dem Unterschiede, daß sie im Winter sonnige Gehänge bevorzugt. Es scheint also, daß nur einzelne der Vögel nach der Brutzeit umherschweifen, streichend weiter und weiter fliegen und auf diese Weise in jene südlichen Gegenden hinabkommen.
Jn ihrem Wesen und Betragen ähnelt sie dem Steinröthel sehr, unterscheidet sich aber doch in mancher Hinsicht. Mehr als der Letztgenannte liebt sie die Einöde, d. h. Felswände und enge Gebirgsschluchten, denen der Baumschlag mangelt, am liebsten felsige Flußthäler. Den eigentlichen Wald meidet sie fast ängstlich. Dagegen besucht sie sehr regelmäßig die Ortschaften und treibt sich hier auf den Thürmen, Wallmauern und hochgelegenen Dachfirsten oder in Egypten auf den groß- artigen Tempelruinen umher. Nichts desto weniger trägt sie den Namen Einfiedler mit vollem Rechte. Sie lebt stets für sich, so ungesellig als möglich, und befreundet sich nie mit den Menschen, sondern bewahrt sich auch dann, wenn sie in die Ortschaften kommt, ihre Selbständigkeit. Es scheint wirklich, als lebe sie mit keinem andern Vogel in Freundschaft, als hege sie auch gegen die harm- losesten Mitglieder ihrer Klasse dasselbe Mißtrauen, welches sie dem Menschen gegenüber so offen- kundig an den Tag legt. Ja, nicht einmal mit Jhresgleichen vereinigt sie sich in derselben innigen Weise, wie andere Vögel; denn nur während der Brutzeit sieht man das Paar unzertreunlich zusammen und kurz nach ihr die Familie; schon gegen den Herbst hin aber trennen sich die Glieder eines derartigen Verbandes, und jeder einzelne geht seinen eigenen Weg. Doch will ich bemerken, daß ich im Winter in Egypten zuweilen kleine Gesellschaften des sonst so ungeselligen Vogels gesehen habe. Die Eigen- schaften der Blaumerle sind schon den Alten wohl bekannt gewesen. "Dieser Vogel, Cyanus genannt", schreibt Geßner, die Angaben der alten Naturforscher wiedergebend, "hasset von Natur den Men- schen, fleucht derhalben alle versammlungen derselbigen, auch alle Wildnussen, darinnen Menschen wonen, hat lieb die einöden Ort vnd hohen Gibel der Bergen. Epirum vnd andere Jnsulen so behauset werden, hasset er, liebet dargegen Scyrum, vnd andere dergleichen einöde vnd vnfruchtbare Ort." Die Blaumerle hat übrigens auch ihre guten Seiten. Sie ist ein außerordentlich munterer, regsamer, bewegungslustiger Vogel und singt sehr fleißig. Jhr Gesang steht dem des Steinröthels zwar nach, darf aber noch immer als vorzüglich gelten und wird beinah zu jeder Jahreszeit vernommen: Jn ihren Bewegungen ähnelt auch sie den Steinschmätzern weit mehr, als den Drosseln, mit denen sie überhaupt nur die flüchtigste Betrachtung vergleichen kann. Sie ist jedoch vielleicht noch gewandter als alle übrigen Schmätzer und zwar nicht blos im Laufen, sondern auch im Fliegen. Keine andere von den mir bekannten Arten der Familie fliegt so viel und so weit in einem Zuge, wie die Blaumerle: sie durchmißt oft Entfernungen von einer Achtelmeile in einem Zuge und streicht, von einem ihrer Lieblingssitze in der Höhe ausgehend, ohne sich zum Boden herabzusenken, von einem Bergesgipfel zum andern. Der Flug selbst erinnert an den unserer gewandtesten Drosseln; doch schwebt die Blau- merle mehr als diese, namentlich kurz vor dem Niedersetzen, und ebenso steigt sie, wenn sie singt, ganz gegen Drosselart in die Luft. Der Gesang hat nach meinen Erfahrungen die größte Aehnlichkeit mit dem des Trauersteinschmätzers; er gleicht diesem so, daß man Beider Lieder verwechseln kann. Dasselbe ist A. von Homeyer allerdings auch hinsichtlich ihrer und des Steinröthels geschehen: es geht also auch daraus die Verwandtschaft aller dieser Vögel dentlich hervor. Das Lied vereinigt die Gesänge mehrerer Vögel. Von dem Steinröthel hat er die zusammenhängenden Halstöne, nur daß sie rauher und stärker sind, von der Singdrossel die lauten, nachtigallähnlichen Pfiffe und von der Amsel ebenfalls mehrere Strophen. Doch ist die Stimme des Steinröthels viel biegsamer, sanfter und angenehmer, sein Gesang mehr abwechselnd und minder durchdringend, und deshalb eben eignet er sich für das Zimmer mehr, als seine Verwandte. Diese wiederholt die einzelnen Strophen gewöhnlich zwei- bis drei-, ja selbst fünf- bis zehnmal; demzufolge dünkt uns der Gesang nicht so manchfaltig, wie er es wirklich ist. Zu- weilen läßt die Blaumerle so leise und zwitschernde Töne vernehmen, wie sie nur der kleinste Vogel hervorbringen kann. Sie singt gern und viel in der Abenddämmerung, zuweilen auch bei Kerzenlicht: eine trug besonders bei starker Beleuchtung, wenn laut gesprochen wurde, ihre leisen und angenehmen Töne vor. Auch sie hat eine Lieblings- und Begrüßungsstrophe, mit der sie gern einen sich nahen-
Die Fänger. Singvögel. Schmätzer.
dem Unterſchiede, daß ſie im Winter ſonnige Gehänge bevorzugt. Es ſcheint alſo, daß nur einzelne der Vögel nach der Brutzeit umherſchweifen, ſtreichend weiter und weiter fliegen und auf dieſe Weiſe in jene ſüdlichen Gegenden hinabkommen.
Jn ihrem Weſen und Betragen ähnelt ſie dem Steinröthel ſehr, unterſcheidet ſich aber doch in mancher Hinſicht. Mehr als der Letztgenannte liebt ſie die Einöde, d. h. Felswände und enge Gebirgsſchluchten, denen der Baumſchlag mangelt, am liebſten felſige Flußthäler. Den eigentlichen Wald meidet ſie faſt ängſtlich. Dagegen beſucht ſie ſehr regelmäßig die Ortſchaften und treibt ſich hier auf den Thürmen, Wallmauern und hochgelegenen Dachfirſten oder in Egypten auf den groß- artigen Tempelruinen umher. Nichts deſto weniger trägt ſie den Namen Einfiedler mit vollem Rechte. Sie lebt ſtets für ſich, ſo ungeſellig als möglich, und befreundet ſich nie mit den Menſchen, ſondern bewahrt ſich auch dann, wenn ſie in die Ortſchaften kommt, ihre Selbſtändigkeit. Es ſcheint wirklich, als lebe ſie mit keinem andern Vogel in Freundſchaft, als hege ſie auch gegen die harm- loſeſten Mitglieder ihrer Klaſſe daſſelbe Mißtrauen, welches ſie dem Menſchen gegenüber ſo offen- kundig an den Tag legt. Ja, nicht einmal mit Jhresgleichen vereinigt ſie ſich in derſelben innigen Weiſe, wie andere Vögel; denn nur während der Brutzeit ſieht man das Paar unzertreunlich zuſammen und kurz nach ihr die Familie; ſchon gegen den Herbſt hin aber trennen ſich die Glieder eines derartigen Verbandes, und jeder einzelne geht ſeinen eigenen Weg. Doch will ich bemerken, daß ich im Winter in Egypten zuweilen kleine Geſellſchaften des ſonſt ſo ungeſelligen Vogels geſehen habe. Die Eigen- ſchaften der Blaumerle ſind ſchon den Alten wohl bekannt geweſen. „Dieſer Vogel, Cyanus genannt‟, ſchreibt Geßner, die Angaben der alten Naturforſcher wiedergebend, „haſſet von Natur den Men- ſchen, fleucht derhalben alle verſammlungen derſelbigen, auch alle Wildnuſſen, darinnen Menſchen wonen, hat lieb die einöden Ort vnd hohen Gibel der Bergen. Epirum vnd andere Jnſulen ſo behauſet werden, haſſet er, liebet dargegen Scyrum, vnd andere dergleichen einöde vnd vnfruchtbare Ort.‟ Die Blaumerle hat übrigens auch ihre guten Seiten. Sie iſt ein außerordentlich munterer, regſamer, bewegungsluſtiger Vogel und ſingt ſehr fleißig. Jhr Geſang ſteht dem des Steinröthels zwar nach, darf aber noch immer als vorzüglich gelten und wird beinah zu jeder Jahreszeit vernommen: Jn ihren Bewegungen ähnelt auch ſie den Steinſchmätzern weit mehr, als den Droſſeln, mit denen ſie überhaupt nur die flüchtigſte Betrachtung vergleichen kann. Sie iſt jedoch vielleicht noch gewandter als alle übrigen Schmätzer und zwar nicht blos im Laufen, ſondern auch im Fliegen. Keine andere von den mir bekannten Arten der Familie fliegt ſo viel und ſo weit in einem Zuge, wie die Blaumerle: ſie durchmißt oft Entfernungen von einer Achtelmeile in einem Zuge und ſtreicht, von einem ihrer Lieblingsſitze in der Höhe ausgehend, ohne ſich zum Boden herabzuſenken, von einem Bergesgipfel zum andern. Der Flug ſelbſt erinnert an den unſerer gewandteſten Droſſeln; doch ſchwebt die Blau- merle mehr als dieſe, namentlich kurz vor dem Niederſetzen, und ebenſo ſteigt ſie, wenn ſie ſingt, ganz gegen Droſſelart in die Luft. Der Geſang hat nach meinen Erfahrungen die größte Aehnlichkeit mit dem des Trauerſteinſchmätzers; er gleicht dieſem ſo, daß man Beider Lieder verwechſeln kann. Daſſelbe iſt A. von Homeyer allerdings auch hinſichtlich ihrer und des Steinröthels geſchehen: es geht alſo auch daraus die Verwandtſchaft aller dieſer Vögel dentlich hervor. Das Lied vereinigt die Geſänge mehrerer Vögel. Von dem Steinröthel hat er die zuſammenhängenden Halstöne, nur daß ſie rauher und ſtärker ſind, von der Singdroſſel die lauten, nachtigallähnlichen Pfiffe und von der Amſel ebenfalls mehrere Strophen. Doch iſt die Stimme des Steinröthels viel biegſamer, ſanfter und angenehmer, ſein Geſang mehr abwechſelnd und minder durchdringend, und deshalb eben eignet er ſich für das Zimmer mehr, als ſeine Verwandte. Dieſe wiederholt die einzelnen Strophen gewöhnlich zwei- bis drei-, ja ſelbſt fünf- bis zehnmal; demzufolge dünkt uns der Geſang nicht ſo manchfaltig, wie er es wirklich iſt. Zu- weilen läßt die Blaumerle ſo leiſe und zwitſchernde Töne vernehmen, wie ſie nur der kleinſte Vogel hervorbringen kann. Sie ſingt gern und viel in der Abenddämmerung, zuweilen auch bei Kerzenlicht: eine trug beſonders bei ſtarker Beleuchtung, wenn laut geſprochen wurde, ihre leiſen und angenehmen Töne vor. Auch ſie hat eine Lieblings- und Begrüßungsſtrophe, mit der ſie gern einen ſich nahen-
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Die Fänger. Singvögel. Schmätzer.
dem Unterſchiede, daß ſie im Winter ſonnige Gehänge bevorzugt. Es ſcheint alſo, daß nur einzelne
der Vögel nach der Brutzeit umherſchweifen, ſtreichend weiter und weiter fliegen und auf dieſe
Weiſe in jene ſüdlichen Gegenden hinabkommen.
Jn ihrem Weſen und Betragen ähnelt ſie dem Steinröthel ſehr, unterſcheidet ſich aber doch
in mancher Hinſicht. Mehr als der Letztgenannte liebt ſie die Einöde, d. h. Felswände und enge
Gebirgsſchluchten, denen der Baumſchlag mangelt, am liebſten felſige Flußthäler. Den eigentlichen
Wald meidet ſie faſt ängſtlich. Dagegen beſucht ſie ſehr regelmäßig die Ortſchaften und treibt ſich hier
auf den Thürmen, Wallmauern und hochgelegenen Dachfirſten oder in Egypten auf den groß-
artigen Tempelruinen umher. Nichts deſto weniger trägt ſie den Namen Einfiedler mit vollem
Rechte. Sie lebt ſtets für ſich, ſo ungeſellig als möglich, und befreundet ſich nie mit den Menſchen,
ſondern bewahrt ſich auch dann, wenn ſie in die Ortſchaften kommt, ihre Selbſtändigkeit. Es ſcheint
wirklich, als lebe ſie mit keinem andern Vogel in Freundſchaft, als hege ſie auch gegen die harm-
loſeſten Mitglieder ihrer Klaſſe daſſelbe Mißtrauen, welches ſie dem Menſchen gegenüber ſo offen-
kundig an den Tag legt. Ja, nicht einmal mit Jhresgleichen vereinigt ſie ſich in derſelben innigen
Weiſe, wie andere Vögel; denn nur während der Brutzeit ſieht man das Paar unzertreunlich zuſammen
und kurz nach ihr die Familie; ſchon gegen den Herbſt hin aber trennen ſich die Glieder eines derartigen
Verbandes, und jeder einzelne geht ſeinen eigenen Weg. Doch will ich bemerken, daß ich im Winter in
Egypten zuweilen kleine Geſellſchaften des ſonſt ſo ungeſelligen Vogels geſehen habe. Die Eigen-
ſchaften der Blaumerle ſind ſchon den Alten wohl bekannt geweſen. „Dieſer Vogel, Cyanus genannt‟,
ſchreibt Geßner, die Angaben der alten Naturforſcher wiedergebend, „haſſet von Natur den Men-
ſchen, fleucht derhalben alle verſammlungen derſelbigen, auch alle Wildnuſſen, darinnen Menſchen
wonen, hat lieb die einöden Ort vnd hohen Gibel der Bergen. Epirum vnd andere Jnſulen ſo
behauſet werden, haſſet er, liebet dargegen Scyrum, vnd andere dergleichen einöde vnd vnfruchtbare
Ort.‟ Die Blaumerle hat übrigens auch ihre guten Seiten. Sie iſt ein außerordentlich munterer,
regſamer, bewegungsluſtiger Vogel und ſingt ſehr fleißig. Jhr Geſang ſteht dem des Steinröthels zwar
nach, darf aber noch immer als vorzüglich gelten und wird beinah zu jeder Jahreszeit vernommen: Jn
ihren Bewegungen ähnelt auch ſie den Steinſchmätzern weit mehr, als den Droſſeln, mit denen ſie
überhaupt nur die flüchtigſte Betrachtung vergleichen kann. Sie iſt jedoch vielleicht noch gewandter
als alle übrigen Schmätzer und zwar nicht blos im Laufen, ſondern auch im Fliegen. Keine andere
von den mir bekannten Arten der Familie fliegt ſo viel und ſo weit in einem Zuge, wie die Blaumerle:
ſie durchmißt oft Entfernungen von einer Achtelmeile in einem Zuge und ſtreicht, von einem ihrer
Lieblingsſitze in der Höhe ausgehend, ohne ſich zum Boden herabzuſenken, von einem Bergesgipfel
zum andern. Der Flug ſelbſt erinnert an den unſerer gewandteſten Droſſeln; doch ſchwebt die Blau-
merle mehr als dieſe, namentlich kurz vor dem Niederſetzen, und ebenſo ſteigt ſie, wenn ſie ſingt, ganz
gegen Droſſelart in die Luft. Der Geſang hat nach meinen Erfahrungen die größte Aehnlichkeit mit
dem des Trauerſteinſchmätzers; er gleicht dieſem ſo, daß man Beider Lieder verwechſeln kann. Daſſelbe
iſt A. von Homeyer allerdings auch hinſichtlich ihrer und des Steinröthels geſchehen: es geht alſo auch
daraus die Verwandtſchaft aller dieſer Vögel dentlich hervor. Das Lied vereinigt die Geſänge mehrerer
Vögel. Von dem Steinröthel hat er die zuſammenhängenden Halstöne, nur daß ſie rauher und ſtärker
ſind, von der Singdroſſel die lauten, nachtigallähnlichen Pfiffe und von der Amſel ebenfalls mehrere
Strophen. Doch iſt die Stimme des Steinröthels viel biegſamer, ſanfter und angenehmer, ſein Geſang
mehr abwechſelnd und minder durchdringend, und deshalb eben eignet er ſich für das Zimmer mehr, als
ſeine Verwandte. Dieſe wiederholt die einzelnen Strophen gewöhnlich zwei- bis drei-, ja ſelbſt fünf-
bis zehnmal; demzufolge dünkt uns der Geſang nicht ſo manchfaltig, wie er es wirklich iſt. Zu-
weilen läßt die Blaumerle ſo leiſe und zwitſchernde Töne vernehmen, wie ſie nur der kleinſte Vogel
hervorbringen kann. Sie ſingt gern und viel in der Abenddämmerung, zuweilen auch bei Kerzenlicht:
eine trug beſonders bei ſtarker Beleuchtung, wenn laut geſprochen wurde, ihre leiſen und angenehmen
Töne vor. Auch ſie hat eine Lieblings- und Begrüßungsſtrophe, mit der ſie gern einen ſich nahen-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 792. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/836>, abgerufen am 22.11.2024.
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