Gehirn aus den Köpfen geholt. Stört man ihn bei seiner Mahlzeit, so läßt er Alles stecken und ver- dorren. Die kleinen Frösche, welche man sehr oft darunter findet, sind auf eine sonderbare Weise allemal ins Maul gespießt. Auch Stücke von jungen Mäusen und kleinen Eidechsen habe ich zuweilen darunter gefunden."
Ungestört brütet das Dorndreherpaar nur einmal im Jahre. Das Nest steht immer in einem dichten Busche, am liebsten in Dornsträuchen und zwar niedrig über dem Boden. Es ist groß, dicht, dick und gut gebaut, äußerlich aus starken Grasstöcken und Grashalmen, Queggen, Mos und der- gleichen zusammengesetzt, nach innen zu mit feineren Stoffen derselben Art, welche sorgfältig zusammen- gelegt und durcheinander geflochten werden, ausgebaut und in der Mulde mit zarten Grashalmen und feinen Wurzeln ausgefüttert. Das Gelege enthält fünf bis sechs Eier von verschiedener Größe und Färbung. Sie sind entweder länglich oder etwas bauchig oder selbst rundlich und auf gelblichem, grüngraugelben, blaßgelben und fleischrothgelben Grunde spärlicher oder dichter mit aschgrauen, ölbraunen, blutrothen und rothbraunen Flecken gezeichnet. Das Weibchen brütet allein und wird inzwischen vom Männchen mit Futter versorgt. Es sitzt so fest auf den Eiern, daß man ihm, während es brütet, Leimruthen auf den Rücken legen und es so fangen kann. Die Jungen werden von beiden Alten groß gefüttert, außerordentlich geliebt und muthig vertheidigt; sie haben aber, Dank der Wach- samkeit ihrer Eltern, wenig von Feinden zu leiden.
Jn der Gefangenschaft hält der Dorndreher nur bei guter Pflege mehrere Jahre aus; zumal die Mauser wird vielen von den eingesperrten verderblich. Fleisch ist dem Dorndreher unent- behrlich; bei einfachem Nachtigallfutter geht er zu Grunde oder kränkelt wenigstens, wird unlustig und singt nicht. Mit andern Vögeln verträgt sich dieser Mörder selbstverständlich nicht; er überfällt im Gesellschaftsbauer sogar Vögel, welche noch einmal so groß sind, als er. Er quält nach und nach Drosseln und Staaren zu Tode, obgleich diese sich nach besten Kräften zu wehren versuchen. Nau- mann's Vater hielt zuweilen mehrere Dorndreher in einem kleinen Gartenhäuschen, in welchem er ihnen einen kleinen Galgen d. h. ein mit spitzen Nadeln und Nägeln bespicktes Querholz angebracht hatte. Zu diesen Gefangenen nun brachte der alte, treffliche Naturbeobachter lebende Vögel, zumal Sperlinge. Sie wurden von den Dorndrehern sehr bald gefangen, dann immer auf die Nägel gesteckt und entfleischt. Schließlich hing der ganze Galgen voller Gerippe.
Die vierte Würgerart, welche in Deutschland vorkommt, ist der Rothkopf (Enneoctonus [Phoneus] rufus), welcher auch wohl pommerscher Würger oder Waldkatze genannt wird. Die Länge beträgt 7 Zoll, die Breite 11 Zoll; die Fittiglänge 31/2, die Schwanzlänge 3 Zoll. Das Gefieder des Männchens ist auf der Oberseite schwarz, auf der Unterseite gelblichweiß; Hinterkopf und Nacken sind rostrothbraun, die Schultern und der Bürzel weiß. Das Weibchen ähnelt dem Männchen in der Färbung. Der junge Vogel zeigt auf braungrauem Grunde schwärzliche Mond- fleckchen; die Flügel und der Schwanz sind braun, das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel blau- schwarz, der Fuß dunkelgrau.
Jn Deutschland kommt der Rothkopf nur in gewissen Ebenen vor und fehlt dagegen in anderen gänzlich; in Südeuropa und namentlich in Spanien ist er der häufigste aller Würger. Hinsichtlich seines Aufenthalts scheint er weniger wählerisch zu sein, als andere Arten der Familie; denn er siedelt sich aller Orten an, mitten im Walde ebensowohl, als unmittelbar hinter den Häusern eines Dorfes, in Gärten u. s. w. Er kommt bei uns Anfangs April an und verläßt uns in der ersten Hälfte des Septembers wieder; in Spanien trifft er zur selben Zeit ein, verweilt aber einige Tage länger. Seine Winterreise dehnt er bis in die großen Waldungen Mittelafrikas aus; hier ist er während und kurz nach der Regenzeit außerordentlich häufig. Jn seinem Betragen und Wesen hat er die größte Aehnlichkeit mit dem Dorndreher; er scheint aber minder räuberisch zu sein, obgleich er ebensowenig als jener kleine Wirbelthiere verschmäht oder unbehelligt läßt. Kerbthiere bilden seine Hauptnahrung, Wirbelthiere greift er an, wenn ihn der Hunger treibt.
Dorndreher oder Neuntödter. Rothkopf.
Gehirn aus den Köpfen geholt. Stört man ihn bei ſeiner Mahlzeit, ſo läßt er Alles ſtecken und ver- dorren. Die kleinen Fröſche, welche man ſehr oft darunter findet, ſind auf eine ſonderbare Weiſe allemal ins Maul geſpießt. Auch Stücke von jungen Mäuſen und kleinen Eidechſen habe ich zuweilen darunter gefunden.‟
Ungeſtört brütet das Dorndreherpaar nur einmal im Jahre. Das Neſt ſteht immer in einem dichten Buſche, am liebſten in Dornſträuchen und zwar niedrig über dem Boden. Es iſt groß, dicht, dick und gut gebaut, äußerlich aus ſtarken Grasſtöcken und Grashalmen, Queggen, Mos und der- gleichen zuſammengeſetzt, nach innen zu mit feineren Stoffen derſelben Art, welche ſorgfältig zuſammen- gelegt und durcheinander geflochten werden, ausgebaut und in der Mulde mit zarten Grashalmen und feinen Wurzeln ausgefüttert. Das Gelege enthält fünf bis ſechs Eier von verſchiedener Größe und Färbung. Sie ſind entweder länglich oder etwas bauchig oder ſelbſt rundlich und auf gelblichem, grüngraugelben, blaßgelben und fleiſchrothgelben Grunde ſpärlicher oder dichter mit aſchgrauen, ölbraunen, blutrothen und rothbraunen Flecken gezeichnet. Das Weibchen brütet allein und wird inzwiſchen vom Männchen mit Futter verſorgt. Es ſitzt ſo feſt auf den Eiern, daß man ihm, während es brütet, Leimruthen auf den Rücken legen und es ſo fangen kann. Die Jungen werden von beiden Alten groß gefüttert, außerordentlich geliebt und muthig vertheidigt; ſie haben aber, Dank der Wach- ſamkeit ihrer Eltern, wenig von Feinden zu leiden.
Jn der Gefangenſchaft hält der Dorndreher nur bei guter Pflege mehrere Jahre aus; zumal die Mauſer wird vielen von den eingeſperrten verderblich. Fleiſch iſt dem Dorndreher unent- behrlich; bei einfachem Nachtigallfutter geht er zu Grunde oder kränkelt wenigſtens, wird unluſtig und ſingt nicht. Mit andern Vögeln verträgt ſich dieſer Mörder ſelbſtverſtändlich nicht; er überfällt im Geſellſchaftsbauer ſogar Vögel, welche noch einmal ſo groß ſind, als er. Er quält nach und nach Droſſeln und Staaren zu Tode, obgleich dieſe ſich nach beſten Kräften zu wehren verſuchen. Nau- mann’s Vater hielt zuweilen mehrere Dorndreher in einem kleinen Gartenhäuschen, in welchem er ihnen einen kleinen Galgen d. h. ein mit ſpitzen Nadeln und Nägeln beſpicktes Querholz angebracht hatte. Zu dieſen Gefangenen nun brachte der alte, treffliche Naturbeobachter lebende Vögel, zumal Sperlinge. Sie wurden von den Dorndrehern ſehr bald gefangen, dann immer auf die Nägel geſteckt und entfleiſcht. Schließlich hing der ganze Galgen voller Gerippe.
Die vierte Würgerart, welche in Deutſchland vorkommt, iſt der Rothkopf (Enneoctonus [Phoneus] rufus), welcher auch wohl pommerſcher Würger oder Waldkatze genannt wird. Die Länge beträgt 7 Zoll, die Breite 11 Zoll; die Fittiglänge 3½, die Schwanzlänge 3 Zoll. Das Gefieder des Männchens iſt auf der Oberſeite ſchwarz, auf der Unterſeite gelblichweiß; Hinterkopf und Nacken ſind roſtrothbraun, die Schultern und der Bürzel weiß. Das Weibchen ähnelt dem Männchen in der Färbung. Der junge Vogel zeigt auf braungrauem Grunde ſchwärzliche Mond- fleckchen; die Flügel und der Schwanz ſind braun, das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel blau- ſchwarz, der Fuß dunkelgrau.
Jn Deutſchland kommt der Rothkopf nur in gewiſſen Ebenen vor und fehlt dagegen in anderen gänzlich; in Südeuropa und namentlich in Spanien iſt er der häufigſte aller Würger. Hinſichtlich ſeines Aufenthalts ſcheint er weniger wähleriſch zu ſein, als andere Arten der Familie; denn er ſiedelt ſich aller Orten an, mitten im Walde ebenſowohl, als unmittelbar hinter den Häuſern eines Dorfes, in Gärten u. ſ. w. Er kommt bei uns Anfangs April an und verläßt uns in der erſten Hälfte des Septembers wieder; in Spanien trifft er zur ſelben Zeit ein, verweilt aber einige Tage länger. Seine Winterreiſe dehnt er bis in die großen Waldungen Mittelafrikas aus; hier iſt er während und kurz nach der Regenzeit außerordentlich häufig. Jn ſeinem Betragen und Weſen hat er die größte Aehnlichkeit mit dem Dorndreher; er ſcheint aber minder räuberiſch zu ſein, obgleich er ebenſowenig als jener kleine Wirbelthiere verſchmäht oder unbehelligt läßt. Kerbthiere bilden ſeine Hauptnahrung, Wirbelthiere greift er an, wenn ihn der Hunger treibt.
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[701/0743]
Dorndreher oder Neuntödter. Rothkopf.
Gehirn aus den Köpfen geholt. Stört man ihn bei ſeiner Mahlzeit, ſo läßt er Alles ſtecken und ver-
dorren. Die kleinen Fröſche, welche man ſehr oft darunter findet, ſind auf eine ſonderbare Weiſe
allemal ins Maul geſpießt. Auch Stücke von jungen Mäuſen und kleinen Eidechſen habe ich zuweilen
darunter gefunden.‟
Ungeſtört brütet das Dorndreherpaar nur einmal im Jahre. Das Neſt ſteht immer in einem
dichten Buſche, am liebſten in Dornſträuchen und zwar niedrig über dem Boden. Es iſt groß, dicht,
dick und gut gebaut, äußerlich aus ſtarken Grasſtöcken und Grashalmen, Queggen, Mos und der-
gleichen zuſammengeſetzt, nach innen zu mit feineren Stoffen derſelben Art, welche ſorgfältig zuſammen-
gelegt und durcheinander geflochten werden, ausgebaut und in der Mulde mit zarten Grashalmen und
feinen Wurzeln ausgefüttert. Das Gelege enthält fünf bis ſechs Eier von verſchiedener Größe und
Färbung. Sie ſind entweder länglich oder etwas bauchig oder ſelbſt rundlich und auf gelblichem,
grüngraugelben, blaßgelben und fleiſchrothgelben Grunde ſpärlicher oder dichter mit aſchgrauen,
ölbraunen, blutrothen und rothbraunen Flecken gezeichnet. Das Weibchen brütet allein und wird
inzwiſchen vom Männchen mit Futter verſorgt. Es ſitzt ſo feſt auf den Eiern, daß man ihm, während
es brütet, Leimruthen auf den Rücken legen und es ſo fangen kann. Die Jungen werden von beiden
Alten groß gefüttert, außerordentlich geliebt und muthig vertheidigt; ſie haben aber, Dank der Wach-
ſamkeit ihrer Eltern, wenig von Feinden zu leiden.
Jn der Gefangenſchaft hält der Dorndreher nur bei guter Pflege mehrere Jahre aus; zumal
die Mauſer wird vielen von den eingeſperrten verderblich. Fleiſch iſt dem Dorndreher unent-
behrlich; bei einfachem Nachtigallfutter geht er zu Grunde oder kränkelt wenigſtens, wird unluſtig
und ſingt nicht. Mit andern Vögeln verträgt ſich dieſer Mörder ſelbſtverſtändlich nicht; er überfällt
im Geſellſchaftsbauer ſogar Vögel, welche noch einmal ſo groß ſind, als er. Er quält nach und nach
Droſſeln und Staaren zu Tode, obgleich dieſe ſich nach beſten Kräften zu wehren verſuchen. Nau-
mann’s Vater hielt zuweilen mehrere Dorndreher in einem kleinen Gartenhäuschen, in welchem er
ihnen einen kleinen Galgen d. h. ein mit ſpitzen Nadeln und Nägeln beſpicktes Querholz angebracht
hatte. Zu dieſen Gefangenen nun brachte der alte, treffliche Naturbeobachter lebende Vögel, zumal
Sperlinge. Sie wurden von den Dorndrehern ſehr bald gefangen, dann immer auf die Nägel geſteckt
und entfleiſcht. Schließlich hing der ganze Galgen voller Gerippe.
Die vierte Würgerart, welche in Deutſchland vorkommt, iſt der Rothkopf (Enneoctonus
[Phoneus] rufus), welcher auch wohl pommerſcher Würger oder Waldkatze genannt wird.
Die Länge beträgt 7 Zoll, die Breite 11 Zoll; die Fittiglänge 3½, die Schwanzlänge 3 Zoll. Das
Gefieder des Männchens iſt auf der Oberſeite ſchwarz, auf der Unterſeite gelblichweiß; Hinterkopf
und Nacken ſind roſtrothbraun, die Schultern und der Bürzel weiß. Das Weibchen ähnelt dem
Männchen in der Färbung. Der junge Vogel zeigt auf braungrauem Grunde ſchwärzliche Mond-
fleckchen; die Flügel und der Schwanz ſind braun, das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel blau-
ſchwarz, der Fuß dunkelgrau.
Jn Deutſchland kommt der Rothkopf nur in gewiſſen Ebenen vor und fehlt dagegen in anderen
gänzlich; in Südeuropa und namentlich in Spanien iſt er der häufigſte aller Würger. Hinſichtlich
ſeines Aufenthalts ſcheint er weniger wähleriſch zu ſein, als andere Arten der Familie; denn er
ſiedelt ſich aller Orten an, mitten im Walde ebenſowohl, als unmittelbar hinter den Häuſern eines
Dorfes, in Gärten u. ſ. w. Er kommt bei uns Anfangs April an und verläßt uns in der erſten
Hälfte des Septembers wieder; in Spanien trifft er zur ſelben Zeit ein, verweilt aber einige Tage
länger. Seine Winterreiſe dehnt er bis in die großen Waldungen Mittelafrikas aus; hier iſt er
während und kurz nach der Regenzeit außerordentlich häufig. Jn ſeinem Betragen und Weſen hat
er die größte Aehnlichkeit mit dem Dorndreher; er ſcheint aber minder räuberiſch zu ſein, obgleich er
ebenſowenig als jener kleine Wirbelthiere verſchmäht oder unbehelligt läßt. Kerbthiere bilden ſeine
Hauptnahrung, Wirbelthiere greift er an, wenn ihn der Hunger treibt.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/743>, abgerufen am 22.11.2024.
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