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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Zwergfliegenfänger. Seidenschwanz.

Cabanis rechnet zu der Familie der Fliegenfänger auch einen in Deutschland wohl bekannten
Vogel, unsern Seidenschwanz und erhebt ihn zum Vertreter einer Unterfamilie, welche außerdem
nur noch wenige Arten zählt; andere Naturforscher stellen ihn mit einer reichhaltigeren Gruppe zusam-
men, welcher man den Namen der Schmuckvögel gegeben hat. Meiner Ansicht nach sind die letz-
teren im Rechte; denn der Seidenschwanz zeigt in seinem Leibesbau wenig Uebereinstimmung mit den
Fliegenfängern und läßt sich besser mit den sogenannten Schmuckvögeln vereinigen. Doch soll damit
nicht in Abrede gestellt werden, daß es thunlich ist, ihm eine gesonderte Stellung zu ertheilen.

Die Seidenschwänze (Bombyeillae) kennzeichnen sich durch folgende Merkmale: Der Leib ist
gedrungen, der Hals kurz, der Kopf ziemlich groß; die Flügel sind mittellang und spitzig, weil
die erste und zweite Schwinge alle übrigen an Länge überragen; der zwölffedrige Schwanz ist
kurz; der Schnabel ist kurz und gerade, an seiner Wurzel von oben nach unten zusammengedrückt
und deshalb breit, an der Spitze schmal und erhaben; die obere Kinnlade ist länger und breiter, als
die untere, auf der Firste wenig gewölbt, an der Spitze sanft herabgebogen, vor ihr mit einem kleinen
Ausschnitt versehen; die Füße sind ziemlich kurz und stark, die äußere und die mittlere Zehe durch ein
kurzes Häutchen verbunden. Das Gefieder ist reichhaltig und seidenweich, auf dem Kopfe zu einer
Holle verlängert; einzelne Federn der Flügel und des Schwanzes endigen in hornartigen Blättchen.
Die Färbung der Geschlechter ist im wesentlichen dieselbe. Den innern Leibesbau hat Nitzsch unter-
sucht. Nach ihm zeigen die Seidenschwänze alle wesentlichen Bildungsverhältnisse anderer Singvögel.
Die Wirbelsäule besteht aus zwölf Hals-, acht Rücken-, neun Becken- und acht Schwanzwirbeln.
Von den acht Rippenpaaren ist das vorderste verkümmert und wie das zweite falsch und ohne Fort-
sätze oder Rippenknochen. Der obere Armknochen ist marklos und luftführend; außer ihm besitzt
nur noch das Brustbein ein gewisses Luftfüllungsvermögen. Die Zunge ist kurz, breit, flach, in der
Mitte etwas gefurcht, vorn wenig spitzig gespalten; der Seitenrand derselben ist sanft auswärts, der
Hinterrand einwärts gebogen, jener hinterwärts, dieser überhaupt mit Zähnchen besetzt. Der Magen
ist schwachmuskelig; die Blinddärme sind klein und kurz.

Der europäische oder gemeine Seidenschwanz, die Winterdrossel, der Pfeffer-, Kreuz-,
Sterbe- oder Pestvogel (Bombycilla garrula) ist 8 Zoll lang, wovon 21/2 Zoll auf den Schwanz kom-
men, und 131/2 Zoll breit. Das Gefieder ist ziemlich gleichmäßig röthlichgrau, auf der Oberseite wie
gewöhnlich dunkler, als auf der Unterseite, wo es in Weißgrau übergeht; die Stirn und die Steiß-
gegend sind röthlichbraun, das Kinn, die Kehle, der Zügel und ein Streif über dem Auge schwarz;
die Handschwingen sind grauschwarz, an der Spitze der äußeren Fahne lichtgoldgelblich gefleckt, an der
inneren Fahne weiß gekantet; die Armschwingen enden in breite horn- oder pergamentartige Spitzen
von rother Färbung; die Steuerfedern sind schwärzlich, an der Spitze lichtgoldgelb; auch sie endigen in
ähnlich gestaltete und gleich gefärbte Spitzen, wie die Armschwingen. Bei dem Weibchen sind alle
Farben unscheinbarer und namentlich die Hornplättchen weniger ausgebildet. Die Jungen sind dunkel-
grau, viele ihrer Federn seitlich licht gerandet; die Stirn, ein Band vom Auge nach dem Hinterkopfe,
ein Strich längs der bleichrostgelben Kehle und der Unterbürzel sind weißlich, die Unterschwanzdeck-
federn schmuzig rostroth.

Unser Seidenschwanz gehört dem Norden Europas und Amerikas an. Jm nördlichen Asien
scheint er sich nicht weit zu verbreiten, vielmehr durch den japanesischen Verwandten (Bombycilla
phoenicoptera
) vertreten zu werden, wie denn auch in Amerika eine andere Art, der Cedernvogel
(Bombycilla cedrorum) häufiger ist, als er. Die ausgedehnten Waldungen im Norden unseres Erd-
theils, welche entweder von der Fichte allein oder von ihr und der Birke gebildet werden, sind, wie wir
jetzt wissen, als seine eigentliche Heimat anzusehen; sie verläßt er nur dann, wenn bedeutender Schnee-
fall ihn zur Wanderung treibt. Streng genommen hat man ihn als einen Strichvogel anzusehen,
welcher im Winter innerhalb eines beschränkten Kreises hin- und herstreicht, von Nahrungsmangel
gezwungen, die Grenzen des gewöhnlich festgehaltenen Gebietes überschreitet und dann auch zum

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Zwergfliegenfänger. Seidenſchwanz.

Cabanis rechnet zu der Familie der Fliegenfänger auch einen in Deutſchland wohl bekannten
Vogel, unſern Seidenſchwanz und erhebt ihn zum Vertreter einer Unterfamilie, welche außerdem
nur noch wenige Arten zählt; andere Naturforſcher ſtellen ihn mit einer reichhaltigeren Gruppe zuſam-
men, welcher man den Namen der Schmuckvögel gegeben hat. Meiner Anſicht nach ſind die letz-
teren im Rechte; denn der Seidenſchwanz zeigt in ſeinem Leibesbau wenig Uebereinſtimmung mit den
Fliegenfängern und läßt ſich beſſer mit den ſogenannten Schmuckvögeln vereinigen. Doch ſoll damit
nicht in Abrede geſtellt werden, daß es thunlich iſt, ihm eine geſonderte Stellung zu ertheilen.

Die Seidenſchwänze (Bombyeillae) kennzeichnen ſich durch folgende Merkmale: Der Leib iſt
gedrungen, der Hals kurz, der Kopf ziemlich groß; die Flügel ſind mittellang und ſpitzig, weil
die erſte und zweite Schwinge alle übrigen an Länge überragen; der zwölffedrige Schwanz iſt
kurz; der Schnabel iſt kurz und gerade, an ſeiner Wurzel von oben nach unten zuſammengedrückt
und deshalb breit, an der Spitze ſchmal und erhaben; die obere Kinnlade iſt länger und breiter, als
die untere, auf der Firſte wenig gewölbt, an der Spitze ſanft herabgebogen, vor ihr mit einem kleinen
Ausſchnitt verſehen; die Füße ſind ziemlich kurz und ſtark, die äußere und die mittlere Zehe durch ein
kurzes Häutchen verbunden. Das Gefieder iſt reichhaltig und ſeidenweich, auf dem Kopfe zu einer
Holle verlängert; einzelne Federn der Flügel und des Schwanzes endigen in hornartigen Blättchen.
Die Färbung der Geſchlechter iſt im weſentlichen dieſelbe. Den innern Leibesbau hat Nitzſch unter-
ſucht. Nach ihm zeigen die Seidenſchwänze alle weſentlichen Bildungsverhältniſſe anderer Singvögel.
Die Wirbelſäule beſteht aus zwölf Hals-, acht Rücken-, neun Becken- und acht Schwanzwirbeln.
Von den acht Rippenpaaren iſt das vorderſte verkümmert und wie das zweite falſch und ohne Fort-
ſätze oder Rippenknochen. Der obere Armknochen iſt marklos und luftführend; außer ihm beſitzt
nur noch das Bruſtbein ein gewiſſes Luftfüllungsvermögen. Die Zunge iſt kurz, breit, flach, in der
Mitte etwas gefurcht, vorn wenig ſpitzig geſpalten; der Seitenrand derſelben iſt ſanft auswärts, der
Hinterrand einwärts gebogen, jener hinterwärts, dieſer überhaupt mit Zähnchen beſetzt. Der Magen
iſt ſchwachmuskelig; die Blinddärme ſind klein und kurz.

Der europäiſche oder gemeine Seidenſchwanz, die Winterdroſſel, der Pfeffer-, Kreuz-,
Sterbe- oder Peſtvogel (Bombycilla garrula) iſt 8 Zoll lang, wovon 2½ Zoll auf den Schwanz kom-
men, und 13½ Zoll breit. Das Gefieder iſt ziemlich gleichmäßig röthlichgrau, auf der Oberſeite wie
gewöhnlich dunkler, als auf der Unterſeite, wo es in Weißgrau übergeht; die Stirn und die Steiß-
gegend ſind röthlichbraun, das Kinn, die Kehle, der Zügel und ein Streif über dem Auge ſchwarz;
die Handſchwingen ſind grauſchwarz, an der Spitze der äußeren Fahne lichtgoldgelblich gefleckt, an der
inneren Fahne weiß gekantet; die Armſchwingen enden in breite horn- oder pergamentartige Spitzen
von rother Färbung; die Steuerfedern ſind ſchwärzlich, an der Spitze lichtgoldgelb; auch ſie endigen in
ähnlich geſtaltete und gleich gefärbte Spitzen, wie die Armſchwingen. Bei dem Weibchen ſind alle
Farben unſcheinbarer und namentlich die Hornplättchen weniger ausgebildet. Die Jungen ſind dunkel-
grau, viele ihrer Federn ſeitlich licht gerandet; die Stirn, ein Band vom Auge nach dem Hinterkopfe,
ein Strich längs der bleichroſtgelben Kehle und der Unterbürzel ſind weißlich, die Unterſchwanzdeck-
federn ſchmuzig roſtroth.

Unſer Seidenſchwanz gehört dem Norden Europas und Amerikas an. Jm nördlichen Aſien
ſcheint er ſich nicht weit zu verbreiten, vielmehr durch den japaneſiſchen Verwandten (Bombycilla
phoenicoptera
) vertreten zu werden, wie denn auch in Amerika eine andere Art, der Cedernvogel
(Bombycilla cedrorum) häufiger iſt, als er. Die ausgedehnten Waldungen im Norden unſeres Erd-
theils, welche entweder von der Fichte allein oder von ihr und der Birke gebildet werden, ſind, wie wir
jetzt wiſſen, als ſeine eigentliche Heimat anzuſehen; ſie verläßt er nur dann, wenn bedeutender Schnee-
fall ihn zur Wanderung treibt. Streng genommen hat man ihn als einen Strichvogel anzuſehen,
welcher im Winter innerhalb eines beſchränkten Kreiſes hin- und herſtreicht, von Nahrungsmangel
gezwungen, die Grenzen des gewöhnlich feſtgehaltenen Gebietes überſchreitet und dann auch zum

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[739/0783] Zwergfliegenfänger. Seidenſchwanz. Cabanis rechnet zu der Familie der Fliegenfänger auch einen in Deutſchland wohl bekannten Vogel, unſern Seidenſchwanz und erhebt ihn zum Vertreter einer Unterfamilie, welche außerdem nur noch wenige Arten zählt; andere Naturforſcher ſtellen ihn mit einer reichhaltigeren Gruppe zuſam- men, welcher man den Namen der Schmuckvögel gegeben hat. Meiner Anſicht nach ſind die letz- teren im Rechte; denn der Seidenſchwanz zeigt in ſeinem Leibesbau wenig Uebereinſtimmung mit den Fliegenfängern und läßt ſich beſſer mit den ſogenannten Schmuckvögeln vereinigen. Doch ſoll damit nicht in Abrede geſtellt werden, daß es thunlich iſt, ihm eine geſonderte Stellung zu ertheilen. Die Seidenſchwänze (Bombyeillae) kennzeichnen ſich durch folgende Merkmale: Der Leib iſt gedrungen, der Hals kurz, der Kopf ziemlich groß; die Flügel ſind mittellang und ſpitzig, weil die erſte und zweite Schwinge alle übrigen an Länge überragen; der zwölffedrige Schwanz iſt kurz; der Schnabel iſt kurz und gerade, an ſeiner Wurzel von oben nach unten zuſammengedrückt und deshalb breit, an der Spitze ſchmal und erhaben; die obere Kinnlade iſt länger und breiter, als die untere, auf der Firſte wenig gewölbt, an der Spitze ſanft herabgebogen, vor ihr mit einem kleinen Ausſchnitt verſehen; die Füße ſind ziemlich kurz und ſtark, die äußere und die mittlere Zehe durch ein kurzes Häutchen verbunden. Das Gefieder iſt reichhaltig und ſeidenweich, auf dem Kopfe zu einer Holle verlängert; einzelne Federn der Flügel und des Schwanzes endigen in hornartigen Blättchen. Die Färbung der Geſchlechter iſt im weſentlichen dieſelbe. Den innern Leibesbau hat Nitzſch unter- ſucht. Nach ihm zeigen die Seidenſchwänze alle weſentlichen Bildungsverhältniſſe anderer Singvögel. Die Wirbelſäule beſteht aus zwölf Hals-, acht Rücken-, neun Becken- und acht Schwanzwirbeln. Von den acht Rippenpaaren iſt das vorderſte verkümmert und wie das zweite falſch und ohne Fort- ſätze oder Rippenknochen. Der obere Armknochen iſt marklos und luftführend; außer ihm beſitzt nur noch das Bruſtbein ein gewiſſes Luftfüllungsvermögen. Die Zunge iſt kurz, breit, flach, in der Mitte etwas gefurcht, vorn wenig ſpitzig geſpalten; der Seitenrand derſelben iſt ſanft auswärts, der Hinterrand einwärts gebogen, jener hinterwärts, dieſer überhaupt mit Zähnchen beſetzt. Der Magen iſt ſchwachmuskelig; die Blinddärme ſind klein und kurz. Der europäiſche oder gemeine Seidenſchwanz, die Winterdroſſel, der Pfeffer-, Kreuz-, Sterbe- oder Peſtvogel (Bombycilla garrula) iſt 8 Zoll lang, wovon 2½ Zoll auf den Schwanz kom- men, und 13½ Zoll breit. Das Gefieder iſt ziemlich gleichmäßig röthlichgrau, auf der Oberſeite wie gewöhnlich dunkler, als auf der Unterſeite, wo es in Weißgrau übergeht; die Stirn und die Steiß- gegend ſind röthlichbraun, das Kinn, die Kehle, der Zügel und ein Streif über dem Auge ſchwarz; die Handſchwingen ſind grauſchwarz, an der Spitze der äußeren Fahne lichtgoldgelblich gefleckt, an der inneren Fahne weiß gekantet; die Armſchwingen enden in breite horn- oder pergamentartige Spitzen von rother Färbung; die Steuerfedern ſind ſchwärzlich, an der Spitze lichtgoldgelb; auch ſie endigen in ähnlich geſtaltete und gleich gefärbte Spitzen, wie die Armſchwingen. Bei dem Weibchen ſind alle Farben unſcheinbarer und namentlich die Hornplättchen weniger ausgebildet. Die Jungen ſind dunkel- grau, viele ihrer Federn ſeitlich licht gerandet; die Stirn, ein Band vom Auge nach dem Hinterkopfe, ein Strich längs der bleichroſtgelben Kehle und der Unterbürzel ſind weißlich, die Unterſchwanzdeck- federn ſchmuzig roſtroth. Unſer Seidenſchwanz gehört dem Norden Europas und Amerikas an. Jm nördlichen Aſien ſcheint er ſich nicht weit zu verbreiten, vielmehr durch den japaneſiſchen Verwandten (Bombycilla phoenicoptera) vertreten zu werden, wie denn auch in Amerika eine andere Art, der Cedernvogel (Bombycilla cedrorum) häufiger iſt, als er. Die ausgedehnten Waldungen im Norden unſeres Erd- theils, welche entweder von der Fichte allein oder von ihr und der Birke gebildet werden, ſind, wie wir jetzt wiſſen, als ſeine eigentliche Heimat anzuſehen; ſie verläßt er nur dann, wenn bedeutender Schnee- fall ihn zur Wanderung treibt. Streng genommen hat man ihn als einen Strichvogel anzuſehen, welcher im Winter innerhalb eines beſchränkten Kreiſes hin- und herſtreicht, von Nahrungsmangel gezwungen, die Grenzen des gewöhnlich feſtgehaltenen Gebietes überſchreitet und dann auch zum 47 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/783>, abgerufen am 22.11.2024.