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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Lebensweise der Drosseln.
Morgen an bis zum späten Abend sieht man sie in fast ununterbrochener Bewegung; nur die Glut des
Mittags lähmt einigermaßen ihre Thätigkeit. Jn ihren Bewegungen erinnern sie vielfach an die
Erdsänger. Auf dem Boden springen sie mit großen Sprüngen gewandt umher, gewöhnlich in Absätzen.
Bemerken sie etwas Auffallendes, so schnellen sie den Schwanz wie die Erdsänger nach oben und
zucken gleichzeitig mit den Flügeln nach unten. Jm Gezweig hüpfen sie ebenfalls rasch und geschickt;
größere Entfernungen überspringen sie, indem sie die Flügel zu Hilfe nehmen. Der Flug ist ver-
schieden. Die meisten Arten flattern, wenn sie aufgescheucht werden, in anscheinend täppischer Weise
über den Boden dahin, wo möglich von einem Busche zum andern; aber dieselben Vögel streichen,
sobald sie sich einmal in eine gewisse Höhe erhoben haben, mit außerordentlicher Schnelligkeit durch die
Luft. Unter unsern deutschen Drosseln fliegen die Sing-, die Roth- und die Ringdrossel am besten,
die Misteldrossel und die Amsel, ihren kurzen Flügeln entsprechend, am schlechtesten. Bei der Mistel-
drossel ist der Flug scheinbar schwerfällig und schief; aber auch sie durchmißt größere Entfernungen mit
ziemlicher Schnelle, während die Amsel in langen Absätzen gleichsam über den Boden dahinschießt und
die Flügel dabei weniger bewegt: sie ist dafür wie alle kurzflügeligen Vögel besonders gewandt im
Durchfliegen der dichtesten Gebüsche und weiß die behendesten Wendungen mit großer Fertigkeit
auszuführen.

Die Sinne sind gleichmäßig entwickelt. Daß das Gesicht der Drosseln vorzüglich ist, läßt sich
leicht durch Beobachtung feststellen. Sie nehmen selbst das kleinste Kerbthier auf große Entfernungen
wahr, und erkennen, wenn sie in hoher Luft dahinziehen, die Gegenstände tief unter ihnen auf das
genaueste. Das Gleiche gilt für das Gehör. Sie vernehmen nicht nur sehr scharf, sondern unter-
scheiden auch genau, wie schon aus ihrem Gesang hervorgeht. Feinen Geschmack beweisen sie durch
ihre Leckerhaftigkeit; -- über die übrigen Sinne haben wir kein Urtheil. Jhre geistigen Fähigkeiten
wird Niemand unterschätzen, welcher sie kennt. "Sie sind", so habe ich bereits früher gesagt, "nicht
allein klug, sondern auch listig, nicht scheu, sondern berechnend vorsichtig, dreist und gleichwohl miß-
trauisch. Sie erfassen schnell und urtheilen sehr richtig, benutzen auch alle Mittel und Wege, um sich zu
sichern. Jm Walde werden sie bald zu Rathgebern oder wenigstens zu Warnern, auf welche nicht blos
andere ihrer Sippschaft, sondern auch fremdartige Vögel, ja sogar Säugethiere achten." Alles Auf-
fallende, Ungewohnte, Neue erregt ihre Aufmerksamkeit. Sie kommen mit einer gewissen Neugier herbei,
um einen Gegenstand, welcher sie reizt, genauer ins Auge zu fassen, geben sich aber auch dann nicht rück-
sichtslos preis, sondern halten sich stets in wohlgemessener Entfernung. Die in den stillen, menschenleeren
Wäldern des Nordens groß gewordenen Arten lassen sich leicht berücken, zumal durch zur Schau
gehängte Nahrung bethören oder durch andere ihrer Art in versteckte Fallen locken; Erfahrung aber
witzigt sie sehr bald, und diejenigen, welche einmal betrogen worden sind, lassen sich auf dieselbe Weise
so leicht nicht wieder täuschen. Geselligkeit scheint den meisten Arten Bedürfniß zu sein; nur wenige
machen hiervon eine Ausnahme. Sie sind, wie schon bemerkt, keineswegs friedfertig, gerathen viel-
mehr recht häufig in Streit: -- aber sie können, wie man zu sagen pflegt, nicht von einander lassen,
und der Lockruf, welchen eine von ihnen ausstößt, wird von andern selten gehört, ohne befolgt zu
werden. Sie vereinigen sich nicht blos mit andern derselben Art, sondern mit allen Drosseln über-
haupt, und es kann geschehen, daß verschiedene lange Zeit zusammenbleiben, gemeinschaftlich reisen
und gemeinschaftlich den Winter in der Fremde verleben. Jm Nothfall mischen sie sich auch unter
andere Vögel, ohne sich jedoch auf besonders freundschaftlichen Fuß mit ihnen zu stellen, und deshalb
darf man die Warnungen, welche sie derartigen Genossen zukommen lassen, wohl kaum als freund-
schaftlich gemeinte ansehen. Dem Menschen trauen sie nie vollständig, so oft sie auch seinem Wohn-
sitze nahe kommen mögen; aber sie unterscheiden recht wohl zwischen gefährlichen und ungefährlichen
Leuten: sie lassen den Hirten näher an sich herankommen, als den Jäger. Gewaltsam in die
Gefangenschaft des Menschen gebracht, geberden sie sich anfänglich äußerst ungestüm; bald aber
erkennen sie in Dem, welcher sie freundlich behandelt, einen Freund, und dann schließen sie sich ihm
innig an.

Brehm, Thierleben. III. 51

Lebensweiſe der Droſſeln.
Morgen an bis zum ſpäten Abend ſieht man ſie in faſt ununterbrochener Bewegung; nur die Glut des
Mittags lähmt einigermaßen ihre Thätigkeit. Jn ihren Bewegungen erinnern ſie vielfach an die
Erdſänger. Auf dem Boden ſpringen ſie mit großen Sprüngen gewandt umher, gewöhnlich in Abſätzen.
Bemerken ſie etwas Auffallendes, ſo ſchnellen ſie den Schwanz wie die Erdſänger nach oben und
zucken gleichzeitig mit den Flügeln nach unten. Jm Gezweig hüpfen ſie ebenfalls raſch und geſchickt;
größere Entfernungen überſpringen ſie, indem ſie die Flügel zu Hilfe nehmen. Der Flug iſt ver-
ſchieden. Die meiſten Arten flattern, wenn ſie aufgeſcheucht werden, in anſcheinend täppiſcher Weiſe
über den Boden dahin, wo möglich von einem Buſche zum andern; aber dieſelben Vögel ſtreichen,
ſobald ſie ſich einmal in eine gewiſſe Höhe erhoben haben, mit außerordentlicher Schnelligkeit durch die
Luft. Unter unſern deutſchen Droſſeln fliegen die Sing-, die Roth- und die Ringdroſſel am beſten,
die Miſteldroſſel und die Amſel, ihren kurzen Flügeln entſprechend, am ſchlechteſten. Bei der Miſtel-
droſſel iſt der Flug ſcheinbar ſchwerfällig und ſchief; aber auch ſie durchmißt größere Entfernungen mit
ziemlicher Schnelle, während die Amſel in langen Abſätzen gleichſam über den Boden dahinſchießt und
die Flügel dabei weniger bewegt: ſie iſt dafür wie alle kurzflügeligen Vögel beſonders gewandt im
Durchfliegen der dichteſten Gebüſche und weiß die behendeſten Wendungen mit großer Fertigkeit
auszuführen.

Die Sinne ſind gleichmäßig entwickelt. Daß das Geſicht der Droſſeln vorzüglich iſt, läßt ſich
leicht durch Beobachtung feſtſtellen. Sie nehmen ſelbſt das kleinſte Kerbthier auf große Entfernungen
wahr, und erkennen, wenn ſie in hoher Luft dahinziehen, die Gegenſtände tief unter ihnen auf das
genaueſte. Das Gleiche gilt für das Gehör. Sie vernehmen nicht nur ſehr ſcharf, ſondern unter-
ſcheiden auch genau, wie ſchon aus ihrem Geſang hervorgeht. Feinen Geſchmack beweiſen ſie durch
ihre Leckerhaftigkeit; — über die übrigen Sinne haben wir kein Urtheil. Jhre geiſtigen Fähigkeiten
wird Niemand unterſchätzen, welcher ſie kennt. „Sie ſind‟, ſo habe ich bereits früher geſagt, „nicht
allein klug, ſondern auch liſtig, nicht ſcheu, ſondern berechnend vorſichtig, dreiſt und gleichwohl miß-
trauiſch. Sie erfaſſen ſchnell und urtheilen ſehr richtig, benutzen auch alle Mittel und Wege, um ſich zu
ſichern. Jm Walde werden ſie bald zu Rathgebern oder wenigſtens zu Warnern, auf welche nicht blos
andere ihrer Sippſchaft, ſondern auch fremdartige Vögel, ja ſogar Säugethiere achten.‟ Alles Auf-
fallende, Ungewohnte, Neue erregt ihre Aufmerkſamkeit. Sie kommen mit einer gewiſſen Neugier herbei,
um einen Gegenſtand, welcher ſie reizt, genauer ins Auge zu faſſen, geben ſich aber auch dann nicht rück-
ſichtslos preis, ſondern halten ſich ſtets in wohlgemeſſener Entfernung. Die in den ſtillen, menſchenleeren
Wäldern des Nordens groß gewordenen Arten laſſen ſich leicht berücken, zumal durch zur Schau
gehängte Nahrung bethören oder durch andere ihrer Art in verſteckte Fallen locken; Erfahrung aber
witzigt ſie ſehr bald, und diejenigen, welche einmal betrogen worden ſind, laſſen ſich auf dieſelbe Weiſe
ſo leicht nicht wieder täuſchen. Geſelligkeit ſcheint den meiſten Arten Bedürfniß zu ſein; nur wenige
machen hiervon eine Ausnahme. Sie ſind, wie ſchon bemerkt, keineswegs friedfertig, gerathen viel-
mehr recht häufig in Streit: — aber ſie können, wie man zu ſagen pflegt, nicht von einander laſſen,
und der Lockruf, welchen eine von ihnen ausſtößt, wird von andern ſelten gehört, ohne befolgt zu
werden. Sie vereinigen ſich nicht blos mit andern derſelben Art, ſondern mit allen Droſſeln über-
haupt, und es kann geſchehen, daß verſchiedene lange Zeit zuſammenbleiben, gemeinſchaftlich reiſen
und gemeinſchaftlich den Winter in der Fremde verleben. Jm Nothfall miſchen ſie ſich auch unter
andere Vögel, ohne ſich jedoch auf beſonders freundſchaftlichen Fuß mit ihnen zu ſtellen, und deshalb
darf man die Warnungen, welche ſie derartigen Genoſſen zukommen laſſen, wohl kaum als freund-
ſchaftlich gemeinte anſehen. Dem Menſchen trauen ſie nie vollſtändig, ſo oft ſie auch ſeinem Wohn-
ſitze nahe kommen mögen; aber ſie unterſcheiden recht wohl zwiſchen gefährlichen und ungefährlichen
Leuten: ſie laſſen den Hirten näher an ſich herankommen, als den Jäger. Gewaltſam in die
Gefangenſchaft des Menſchen gebracht, geberden ſie ſich anfänglich äußerſt ungeſtüm; bald aber
erkennen ſie in Dem, welcher ſie freundlich behandelt, einen Freund, und dann ſchließen ſie ſich ihm
innig an.

Brehm, Thierleben. III. 51
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[801/0847] Lebensweiſe der Droſſeln. Morgen an bis zum ſpäten Abend ſieht man ſie in faſt ununterbrochener Bewegung; nur die Glut des Mittags lähmt einigermaßen ihre Thätigkeit. Jn ihren Bewegungen erinnern ſie vielfach an die Erdſänger. Auf dem Boden ſpringen ſie mit großen Sprüngen gewandt umher, gewöhnlich in Abſätzen. Bemerken ſie etwas Auffallendes, ſo ſchnellen ſie den Schwanz wie die Erdſänger nach oben und zucken gleichzeitig mit den Flügeln nach unten. Jm Gezweig hüpfen ſie ebenfalls raſch und geſchickt; größere Entfernungen überſpringen ſie, indem ſie die Flügel zu Hilfe nehmen. Der Flug iſt ver- ſchieden. Die meiſten Arten flattern, wenn ſie aufgeſcheucht werden, in anſcheinend täppiſcher Weiſe über den Boden dahin, wo möglich von einem Buſche zum andern; aber dieſelben Vögel ſtreichen, ſobald ſie ſich einmal in eine gewiſſe Höhe erhoben haben, mit außerordentlicher Schnelligkeit durch die Luft. Unter unſern deutſchen Droſſeln fliegen die Sing-, die Roth- und die Ringdroſſel am beſten, die Miſteldroſſel und die Amſel, ihren kurzen Flügeln entſprechend, am ſchlechteſten. Bei der Miſtel- droſſel iſt der Flug ſcheinbar ſchwerfällig und ſchief; aber auch ſie durchmißt größere Entfernungen mit ziemlicher Schnelle, während die Amſel in langen Abſätzen gleichſam über den Boden dahinſchießt und die Flügel dabei weniger bewegt: ſie iſt dafür wie alle kurzflügeligen Vögel beſonders gewandt im Durchfliegen der dichteſten Gebüſche und weiß die behendeſten Wendungen mit großer Fertigkeit auszuführen. Die Sinne ſind gleichmäßig entwickelt. Daß das Geſicht der Droſſeln vorzüglich iſt, läßt ſich leicht durch Beobachtung feſtſtellen. Sie nehmen ſelbſt das kleinſte Kerbthier auf große Entfernungen wahr, und erkennen, wenn ſie in hoher Luft dahinziehen, die Gegenſtände tief unter ihnen auf das genaueſte. Das Gleiche gilt für das Gehör. Sie vernehmen nicht nur ſehr ſcharf, ſondern unter- ſcheiden auch genau, wie ſchon aus ihrem Geſang hervorgeht. Feinen Geſchmack beweiſen ſie durch ihre Leckerhaftigkeit; — über die übrigen Sinne haben wir kein Urtheil. Jhre geiſtigen Fähigkeiten wird Niemand unterſchätzen, welcher ſie kennt. „Sie ſind‟, ſo habe ich bereits früher geſagt, „nicht allein klug, ſondern auch liſtig, nicht ſcheu, ſondern berechnend vorſichtig, dreiſt und gleichwohl miß- trauiſch. Sie erfaſſen ſchnell und urtheilen ſehr richtig, benutzen auch alle Mittel und Wege, um ſich zu ſichern. Jm Walde werden ſie bald zu Rathgebern oder wenigſtens zu Warnern, auf welche nicht blos andere ihrer Sippſchaft, ſondern auch fremdartige Vögel, ja ſogar Säugethiere achten.‟ Alles Auf- fallende, Ungewohnte, Neue erregt ihre Aufmerkſamkeit. Sie kommen mit einer gewiſſen Neugier herbei, um einen Gegenſtand, welcher ſie reizt, genauer ins Auge zu faſſen, geben ſich aber auch dann nicht rück- ſichtslos preis, ſondern halten ſich ſtets in wohlgemeſſener Entfernung. Die in den ſtillen, menſchenleeren Wäldern des Nordens groß gewordenen Arten laſſen ſich leicht berücken, zumal durch zur Schau gehängte Nahrung bethören oder durch andere ihrer Art in verſteckte Fallen locken; Erfahrung aber witzigt ſie ſehr bald, und diejenigen, welche einmal betrogen worden ſind, laſſen ſich auf dieſelbe Weiſe ſo leicht nicht wieder täuſchen. Geſelligkeit ſcheint den meiſten Arten Bedürfniß zu ſein; nur wenige machen hiervon eine Ausnahme. Sie ſind, wie ſchon bemerkt, keineswegs friedfertig, gerathen viel- mehr recht häufig in Streit: — aber ſie können, wie man zu ſagen pflegt, nicht von einander laſſen, und der Lockruf, welchen eine von ihnen ausſtößt, wird von andern ſelten gehört, ohne befolgt zu werden. Sie vereinigen ſich nicht blos mit andern derſelben Art, ſondern mit allen Droſſeln über- haupt, und es kann geſchehen, daß verſchiedene lange Zeit zuſammenbleiben, gemeinſchaftlich reiſen und gemeinſchaftlich den Winter in der Fremde verleben. Jm Nothfall miſchen ſie ſich auch unter andere Vögel, ohne ſich jedoch auf beſonders freundſchaftlichen Fuß mit ihnen zu ſtellen, und deshalb darf man die Warnungen, welche ſie derartigen Genoſſen zukommen laſſen, wohl kaum als freund- ſchaftlich gemeinte anſehen. Dem Menſchen trauen ſie nie vollſtändig, ſo oft ſie auch ſeinem Wohn- ſitze nahe kommen mögen; aber ſie unterſcheiden recht wohl zwiſchen gefährlichen und ungefährlichen Leuten: ſie laſſen den Hirten näher an ſich herankommen, als den Jäger. Gewaltſam in die Gefangenſchaft des Menſchen gebracht, geberden ſie ſich anfänglich äußerſt ungeſtüm; bald aber erkennen ſie in Dem, welcher ſie freundlich behandelt, einen Freund, und dann ſchließen ſie ſich ihm innig an. Brehm, Thierleben. III. 51

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 801. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/847>, abgerufen am 25.11.2024.