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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Gartensänger.

Er ist ein höchst unruhiger, lebhafter, munterer und gewandter, aber auch ein vorsichtiger Vogel.
Sein Gebiet wählt er mit Sorgfalt aus; hat er aber einmal von ihm Besitz genommen, so
hält er mit Hartnäckigkeit an ihm fest und kehrt alle Sommer zu ihm zurück, so lange er lebt.
Wir haben einen, welchen wir wegen seines wenig ausgezeichneten Gesanges halber "den Stümper"
nannten, sieben Jahre nach einander in ein und demselben Garten beobachtet. Jm Laufe des Tages ist der
Vogel bald hier, bald da, so lange ihn nicht die Sorge um das brütende Weibchen oder um die Brut selbst
an ein und dieselbe Stelle fesselt. Gewöhnlich hüpft er in dichten Bäumen umher, immer möglichst ver-
borgen, und es kann geschehen, daß man viele Minuten lang ihn vergeblich mit dem Auge sucht, trotzdem
er sich beständig hören läßt; manchmal bemerkt man ihn nur, wenn er von einem Baume zum andern
fliegt. Gewisse Bäume, gewöhnlich die höchsten und belaubtesten seines Wohnraumes, werden zu
Lieblingsplätzen; sie besucht er täglich mehreremal, und auf ihnen verweilt er am längsten. Jm Sitzen
trägt er die Brust aufgerichtet, und wenn er etwas Auffälliges bemerkt, sträubt er die Scheitelfedern;
im Hüpfen hält er sich wagrecht und streckt dabei den Hals vor. Der Flug ist sehr rasch und gewandt;
der Gartensänger versteht es, die jähesten Windungen auszuführen. Zum Boden herab kommt er selten,
und das Hüpfen scheint ihm beschwerlich zu sein. Nur während des Singens verweilt er längere Zeit an
ein und derselben Stelle, sonst ist er, so zu sagen, beständig auf der Wanderung begriffen. Die Lockstimme
ist ein sanftes "Teck teck", welchem ein wohllautendes "Terüt" angehängt wird, wenn ein besonderes
Verlangen, Eifersucht oder Zorn, auch wohl drohende Gefahr ausgedrückt werden soll; seinen Aerger oder
vielleicht auch seine Kampfeslust pflegt er durch die Silben "Hettettett" kundzugeben. Der Gesang
spricht nicht Jedermann an und wird deshalb verschieden beurtheilt; auch singt keineswegs ein Garten-
sänger wie der andere: denn dieser ist vielleicht ein ausgezeichneter Spötter, welcher die verschiedensten
Laute der umwohnenden Vögel in seinen Gesang mischt, der andere nur ein erbärmlicher Stümper,
welcher blos wenige wohllautende Töne vorträgt und die minder angenehmen gewissermaßen zur
Hauptsache macht. Jch meinestheils muß sagen, daß ich den Gartensänger immer gern höre und
seinen Gesang so ansprechend finde, daß ich die abgebrochenen und schwatzenden Laute über die herrlich
flötenden vergesse. Besonderer Anerkennung werth scheint mir der Eifer zu sein, mit welchem der
Vogel sein Lied vorträgt. Er singt von der Morgendämmerung an bis gegen Mittag hin und abends
bis zu Sonnenuntergang, am eifrigsten selbstverständlich, während das Weibchen brütet oder wenn
ein Nebenbuhler zum Kampfe auffordert. Eine sonderbare Gewohnheit des Gartensängers ist die,
daß er sich während seines Singens so leicht nicht schrecken läßt, ja sogar noch lauter singt, wenn er
einmal in Gefahr gebracht wurde, so nach einem Schuß, welcher ihm galt, ohne ihn zu verletzen. Es
scheint dann wirklich so, wie Naumann meint, "als wolle er den mißlungenen Anschlag auf sein
Leben aller Welt verkündigen oder den ungeschickten Schützen verhöhnen".

Auch der Gartensänger duldet innerhalb seines Gebietes kein zweites Paar der gleichen Art.
Zwei Männchen, welche neben einander wohnen, eifern sich gegenseitig nicht blos zum Gesange an
sondern raufen sich auch sehr häufig. "Es darf sich", sagt Naumann, "kein anderer seiner Art
blicken lassen; er wird sogleich mit grimmigen Bissen verfolgt und sofort wieder aus dem Revier
gejagt. Der Eindringling widersetzt sich aber meistens, und dann gibt es heftige Schlägereien, so daß
man nicht selten ein Paar solcher Zänker, welche sich gepackt haben, im Streit zur Erde herabpurzeln,
hierüber dann aber gewöhnlich erschreckt, plötzlich aus einander fahren, und nun einen Jeden seinem
Standort zueilen sieht. Auch andere Vögel, welche um sie wohnen, necken und jagen sie gern."

Die Hauptnahrung des Gartensängers besteht aus Käferchen und andern kleinen fliegenden
Kerbthieren, welche von den Blättern abgelesen oder aus der Luft weggefangen werden. Deshalb
sieht man ihn auch häufig in den Baumkronen umherflattern oder selbst über die schützenden Zweige
hinausflattern. Hier und da macht sich der sonst nur nützliche Vogel als Bienenräuber verhaßt.
"Man machte mich", so schreibt ein Beobachter meinem Vater, "darauf aufmerksam, daß ein Vogel,
der Bienenwolf genannt, oft käme, sich auf die Stöcke setze und die Bienen wegschnappe. Jch erkannte
in ihm unsern Gartensänger. Wenn die Bienen etwas lange zögerten, ehe sie aus dem Stocke kamen,

Gartenſänger.

Er iſt ein höchſt unruhiger, lebhafter, munterer und gewandter, aber auch ein vorſichtiger Vogel.
Sein Gebiet wählt er mit Sorgfalt aus; hat er aber einmal von ihm Beſitz genommen, ſo
hält er mit Hartnäckigkeit an ihm feſt und kehrt alle Sommer zu ihm zurück, ſo lange er lebt.
Wir haben einen, welchen wir wegen ſeines wenig ausgezeichneten Geſanges halber „den Stümper‟
nannten, ſieben Jahre nach einander in ein und demſelben Garten beobachtet. Jm Laufe des Tages iſt der
Vogel bald hier, bald da, ſo lange ihn nicht die Sorge um das brütende Weibchen oder um die Brut ſelbſt
an ein und dieſelbe Stelle feſſelt. Gewöhnlich hüpft er in dichten Bäumen umher, immer möglichſt ver-
borgen, und es kann geſchehen, daß man viele Minuten lang ihn vergeblich mit dem Auge ſucht, trotzdem
er ſich beſtändig hören läßt; manchmal bemerkt man ihn nur, wenn er von einem Baume zum andern
fliegt. Gewiſſe Bäume, gewöhnlich die höchſten und belaubteſten ſeines Wohnraumes, werden zu
Lieblingsplätzen; ſie beſucht er täglich mehreremal, und auf ihnen verweilt er am längſten. Jm Sitzen
trägt er die Bruſt aufgerichtet, und wenn er etwas Auffälliges bemerkt, ſträubt er die Scheitelfedern;
im Hüpfen hält er ſich wagrecht und ſtreckt dabei den Hals vor. Der Flug iſt ſehr raſch und gewandt;
der Gartenſänger verſteht es, die jäheſten Windungen auszuführen. Zum Boden herab kommt er ſelten,
und das Hüpfen ſcheint ihm beſchwerlich zu ſein. Nur während des Singens verweilt er längere Zeit an
ein und derſelben Stelle, ſonſt iſt er, ſo zu ſagen, beſtändig auf der Wanderung begriffen. Die Lockſtimme
iſt ein ſanftes „Teck teck‟, welchem ein wohllautendes „Terüt‟ angehängt wird, wenn ein beſonderes
Verlangen, Eiferſucht oder Zorn, auch wohl drohende Gefahr ausgedrückt werden ſoll; ſeinen Aerger oder
vielleicht auch ſeine Kampfesluſt pflegt er durch die Silben „Hettettett‟ kundzugeben. Der Geſang
ſpricht nicht Jedermann an und wird deshalb verſchieden beurtheilt; auch ſingt keineswegs ein Garten-
ſänger wie der andere: denn dieſer iſt vielleicht ein ausgezeichneter Spötter, welcher die verſchiedenſten
Laute der umwohnenden Vögel in ſeinen Geſang miſcht, der andere nur ein erbärmlicher Stümper,
welcher blos wenige wohllautende Töne vorträgt und die minder angenehmen gewiſſermaßen zur
Hauptſache macht. Jch meinestheils muß ſagen, daß ich den Gartenſänger immer gern höre und
ſeinen Geſang ſo anſprechend finde, daß ich die abgebrochenen und ſchwatzenden Laute über die herrlich
flötenden vergeſſe. Beſonderer Anerkennung werth ſcheint mir der Eifer zu ſein, mit welchem der
Vogel ſein Lied vorträgt. Er ſingt von der Morgendämmerung an bis gegen Mittag hin und abends
bis zu Sonnenuntergang, am eifrigſten ſelbſtverſtändlich, während das Weibchen brütet oder wenn
ein Nebenbuhler zum Kampfe auffordert. Eine ſonderbare Gewohnheit des Gartenſängers iſt die,
daß er ſich während ſeines Singens ſo leicht nicht ſchrecken läßt, ja ſogar noch lauter ſingt, wenn er
einmal in Gefahr gebracht wurde, ſo nach einem Schuß, welcher ihm galt, ohne ihn zu verletzen. Es
ſcheint dann wirklich ſo, wie Naumann meint, „als wolle er den mißlungenen Anſchlag auf ſein
Leben aller Welt verkündigen oder den ungeſchickten Schützen verhöhnen‟.

Auch der Gartenſänger duldet innerhalb ſeines Gebietes kein zweites Paar der gleichen Art.
Zwei Männchen, welche neben einander wohnen, eifern ſich gegenſeitig nicht blos zum Geſange an
ſondern raufen ſich auch ſehr häufig. „Es darf ſich‟, ſagt Naumann, „kein anderer ſeiner Art
blicken laſſen; er wird ſogleich mit grimmigen Biſſen verfolgt und ſofort wieder aus dem Revier
gejagt. Der Eindringling widerſetzt ſich aber meiſtens, und dann gibt es heftige Schlägereien, ſo daß
man nicht ſelten ein Paar ſolcher Zänker, welche ſich gepackt haben, im Streit zur Erde herabpurzeln,
hierüber dann aber gewöhnlich erſchreckt, plötzlich aus einander fahren, und nun einen Jeden ſeinem
Standort zueilen ſieht. Auch andere Vögel, welche um ſie wohnen, necken und jagen ſie gern.‟

Die Hauptnahrung des Gartenſängers beſteht aus Käferchen und andern kleinen fliegenden
Kerbthieren, welche von den Blättern abgeleſen oder aus der Luft weggefangen werden. Deshalb
ſieht man ihn auch häufig in den Baumkronen umherflattern oder ſelbſt über die ſchützenden Zweige
hinausflattern. Hier und da macht ſich der ſonſt nur nützliche Vogel als Bienenräuber verhaßt.
„Man machte mich‟, ſo ſchreibt ein Beobachter meinem Vater, „darauf aufmerkſam, daß ein Vogel,
der Bienenwolf genannt, oft käme, ſich auf die Stöcke ſetze und die Bienen wegſchnappe. Jch erkannte
in ihm unſern Gartenſänger. Wenn die Bienen etwas lange zögerten, ehe ſie aus dem Stocke kamen,

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[863/0911] Gartenſänger. Er iſt ein höchſt unruhiger, lebhafter, munterer und gewandter, aber auch ein vorſichtiger Vogel. Sein Gebiet wählt er mit Sorgfalt aus; hat er aber einmal von ihm Beſitz genommen, ſo hält er mit Hartnäckigkeit an ihm feſt und kehrt alle Sommer zu ihm zurück, ſo lange er lebt. Wir haben einen, welchen wir wegen ſeines wenig ausgezeichneten Geſanges halber „den Stümper‟ nannten, ſieben Jahre nach einander in ein und demſelben Garten beobachtet. Jm Laufe des Tages iſt der Vogel bald hier, bald da, ſo lange ihn nicht die Sorge um das brütende Weibchen oder um die Brut ſelbſt an ein und dieſelbe Stelle feſſelt. Gewöhnlich hüpft er in dichten Bäumen umher, immer möglichſt ver- borgen, und es kann geſchehen, daß man viele Minuten lang ihn vergeblich mit dem Auge ſucht, trotzdem er ſich beſtändig hören läßt; manchmal bemerkt man ihn nur, wenn er von einem Baume zum andern fliegt. Gewiſſe Bäume, gewöhnlich die höchſten und belaubteſten ſeines Wohnraumes, werden zu Lieblingsplätzen; ſie beſucht er täglich mehreremal, und auf ihnen verweilt er am längſten. Jm Sitzen trägt er die Bruſt aufgerichtet, und wenn er etwas Auffälliges bemerkt, ſträubt er die Scheitelfedern; im Hüpfen hält er ſich wagrecht und ſtreckt dabei den Hals vor. Der Flug iſt ſehr raſch und gewandt; der Gartenſänger verſteht es, die jäheſten Windungen auszuführen. Zum Boden herab kommt er ſelten, und das Hüpfen ſcheint ihm beſchwerlich zu ſein. Nur während des Singens verweilt er längere Zeit an ein und derſelben Stelle, ſonſt iſt er, ſo zu ſagen, beſtändig auf der Wanderung begriffen. Die Lockſtimme iſt ein ſanftes „Teck teck‟, welchem ein wohllautendes „Terüt‟ angehängt wird, wenn ein beſonderes Verlangen, Eiferſucht oder Zorn, auch wohl drohende Gefahr ausgedrückt werden ſoll; ſeinen Aerger oder vielleicht auch ſeine Kampfesluſt pflegt er durch die Silben „Hettettett‟ kundzugeben. Der Geſang ſpricht nicht Jedermann an und wird deshalb verſchieden beurtheilt; auch ſingt keineswegs ein Garten- ſänger wie der andere: denn dieſer iſt vielleicht ein ausgezeichneter Spötter, welcher die verſchiedenſten Laute der umwohnenden Vögel in ſeinen Geſang miſcht, der andere nur ein erbärmlicher Stümper, welcher blos wenige wohllautende Töne vorträgt und die minder angenehmen gewiſſermaßen zur Hauptſache macht. Jch meinestheils muß ſagen, daß ich den Gartenſänger immer gern höre und ſeinen Geſang ſo anſprechend finde, daß ich die abgebrochenen und ſchwatzenden Laute über die herrlich flötenden vergeſſe. Beſonderer Anerkennung werth ſcheint mir der Eifer zu ſein, mit welchem der Vogel ſein Lied vorträgt. Er ſingt von der Morgendämmerung an bis gegen Mittag hin und abends bis zu Sonnenuntergang, am eifrigſten ſelbſtverſtändlich, während das Weibchen brütet oder wenn ein Nebenbuhler zum Kampfe auffordert. Eine ſonderbare Gewohnheit des Gartenſängers iſt die, daß er ſich während ſeines Singens ſo leicht nicht ſchrecken läßt, ja ſogar noch lauter ſingt, wenn er einmal in Gefahr gebracht wurde, ſo nach einem Schuß, welcher ihm galt, ohne ihn zu verletzen. Es ſcheint dann wirklich ſo, wie Naumann meint, „als wolle er den mißlungenen Anſchlag auf ſein Leben aller Welt verkündigen oder den ungeſchickten Schützen verhöhnen‟. Auch der Gartenſänger duldet innerhalb ſeines Gebietes kein zweites Paar der gleichen Art. Zwei Männchen, welche neben einander wohnen, eifern ſich gegenſeitig nicht blos zum Geſange an ſondern raufen ſich auch ſehr häufig. „Es darf ſich‟, ſagt Naumann, „kein anderer ſeiner Art blicken laſſen; er wird ſogleich mit grimmigen Biſſen verfolgt und ſofort wieder aus dem Revier gejagt. Der Eindringling widerſetzt ſich aber meiſtens, und dann gibt es heftige Schlägereien, ſo daß man nicht ſelten ein Paar ſolcher Zänker, welche ſich gepackt haben, im Streit zur Erde herabpurzeln, hierüber dann aber gewöhnlich erſchreckt, plötzlich aus einander fahren, und nun einen Jeden ſeinem Standort zueilen ſieht. Auch andere Vögel, welche um ſie wohnen, necken und jagen ſie gern.‟ Die Hauptnahrung des Gartenſängers beſteht aus Käferchen und andern kleinen fliegenden Kerbthieren, welche von den Blättern abgeleſen oder aus der Luft weggefangen werden. Deshalb ſieht man ihn auch häufig in den Baumkronen umherflattern oder ſelbſt über die ſchützenden Zweige hinausflattern. Hier und da macht ſich der ſonſt nur nützliche Vogel als Bienenräuber verhaßt. „Man machte mich‟, ſo ſchreibt ein Beobachter meinem Vater, „darauf aufmerkſam, daß ein Vogel, der Bienenwolf genannt, oft käme, ſich auf die Stöcke ſetze und die Bienen wegſchnappe. Jch erkannte in ihm unſern Gartenſänger. Wenn die Bienen etwas lange zögerten, ehe ſie aus dem Stocke kamen,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 863. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/911>, abgerufen am 22.11.2024.