier zeigt sich der Vogel so verblüfft, daß er die Bedeutung
seiner Schwingen gänzlich zu vergessen scheint, sich in die Luft werfen läßt und eben nur wieder zum
Boden herabflattert, nicht aber daran denkt, dem nahen Meere zuzufliegen, daß er erbost jedem sich
Nähernden entgegentritt, Hunden wohl seinen Mann steht, sich jedoch auch durch sie nicht zum Fluge
bewegen läßt. Solche Ansichten ändert man, falls man denselben Vogel verfolgt, wenn er sich in
seinem Elemente befindet und jede seiner Begabungen zur Geltung bringen kann. Vorsichtig oder
scheu im gewöhnlichen Sinne des Wortes zeigt sich der Lund allerdings auch dann noch nicht, aus
dem ganz einfachen Grunde, weil es in seiner Heimat keinem Menschen einfällt, ihn vom Boote aus
zu befehden, er also die Gefährlichkeit eines im Boote sich nahenden Menschen gar nicht kennen gelernt
hat; aber er wird vorsichtig, sobald er sich verfolgt sieht, und schließlich, wie ich zu meiner Ueber-

Lund.
weiter und weiter ſtreichend, ſich bis in ſehr ſüdliche Gegenden, beiſpielsweiſe bis ins mittelländiſche
Meer verirren; Dies aber geſchieht doch nur ausnahmsweiſe. Jhr Leben theilt ſich in zwei Abſchnitte:
das Sommerleben auf den Bergen und das Winterleben im Meere. Erſteres iſt für uns jedoch das
bei Weitem anziehendſte; über das letztere ſind wir noch nicht zur Genüge unterrichtet.

Auf meiner Reiſe nach Lappland traf oder unterſchied ich den Lund erſt in der Nähe der Loffoden.
Das Erſte, was mir an dieſem Vogel auffiel, war ſein für mich ungemein überraſchender Flug dicht
über den Wellen dahin, als wenn er ſich nicht von denſelben erheben, ſondern nur auf ihnen fort-
rutſchen wolle. Der Vogel gebraucht dabei die Flügel ebenſoviel als die Füße und ſchiebt ſich raſch
von Welle zu Welle, etwa wie ein halb fliegender und halb ſchwimmender Fiſch, ſchlägt mit den
Flügeln und mit den Füßen fortwährend in das Waſſer, beſchreibt einen Bogen nach dem anderen,
den Wogen ſich anſchmiegend, und arbeitet ſich, anſcheinend mit großer Haſtigkeit, aber noch größerer
Anſtrengung weiter. Der Schnabel durchſchneidet beim Fliegen die Wellen, ſodaß der Flug lebhaft
an den des Scherenſchnabels erinnert, mich wenigſtens an ihn erinnert hat. Einmal emporgekommen
fliegt der Lund gerade aus, unter ſchwirrender Bewegung ſeiner Flügel und zwar ſo ſchnell dahin, daß
der Schütz im Anfange immer zu kurz ſchießt. Jm Schwimmen gibt er gewiß keinem Mitgliede ſeiner
Familie oder Zunft etwas nach. Er liegt leicht auf den Wellen oder verſenkt ſich nach Belieben unter
der Oberfläche, taucht ohne erſichtliche Anſtrengung und ohne jegliches Geräuſch und verweilt bis drei
Minuten unter Waſſer, ſoll auch nach Verſicherung der Forſcher bis in eine Tiefe von dreißig Faden
hinabtauchen können. Auf feſtem Boden geht er trippelnd und wackelnd, aber doch überraſchend gut,
erhebt ſich auch vom Sitze aus ſofort in die Luft oder fällt fliegend ohne Bedenken auf feſtem Boden
nieder; ſitzend ruht er gewöhnlich auf den Sohlen ſeiner Füße und dem Schwanze oder legt ſich ſelbſt
platt auf den Bauch nieder. Wie ſeine Verwandten bewegt er Kopf und Hals auch bei ruhigem
Sitzen ohne Unterlaß, gerade als ob er etwas ſuchen müſſe oder ſich Verſchiedenes ſorgfältig anzuſehen
habe. Dieſes Kopfnicken macht einen höchſt komiſchen Eindruck auf den Beſchauer. Seine Stimme
unterſcheidet ſich nur durch die Tiefe von dem Knarren der verwandten Vögel, am wenigſten von der
des Tordalk; ſie klingt tief und gedehnt, wie „Orr, orr“, zuweilen auch, laut Faber, wie die Laute,
welche ein ſchläfriger Menſch beim Gähnen hervorbringt, im Zorne knurrend, nach Art eines kleinen,
böswilligen Hundes.

Jch habe tagelang mit Lunden in innigſter Gemeinſchaft gelebt, d. h. ſie auf den Vogelbergen
ſoviel als möglich zu ſtudiren geſucht und mich förmlich mit ihnen unterhalten, und ich muß ſagen,
daß mir die Beobachtung große Freude gewährt hat. Unter den mir bekannten Gliedern der Familie
halte ich den Lund für den munterſten und klügſten. Wenn er ſo ruhig vor ſeinem Loche ſitzt, iſt
man allerdings geneigt, ihn mit Faber für langweilig und einfältig zu halten, und wenn man
erfährt, daß er angeſichts eines Menſchen, welcher ſeinen Brutberg beſucht, anſtatt in das Meer zu
fliegen, nur in die kurze Niſthöhle kriecht, an deren Ende ſich knurrend zur Wehre ſtellt, hier
aber auch, ohne eigentlich an Flucht zu denken, ſich ergreifen läßt, hält man ſich für berechtigt, ihn
ſogar dumm zu ſchelten. Eine ſolche Anſicht wird noch weſentlich unterſtützt, wenn man einen
Gefangenen, wie ich es gethan habe, vom Brutberge wegführt und wenige hundert Schritte vom
Meere auf ebenem Boden freiläßt; denn hier zeigt ſich der Vogel ſo verblüfft, daß er die Bedeutung
ſeiner Schwingen gänzlich zu vergeſſen ſcheint, ſich in die Luft werfen läßt und eben nur wieder zum
Boden herabflattert, nicht aber daran denkt, dem nahen Meere zuzufliegen, daß er erboſt jedem ſich
Nähernden entgegentritt, Hunden wohl ſeinen Mann ſteht, ſich jedoch auch durch ſie nicht zum Fluge
bewegen läßt. Solche Anſichten ändert man, falls man denſelben Vogel verfolgt, wenn er ſich in
ſeinem Elemente befindet und jede ſeiner Begabungen zur Geltung bringen kann. Vorſichtig oder
ſcheu im gewöhnlichen Sinne des Wortes zeigt ſich der Lund allerdings auch dann noch nicht, aus
dem ganz einfachen Grunde, weil es in ſeiner Heimat keinem Menſchen einfällt, ihn vom Boote aus
zu befehden, er alſo die Gefährlichkeit eines im Boote ſich nahenden Menſchen gar nicht kennen gelernt
hat; aber er wird vorſichtig, ſobald er ſich verfolgt ſieht, und ſchließlich, wie ich zu meiner Ueber-

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[959/1011] Lund. weiter und weiter ſtreichend, ſich bis in ſehr ſüdliche Gegenden, beiſpielsweiſe bis ins mittelländiſche Meer verirren; Dies aber geſchieht doch nur ausnahmsweiſe. Jhr Leben theilt ſich in zwei Abſchnitte: das Sommerleben auf den Bergen und das Winterleben im Meere. Erſteres iſt für uns jedoch das bei Weitem anziehendſte; über das letztere ſind wir noch nicht zur Genüge unterrichtet. Auf meiner Reiſe nach Lappland traf oder unterſchied ich den Lund erſt in der Nähe der Loffoden. Das Erſte, was mir an dieſem Vogel auffiel, war ſein für mich ungemein überraſchender Flug dicht über den Wellen dahin, als wenn er ſich nicht von denſelben erheben, ſondern nur auf ihnen fort- rutſchen wolle. Der Vogel gebraucht dabei die Flügel ebenſoviel als die Füße und ſchiebt ſich raſch von Welle zu Welle, etwa wie ein halb fliegender und halb ſchwimmender Fiſch, ſchlägt mit den Flügeln und mit den Füßen fortwährend in das Waſſer, beſchreibt einen Bogen nach dem anderen, den Wogen ſich anſchmiegend, und arbeitet ſich, anſcheinend mit großer Haſtigkeit, aber noch größerer Anſtrengung weiter. Der Schnabel durchſchneidet beim Fliegen die Wellen, ſodaß der Flug lebhaft an den des Scherenſchnabels erinnert, mich wenigſtens an ihn erinnert hat. Einmal emporgekommen fliegt der Lund gerade aus, unter ſchwirrender Bewegung ſeiner Flügel und zwar ſo ſchnell dahin, daß der Schütz im Anfange immer zu kurz ſchießt. Jm Schwimmen gibt er gewiß keinem Mitgliede ſeiner Familie oder Zunft etwas nach. Er liegt leicht auf den Wellen oder verſenkt ſich nach Belieben unter der Oberfläche, taucht ohne erſichtliche Anſtrengung und ohne jegliches Geräuſch und verweilt bis drei Minuten unter Waſſer, ſoll auch nach Verſicherung der Forſcher bis in eine Tiefe von dreißig Faden hinabtauchen können. Auf feſtem Boden geht er trippelnd und wackelnd, aber doch überraſchend gut, erhebt ſich auch vom Sitze aus ſofort in die Luft oder fällt fliegend ohne Bedenken auf feſtem Boden nieder; ſitzend ruht er gewöhnlich auf den Sohlen ſeiner Füße und dem Schwanze oder legt ſich ſelbſt platt auf den Bauch nieder. Wie ſeine Verwandten bewegt er Kopf und Hals auch bei ruhigem Sitzen ohne Unterlaß, gerade als ob er etwas ſuchen müſſe oder ſich Verſchiedenes ſorgfältig anzuſehen habe. Dieſes Kopfnicken macht einen höchſt komiſchen Eindruck auf den Beſchauer. Seine Stimme unterſcheidet ſich nur durch die Tiefe von dem Knarren der verwandten Vögel, am wenigſten von der des Tordalk; ſie klingt tief und gedehnt, wie „Orr, orr“, zuweilen auch, laut Faber, wie die Laute, welche ein ſchläfriger Menſch beim Gähnen hervorbringt, im Zorne knurrend, nach Art eines kleinen, böswilligen Hundes. Jch habe tagelang mit Lunden in innigſter Gemeinſchaft gelebt, d. h. ſie auf den Vogelbergen ſoviel als möglich zu ſtudiren geſucht und mich förmlich mit ihnen unterhalten, und ich muß ſagen, daß mir die Beobachtung große Freude gewährt hat. Unter den mir bekannten Gliedern der Familie halte ich den Lund für den munterſten und klügſten. Wenn er ſo ruhig vor ſeinem Loche ſitzt, iſt man allerdings geneigt, ihn mit Faber für langweilig und einfältig zu halten, und wenn man erfährt, daß er angeſichts eines Menſchen, welcher ſeinen Brutberg beſucht, anſtatt in das Meer zu fliegen, nur in die kurze Niſthöhle kriecht, an deren Ende ſich knurrend zur Wehre ſtellt, hier aber auch, ohne eigentlich an Flucht zu denken, ſich ergreifen läßt, hält man ſich für berechtigt, ihn ſogar dumm zu ſchelten. Eine ſolche Anſicht wird noch weſentlich unterſtützt, wenn man einen Gefangenen, wie ich es gethan habe, vom Brutberge wegführt und wenige hundert Schritte vom Meere auf ebenem Boden freiläßt; denn hier zeigt ſich der Vogel ſo verblüfft, daß er die Bedeutung ſeiner Schwingen gänzlich zu vergeſſen ſcheint, ſich in die Luft werfen läßt und eben nur wieder zum Boden herabflattert, nicht aber daran denkt, dem nahen Meere zuzufliegen, daß er erboſt jedem ſich Nähernden entgegentritt, Hunden wohl ſeinen Mann ſteht, ſich jedoch auch durch ſie nicht zum Fluge bewegen läßt. Solche Anſichten ändert man, falls man denſelben Vogel verfolgt, wenn er ſich in ſeinem Elemente befindet und jede ſeiner Begabungen zur Geltung bringen kann. Vorſichtig oder ſcheu im gewöhnlichen Sinne des Wortes zeigt ſich der Lund allerdings auch dann noch nicht, aus dem ganz einfachen Grunde, weil es in ſeiner Heimat keinem Menſchen einfällt, ihn vom Boote aus zu befehden, er alſo die Gefährlichkeit eines im Boote ſich nahenden Menſchen gar nicht kennen gelernt hat; aber er wird vorſichtig, ſobald er ſich verfolgt ſieht, und ſchließlich, wie ich zu meiner Ueber-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 959. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/1011>, abgerufen am 23.11.2024.