Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Zaunkönig.
ihm Zutritt zu dem Jnnern eines Gebäudes gestattet, so benutzt er es regelmäßig; denn er besitzt ein
überaus große Ortskenntniß und weiß seinen Weg immer wieder zu finden.

Das Nest gehört unter die künstlichsten Bauten, welche unsere deutschen Vögel errichten. Es ist
aber durchaus nicht leicht, es zu beschreiben; denn es wird gebaut nach des Orts Gelegenheit und
deshalb außerordentlich verschiedenartig ausgeführt. Auch der Standort wechselt so vielfach ab, daß
man etwas Bestimmtes hierüber nicht sagen kann. Man hat Zaunkönigsnester ziemlich hoch oben in
Baumwipfeln und auf dem Boden in Erd- oder Baumhöhlen, Mauerlöchern und Felsenspalten, in
Köhlerhütten oder unter Hausdächern, im Gestrüpp oder unter Gewurzel, in Holzstößen und in Berg-
werkstollen gefunden, immer und überall aber auf sorgfältig gewählten Plätzen, zumal, wenn es sich
um das erste Nest im Frühjahre handelte, welches erbaut wurde, bevor noch die Pflanzen sommer-
liche Ueppigkeit zeigten. Einzelne Nester bestehen nur aus grünem Mose, welches so dicht zusammen-
gefilzt ist, daß es aussieht, als ob das Ganze zusammengeleimt wäre; sie sind auch innen nur mit
Mos ausgekleidet; ihre Gestalt ist kugelförmig, und ein hübsches Schlupfloch führt ins Jnnere.
Andere gleichen einem wirren Haufen von Blättern und sind im Jnnern mit Federn ausgefüttert;
andere wieder sind nichts weiter, als eine Aufbesserung bereits vorgefundener Nester. Wie Dem
aber auch sein möge, unter allen Umständen ist das Nest seinem Standorte entsprechend gestaltet und
sind die Stoffe der Umgebung entsprechend gewählt, sodaß es oft recht schwer hält, das im Ver-
hältniß zur Größe des Zaunkönigs ungeheure Nest zu entdecken. Bemerkenswerth ist, daß der Vogel
zuweilen eine gewisse Oertlichkeit entschieden bevorzugt. So erzählt Trinthammer, daß ein im
Gebirge lebender Zaunkönig mit den Köhlern oder Pechschmelzern wanderte, d. h. sich immer in der
Hütte dieser Leute ansiedelte, und in ihr sein Nest baute, gleichviel ob die Hütte an derselben Stelle
wie im vorigen Jahre oder an einem andern Orte errichtet wurde. Die Köhler kannten den Vogel
sehr genau: sie wußten, daß es der ihrige war; denn er bekundete Dies durch sein Benehmen. Ebenso
muß bemerkt werden, daß der Zaunkönig zuweilen mehr Nester baut, als er zum Brüten nöthig hat, und
daß nicht blos ein Pärchen gemeinschaftlich zusammenwirkt, sondern daß auch ein einzelner Vogel, ein
Männchen z. B., welches keine Gattin erlangen kann, sehr eifrig sich Nester errichtet, welche im
gewissen Sinne als Vergnügungsbauten angesehen werden können. Boenigk hat einen Zaunkönig
vom April an bis zum August beobachtet und das Erfahrne sehr ausführlich beschrieben -- in wenig
Worten zusammengedrängt, wie folgt: Ein Männchen baut viermal ein fast vollkommenes Nest,
bevor es ihm gelingt, eine Gefährtin zu finden. Nachdem es endlich sich gepaart hat, müssen beide
Gatten, verfolgt vom Mißgeschick, dreimal bauen, ehe sie zum Eierlegen gelangen können, und als nun
das Weibchen, erschreckt durch sein Unglück, flieht, vielleicht um sich einen andern Gatten zu suchen,
müht sich das verlassene Männchen noch mehrere Wochen ab und baut in dieser Zeit nochmals zwei
Wohnungen fertig, welche es nicht benutzt. Dieses Einzelarbeiten eines Zaunkönigs scheint mit einer
andern Eigenthümlichkeit des Vogels zusammenzuhängen. Durch Beobachtungen von Ogilby ist
es nämlich festgestellt, daß die Zaunkönige sehr gern in ihren alten Nestern Nachtruhe halten und zwar
nicht blos einer oder ein Pärchen, sondern die ganze Familie. Dasselbe hat, nach Päßler, ein
Bauer in Anhalt erfahren: er geht an einem Winterabende in den Viehstall, in der Absicht, in einem
der dort hängenden Schwalbennester einen Sperling zu fangen, "bekommt aber die ganze Hand voll
Vögel und erkennt zu seiner Verwunderung fünf Zaunkönige, welche sich in Eintracht des Nestes als
Schlafstätte bedient hatten". Unter regelmäßigen Verhältnissen brütet das Zaunkönigspaar zweimal
im Jahre, das erstemal im April, das zweitemal im Juli. Das Gelege besteht aus sechs bis acht ver-
hältnißmäßig großen, rundlichen Eiern, welche auf rein- oder gelblichweißem Grunde mit kleinen
Pünktchen von rothbrauner oder blutrother Farbe gezeichnet sind, am dicken Ende oft kranzartig.
Beide Eltern brüten abwechselnd dreizehn Tage lang, füttern gemeinschaftlich die Jungen groß, halten
das Nest ungemein reichlich und sorgen überhaupt in jeder Hinsicht für das Wohl ihrer Familie. Die
Jungen bleiben lange im Neste und halten sich auch, wenn sie schon ausgeflogen sind, noch lange Zeit
zusammen; wahrscheinlich besuchen sie allnächtlich ihre Kinderwiege wieder.

Zaunkönig.
ihm Zutritt zu dem Jnnern eines Gebäudes geſtattet, ſo benutzt er es regelmäßig; denn er beſitzt ein
überaus große Ortskenntniß und weiß ſeinen Weg immer wieder zu finden.

Das Neſt gehört unter die künſtlichſten Bauten, welche unſere deutſchen Vögel errichten. Es iſt
aber durchaus nicht leicht, es zu beſchreiben; denn es wird gebaut nach des Orts Gelegenheit und
deshalb außerordentlich verſchiedenartig ausgeführt. Auch der Standort wechſelt ſo vielfach ab, daß
man etwas Beſtimmtes hierüber nicht ſagen kann. Man hat Zaunkönigsneſter ziemlich hoch oben in
Baumwipfeln und auf dem Boden in Erd- oder Baumhöhlen, Mauerlöchern und Felſenſpalten, in
Köhlerhütten oder unter Hausdächern, im Geſtrüpp oder unter Gewurzel, in Holzſtößen und in Berg-
werkſtollen gefunden, immer und überall aber auf ſorgfältig gewählten Plätzen, zumal, wenn es ſich
um das erſte Neſt im Frühjahre handelte, welches erbaut wurde, bevor noch die Pflanzen ſommer-
liche Ueppigkeit zeigten. Einzelne Neſter beſtehen nur aus grünem Moſe, welches ſo dicht zuſammen-
gefilzt iſt, daß es ausſieht, als ob das Ganze zuſammengeleimt wäre; ſie ſind auch innen nur mit
Mos ausgekleidet; ihre Geſtalt iſt kugelförmig, und ein hübſches Schlupfloch führt ins Jnnere.
Andere gleichen einem wirren Haufen von Blättern und ſind im Jnnern mit Federn ausgefüttert;
andere wieder ſind nichts weiter, als eine Aufbeſſerung bereits vorgefundener Neſter. Wie Dem
aber auch ſein möge, unter allen Umſtänden iſt das Neſt ſeinem Standorte entſprechend geſtaltet und
ſind die Stoffe der Umgebung entſprechend gewählt, ſodaß es oft recht ſchwer hält, das im Ver-
hältniß zur Größe des Zaunkönigs ungeheure Neſt zu entdecken. Bemerkenswerth iſt, daß der Vogel
zuweilen eine gewiſſe Oertlichkeit entſchieden bevorzugt. So erzählt Trinthammer, daß ein im
Gebirge lebender Zaunkönig mit den Köhlern oder Pechſchmelzern wanderte, d. h. ſich immer in der
Hütte dieſer Leute anſiedelte, und in ihr ſein Neſt baute, gleichviel ob die Hütte an derſelben Stelle
wie im vorigen Jahre oder an einem andern Orte errichtet wurde. Die Köhler kannten den Vogel
ſehr genau: ſie wußten, daß es der ihrige war; denn er bekundete Dies durch ſein Benehmen. Ebenſo
muß bemerkt werden, daß der Zaunkönig zuweilen mehr Neſter baut, als er zum Brüten nöthig hat, und
daß nicht blos ein Pärchen gemeinſchaftlich zuſammenwirkt, ſondern daß auch ein einzelner Vogel, ein
Männchen z. B., welches keine Gattin erlangen kann, ſehr eifrig ſich Neſter errichtet, welche im
gewiſſen Sinne als Vergnügungsbauten angeſehen werden können. Boenigk hat einen Zaunkönig
vom April an bis zum Auguſt beobachtet und das Erfahrne ſehr ausführlich beſchrieben — in wenig
Worten zuſammengedrängt, wie folgt: Ein Männchen baut viermal ein faſt vollkommenes Neſt,
bevor es ihm gelingt, eine Gefährtin zu finden. Nachdem es endlich ſich gepaart hat, müſſen beide
Gatten, verfolgt vom Mißgeſchick, dreimal bauen, ehe ſie zum Eierlegen gelangen können, und als nun
das Weibchen, erſchreckt durch ſein Unglück, flieht, vielleicht um ſich einen andern Gatten zu ſuchen,
müht ſich das verlaſſene Männchen noch mehrere Wochen ab und baut in dieſer Zeit nochmals zwei
Wohnungen fertig, welche es nicht benutzt. Dieſes Einzelarbeiten eines Zaunkönigs ſcheint mit einer
andern Eigenthümlichkeit des Vogels zuſammenzuhängen. Durch Beobachtungen von Ogilby iſt
es nämlich feſtgeſtellt, daß die Zaunkönige ſehr gern in ihren alten Neſtern Nachtruhe halten und zwar
nicht blos einer oder ein Pärchen, ſondern die ganze Familie. Daſſelbe hat, nach Päßler, ein
Bauer in Anhalt erfahren: er geht an einem Winterabende in den Viehſtall, in der Abſicht, in einem
der dort hängenden Schwalbenneſter einen Sperling zu fangen, „bekommt aber die ganze Hand voll
Vögel und erkennt zu ſeiner Verwunderung fünf Zaunkönige, welche ſich in Eintracht des Neſtes als
Schlafſtätte bedient hatten‟. Unter regelmäßigen Verhältniſſen brütet das Zaunkönigspaar zweimal
im Jahre, das erſtemal im April, das zweitemal im Juli. Das Gelege beſteht aus ſechs bis acht ver-
hältnißmäßig großen, rundlichen Eiern, welche auf rein- oder gelblichweißem Grunde mit kleinen
Pünktchen von rothbrauner oder blutrother Farbe gezeichnet ſind, am dicken Ende oft kranzartig.
Beide Eltern brüten abwechſelnd dreizehn Tage lang, füttern gemeinſchaftlich die Jungen groß, halten
das Neſt ungemein reichlich und ſorgen überhaupt in jeder Hinſicht für das Wohl ihrer Familie. Die
Jungen bleiben lange im Neſte und halten ſich auch, wenn ſie ſchon ausgeflogen ſind, noch lange Zeit
zuſammen; wahrſcheinlich beſuchen ſie allnächtlich ihre Kinderwiege wieder.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0933" n="885"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zaunkönig.</hi></fw><lb/>
ihm Zutritt zu dem Jnnern eines Gebäudes ge&#x017F;tattet, &#x017F;o benutzt er es regelmäßig; denn er be&#x017F;itzt ein<lb/>
überaus große Ortskenntniß und weiß &#x017F;einen Weg immer wieder zu finden.</p><lb/>
          <p>Das Ne&#x017F;t gehört unter die kün&#x017F;tlich&#x017F;ten Bauten, welche un&#x017F;ere deut&#x017F;chen Vögel errichten. Es i&#x017F;t<lb/>
aber durchaus nicht leicht, es zu be&#x017F;chreiben; denn es wird gebaut nach des Orts Gelegenheit und<lb/>
deshalb außerordentlich ver&#x017F;chiedenartig ausgeführt. Auch der Standort wech&#x017F;elt &#x017F;o vielfach ab, daß<lb/>
man etwas Be&#x017F;timmtes hierüber nicht &#x017F;agen kann. Man hat Zaunkönigsne&#x017F;ter ziemlich hoch oben in<lb/>
Baumwipfeln und auf dem Boden in Erd- oder Baumhöhlen, Mauerlöchern und Fel&#x017F;en&#x017F;palten, in<lb/>
Köhlerhütten oder unter Hausdächern, im Ge&#x017F;trüpp oder unter Gewurzel, in Holz&#x017F;tößen und in Berg-<lb/>
werk&#x017F;tollen gefunden, immer und überall aber auf &#x017F;orgfältig gewählten Plätzen, zumal, wenn es &#x017F;ich<lb/>
um das er&#x017F;te Ne&#x017F;t im Frühjahre handelte, welches erbaut wurde, bevor noch die Pflanzen &#x017F;ommer-<lb/>
liche Ueppigkeit zeigten. Einzelne Ne&#x017F;ter be&#x017F;tehen nur aus grünem Mo&#x017F;e, welches &#x017F;o dicht zu&#x017F;ammen-<lb/>
gefilzt i&#x017F;t, daß es aus&#x017F;ieht, als ob das Ganze zu&#x017F;ammengeleimt wäre; &#x017F;ie &#x017F;ind auch innen nur mit<lb/>
Mos ausgekleidet; ihre Ge&#x017F;talt i&#x017F;t kugelförmig, und ein hüb&#x017F;ches Schlupfloch führt ins Jnnere.<lb/>
Andere gleichen einem wirren Haufen von Blättern und &#x017F;ind im Jnnern mit Federn ausgefüttert;<lb/>
andere wieder &#x017F;ind nichts weiter, als eine Aufbe&#x017F;&#x017F;erung bereits vorgefundener Ne&#x017F;ter. Wie Dem<lb/>
aber auch &#x017F;ein möge, unter allen Um&#x017F;tänden i&#x017F;t das Ne&#x017F;t &#x017F;einem Standorte ent&#x017F;prechend ge&#x017F;taltet und<lb/>
&#x017F;ind die Stoffe der Umgebung ent&#x017F;prechend gewählt, &#x017F;odaß es oft recht &#x017F;chwer hält, das im Ver-<lb/>
hältniß zur Größe des Zaunkönigs ungeheure Ne&#x017F;t zu entdecken. Bemerkenswerth i&#x017F;t, daß der Vogel<lb/>
zuweilen eine gewi&#x017F;&#x017F;e Oertlichkeit ent&#x017F;chieden bevorzugt. So erzählt <hi rendition="#g">Trinthammer,</hi> daß ein im<lb/>
Gebirge lebender Zaunkönig mit den Köhlern oder Pech&#x017F;chmelzern wanderte, d. h. &#x017F;ich immer in der<lb/>
Hütte die&#x017F;er Leute an&#x017F;iedelte, und in ihr &#x017F;ein Ne&#x017F;t baute, gleichviel ob die Hütte an der&#x017F;elben Stelle<lb/>
wie im vorigen Jahre oder an einem andern Orte errichtet wurde. Die Köhler kannten den Vogel<lb/>
&#x017F;ehr genau: &#x017F;ie wußten, daß es der ihrige war; denn er bekundete Dies durch &#x017F;ein Benehmen. Eben&#x017F;o<lb/>
muß bemerkt werden, daß der Zaunkönig zuweilen mehr Ne&#x017F;ter baut, als er zum Brüten nöthig hat, und<lb/>
daß nicht blos ein Pärchen gemein&#x017F;chaftlich zu&#x017F;ammenwirkt, &#x017F;ondern daß auch ein einzelner Vogel, ein<lb/>
Männchen z. B., welches keine Gattin erlangen kann, &#x017F;ehr eifrig &#x017F;ich Ne&#x017F;ter errichtet, welche im<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Sinne als Vergnügungsbauten ange&#x017F;ehen werden können. <hi rendition="#g">Boenigk</hi> hat einen Zaunkönig<lb/>
vom April an bis zum Augu&#x017F;t beobachtet und das Erfahrne &#x017F;ehr ausführlich be&#x017F;chrieben &#x2014; in wenig<lb/>
Worten zu&#x017F;ammengedrängt, wie folgt: Ein Männchen baut viermal ein fa&#x017F;t vollkommenes Ne&#x017F;t,<lb/>
bevor es ihm gelingt, eine Gefährtin zu finden. Nachdem es endlich &#x017F;ich gepaart hat, mü&#x017F;&#x017F;en beide<lb/>
Gatten, verfolgt vom Mißge&#x017F;chick, dreimal bauen, ehe &#x017F;ie zum Eierlegen gelangen können, und als nun<lb/>
das Weibchen, er&#x017F;chreckt durch &#x017F;ein Unglück, flieht, vielleicht um &#x017F;ich einen andern Gatten zu &#x017F;uchen,<lb/>
müht &#x017F;ich das verla&#x017F;&#x017F;ene Männchen noch mehrere Wochen ab und baut in die&#x017F;er Zeit nochmals zwei<lb/>
Wohnungen fertig, welche es nicht benutzt. Die&#x017F;es Einzelarbeiten eines Zaunkönigs &#x017F;cheint mit einer<lb/>
andern Eigenthümlichkeit des Vogels zu&#x017F;ammenzuhängen. Durch Beobachtungen von <hi rendition="#g">Ogilby</hi> i&#x017F;t<lb/>
es nämlich fe&#x017F;tge&#x017F;tellt, daß die Zaunkönige &#x017F;ehr gern in ihren alten Ne&#x017F;tern Nachtruhe halten und zwar<lb/>
nicht blos einer oder ein Pärchen, &#x017F;ondern die ganze Familie. Da&#x017F;&#x017F;elbe hat, nach <hi rendition="#g">Päßler,</hi> ein<lb/>
Bauer in Anhalt erfahren: er geht an einem Winterabende in den Vieh&#x017F;tall, in der Ab&#x017F;icht, in einem<lb/>
der dort hängenden Schwalbenne&#x017F;ter einen Sperling zu fangen, &#x201E;bekommt aber die ganze Hand voll<lb/>
Vögel und erkennt zu &#x017F;einer Verwunderung fünf Zaunkönige, welche &#x017F;ich in Eintracht des Ne&#x017F;tes als<lb/>
Schlaf&#x017F;tätte bedient hatten&#x201F;. Unter regelmäßigen Verhältni&#x017F;&#x017F;en brütet das Zaunkönigspaar zweimal<lb/>
im Jahre, das er&#x017F;temal im April, das zweitemal im Juli. Das Gelege be&#x017F;teht aus &#x017F;echs bis acht ver-<lb/>
hältnißmäßig großen, rundlichen Eiern, welche auf rein- oder gelblichweißem Grunde mit kleinen<lb/>
Pünktchen von rothbrauner oder blutrother Farbe gezeichnet &#x017F;ind, am dicken Ende oft kranzartig.<lb/>
Beide Eltern brüten abwech&#x017F;elnd dreizehn Tage lang, füttern gemein&#x017F;chaftlich die Jungen groß, halten<lb/>
das Ne&#x017F;t ungemein reichlich und &#x017F;orgen überhaupt in jeder Hin&#x017F;icht für das Wohl ihrer Familie. Die<lb/>
Jungen bleiben lange im Ne&#x017F;te und halten &#x017F;ich auch, wenn &#x017F;ie &#x017F;chon ausgeflogen &#x017F;ind, noch lange Zeit<lb/>
zu&#x017F;ammen; wahr&#x017F;cheinlich be&#x017F;uchen &#x017F;ie allnächtlich ihre Kinderwiege wieder.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[885/0933] Zaunkönig. ihm Zutritt zu dem Jnnern eines Gebäudes geſtattet, ſo benutzt er es regelmäßig; denn er beſitzt ein überaus große Ortskenntniß und weiß ſeinen Weg immer wieder zu finden. Das Neſt gehört unter die künſtlichſten Bauten, welche unſere deutſchen Vögel errichten. Es iſt aber durchaus nicht leicht, es zu beſchreiben; denn es wird gebaut nach des Orts Gelegenheit und deshalb außerordentlich verſchiedenartig ausgeführt. Auch der Standort wechſelt ſo vielfach ab, daß man etwas Beſtimmtes hierüber nicht ſagen kann. Man hat Zaunkönigsneſter ziemlich hoch oben in Baumwipfeln und auf dem Boden in Erd- oder Baumhöhlen, Mauerlöchern und Felſenſpalten, in Köhlerhütten oder unter Hausdächern, im Geſtrüpp oder unter Gewurzel, in Holzſtößen und in Berg- werkſtollen gefunden, immer und überall aber auf ſorgfältig gewählten Plätzen, zumal, wenn es ſich um das erſte Neſt im Frühjahre handelte, welches erbaut wurde, bevor noch die Pflanzen ſommer- liche Ueppigkeit zeigten. Einzelne Neſter beſtehen nur aus grünem Moſe, welches ſo dicht zuſammen- gefilzt iſt, daß es ausſieht, als ob das Ganze zuſammengeleimt wäre; ſie ſind auch innen nur mit Mos ausgekleidet; ihre Geſtalt iſt kugelförmig, und ein hübſches Schlupfloch führt ins Jnnere. Andere gleichen einem wirren Haufen von Blättern und ſind im Jnnern mit Federn ausgefüttert; andere wieder ſind nichts weiter, als eine Aufbeſſerung bereits vorgefundener Neſter. Wie Dem aber auch ſein möge, unter allen Umſtänden iſt das Neſt ſeinem Standorte entſprechend geſtaltet und ſind die Stoffe der Umgebung entſprechend gewählt, ſodaß es oft recht ſchwer hält, das im Ver- hältniß zur Größe des Zaunkönigs ungeheure Neſt zu entdecken. Bemerkenswerth iſt, daß der Vogel zuweilen eine gewiſſe Oertlichkeit entſchieden bevorzugt. So erzählt Trinthammer, daß ein im Gebirge lebender Zaunkönig mit den Köhlern oder Pechſchmelzern wanderte, d. h. ſich immer in der Hütte dieſer Leute anſiedelte, und in ihr ſein Neſt baute, gleichviel ob die Hütte an derſelben Stelle wie im vorigen Jahre oder an einem andern Orte errichtet wurde. Die Köhler kannten den Vogel ſehr genau: ſie wußten, daß es der ihrige war; denn er bekundete Dies durch ſein Benehmen. Ebenſo muß bemerkt werden, daß der Zaunkönig zuweilen mehr Neſter baut, als er zum Brüten nöthig hat, und daß nicht blos ein Pärchen gemeinſchaftlich zuſammenwirkt, ſondern daß auch ein einzelner Vogel, ein Männchen z. B., welches keine Gattin erlangen kann, ſehr eifrig ſich Neſter errichtet, welche im gewiſſen Sinne als Vergnügungsbauten angeſehen werden können. Boenigk hat einen Zaunkönig vom April an bis zum Auguſt beobachtet und das Erfahrne ſehr ausführlich beſchrieben — in wenig Worten zuſammengedrängt, wie folgt: Ein Männchen baut viermal ein faſt vollkommenes Neſt, bevor es ihm gelingt, eine Gefährtin zu finden. Nachdem es endlich ſich gepaart hat, müſſen beide Gatten, verfolgt vom Mißgeſchick, dreimal bauen, ehe ſie zum Eierlegen gelangen können, und als nun das Weibchen, erſchreckt durch ſein Unglück, flieht, vielleicht um ſich einen andern Gatten zu ſuchen, müht ſich das verlaſſene Männchen noch mehrere Wochen ab und baut in dieſer Zeit nochmals zwei Wohnungen fertig, welche es nicht benutzt. Dieſes Einzelarbeiten eines Zaunkönigs ſcheint mit einer andern Eigenthümlichkeit des Vogels zuſammenzuhängen. Durch Beobachtungen von Ogilby iſt es nämlich feſtgeſtellt, daß die Zaunkönige ſehr gern in ihren alten Neſtern Nachtruhe halten und zwar nicht blos einer oder ein Pärchen, ſondern die ganze Familie. Daſſelbe hat, nach Päßler, ein Bauer in Anhalt erfahren: er geht an einem Winterabende in den Viehſtall, in der Abſicht, in einem der dort hängenden Schwalbenneſter einen Sperling zu fangen, „bekommt aber die ganze Hand voll Vögel und erkennt zu ſeiner Verwunderung fünf Zaunkönige, welche ſich in Eintracht des Neſtes als Schlafſtätte bedient hatten‟. Unter regelmäßigen Verhältniſſen brütet das Zaunkönigspaar zweimal im Jahre, das erſtemal im April, das zweitemal im Juli. Das Gelege beſteht aus ſechs bis acht ver- hältnißmäßig großen, rundlichen Eiern, welche auf rein- oder gelblichweißem Grunde mit kleinen Pünktchen von rothbrauner oder blutrother Farbe gezeichnet ſind, am dicken Ende oft kranzartig. Beide Eltern brüten abwechſelnd dreizehn Tage lang, füttern gemeinſchaftlich die Jungen groß, halten das Neſt ungemein reichlich und ſorgen überhaupt in jeder Hinſicht für das Wohl ihrer Familie. Die Jungen bleiben lange im Neſte und halten ſich auch, wenn ſie ſchon ausgeflogen ſind, noch lange Zeit zuſammen; wahrſcheinlich beſuchen ſie allnächtlich ihre Kinderwiege wieder.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/933
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 885. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/933>, abgerufen am 19.05.2024.