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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Baumnachtigall.

Der Süden Europas, Nordwestasien und Nordafrika beherbergen Sänger, welche in Gestalt und
Wesen mit den Nachtigallen große Aehnlichkeit zeigen, aber in gewisser Hinsicht auch wieder an die
Rohrsänger erinnern und deshalb von Forschern, welche sie nur als Bälge kennen lernten, zu den
letztgenannten Vögeln gestellt worden sind. Naumann hat der Sippe, welche sie bilden, den
Namen "Heckensänger" gegeben; ich habe sie "Baumnachtigallen" genannt und werde diese
Benennung festhalten, weil sie mir die bezeichnendere zu sein scheint. Der wissenschaftliche Name ist
Aedon oder Agrobates.

Die Baumnachtigallen sind große, gestreckt gebaute Erdsänger mit verhältnißmäßig starkem, auf
der hohen Firste merklich gebogenen Schnabel, etwas minder hohen Fußwurzeln, als sonst die Regel,
ziemlich kurzen Flügeln, in denen die dritte und vierte Schwinge unter sich gleich lang sind, ziemlich
langem und breiten, stark zugerundeten Schwanz und seidenweichem Gefieder von gleichmäßig licht
rothbrauner Färbung, welche, wie gewöhnlich, auf der Unterseite bedeutend lichter ist. Die
Geschlechter unterscheiden sich nicht, und die Jungen ähneln den Alten, tragen also kein
Fleckenkleid.

Man hat drei verschiedene Arten dieser Vögel unterschieden, welche sich ungefähr ebenso nah
stehen, wie Sprosser und Nachtigall, und daher oft auch als Spielarten angesehen werden. Hin-
sichtlich der Lebensweise und Sitten dieser Drei sind noch keine Unterschiede bemerkt worden, und
somit scheint es mir gerechtfertigt zu sein, wenn ich das mir Bekannte zusammenstelle und auf die in
Spanien lebende Art oder Unterart beziehe.

Die Baumnachtigall (Aedon galactodes) ist auf der Oberseite rostrothgrau, welche Färbung
auf dem Scheitel dunkler, im Nacken mehr graulicher erscheint, auf der Unterseite dagegen graugelblich-
oder schmuzigweiß, mit röthlichem Anfluge an den Halsseiten und rostgelblichen an den Weichen; die
Wange ist weißbräunlich, ein weit nach hinten reichender Brauenstreifen weiß; die Schwingen,
Flügeldeckfedern und Oberarmschwingen sind braun, erstere schmal lichtbräunlich, letztere breit rostgelb
gesäumt; die Steuerfedern sind, mit Ausnahme der mittleren, dunkleren schön rostroth, an der Spitze
weiß, vorher durch einen rundlichen Flecken von schwarzbrauner Farbe gezeichnet. Das Auge ist
dunkelbraun, Schnabel und Füße sind röthlich. Die Jungen ähneln den Alten. Die Länge beträgt
gegen 7, die Breite 11, die Fittiglänge über 3, die Schwanzlänge gegen 3 Zoll, beim Männchen,
wie beim Weibchen.

Vollkommen unabhängig von Graf von der Mühle und Lindermayer, deren Beob-
achtungen mir erst später bekannt wurden, aber durchaus übereinstimmend mit beiden, habe ich schon
früher die Baumnachtigall als die nächste Verwandte unserer Sängerkönigin bezeichnet. Sie ersetzt
diese nicht, aber sie vertritt sie da, wo jene fehlt, fast vollständig, soweit es sich um Lebensweise und
Betragen handelt. Deshalb kann es mich auch keineswegs beirren, wenn A. v. Homeyer, dessen
Scharfsinn übrigens wohl zu würdigen ist, hervorhebt, daß die Eigenthümlichkeit des Jugendkleides
unseres Vogels durchaus nicht geeignet sei, ihn mit der eigentlichen Nachtigall in nahe verwandt-
schaftliche Beziehungen zu bringen. Daß auf diesen einen Punkt ein besonderes Gewicht nicht gelegt
werden darf, beweisen andere Singvögel, so namentlich die Steinschmätzer. Wenn es zwei Vögel
verschiedener Sippen gibt, welche in ihrem Wesen sich ähneln, so sind es die beiden in Rede stehenden.
Unterschiede im Betragen werden bei genauerer Beobachtung allerdings auch bemerklich; sie sind aber
so unerheblich, daß sie für die systematische Stellung gar nicht in Frage kommen können.

Die Baumnachtigall bewohnt vorzugsweise jene dürren, d. h. nur vom Regen befeuchteten
Stellen des Südens, welche spärlich mit niederem Buschwerk bestanden sind, ohne jedoch besser bebauete
Oertlichkeiten und bezüglich die Nähe menschlicher Wohnsitze zu meiden. Dies bleibt sich gleich in
Spanien, wie in Griechenland, in Egypten, wie in der bereits wiederholt erwähnten Samhara oder
der innerafrikanischen Steppe. Jn Spanien und Griechenland sind es vor allem anderen die Wein-
berge und Oelbaumpflanzungen, welche ihr Herberge geben, in Nordostafrika siedelt sie sich in trockenen
Gärten oder zwischen den Hütten der Dörfer an, vorausgesetzt, daß es hier an dichten Büschen nicht

Baumnachtigall.

Der Süden Europas, Nordweſtaſien und Nordafrika beherbergen Sänger, welche in Geſtalt und
Weſen mit den Nachtigallen große Aehnlichkeit zeigen, aber in gewiſſer Hinſicht auch wieder an die
Rohrſänger erinnern und deshalb von Forſchern, welche ſie nur als Bälge kennen lernten, zu den
letztgenannten Vögeln geſtellt worden ſind. Naumann hat der Sippe, welche ſie bilden, den
Namen „Heckenſänger‟ gegeben; ich habe ſie „Baumnachtigallen‟ genannt und werde dieſe
Benennung feſthalten, weil ſie mir die bezeichnendere zu ſein ſcheint. Der wiſſenſchaftliche Name iſt
Aëdon oder Agrobates.

Die Baumnachtigallen ſind große, geſtreckt gebaute Erdſänger mit verhältnißmäßig ſtarkem, auf
der hohen Firſte merklich gebogenen Schnabel, etwas minder hohen Fußwurzeln, als ſonſt die Regel,
ziemlich kurzen Flügeln, in denen die dritte und vierte Schwinge unter ſich gleich lang ſind, ziemlich
langem und breiten, ſtark zugerundeten Schwanz und ſeidenweichem Gefieder von gleichmäßig licht
rothbrauner Färbung, welche, wie gewöhnlich, auf der Unterſeite bedeutend lichter iſt. Die
Geſchlechter unterſcheiden ſich nicht, und die Jungen ähneln den Alten, tragen alſo kein
Fleckenkleid.

Man hat drei verſchiedene Arten dieſer Vögel unterſchieden, welche ſich ungefähr ebenſo nah
ſtehen, wie Sproſſer und Nachtigall, und daher oft auch als Spielarten angeſehen werden. Hin-
ſichtlich der Lebensweiſe und Sitten dieſer Drei ſind noch keine Unterſchiede bemerkt worden, und
ſomit ſcheint es mir gerechtfertigt zu ſein, wenn ich das mir Bekannte zuſammenſtelle und auf die in
Spanien lebende Art oder Unterart beziehe.

Die Baumnachtigall (Aëdon galactodes) iſt auf der Oberſeite roſtrothgrau, welche Färbung
auf dem Scheitel dunkler, im Nacken mehr graulicher erſcheint, auf der Unterſeite dagegen graugelblich-
oder ſchmuzigweiß, mit röthlichem Anfluge an den Halsſeiten und roſtgelblichen an den Weichen; die
Wange iſt weißbräunlich, ein weit nach hinten reichender Brauenſtreifen weiß; die Schwingen,
Flügeldeckfedern und Oberarmſchwingen ſind braun, erſtere ſchmal lichtbräunlich, letztere breit roſtgelb
geſäumt; die Steuerfedern ſind, mit Ausnahme der mittleren, dunkleren ſchön roſtroth, an der Spitze
weiß, vorher durch einen rundlichen Flecken von ſchwarzbrauner Farbe gezeichnet. Das Auge iſt
dunkelbraun, Schnabel und Füße ſind röthlich. Die Jungen ähneln den Alten. Die Länge beträgt
gegen 7, die Breite 11, die Fittiglänge über 3, die Schwanzlänge gegen 3 Zoll, beim Männchen,
wie beim Weibchen.

Vollkommen unabhängig von Graf von der Mühle und Lindermayer, deren Beob-
achtungen mir erſt ſpäter bekannt wurden, aber durchaus übereinſtimmend mit beiden, habe ich ſchon
früher die Baumnachtigall als die nächſte Verwandte unſerer Sängerkönigin bezeichnet. Sie erſetzt
dieſe nicht, aber ſie vertritt ſie da, wo jene fehlt, faſt vollſtändig, ſoweit es ſich um Lebensweiſe und
Betragen handelt. Deshalb kann es mich auch keineswegs beirren, wenn A. v. Homeyer, deſſen
Scharfſinn übrigens wohl zu würdigen iſt, hervorhebt, daß die Eigenthümlichkeit des Jugendkleides
unſeres Vogels durchaus nicht geeignet ſei, ihn mit der eigentlichen Nachtigall in nahe verwandt-
ſchaftliche Beziehungen zu bringen. Daß auf dieſen einen Punkt ein beſonderes Gewicht nicht gelegt
werden darf, beweiſen andere Singvögel, ſo namentlich die Steinſchmätzer. Wenn es zwei Vögel
verſchiedener Sippen gibt, welche in ihrem Weſen ſich ähneln, ſo ſind es die beiden in Rede ſtehenden.
Unterſchiede im Betragen werden bei genauerer Beobachtung allerdings auch bemerklich; ſie ſind aber
ſo unerheblich, daß ſie für die ſyſtematiſche Stellung gar nicht in Frage kommen können.

Die Baumnachtigall bewohnt vorzugsweiſe jene dürren, d. h. nur vom Regen befeuchteten
Stellen des Südens, welche ſpärlich mit niederem Buſchwerk beſtanden ſind, ohne jedoch beſſer bebauete
Oertlichkeiten und bezüglich die Nähe menſchlicher Wohnſitze zu meiden. Dies bleibt ſich gleich in
Spanien, wie in Griechenland, in Egypten, wie in der bereits wiederholt erwähnten Samhara oder
der innerafrikaniſchen Steppe. Jn Spanien und Griechenland ſind es vor allem anderen die Wein-
berge und Oelbaumpflanzungen, welche ihr Herberge geben, in Nordoſtafrika ſiedelt ſie ſich in trockenen
Gärten oder zwiſchen den Hütten der Dörfer an, vorausgeſetzt, daß es hier an dichten Büſchen nicht

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[763/0807] Baumnachtigall. Der Süden Europas, Nordweſtaſien und Nordafrika beherbergen Sänger, welche in Geſtalt und Weſen mit den Nachtigallen große Aehnlichkeit zeigen, aber in gewiſſer Hinſicht auch wieder an die Rohrſänger erinnern und deshalb von Forſchern, welche ſie nur als Bälge kennen lernten, zu den letztgenannten Vögeln geſtellt worden ſind. Naumann hat der Sippe, welche ſie bilden, den Namen „Heckenſänger‟ gegeben; ich habe ſie „Baumnachtigallen‟ genannt und werde dieſe Benennung feſthalten, weil ſie mir die bezeichnendere zu ſein ſcheint. Der wiſſenſchaftliche Name iſt Aëdon oder Agrobates. Die Baumnachtigallen ſind große, geſtreckt gebaute Erdſänger mit verhältnißmäßig ſtarkem, auf der hohen Firſte merklich gebogenen Schnabel, etwas minder hohen Fußwurzeln, als ſonſt die Regel, ziemlich kurzen Flügeln, in denen die dritte und vierte Schwinge unter ſich gleich lang ſind, ziemlich langem und breiten, ſtark zugerundeten Schwanz und ſeidenweichem Gefieder von gleichmäßig licht rothbrauner Färbung, welche, wie gewöhnlich, auf der Unterſeite bedeutend lichter iſt. Die Geſchlechter unterſcheiden ſich nicht, und die Jungen ähneln den Alten, tragen alſo kein Fleckenkleid. Man hat drei verſchiedene Arten dieſer Vögel unterſchieden, welche ſich ungefähr ebenſo nah ſtehen, wie Sproſſer und Nachtigall, und daher oft auch als Spielarten angeſehen werden. Hin- ſichtlich der Lebensweiſe und Sitten dieſer Drei ſind noch keine Unterſchiede bemerkt worden, und ſomit ſcheint es mir gerechtfertigt zu ſein, wenn ich das mir Bekannte zuſammenſtelle und auf die in Spanien lebende Art oder Unterart beziehe. Die Baumnachtigall (Aëdon galactodes) iſt auf der Oberſeite roſtrothgrau, welche Färbung auf dem Scheitel dunkler, im Nacken mehr graulicher erſcheint, auf der Unterſeite dagegen graugelblich- oder ſchmuzigweiß, mit röthlichem Anfluge an den Halsſeiten und roſtgelblichen an den Weichen; die Wange iſt weißbräunlich, ein weit nach hinten reichender Brauenſtreifen weiß; die Schwingen, Flügeldeckfedern und Oberarmſchwingen ſind braun, erſtere ſchmal lichtbräunlich, letztere breit roſtgelb geſäumt; die Steuerfedern ſind, mit Ausnahme der mittleren, dunkleren ſchön roſtroth, an der Spitze weiß, vorher durch einen rundlichen Flecken von ſchwarzbrauner Farbe gezeichnet. Das Auge iſt dunkelbraun, Schnabel und Füße ſind röthlich. Die Jungen ähneln den Alten. Die Länge beträgt gegen 7, die Breite 11, die Fittiglänge über 3, die Schwanzlänge gegen 3 Zoll, beim Männchen, wie beim Weibchen. Vollkommen unabhängig von Graf von der Mühle und Lindermayer, deren Beob- achtungen mir erſt ſpäter bekannt wurden, aber durchaus übereinſtimmend mit beiden, habe ich ſchon früher die Baumnachtigall als die nächſte Verwandte unſerer Sängerkönigin bezeichnet. Sie erſetzt dieſe nicht, aber ſie vertritt ſie da, wo jene fehlt, faſt vollſtändig, ſoweit es ſich um Lebensweiſe und Betragen handelt. Deshalb kann es mich auch keineswegs beirren, wenn A. v. Homeyer, deſſen Scharfſinn übrigens wohl zu würdigen iſt, hervorhebt, daß die Eigenthümlichkeit des Jugendkleides unſeres Vogels durchaus nicht geeignet ſei, ihn mit der eigentlichen Nachtigall in nahe verwandt- ſchaftliche Beziehungen zu bringen. Daß auf dieſen einen Punkt ein beſonderes Gewicht nicht gelegt werden darf, beweiſen andere Singvögel, ſo namentlich die Steinſchmätzer. Wenn es zwei Vögel verſchiedener Sippen gibt, welche in ihrem Weſen ſich ähneln, ſo ſind es die beiden in Rede ſtehenden. Unterſchiede im Betragen werden bei genauerer Beobachtung allerdings auch bemerklich; ſie ſind aber ſo unerheblich, daß ſie für die ſyſtematiſche Stellung gar nicht in Frage kommen können. Die Baumnachtigall bewohnt vorzugsweiſe jene dürren, d. h. nur vom Regen befeuchteten Stellen des Südens, welche ſpärlich mit niederem Buſchwerk beſtanden ſind, ohne jedoch beſſer bebauete Oertlichkeiten und bezüglich die Nähe menſchlicher Wohnſitze zu meiden. Dies bleibt ſich gleich in Spanien, wie in Griechenland, in Egypten, wie in der bereits wiederholt erwähnten Samhara oder der innerafrikaniſchen Steppe. Jn Spanien und Griechenland ſind es vor allem anderen die Wein- berge und Oelbaumpflanzungen, welche ihr Herberge geben, in Nordoſtafrika ſiedelt ſie ſich in trockenen Gärten oder zwiſchen den Hütten der Dörfer an, vorausgeſetzt, daß es hier an dichten Büſchen nicht

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 763. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/807>, abgerufen am 22.11.2024.