vernimmt man die Flötenwürger viel eher, als man sie sieht: das dichteste Gebüsch ist ihr bevor- zugter Aufenthalt, von ihm aus fliegen sie nur dann auf Hochbäume empor, wenn diese dichte Kronen besitzen, welche sie möglichst verdecken. Sie halten sich im laubigen Geäst auf, freilich ohne sich wirk- lich zu verbergen; denn ihre lebhaften Farben schimmern eben doch auch durch das dichteste Grün hindurch, und wenn sie wirklich dem Auge entrückt sind, dann findet der Beobachter sie bald durch das Gehör auf.
Hinsichtlich ihres Betragens haben sie unzweifelhaft größere Aehnlichkeit mit den Drosseln, als mit den Würgern. Jch erinnere mich nicht, sie jemals auf der Spitze eines hervorragenden Zweiges gesehen zu haben, nach Würgerart auf Kerbthiere lauernd; sie bewegten sich stets im Jnnern der Gebüsche und Baumkronen und liefen hier mit sängerartiger Gelenkigkeit längs der Zweige dahin, sie und die Blätter gründlich nach Nahrung absuchend. Auf dem Boden sieht man sie seltener; doch geschieht es wohl bisweilen, daß sie hier umherhüpfen; bei der geringsten Störung aber fliegen sie augenblicklich wieder in ihre dichten Wipfel empor. Jhr Flug ist schlecht und von dem der Würger durchaus verschieden. Er besteht fast ausschließlich aus schnell wiederholten Flügelschlägen, welche kaum durch ein gleitendes Schweben unterbrochen werden. Das Bemerkenswertheste im Betragen dieser Vögel ist aber unbedingt die Art und Weise, wie sie ihren Gesang zum Besten geben. Es handelt sich hier nicht um ein Lied, sondern nur um einzelne Töne, klangvoll wie wenig andere, welche sehr häufig wiederholt, aber von beiden Geschlechtern gemeinschaftlich hervorgebracht werden. Der Ruf des Scharlachwürgers ähnelt dem verschlungenen Pfiff unseres Pirols; der Ruf des Flötenwürgers besteht aus drei, seltener zwei glockenreinen Lauten, welche sich etwa im Umfange einer Oktave bewegen. Er beginnt mit einem mittelhohen Tone, auf welchen erst ein tieferer und dann ein bedeutend höherer folgt. Die ersten beiden liegen im Umfang einer Terz, die letzten beiden im Umfange einer Oktave aus einander. Diese drei Glockentöne werden ebenso, wie der Pfiff des Scharlachwürgers, nur vom Männchen vorgetragen; unmittelbar auf sie aber folgt die Antwort des Weibchens, ein unangenehmes Kreischen oder Krächzen, welches sich schwer nachahmen und noch viel schwerer beschreiben läßt. Beim Scharlachwürger schließt das Weibchen sein Kreischen erst nach Schluß des ganzen Tonsatzes seines Gatten an, beim Flötenwürger fällt es gewöhnlich schon beim zweiten Tone ein. Bei der einen wie bei der andern Art aber beweist es einen Taktsinn, welcher in Erstaunen setzen muß; es läßt nie auf sich warten. Zuweilen kommt es auch vor, daß das Weibchen beginnt; dann kreischt es gewöhnlich drei-, vier-, sechsmal nach einander, ehe das Männchen einfällt. Geschieht es endlich, so beginnt das Pfeifen von neuem und geht mit gewohnter Regelmäßigkeit weiter. Jch habe mich durch die verschiedensten Versuche überzeugt, daß beide Geschlechter zusammenwirken; ich habe bald das Männchen, bald das Weibchen erlegt, um mich der Sache zu vergewissern. Schießt man das Weibchen vom Baume herab, so verstummt natürlich sofort das Kreischen, und das Männchen wiederholt ängstlich seinen Pfiff mehr- mals nach einander. Erlegt man das Männchen, so kreischt oder knarrt das Weibchen. Die Beob- achtung und Belauschung dieser Vögel gewährt im Anfang viel Vergnügen; das fortwährend wieder- holte Tonstück aber wird zuletzt doch unerträglich; es ist die Regelmäßigkeit, die ewige Gleichförmig- keit, welche ermüdet. So entzückt man anfangs ist von der Reinheit der Flötentöne, so verwundert über das Kreischen, so erstaunt über die Art und Weise des Vortrags, schließlich bekommt man das Ganze so satt, daß man es verwünscht, wenn man es hört.
Leider bin ich nicht im Stande, mit Sicherheit anzugeben, welche Kerbthiere die Flötenwürger bevorzugen. Daß sie sich zu gewissen Zeiten vorzugsweise von Ameisen nähren, hat schon Rüppell beobachtet; nebenbei stellen sie aber auch den verschiedensten andern Käfern nach und namentlich den Raupen und Larven derselben. Ob sie auch Nester plündern, muß dahin gestellt bleiben; mir scheint es nicht wahrscheinlich.
Das Fortpflanzungsgeschäft ist zur Zeit noch gänzlich unbekannt, und auch über das Gefangen- leben wissen wir nicht das Geringste.
Die Fänger. Singvögel. Buſchwürger.
vernimmt man die Flötenwürger viel eher, als man ſie ſieht: das dichteſte Gebüſch iſt ihr bevor- zugter Aufenthalt, von ihm aus fliegen ſie nur dann auf Hochbäume empor, wenn dieſe dichte Kronen beſitzen, welche ſie möglichſt verdecken. Sie halten ſich im laubigen Geäſt auf, freilich ohne ſich wirk- lich zu verbergen; denn ihre lebhaften Farben ſchimmern eben doch auch durch das dichteſte Grün hindurch, und wenn ſie wirklich dem Auge entrückt ſind, dann findet der Beobachter ſie bald durch das Gehör auf.
Hinſichtlich ihres Betragens haben ſie unzweifelhaft größere Aehnlichkeit mit den Droſſeln, als mit den Würgern. Jch erinnere mich nicht, ſie jemals auf der Spitze eines hervorragenden Zweiges geſehen zu haben, nach Würgerart auf Kerbthiere lauernd; ſie bewegten ſich ſtets im Jnnern der Gebüſche und Baumkronen und liefen hier mit ſängerartiger Gelenkigkeit längs der Zweige dahin, ſie und die Blätter gründlich nach Nahrung abſuchend. Auf dem Boden ſieht man ſie ſeltener; doch geſchieht es wohl bisweilen, daß ſie hier umherhüpfen; bei der geringſten Störung aber fliegen ſie augenblicklich wieder in ihre dichten Wipfel empor. Jhr Flug iſt ſchlecht und von dem der Würger durchaus verſchieden. Er beſteht faſt ausſchließlich aus ſchnell wiederholten Flügelſchlägen, welche kaum durch ein gleitendes Schweben unterbrochen werden. Das Bemerkenswertheſte im Betragen dieſer Vögel iſt aber unbedingt die Art und Weiſe, wie ſie ihren Geſang zum Beſten geben. Es handelt ſich hier nicht um ein Lied, ſondern nur um einzelne Töne, klangvoll wie wenig andere, welche ſehr häufig wiederholt, aber von beiden Geſchlechtern gemeinſchaftlich hervorgebracht werden. Der Ruf des Scharlachwürgers ähnelt dem verſchlungenen Pfiff unſeres Pirols; der Ruf des Flötenwürgers beſteht aus drei, ſeltener zwei glockenreinen Lauten, welche ſich etwa im Umfange einer Oktave bewegen. Er beginnt mit einem mittelhohen Tone, auf welchen erſt ein tieferer und dann ein bedeutend höherer folgt. Die erſten beiden liegen im Umfang einer Terz, die letzten beiden im Umfange einer Oktave aus einander. Dieſe drei Glockentöne werden ebenſo, wie der Pfiff des Scharlachwürgers, nur vom Männchen vorgetragen; unmittelbar auf ſie aber folgt die Antwort des Weibchens, ein unangenehmes Kreiſchen oder Krächzen, welches ſich ſchwer nachahmen und noch viel ſchwerer beſchreiben läßt. Beim Scharlachwürger ſchließt das Weibchen ſein Kreiſchen erſt nach Schluß des ganzen Tonſatzes ſeines Gatten an, beim Flötenwürger fällt es gewöhnlich ſchon beim zweiten Tone ein. Bei der einen wie bei der andern Art aber beweiſt es einen Taktſinn, welcher in Erſtaunen ſetzen muß; es läßt nie auf ſich warten. Zuweilen kommt es auch vor, daß das Weibchen beginnt; dann kreiſcht es gewöhnlich drei-, vier-, ſechsmal nach einander, ehe das Männchen einfällt. Geſchieht es endlich, ſo beginnt das Pfeifen von neuem und geht mit gewohnter Regelmäßigkeit weiter. Jch habe mich durch die verſchiedenſten Verſuche überzeugt, daß beide Geſchlechter zuſammenwirken; ich habe bald das Männchen, bald das Weibchen erlegt, um mich der Sache zu vergewiſſern. Schießt man das Weibchen vom Baume herab, ſo verſtummt natürlich ſofort das Kreiſchen, und das Männchen wiederholt ängſtlich ſeinen Pfiff mehr- mals nach einander. Erlegt man das Männchen, ſo kreiſcht oder knarrt das Weibchen. Die Beob- achtung und Belauſchung dieſer Vögel gewährt im Anfang viel Vergnügen; das fortwährend wieder- holte Tonſtück aber wird zuletzt doch unerträglich; es iſt die Regelmäßigkeit, die ewige Gleichförmig- keit, welche ermüdet. So entzückt man anfangs iſt von der Reinheit der Flötentöne, ſo verwundert über das Kreiſchen, ſo erſtaunt über die Art und Weiſe des Vortrags, ſchließlich bekommt man das Ganze ſo ſatt, daß man es verwünſcht, wenn man es hört.
Leider bin ich nicht im Stande, mit Sicherheit anzugeben, welche Kerbthiere die Flötenwürger bevorzugen. Daß ſie ſich zu gewiſſen Zeiten vorzugsweiſe von Ameiſen nähren, hat ſchon Rüppell beobachtet; nebenbei ſtellen ſie aber auch den verſchiedenſten andern Käfern nach und namentlich den Raupen und Larven derſelben. Ob ſie auch Neſter plündern, muß dahin geſtellt bleiben; mir ſcheint es nicht wahrſcheinlich.
Das Fortpflanzungsgeſchäft iſt zur Zeit noch gänzlich unbekannt, und auch über das Gefangen- leben wiſſen wir nicht das Geringſte.
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[706/0748]
Die Fänger. Singvögel. Buſchwürger.
vernimmt man die Flötenwürger viel eher, als man ſie ſieht: das dichteſte Gebüſch iſt ihr bevor-
zugter Aufenthalt, von ihm aus fliegen ſie nur dann auf Hochbäume empor, wenn dieſe dichte Kronen
beſitzen, welche ſie möglichſt verdecken. Sie halten ſich im laubigen Geäſt auf, freilich ohne ſich wirk-
lich zu verbergen; denn ihre lebhaften Farben ſchimmern eben doch auch durch das dichteſte Grün
hindurch, und wenn ſie wirklich dem Auge entrückt ſind, dann findet der Beobachter ſie bald durch das
Gehör auf.
Hinſichtlich ihres Betragens haben ſie unzweifelhaft größere Aehnlichkeit mit den Droſſeln, als
mit den Würgern. Jch erinnere mich nicht, ſie jemals auf der Spitze eines hervorragenden Zweiges
geſehen zu haben, nach Würgerart auf Kerbthiere lauernd; ſie bewegten ſich ſtets im Jnnern der
Gebüſche und Baumkronen und liefen hier mit ſängerartiger Gelenkigkeit längs der Zweige dahin, ſie
und die Blätter gründlich nach Nahrung abſuchend. Auf dem Boden ſieht man ſie ſeltener; doch
geſchieht es wohl bisweilen, daß ſie hier umherhüpfen; bei der geringſten Störung aber fliegen ſie
augenblicklich wieder in ihre dichten Wipfel empor. Jhr Flug iſt ſchlecht und von dem der Würger
durchaus verſchieden. Er beſteht faſt ausſchließlich aus ſchnell wiederholten Flügelſchlägen, welche kaum
durch ein gleitendes Schweben unterbrochen werden. Das Bemerkenswertheſte im Betragen dieſer
Vögel iſt aber unbedingt die Art und Weiſe, wie ſie ihren Geſang zum Beſten geben. Es handelt ſich
hier nicht um ein Lied, ſondern nur um einzelne Töne, klangvoll wie wenig andere, welche ſehr häufig
wiederholt, aber von beiden Geſchlechtern gemeinſchaftlich hervorgebracht werden. Der Ruf
des Scharlachwürgers ähnelt dem verſchlungenen Pfiff unſeres Pirols; der Ruf des Flötenwürgers
beſteht aus drei, ſeltener zwei glockenreinen Lauten, welche ſich etwa im Umfange einer Oktave bewegen.
Er beginnt mit einem mittelhohen Tone, auf welchen erſt ein tieferer und dann ein bedeutend höherer
folgt. Die erſten beiden liegen im Umfang einer Terz, die letzten beiden im Umfange einer Oktave
aus einander. Dieſe drei Glockentöne werden ebenſo, wie der Pfiff des Scharlachwürgers, nur vom
Männchen vorgetragen; unmittelbar auf ſie aber folgt die Antwort des Weibchens, ein unangenehmes
Kreiſchen oder Krächzen, welches ſich ſchwer nachahmen und noch viel ſchwerer beſchreiben läßt. Beim
Scharlachwürger ſchließt das Weibchen ſein Kreiſchen erſt nach Schluß des ganzen Tonſatzes ſeines
Gatten an, beim Flötenwürger fällt es gewöhnlich ſchon beim zweiten Tone ein. Bei der einen wie bei
der andern Art aber beweiſt es einen Taktſinn, welcher in Erſtaunen ſetzen muß; es läßt nie auf ſich
warten. Zuweilen kommt es auch vor, daß das Weibchen beginnt; dann kreiſcht es gewöhnlich drei-,
vier-, ſechsmal nach einander, ehe das Männchen einfällt. Geſchieht es endlich, ſo beginnt das Pfeifen
von neuem und geht mit gewohnter Regelmäßigkeit weiter. Jch habe mich durch die verſchiedenſten
Verſuche überzeugt, daß beide Geſchlechter zuſammenwirken; ich habe bald das Männchen, bald das
Weibchen erlegt, um mich der Sache zu vergewiſſern. Schießt man das Weibchen vom Baume herab,
ſo verſtummt natürlich ſofort das Kreiſchen, und das Männchen wiederholt ängſtlich ſeinen Pfiff mehr-
mals nach einander. Erlegt man das Männchen, ſo kreiſcht oder knarrt das Weibchen. Die Beob-
achtung und Belauſchung dieſer Vögel gewährt im Anfang viel Vergnügen; das fortwährend wieder-
holte Tonſtück aber wird zuletzt doch unerträglich; es iſt die Regelmäßigkeit, die ewige Gleichförmig-
keit, welche ermüdet. So entzückt man anfangs iſt von der Reinheit der Flötentöne, ſo verwundert
über das Kreiſchen, ſo erſtaunt über die Art und Weiſe des Vortrags, ſchließlich bekommt man das
Ganze ſo ſatt, daß man es verwünſcht, wenn man es hört.
Leider bin ich nicht im Stande, mit Sicherheit anzugeben, welche Kerbthiere die Flötenwürger
bevorzugen. Daß ſie ſich zu gewiſſen Zeiten vorzugsweiſe von Ameiſen nähren, hat ſchon Rüppell
beobachtet; nebenbei ſtellen ſie aber auch den verſchiedenſten andern Käfern nach und namentlich den
Raupen und Larven derſelben. Ob ſie auch Neſter plündern, muß dahin geſtellt bleiben; mir ſcheint
es nicht wahrſcheinlich.
Das Fortpflanzungsgeſchäft iſt zur Zeit noch gänzlich unbekannt, und auch über das Gefangen-
leben wiſſen wir nicht das Geringſte.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/748>, abgerufen am 22.11.2024.
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