sie vielfache Verfolgung erlitten hat, zeigt sich aber sonst ungemein keck. Gould erzählt, daß er einstmals einen australischen Sänger gefangen und in seine Jagdtasche gesteckt habe. Das Geschrei desselben zog eine Würgatzel herbei, und diese verfolgte den Forscher über eine Stunde lang und nahete sich mit großer Frechheit, als es dem gefangenen Vögelchen gelungen war, zu entkommen, unzweifelhaft in der Absicht, den schwachen Vogel wegzukapern. Die gefangene Beute wird auch von der Würgatzel oft an Dornen oder spitze Zweige gespießt, wie unsere Würger zu thun pflegen, und wahrscheinlich besitzt jener Vogel alle unangenehmen Eigenschaften seiner europäischen Verwandten. Nur in Einem steht er weit hinter den Würgern zurück: seine Stimme ist unangenehm im höchsten Grade. Sie ist, wie Gould sagt, ein außerordentliches Geschrei, eine Anhäufung von unharmonischen Tönen, welche dem Kundigen schon auf weithin die Gegenwart der Würgatzel verrathen.
Die Brutzeit beginnt im September. Das große Nest ist aus feinen Zweigen zierlich gebildet, manchmal mit Schößlingen und faserigen Wurzeln schön ausgelegt. Das Gelege besteht aus vier
[Abbildung]
Die Würgatzel (Cracticus destructor).
Eiern, welche auf dunkelgelblichbraunem oder noch lichterem Grunde mit dunkeln, unreinen oder schwarzen oder rothen Flecken und Klexen gezeichnet sind, zuweilen kranzartig gegen das stumpfe Ende hin.
Die Arten, welche man Riesenbataras (Thamnophilus) nennt, scheinen die Eigenthümlich- keiten der gesammten Gruppe in sich zu vereinigen. Sie haben in der Gestalt mit den Hehern einige Aehnlichkeit. Jhr Leib ist kräftig, der Flügel ziemlich kurz gerundet, in ihm die vierte und fünfte Schwinge über die übrigen verlängert; der Schwanz ist lang, breitfedrig, seitlich stark verkürzt und zuge- rundet, der Schnabel hoch, seitlich sehr zusammengedrückt, auf der Firste gerundet, mit scharf abgesetztem großen Endhaken und deutlicher Kerbe daneben; der Fuß ist kräftig, der Lauf mittelhoch und ziem- lich dick, die Zehen sind fleischig, aber dennoch lang und bewehrt mit großen und hohen, stark gebogenen Krallen, unter denen die Daumenkralle bei weitem die größte ist. Das Gefieder ist großfedrig und
Die Fänger. Singvögel. Rabenwürger.
ſie vielfache Verfolgung erlitten hat, zeigt ſich aber ſonſt ungemein keck. Gould erzählt, daß er einſtmals einen auſtraliſchen Sänger gefangen und in ſeine Jagdtaſche geſteckt habe. Das Geſchrei deſſelben zog eine Würgatzel herbei, und dieſe verfolgte den Forſcher über eine Stunde lang und nahete ſich mit großer Frechheit, als es dem gefangenen Vögelchen gelungen war, zu entkommen, unzweifelhaft in der Abſicht, den ſchwachen Vogel wegzukapern. Die gefangene Beute wird auch von der Würgatzel oft an Dornen oder ſpitze Zweige geſpießt, wie unſere Würger zu thun pflegen, und wahrſcheinlich beſitzt jener Vogel alle unangenehmen Eigenſchaften ſeiner europäiſchen Verwandten. Nur in Einem ſteht er weit hinter den Würgern zurück: ſeine Stimme iſt unangenehm im höchſten Grade. Sie iſt, wie Gould ſagt, ein außerordentliches Geſchrei, eine Anhäufung von unharmoniſchen Tönen, welche dem Kundigen ſchon auf weithin die Gegenwart der Würgatzel verrathen.
Die Brutzeit beginnt im September. Das große Neſt iſt aus feinen Zweigen zierlich gebildet, manchmal mit Schößlingen und faſerigen Wurzeln ſchön ausgelegt. Das Gelege beſteht aus vier
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Die Würgatzel (Cracticus destructor).
Eiern, welche auf dunkelgelblichbraunem oder noch lichterem Grunde mit dunkeln, unreinen oder ſchwarzen oder rothen Flecken und Klexen gezeichnet ſind, zuweilen kranzartig gegen das ſtumpfe Ende hin.
Die Arten, welche man Rieſenbataras (Thamnophilus) nennt, ſcheinen die Eigenthümlich- keiten der geſammten Gruppe in ſich zu vereinigen. Sie haben in der Geſtalt mit den Hehern einige Aehnlichkeit. Jhr Leib iſt kräftig, der Flügel ziemlich kurz gerundet, in ihm die vierte und fünfte Schwinge über die übrigen verlängert; der Schwanz iſt lang, breitfedrig, ſeitlich ſtark verkürzt und zuge- rundet, der Schnabel hoch, ſeitlich ſehr zuſammengedrückt, auf der Firſte gerundet, mit ſcharf abgeſetztem großen Endhaken und deutlicher Kerbe daneben; der Fuß iſt kräftig, der Lauf mittelhoch und ziem- lich dick, die Zehen ſind fleiſchig, aber dennoch lang und bewehrt mit großen und hohen, ſtark gebogenen Krallen, unter denen die Daumenkralle bei weitem die größte iſt. Das Gefieder iſt großfedrig und
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Die Fänger. Singvögel. Rabenwürger.
ſie vielfache Verfolgung erlitten hat, zeigt ſich aber ſonſt ungemein keck. Gould erzählt, daß er einſtmals
einen auſtraliſchen Sänger gefangen und in ſeine Jagdtaſche geſteckt habe. Das Geſchrei deſſelben
zog eine Würgatzel herbei, und dieſe verfolgte den Forſcher über eine Stunde lang und nahete ſich mit
großer Frechheit, als es dem gefangenen Vögelchen gelungen war, zu entkommen, unzweifelhaft in der
Abſicht, den ſchwachen Vogel wegzukapern. Die gefangene Beute wird auch von der Würgatzel oft
an Dornen oder ſpitze Zweige geſpießt, wie unſere Würger zu thun pflegen, und wahrſcheinlich beſitzt
jener Vogel alle unangenehmen Eigenſchaften ſeiner europäiſchen Verwandten. Nur in Einem ſteht
er weit hinter den Würgern zurück: ſeine Stimme iſt unangenehm im höchſten Grade. Sie iſt, wie
Gould ſagt, ein außerordentliches Geſchrei, eine Anhäufung von unharmoniſchen Tönen, welche dem
Kundigen ſchon auf weithin die Gegenwart der Würgatzel verrathen.
Die Brutzeit beginnt im September. Das große Neſt iſt aus feinen Zweigen zierlich gebildet,
manchmal mit Schößlingen und faſerigen Wurzeln ſchön ausgelegt. Das Gelege beſteht aus vier
[Abbildung Die Würgatzel (Cracticus destructor).]
Eiern, welche auf dunkelgelblichbraunem oder noch lichterem Grunde mit dunkeln, unreinen oder
ſchwarzen oder rothen Flecken und Klexen gezeichnet ſind, zuweilen kranzartig gegen das ſtumpfe
Ende hin.
Die Arten, welche man Rieſenbataras (Thamnophilus) nennt, ſcheinen die Eigenthümlich-
keiten der geſammten Gruppe in ſich zu vereinigen. Sie haben in der Geſtalt mit den Hehern einige
Aehnlichkeit. Jhr Leib iſt kräftig, der Flügel ziemlich kurz gerundet, in ihm die vierte und fünfte
Schwinge über die übrigen verlängert; der Schwanz iſt lang, breitfedrig, ſeitlich ſtark verkürzt und zuge-
rundet, der Schnabel hoch, ſeitlich ſehr zuſammengedrückt, auf der Firſte gerundet, mit ſcharf abgeſetztem
großen Endhaken und deutlicher Kerbe daneben; der Fuß iſt kräftig, der Lauf mittelhoch und ziem-
lich dick, die Zehen ſind fleiſchig, aber dennoch lang und bewehrt mit großen und hohen, ſtark gebogenen
Krallen, unter denen die Daumenkralle bei weitem die größte iſt. Das Gefieder iſt großfedrig und
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/752>, abgerufen am 22.11.2024.
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