einem Baum zum andern. Die Stimme ist ein feines Gezwitscher, welches dem Pfeifen der Mäuse nicht unähnlich ist und fortwährend, scheinbar ohne alle Veranlassung, ausgestoßen wird.
Die Nahrung ist gemischter Art; denn viele Meisen verzehren neben den Kerbthieren auch Sämereien. Die Mehrzahl hält sich freilich ausschließlich an Kerbthiere und jagt vorzugsweise kleineren Arten, noch mehr aber deren Larven und Eiern nach. Gerade hierin liegt die Bedeutung dieser Vögel für das Gedeihen der Bäume, welche wir die unsrigen nennen. Die Meisen brauchen wegen ihrer ewigen Regsamkeit eine verhältnißmäßig sehr große Menge von Nahrung. "Sie sind", wie ich schon früher gesagt habe, "die besten Kerbthiervertilger, welche bei uns leben. Wenig andere Vögel verstehen so wie sie die Kunst, ein bestimmtes Gebiet auf das Gründlichste zu durchsuchen und die ver- borgensten Kerbthiere aufzufinden. Regsam und unermüdlich, gewandt und scharfsinnig, wie sie sind, bleibt ihnen wenig verborgen und unerreichbar. Sie sind die treuesten aller Waldhüter, weil sie in einem bestimmten Gebiet verweilen und zu jeder Jahreszeit ihrem Berufe obliegen." Der Nutzen, welchen sie bringen, läßt sich unmöglich berechnen. Zu viel ist es gewiß nicht gesagt, wenn man behauptet, daß eine Meise während ihres Lebens durchschnittlich täglich an tausend Kerbthiere vertilgt. Darunter sind gewiß viele, welche unseren Bäumen keinen Schaden zufügen; die meisten Eier aber, welche die Meisen auflesen und zerstören, würden sich zu Kersen entwickelt haben, deren Wirksamkeit eine durchaus schädliche ist. Jeder vernünftige Mensch sollte nach seinen Kräften mithelfen, so nütz- liche Vögel nicht blos zu schützen, sondern auch zu hegen und zu pflegen, dem Frevel, welcher noch immer auf Meisenhütten geübt wird, nicht blos zu steuern, sondern ihnen auch Wohnstätten zu gründen im Walde, indem er alte, hohle Bäume ihretwegen stehen läßt oder ihnen durch Aufhängen von Brutkästen behilflich ist. Jene nichtswürdige Mordlust der Meisenfänger, welche an die Ver- nichtungswuth der Jtaliener erinnert, kann in keiner Weise entschuldigt werden. Jch will zugestehen, daß es Vergnügen gewährt, Meisen zu fangen und will dieses Vergnügen auch nicht gerade mißbilligen, wohl aber verdamme ich es, daß man die Gefangenen tödtet, um sie zu verspeisen. Man vernichtet ein munteres und anmuthiges Vögelchen, welches uns nützt, so lange es lebt, um aus seinem Leibe einen einzigen Bissen zu gewinnen! Der sogenannte Nutzen also, welchen die Tödtung bringen kann, steht gar nicht im Verhältniß zu dem Schaden, welcher durch sie angerichtet wird. Und Niemand hat ein Recht, andern Menschen zu schaden, indem er rücksichtslos einem verwerflichen Gelüste fröhnt. Wer so beschränkt ist, zu glauben, daß die Thiere des Menschen halber erschaffen sind, soll seine thö- richte Selbstüberschätzung wenigstens nicht zum Nachtheile Anderer geltend machen. Keiner von den abscheulichen Thiermördern in der Meisenhütte ist im Stande, die Dienstleistungen einer einzigen Meise zu ersetzen, keiner fähig, unseren Wald, das Gemeingut des Volkes, vor seinen gefährlichsten Feinden zu schützen, wie es die Meisen thun, mindestens in Gemeinschaft mit andern nützlichen Vögeln thun: er frevelt also an Wesen, welche in einer Hinsicht mehr leisten können, als er selbst. Das Recht des Menschen dem tieferstehenden Geschöpf gegenüber, welches gleichbedeutend ist mit dem Recht des Stär- keren, hat seine Grenzen, und eine solche ist, dem Vernünftigen wenigstens, sicherlich dann gesteckt, wenn es sich ergibt, daß die eigenmächtige Verfügung über das Leben des Geschöpfes nicht durch die Nothwendigkeit geboten oder durch Erzielung eines wirklichen Nutzens entschuldigt ist. Auch das Freveln am Leben des Thieres ist ein Beweis sittlicher Rohheit!
Zum Glück für unsern Wald vermehren sich die Meisen sehr stark. Sie legen größtentheils zweimal im Jahre und jedesmal sieben bis zwölf Eier. Die zahlreiche Brut, welche sie heranziehen, ist schon im nächsten Frühjahre fortpflanzungsfähig: die Natur hat also das Jhrige gethan, um die wichtigen Geschöpfe zu erhalten.
Jm Käfig sind viele Meisen höchst unterhaltend. Sie gewöhnen sich überraschend schnell an die Gefangenschaft, werden aber selten eigentlich zahm. Mit andern Vögeln darf man sie nicht zusammen- sperren; denn sie überfallen selbst die größeren mörderisch, klammern sich auf ihrem Rücken fest und tödten sie durch Schnabelhiebe. Dann brechen sie ihnen die Hirnschale auf und fressen das Gehirn der erlegten Schlachtopfer mit derselben Begierde, mit welcher ein Raubvogel seine Beute verzehrt.
Die Fänger. Singvögel. Meiſen.
einem Baum zum andern. Die Stimme iſt ein feines Gezwitſcher, welches dem Pfeifen der Mäuſe nicht unähnlich iſt und fortwährend, ſcheinbar ohne alle Veranlaſſung, ausgeſtoßen wird.
Die Nahrung iſt gemiſchter Art; denn viele Meiſen verzehren neben den Kerbthieren auch Sämereien. Die Mehrzahl hält ſich freilich ausſchließlich an Kerbthiere und jagt vorzugsweiſe kleineren Arten, noch mehr aber deren Larven und Eiern nach. Gerade hierin liegt die Bedeutung dieſer Vögel für das Gedeihen der Bäume, welche wir die unſrigen nennen. Die Meiſen brauchen wegen ihrer ewigen Regſamkeit eine verhältnißmäßig ſehr große Menge von Nahrung. „Sie ſind‟, wie ich ſchon früher geſagt habe, „die beſten Kerbthiervertilger, welche bei uns leben. Wenig andere Vögel verſtehen ſo wie ſie die Kunſt, ein beſtimmtes Gebiet auf das Gründlichſte zu durchſuchen und die ver- borgenſten Kerbthiere aufzufinden. Regſam und unermüdlich, gewandt und ſcharfſinnig, wie ſie ſind, bleibt ihnen wenig verborgen und unerreichbar. Sie ſind die treueſten aller Waldhüter, weil ſie in einem beſtimmten Gebiet verweilen und zu jeder Jahreszeit ihrem Berufe obliegen.‟ Der Nutzen, welchen ſie bringen, läßt ſich unmöglich berechnen. Zu viel iſt es gewiß nicht geſagt, wenn man behauptet, daß eine Meiſe während ihres Lebens durchſchnittlich täglich an tauſend Kerbthiere vertilgt. Darunter ſind gewiß viele, welche unſeren Bäumen keinen Schaden zufügen; die meiſten Eier aber, welche die Meiſen aufleſen und zerſtören, würden ſich zu Kerſen entwickelt haben, deren Wirkſamkeit eine durchaus ſchädliche iſt. Jeder vernünftige Menſch ſollte nach ſeinen Kräften mithelfen, ſo nütz- liche Vögel nicht blos zu ſchützen, ſondern auch zu hegen und zu pflegen, dem Frevel, welcher noch immer auf Meiſenhütten geübt wird, nicht blos zu ſteuern, ſondern ihnen auch Wohnſtätten zu gründen im Walde, indem er alte, hohle Bäume ihretwegen ſtehen läßt oder ihnen durch Aufhängen von Brutkäſten behilflich iſt. Jene nichtswürdige Mordluſt der Meiſenfänger, welche an die Ver- nichtungswuth der Jtaliener erinnert, kann in keiner Weiſe entſchuldigt werden. Jch will zugeſtehen, daß es Vergnügen gewährt, Meiſen zu fangen und will dieſes Vergnügen auch nicht gerade mißbilligen, wohl aber verdamme ich es, daß man die Gefangenen tödtet, um ſie zu verſpeiſen. Man vernichtet ein munteres und anmuthiges Vögelchen, welches uns nützt, ſo lange es lebt, um aus ſeinem Leibe einen einzigen Biſſen zu gewinnen! Der ſogenannte Nutzen alſo, welchen die Tödtung bringen kann, ſteht gar nicht im Verhältniß zu dem Schaden, welcher durch ſie angerichtet wird. Und Niemand hat ein Recht, andern Menſchen zu ſchaden, indem er rückſichtslos einem verwerflichen Gelüſte fröhnt. Wer ſo beſchränkt iſt, zu glauben, daß die Thiere des Menſchen halber erſchaffen ſind, ſoll ſeine thö- richte Selbſtüberſchätzung wenigſtens nicht zum Nachtheile Anderer geltend machen. Keiner von den abſcheulichen Thiermördern in der Meiſenhütte iſt im Stande, die Dienſtleiſtungen einer einzigen Meiſe zu erſetzen, keiner fähig, unſeren Wald, das Gemeingut des Volkes, vor ſeinen gefährlichſten Feinden zu ſchützen, wie es die Meiſen thun, mindeſtens in Gemeinſchaft mit andern nützlichen Vögeln thun: er frevelt alſo an Weſen, welche in einer Hinſicht mehr leiſten können, als er ſelbſt. Das Recht des Menſchen dem tieferſtehenden Geſchöpf gegenüber, welches gleichbedeutend iſt mit dem Recht des Stär- keren, hat ſeine Grenzen, und eine ſolche iſt, dem Vernünftigen wenigſtens, ſicherlich dann geſteckt, wenn es ſich ergibt, daß die eigenmächtige Verfügung über das Leben des Geſchöpfes nicht durch die Nothwendigkeit geboten oder durch Erzielung eines wirklichen Nutzens entſchuldigt iſt. Auch das Freveln am Leben des Thieres iſt ein Beweis ſittlicher Rohheit!
Zum Glück für unſern Wald vermehren ſich die Meiſen ſehr ſtark. Sie legen größtentheils zweimal im Jahre und jedesmal ſieben bis zwölf Eier. Die zahlreiche Brut, welche ſie heranziehen, iſt ſchon im nächſten Frühjahre fortpflanzungsfähig: die Natur hat alſo das Jhrige gethan, um die wichtigen Geſchöpfe zu erhalten.
Jm Käfig ſind viele Meiſen höchſt unterhaltend. Sie gewöhnen ſich überraſchend ſchnell an die Gefangenſchaft, werden aber ſelten eigentlich zahm. Mit andern Vögeln darf man ſie nicht zuſammen- ſperren; denn ſie überfallen ſelbſt die größeren mörderiſch, klammern ſich auf ihrem Rücken feſt und tödten ſie durch Schnabelhiebe. Dann brechen ſie ihnen die Hirnſchale auf und freſſen das Gehirn der erlegten Schlachtopfer mit derſelben Begierde, mit welcher ein Raubvogel ſeine Beute verzehrt.
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[918/0966]
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einem Baum zum andern. Die Stimme iſt ein feines Gezwitſcher, welches dem Pfeifen der Mäuſe
nicht unähnlich iſt und fortwährend, ſcheinbar ohne alle Veranlaſſung, ausgeſtoßen wird.
Die Nahrung iſt gemiſchter Art; denn viele Meiſen verzehren neben den Kerbthieren auch
Sämereien. Die Mehrzahl hält ſich freilich ausſchließlich an Kerbthiere und jagt vorzugsweiſe kleineren
Arten, noch mehr aber deren Larven und Eiern nach. Gerade hierin liegt die Bedeutung dieſer Vögel
für das Gedeihen der Bäume, welche wir die unſrigen nennen. Die Meiſen brauchen wegen ihrer
ewigen Regſamkeit eine verhältnißmäßig ſehr große Menge von Nahrung. „Sie ſind‟, wie ich ſchon
früher geſagt habe, „die beſten Kerbthiervertilger, welche bei uns leben. Wenig andere Vögel
verſtehen ſo wie ſie die Kunſt, ein beſtimmtes Gebiet auf das Gründlichſte zu durchſuchen und die ver-
borgenſten Kerbthiere aufzufinden. Regſam und unermüdlich, gewandt und ſcharfſinnig, wie ſie ſind,
bleibt ihnen wenig verborgen und unerreichbar. Sie ſind die treueſten aller Waldhüter, weil ſie in
einem beſtimmten Gebiet verweilen und zu jeder Jahreszeit ihrem Berufe obliegen.‟ Der Nutzen,
welchen ſie bringen, läßt ſich unmöglich berechnen. Zu viel iſt es gewiß nicht geſagt, wenn man
behauptet, daß eine Meiſe während ihres Lebens durchſchnittlich täglich an tauſend Kerbthiere vertilgt.
Darunter ſind gewiß viele, welche unſeren Bäumen keinen Schaden zufügen; die meiſten Eier aber,
welche die Meiſen aufleſen und zerſtören, würden ſich zu Kerſen entwickelt haben, deren Wirkſamkeit
eine durchaus ſchädliche iſt. Jeder vernünftige Menſch ſollte nach ſeinen Kräften mithelfen, ſo nütz-
liche Vögel nicht blos zu ſchützen, ſondern auch zu hegen und zu pflegen, dem Frevel, welcher noch
immer auf Meiſenhütten geübt wird, nicht blos zu ſteuern, ſondern ihnen auch Wohnſtätten zu
gründen im Walde, indem er alte, hohle Bäume ihretwegen ſtehen läßt oder ihnen durch Aufhängen
von Brutkäſten behilflich iſt. Jene nichtswürdige Mordluſt der Meiſenfänger, welche an die Ver-
nichtungswuth der Jtaliener erinnert, kann in keiner Weiſe entſchuldigt werden. Jch will zugeſtehen,
daß es Vergnügen gewährt, Meiſen zu fangen und will dieſes Vergnügen auch nicht gerade mißbilligen,
wohl aber verdamme ich es, daß man die Gefangenen tödtet, um ſie zu verſpeiſen. Man vernichtet ein
munteres und anmuthiges Vögelchen, welches uns nützt, ſo lange es lebt, um aus ſeinem Leibe einen
einzigen Biſſen zu gewinnen! Der ſogenannte Nutzen alſo, welchen die Tödtung bringen kann, ſteht
gar nicht im Verhältniß zu dem Schaden, welcher durch ſie angerichtet wird. Und Niemand hat ein
Recht, andern Menſchen zu ſchaden, indem er rückſichtslos einem verwerflichen Gelüſte fröhnt.
Wer ſo beſchränkt iſt, zu glauben, daß die Thiere des Menſchen halber erſchaffen ſind, ſoll ſeine thö-
richte Selbſtüberſchätzung wenigſtens nicht zum Nachtheile Anderer geltend machen. Keiner von den
abſcheulichen Thiermördern in der Meiſenhütte iſt im Stande, die Dienſtleiſtungen einer einzigen Meiſe
zu erſetzen, keiner fähig, unſeren Wald, das Gemeingut des Volkes, vor ſeinen gefährlichſten Feinden
zu ſchützen, wie es die Meiſen thun, mindeſtens in Gemeinſchaft mit andern nützlichen Vögeln thun:
er frevelt alſo an Weſen, welche in einer Hinſicht mehr leiſten können, als er ſelbſt. Das Recht des
Menſchen dem tieferſtehenden Geſchöpf gegenüber, welches gleichbedeutend iſt mit dem Recht des Stär-
keren, hat ſeine Grenzen, und eine ſolche iſt, dem Vernünftigen wenigſtens, ſicherlich dann geſteckt,
wenn es ſich ergibt, daß die eigenmächtige Verfügung über das Leben des Geſchöpfes nicht durch die
Nothwendigkeit geboten oder durch Erzielung eines wirklichen Nutzens entſchuldigt iſt. Auch das
Freveln am Leben des Thieres iſt ein Beweis ſittlicher Rohheit!
Zum Glück für unſern Wald vermehren ſich die Meiſen ſehr ſtark. Sie legen größtentheils
zweimal im Jahre und jedesmal ſieben bis zwölf Eier. Die zahlreiche Brut, welche ſie heranziehen,
iſt ſchon im nächſten Frühjahre fortpflanzungsfähig: die Natur hat alſo das Jhrige gethan, um die
wichtigen Geſchöpfe zu erhalten.
Jm Käfig ſind viele Meiſen höchſt unterhaltend. Sie gewöhnen ſich überraſchend ſchnell an die
Gefangenſchaft, werden aber ſelten eigentlich zahm. Mit andern Vögeln darf man ſie nicht zuſammen-
ſperren; denn ſie überfallen ſelbſt die größeren mörderiſch, klammern ſich auf ihrem Rücken feſt und
tödten ſie durch Schnabelhiebe. Dann brechen ſie ihnen die Hirnſchale auf und freſſen das Gehirn
der erlegten Schlachtopfer mit derſelben Begierde, mit welcher ein Raubvogel ſeine Beute verzehrt.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 918. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/966>, abgerufen am 23.11.2024.
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