Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fänger. Singvögel. Königswürger.
traurig zu sein; wenigstens verhält er sich vollkommen still. Sobald er aber seine natürliche Leben-
digkeit wieder erlangt hat, hört man seinen scharfen, trillernden Schrei über jedem Felde und längs der
Säume aller unserer Wälder. Jm Jnnern der Waldungen findet er sich selten; er bevorzugt viel-
mehr Baumgärten, Felder, die Ufer der Flüsse und die Gärten, welche das Haus des Pflanzers um-
geben. Hier läßt er sich am leichtesten beobachten.

Wenn die Brutzeit herannaht, nimmt der Flug dieser Vögel ein anderes Gepräge an. Man
sieht die Gatten eines Paares in einer Höhe von zwanzig oder dreißig Ellen über dem Grunde unter
fortwährenden flatternden Bewegungen der Flügel dahinstreichen und vernimmt dabei fast ohne Auf-
hören seinen lauten Schrei. Das Weibchen folgt der Spur des Männchens, und beide scheinen sich
nach einem geeigneten Platz für ihr Nest umzusehen. Währenddem haben sie aber auch auf verschie-
dene Kerbthiere wohl Acht, lassen sich durch sie ab und zu aus ihrem Wege lenken und nehmen die
erspähten mit einer geschickten Schwenkung auf. Dieses Spiel wird dadurch unterbrochen, daß beide
sich dicht neben einander auf einen Baumzweig setzen, um auszuruhen. Die Wahl des Nistplatzes
wird beendet, und nunmehr sucht sich das glückliche Pärchen trockene Zweige vom Grunde auf, erhebt
sich mit ihnen zu einem wagerechten Aste und legt hier den Grund zur Wiege seiner Kinder. Flocken
von Baumwolle, Wolle oder Werg und ähnliche Stoffe, welche dem Neste eine bedeutende Größe,
aber auch ziemliche Festigkeit gewähren, werden auf diesem Grunde aufgebaut; das Jnnere wird mit
feinen Würzelchen und Roßhaaren ziemlich dick ausgepolstert. Nun legt das Weibchen seine vier bis
sechs, auf röthlichweißem Grunde unregelmäßig braun getüpfelten Eier und beginnt zu brüten.

Jetzt zeigt sich das Männchen voller Muth und Eifer. Jn der Nähe der geliebten Gattin sitzt
es auf einem Zweige und scheint keinen anderen Gedanken zu hegen, als sie vor jeder Gefahr zu
schützen und zu vertheidigen. Die erhobenen und ausgebreiteten Federn des Hauptes glänzen im
Strahl der Sonne; die weiße Brust leuchtet auf weithin. So sitzt es auf seinem Stande und läßt
sein wachsames Auge rundum schweifen. Sollte es eine Krähe, einen Geier, einen Adler erspähen,
gleichviel, ob in der Nähe oder in der Ferne, so erhebt es sich jählings, stürzt sich auf den gefährlichen
Gegner, nähert sich ihm und beginnt nun, ihn mit Wuth anzugreifen. Es stürzt sich auf seinen Feind
hernieder, läßt seinen Schlachtruf ertönen, fällt wiederholt auf den Rücken des Gewaltigen herab und
versucht, sich hier festzusetzen. Jn dieser Weise, den minder gewandten Gegner fortwährend durch
wiederholte Schnabelstöße behelligend, folgt es ihm vielleicht eine (englische) Meile weit, bis es seine Pflicht
gethan zu haben glaubt. Dann verläßt es ihn und eilt, wie gewöhnlich mit den Flügeln zitternd und
beständig trillernd, zu dem Neste zurück. Es gibt wenige Falken, welche sich dem Nistplatze des
Königsvogels nähern; selbst die Katze hält sich so viel als möglich zu Hause, und wenn sie wirklich
erscheinen sollte, stürzt sich der kleine Krieger, welcher ebenso furchtlos ist wie der kühnste Adler, mit
so schneller und kräftiger Bewegung auf sie und bringt sie durch wiederholte Angriffe von allen Seiten
derartig außer Fassung, daß Hinz, in die Flucht geschlagen und beschämt, nach Hause zieht.

Der Königsvogel verdient die vollste Freundschaft und Begünstigung des Menschen. Die vielen
Eier des Hühnerhofes, welche er vor der plündernden Krähe beschützt, die große Kükenzahl, welche
Dank seiner Fürsorge, vor der räuberischen Klaue des Falken gesichert ist, die Menge von Kerb-
thieren, die er vernichtet, wiegen reichlich die wenigen Beeren und Feigen auf, welche er frißt.

Der Tyrann fürchtet keinen seiner luftbeherrschenden Gegner, mit Ausnahme der Purpurschwalbe.
Obwohl ihn diese oft im Beschützen des Nestes und Gehöftes unterstützt, greift sie ihn doch zuweilen
mit solchem Nachdruck an, daß sie ihn zum Rückzug zwingt. Freilich übertrifft auch der Flug der
Schwalbe den des Königsvogels so sehr an Schnelligkeit und Kraft, daß er sie befähigt, dem Stoß des
kräftigeren Tyrannen, welcher ihr gefährlich werden könnte, ohne Mühe auszuweichen. Audubon führt
ein Beispiel an, daß einige Purpurschwalben, welche bis dahin mehrere Jahre lang die alleinigen Eigen-
thümer eines Gehöfts gewesen waren, den größten Haß gegen ein Paar Königsvögel an den Tag legten,
die sich erdreistet hatten, ihr Nest auf einem, dem Hause nahen Baume zu erbauen. Als das Weibchen
des Paares zu brüten anfing, griffen die Schwalben das wachende Männchen einige Tage unablässig an,

Die Fänger. Singvögel. Königswürger.
traurig zu ſein; wenigſtens verhält er ſich vollkommen ſtill. Sobald er aber ſeine natürliche Leben-
digkeit wieder erlangt hat, hört man ſeinen ſcharfen, trillernden Schrei über jedem Felde und längs der
Säume aller unſerer Wälder. Jm Jnnern der Waldungen findet er ſich ſelten; er bevorzugt viel-
mehr Baumgärten, Felder, die Ufer der Flüſſe und die Gärten, welche das Haus des Pflanzers um-
geben. Hier läßt er ſich am leichteſten beobachten.

Wenn die Brutzeit herannaht, nimmt der Flug dieſer Vögel ein anderes Gepräge an. Man
ſieht die Gatten eines Paares in einer Höhe von zwanzig oder dreißig Ellen über dem Grunde unter
fortwährenden flatternden Bewegungen der Flügel dahinſtreichen und vernimmt dabei faſt ohne Auf-
hören ſeinen lauten Schrei. Das Weibchen folgt der Spur des Männchens, und beide ſcheinen ſich
nach einem geeigneten Platz für ihr Neſt umzuſehen. Währenddem haben ſie aber auch auf verſchie-
dene Kerbthiere wohl Acht, laſſen ſich durch ſie ab und zu aus ihrem Wege lenken und nehmen die
erſpähten mit einer geſchickten Schwenkung auf. Dieſes Spiel wird dadurch unterbrochen, daß beide
ſich dicht neben einander auf einen Baumzweig ſetzen, um auszuruhen. Die Wahl des Niſtplatzes
wird beendet, und nunmehr ſucht ſich das glückliche Pärchen trockene Zweige vom Grunde auf, erhebt
ſich mit ihnen zu einem wagerechten Aſte und legt hier den Grund zur Wiege ſeiner Kinder. Flocken
von Baumwolle, Wolle oder Werg und ähnliche Stoffe, welche dem Neſte eine bedeutende Größe,
aber auch ziemliche Feſtigkeit gewähren, werden auf dieſem Grunde aufgebaut; das Jnnere wird mit
feinen Würzelchen und Roßhaaren ziemlich dick ausgepolſtert. Nun legt das Weibchen ſeine vier bis
ſechs, auf röthlichweißem Grunde unregelmäßig braun getüpfelten Eier und beginnt zu brüten.

Jetzt zeigt ſich das Männchen voller Muth und Eifer. Jn der Nähe der geliebten Gattin ſitzt
es auf einem Zweige und ſcheint keinen anderen Gedanken zu hegen, als ſie vor jeder Gefahr zu
ſchützen und zu vertheidigen. Die erhobenen und ausgebreiteten Federn des Hauptes glänzen im
Strahl der Sonne; die weiße Bruſt leuchtet auf weithin. So ſitzt es auf ſeinem Stande und läßt
ſein wachſames Auge rundum ſchweifen. Sollte es eine Krähe, einen Geier, einen Adler erſpähen,
gleichviel, ob in der Nähe oder in der Ferne, ſo erhebt es ſich jählings, ſtürzt ſich auf den gefährlichen
Gegner, nähert ſich ihm und beginnt nun, ihn mit Wuth anzugreifen. Es ſtürzt ſich auf ſeinen Feind
hernieder, läßt ſeinen Schlachtruf ertönen, fällt wiederholt auf den Rücken des Gewaltigen herab und
verſucht, ſich hier feſtzuſetzen. Jn dieſer Weiſe, den minder gewandten Gegner fortwährend durch
wiederholte Schnabelſtöße behelligend, folgt es ihm vielleicht eine (engliſche) Meile weit, bis es ſeine Pflicht
gethan zu haben glaubt. Dann verläßt es ihn und eilt, wie gewöhnlich mit den Flügeln zitternd und
beſtändig trillernd, zu dem Neſte zurück. Es gibt wenige Falken, welche ſich dem Niſtplatze des
Königsvogels nähern; ſelbſt die Katze hält ſich ſo viel als möglich zu Hauſe, und wenn ſie wirklich
erſcheinen ſollte, ſtürzt ſich der kleine Krieger, welcher ebenſo furchtlos iſt wie der kühnſte Adler, mit
ſo ſchneller und kräftiger Bewegung auf ſie und bringt ſie durch wiederholte Angriffe von allen Seiten
derartig außer Faſſung, daß Hinz, in die Flucht geſchlagen und beſchämt, nach Hauſe zieht.

Der Königsvogel verdient die vollſte Freundſchaft und Begünſtigung des Menſchen. Die vielen
Eier des Hühnerhofes, welche er vor der plündernden Krähe beſchützt, die große Kükenzahl, welche
Dank ſeiner Fürſorge, vor der räuberiſchen Klaue des Falken geſichert iſt, die Menge von Kerb-
thieren, die er vernichtet, wiegen reichlich die wenigen Beeren und Feigen auf, welche er frißt.

Der Tyrann fürchtet keinen ſeiner luftbeherrſchenden Gegner, mit Ausnahme der Purpurſchwalbe.
Obwohl ihn dieſe oft im Beſchützen des Neſtes und Gehöftes unterſtützt, greift ſie ihn doch zuweilen
mit ſolchem Nachdruck an, daß ſie ihn zum Rückzug zwingt. Freilich übertrifft auch der Flug der
Schwalbe den des Königsvogels ſo ſehr an Schnelligkeit und Kraft, daß er ſie befähigt, dem Stoß des
kräftigeren Tyrannen, welcher ihr gefährlich werden könnte, ohne Mühe auszuweichen. Audubon führt
ein Beiſpiel an, daß einige Purpurſchwalben, welche bis dahin mehrere Jahre lang die alleinigen Eigen-
thümer eines Gehöfts geweſen waren, den größten Haß gegen ein Paar Königsvögel an den Tag legten,
die ſich erdreiſtet hatten, ihr Neſt auf einem, dem Hauſe nahen Baume zu erbauen. Als das Weibchen
des Paares zu brüten anfing, griffen die Schwalben das wachende Männchen einige Tage unabläſſig an,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0762" n="720"/><fw place="top" type="header">Die Fänger. Singvögel. Königswürger.</fw><lb/>
traurig zu &#x017F;ein; wenig&#x017F;tens verhält er &#x017F;ich vollkommen &#x017F;till. Sobald er aber &#x017F;eine natürliche Leben-<lb/>
digkeit wieder erlangt hat, hört man &#x017F;einen &#x017F;charfen, trillernden Schrei über jedem Felde und längs der<lb/>
Säume aller un&#x017F;erer Wälder. Jm Jnnern der Waldungen findet er &#x017F;ich &#x017F;elten; er bevorzugt viel-<lb/>
mehr Baumgärten, Felder, die Ufer der Flü&#x017F;&#x017F;e und die Gärten, welche das Haus des Pflanzers um-<lb/>
geben. Hier läßt er &#x017F;ich am leichte&#x017F;ten beobachten.</p><lb/>
          <p>Wenn die Brutzeit herannaht, nimmt der Flug die&#x017F;er Vögel ein anderes Gepräge an. Man<lb/>
&#x017F;ieht die Gatten eines Paares in einer Höhe von zwanzig oder dreißig Ellen über dem Grunde unter<lb/>
fortwährenden flatternden Bewegungen der Flügel dahin&#x017F;treichen und vernimmt dabei fa&#x017F;t ohne Auf-<lb/>
hören &#x017F;einen lauten Schrei. Das Weibchen folgt der Spur des Männchens, und beide &#x017F;cheinen &#x017F;ich<lb/>
nach einem geeigneten Platz für ihr Ne&#x017F;t umzu&#x017F;ehen. Währenddem haben &#x017F;ie aber auch auf ver&#x017F;chie-<lb/>
dene Kerbthiere wohl Acht, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich durch &#x017F;ie ab und zu aus ihrem Wege lenken und nehmen die<lb/>
er&#x017F;pähten mit einer ge&#x017F;chickten Schwenkung auf. Die&#x017F;es Spiel wird dadurch unterbrochen, daß beide<lb/>
&#x017F;ich dicht neben einander auf einen Baumzweig &#x017F;etzen, um auszuruhen. Die Wahl des Ni&#x017F;tplatzes<lb/>
wird beendet, und nunmehr &#x017F;ucht &#x017F;ich das glückliche Pärchen trockene Zweige vom Grunde auf, erhebt<lb/>
&#x017F;ich mit ihnen zu einem wagerechten A&#x017F;te und legt hier den Grund zur Wiege &#x017F;einer Kinder. Flocken<lb/>
von Baumwolle, Wolle oder Werg und ähnliche Stoffe, welche dem Ne&#x017F;te eine bedeutende Größe,<lb/>
aber auch ziemliche Fe&#x017F;tigkeit gewähren, werden auf die&#x017F;em Grunde aufgebaut; das Jnnere wird mit<lb/>
feinen Würzelchen und Roßhaaren ziemlich dick ausgepol&#x017F;tert. Nun legt das Weibchen &#x017F;eine vier bis<lb/>
&#x017F;echs, auf röthlichweißem Grunde unregelmäßig braun getüpfelten Eier und beginnt zu brüten.</p><lb/>
          <p>Jetzt zeigt &#x017F;ich das Männchen voller Muth und Eifer. Jn der Nähe der geliebten Gattin &#x017F;itzt<lb/>
es auf einem Zweige und &#x017F;cheint keinen anderen Gedanken zu hegen, als &#x017F;ie vor jeder Gefahr zu<lb/>
&#x017F;chützen und zu vertheidigen. Die erhobenen und ausgebreiteten Federn des Hauptes glänzen im<lb/>
Strahl der Sonne; die weiße Bru&#x017F;t leuchtet auf weithin. So &#x017F;itzt es auf &#x017F;einem Stande und läßt<lb/>
&#x017F;ein wach&#x017F;ames Auge rundum &#x017F;chweifen. Sollte es eine Krähe, einen Geier, einen Adler er&#x017F;pähen,<lb/>
gleichviel, ob in der Nähe oder in der Ferne, &#x017F;o erhebt es &#x017F;ich jählings, &#x017F;türzt &#x017F;ich auf den gefährlichen<lb/>
Gegner, nähert &#x017F;ich ihm und beginnt nun, ihn mit Wuth anzugreifen. Es &#x017F;türzt &#x017F;ich auf &#x017F;einen Feind<lb/>
hernieder, läßt &#x017F;einen Schlachtruf ertönen, fällt wiederholt auf den Rücken des Gewaltigen herab und<lb/>
ver&#x017F;ucht, &#x017F;ich hier fe&#x017F;tzu&#x017F;etzen. Jn die&#x017F;er Wei&#x017F;e, den minder gewandten Gegner fortwährend durch<lb/>
wiederholte Schnabel&#x017F;töße behelligend, folgt es ihm vielleicht eine (engli&#x017F;che) Meile weit, bis es &#x017F;eine Pflicht<lb/>
gethan zu haben glaubt. Dann verläßt es ihn und eilt, wie gewöhnlich mit den Flügeln zitternd und<lb/>
be&#x017F;tändig trillernd, zu dem Ne&#x017F;te zurück. Es gibt wenige Falken, welche &#x017F;ich dem Ni&#x017F;tplatze des<lb/>
Königsvogels nähern; &#x017F;elb&#x017F;t die Katze hält &#x017F;ich &#x017F;o viel als möglich zu Hau&#x017F;e, und wenn &#x017F;ie wirklich<lb/>
er&#x017F;cheinen &#x017F;ollte, &#x017F;türzt &#x017F;ich der kleine Krieger, welcher eben&#x017F;o furchtlos i&#x017F;t wie der kühn&#x017F;te Adler, mit<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chneller und kräftiger Bewegung auf &#x017F;ie und bringt &#x017F;ie durch wiederholte Angriffe von allen Seiten<lb/>
derartig außer Fa&#x017F;&#x017F;ung, daß Hinz, in die Flucht ge&#x017F;chlagen und be&#x017F;chämt, nach Hau&#x017F;e zieht.</p><lb/>
          <p>Der Königsvogel verdient die voll&#x017F;te Freund&#x017F;chaft und Begün&#x017F;tigung des Men&#x017F;chen. Die vielen<lb/>
Eier des Hühnerhofes, welche er vor der plündernden Krähe be&#x017F;chützt, die große Kükenzahl, welche<lb/>
Dank &#x017F;einer Für&#x017F;orge, vor der räuberi&#x017F;chen Klaue des Falken ge&#x017F;ichert i&#x017F;t, die Menge von Kerb-<lb/>
thieren, die er vernichtet, wiegen reichlich die wenigen Beeren und Feigen auf, welche er frißt.</p><lb/>
          <p>Der Tyrann fürchtet keinen &#x017F;einer luftbeherr&#x017F;chenden Gegner, mit Ausnahme der Purpur&#x017F;chwalbe.<lb/>
Obwohl ihn die&#x017F;e oft im Be&#x017F;chützen des Ne&#x017F;tes und Gehöftes unter&#x017F;tützt, greift &#x017F;ie ihn doch zuweilen<lb/>
mit &#x017F;olchem Nachdruck an, daß &#x017F;ie ihn zum Rückzug zwingt. Freilich übertrifft auch der Flug der<lb/>
Schwalbe den des Königsvogels &#x017F;o &#x017F;ehr an Schnelligkeit und Kraft, daß er &#x017F;ie befähigt, dem Stoß des<lb/>
kräftigeren Tyrannen, welcher ihr gefährlich werden könnte, ohne Mühe auszuweichen. <hi rendition="#g">Audubon</hi> führt<lb/>
ein Bei&#x017F;piel an, daß einige Purpur&#x017F;chwalben, welche bis dahin mehrere Jahre lang die alleinigen Eigen-<lb/>
thümer eines Gehöfts gewe&#x017F;en waren, den größten Haß gegen ein Paar Königsvögel an den Tag legten,<lb/>
die &#x017F;ich erdrei&#x017F;tet hatten, ihr Ne&#x017F;t auf einem, dem Hau&#x017F;e nahen Baume zu erbauen. Als das Weibchen<lb/>
des Paares zu brüten anfing, griffen die Schwalben das wachende Männchen einige Tage unablä&#x017F;&#x017F;ig an,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[720/0762] Die Fänger. Singvögel. Königswürger. traurig zu ſein; wenigſtens verhält er ſich vollkommen ſtill. Sobald er aber ſeine natürliche Leben- digkeit wieder erlangt hat, hört man ſeinen ſcharfen, trillernden Schrei über jedem Felde und längs der Säume aller unſerer Wälder. Jm Jnnern der Waldungen findet er ſich ſelten; er bevorzugt viel- mehr Baumgärten, Felder, die Ufer der Flüſſe und die Gärten, welche das Haus des Pflanzers um- geben. Hier läßt er ſich am leichteſten beobachten. Wenn die Brutzeit herannaht, nimmt der Flug dieſer Vögel ein anderes Gepräge an. Man ſieht die Gatten eines Paares in einer Höhe von zwanzig oder dreißig Ellen über dem Grunde unter fortwährenden flatternden Bewegungen der Flügel dahinſtreichen und vernimmt dabei faſt ohne Auf- hören ſeinen lauten Schrei. Das Weibchen folgt der Spur des Männchens, und beide ſcheinen ſich nach einem geeigneten Platz für ihr Neſt umzuſehen. Währenddem haben ſie aber auch auf verſchie- dene Kerbthiere wohl Acht, laſſen ſich durch ſie ab und zu aus ihrem Wege lenken und nehmen die erſpähten mit einer geſchickten Schwenkung auf. Dieſes Spiel wird dadurch unterbrochen, daß beide ſich dicht neben einander auf einen Baumzweig ſetzen, um auszuruhen. Die Wahl des Niſtplatzes wird beendet, und nunmehr ſucht ſich das glückliche Pärchen trockene Zweige vom Grunde auf, erhebt ſich mit ihnen zu einem wagerechten Aſte und legt hier den Grund zur Wiege ſeiner Kinder. Flocken von Baumwolle, Wolle oder Werg und ähnliche Stoffe, welche dem Neſte eine bedeutende Größe, aber auch ziemliche Feſtigkeit gewähren, werden auf dieſem Grunde aufgebaut; das Jnnere wird mit feinen Würzelchen und Roßhaaren ziemlich dick ausgepolſtert. Nun legt das Weibchen ſeine vier bis ſechs, auf röthlichweißem Grunde unregelmäßig braun getüpfelten Eier und beginnt zu brüten. Jetzt zeigt ſich das Männchen voller Muth und Eifer. Jn der Nähe der geliebten Gattin ſitzt es auf einem Zweige und ſcheint keinen anderen Gedanken zu hegen, als ſie vor jeder Gefahr zu ſchützen und zu vertheidigen. Die erhobenen und ausgebreiteten Federn des Hauptes glänzen im Strahl der Sonne; die weiße Bruſt leuchtet auf weithin. So ſitzt es auf ſeinem Stande und läßt ſein wachſames Auge rundum ſchweifen. Sollte es eine Krähe, einen Geier, einen Adler erſpähen, gleichviel, ob in der Nähe oder in der Ferne, ſo erhebt es ſich jählings, ſtürzt ſich auf den gefährlichen Gegner, nähert ſich ihm und beginnt nun, ihn mit Wuth anzugreifen. Es ſtürzt ſich auf ſeinen Feind hernieder, läßt ſeinen Schlachtruf ertönen, fällt wiederholt auf den Rücken des Gewaltigen herab und verſucht, ſich hier feſtzuſetzen. Jn dieſer Weiſe, den minder gewandten Gegner fortwährend durch wiederholte Schnabelſtöße behelligend, folgt es ihm vielleicht eine (engliſche) Meile weit, bis es ſeine Pflicht gethan zu haben glaubt. Dann verläßt es ihn und eilt, wie gewöhnlich mit den Flügeln zitternd und beſtändig trillernd, zu dem Neſte zurück. Es gibt wenige Falken, welche ſich dem Niſtplatze des Königsvogels nähern; ſelbſt die Katze hält ſich ſo viel als möglich zu Hauſe, und wenn ſie wirklich erſcheinen ſollte, ſtürzt ſich der kleine Krieger, welcher ebenſo furchtlos iſt wie der kühnſte Adler, mit ſo ſchneller und kräftiger Bewegung auf ſie und bringt ſie durch wiederholte Angriffe von allen Seiten derartig außer Faſſung, daß Hinz, in die Flucht geſchlagen und beſchämt, nach Hauſe zieht. Der Königsvogel verdient die vollſte Freundſchaft und Begünſtigung des Menſchen. Die vielen Eier des Hühnerhofes, welche er vor der plündernden Krähe beſchützt, die große Kükenzahl, welche Dank ſeiner Fürſorge, vor der räuberiſchen Klaue des Falken geſichert iſt, die Menge von Kerb- thieren, die er vernichtet, wiegen reichlich die wenigen Beeren und Feigen auf, welche er frißt. Der Tyrann fürchtet keinen ſeiner luftbeherrſchenden Gegner, mit Ausnahme der Purpurſchwalbe. Obwohl ihn dieſe oft im Beſchützen des Neſtes und Gehöftes unterſtützt, greift ſie ihn doch zuweilen mit ſolchem Nachdruck an, daß ſie ihn zum Rückzug zwingt. Freilich übertrifft auch der Flug der Schwalbe den des Königsvogels ſo ſehr an Schnelligkeit und Kraft, daß er ſie befähigt, dem Stoß des kräftigeren Tyrannen, welcher ihr gefährlich werden könnte, ohne Mühe auszuweichen. Audubon führt ein Beiſpiel an, daß einige Purpurſchwalben, welche bis dahin mehrere Jahre lang die alleinigen Eigen- thümer eines Gehöfts geweſen waren, den größten Haß gegen ein Paar Königsvögel an den Tag legten, die ſich erdreiſtet hatten, ihr Neſt auf einem, dem Hauſe nahen Baume zu erbauen. Als das Weibchen des Paares zu brüten anfing, griffen die Schwalben das wachende Männchen einige Tage unabläſſig an,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/762
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/762>, abgerufen am 23.11.2024.