Geschäft der Brut; das Männchen brütet gewöhnlich Nachts, das Weibchen bei Tage. Ersteres sorgt allein für die ausgebrütete Familie. Jst das Nest den Sonnenstrahlen zu sehr ausgesetzt und sind die Jungen so groß, daß die Mutter sie nicht mehr bedecken kann, so werden sie von den Alten aufgenommen und in eine Baumhöhle gebracht. Diese Sorgfalt ist aus dem Grunde bemerkenswerth, weil die Alten sich auf ihren Schlafplätzen den Einwirkungen des Wetters rücksichtslos preisgeben. Anfangs November verlassen die Jungen das Nest; sie bleiben aber wahrscheinlich noch längere Zeit in Gesellschaft ihrer Eltern.
Bei fühlbarer Kälte trifft man zuweilen einzelne freilebende Schwalme über acht Tage lang auf ein und demselben Aste an, so ruhig und unbeweglich, als ob sie im Winterschlafe lägen. Sie erwachen dann höchstens, wenn man sie anrührt. Dies ist von Gould beobachtet und von Verreaux bestätigt worden. "Obgleich ich nicht vollständige Gewißheit darüber habe", sagt der Erstgenannte, "daß dieser Vogel in gewissen Abschnitten des Jahres eine Art von Winterschlaf hält, so kann ich doch eine Beobachtung nicht verschweigen, welche ich gemacht habe, die nämlich, daß sie sich manchmal zurückziehen und längere Zeit in Baumhöhlen verbleiben. Meine Annahme erklärt es auch, daß einzelne Schwalme, welche ich erhielt, ganz außerordentlich fett waren, so sehr, daß mich Dies von dem Aufbewahren ihrer Bälge abhielt. Jch sehe keinen Grund ein, warum nicht auch ein Vogel einen Theil seines Lebens im Winterschlafe zubringen soll, wie so viele Arten von Säugethieren thun, obgleich sie höher stehende Thiere sind, als jene." Nach meinem Dafürhalten darf man die Ansicht des berühmten Forschers nicht ohne Weiteres zu der seinigen machen; denn das Zurück- ziehen und der höhere Grad von Schlafsucht, welchen die Schwalme zeigen, beweist noch gar Nichts bei Vögeln, welche, wie bemerkt, sich nicht einmal durch einen unmittelbar vor ihnen abgefeuerten Schuß aus ihrem schlaftrunkenen Zustande erwecken lassen.
Jung aus dem Neste genommene Schwalme werden, wie Verreaux angibt, bald zahm. Sie lernen ihren Gebieter kennen, setzen sich auf seinen Kopf, kriechen in sein Bett, jagen auch wohl andere Thiere aus demselben. Nach einiger Zeit ändern sie ihr Wesen in soweit, daß sie auch bei Tage fressen.
Jn der Neuzeit sind mehrere dieser Gefangenen nach Europa gebracht worden. Der erste lebende Schwalm kam im Jahre 1862 nach London, ein zweiter im Jahre 1863 nach Amsterdam; einen dritten hat der hamburger Thiergarten im Juli dieses Jahres (1865) erhalten. Den letzteren habe ich seitdem beobachten können; er hat mir jedoch zu bemerkenswerthen Wahrnehmungen wenig Gelegenheit gegeben. Er ist ein sehr ruhiger und stiller Vogel. Bei Tage sitzt er regungslos auf ein und derselben Stelle in der von Gould beschriebenen Haltung; so tief, wie genannter Forscher behauptet, schläft er aber nicht: er läßt sich schon durch Anrufen ermuntern, und wenn sein Pfleger sich an ihn wendet, ist er sogleich bei der Hand. Anfangs vernahmen wir von ihm bei Tage nur ein leises Brummen, einem langgezogenen "Humm" etwa vergleichbar; wir vermutheten, daß dieser sonderbare Laut sein Lockruf sei und versuchten durch Nachahmung desselben seine Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Der Erfolg übertraf unsere Erwartungen; denn der Schwalm rührte sich nicht nur nach dem Anrufe, sondern antwortete auch sofort und zwar regelmäßig, so oft wir unseren Versuch wiederholten. Hielt man ihm dann eine Maus oder einen kleinen Vogel vor, so bewegte er sich wiegend hin und her, brummte lebhafter, richtete die weitgeöffneten Augen starr auf den leckeren Bissen und flog schließlich auch von seiner Stange herunter, um diesen in Empfang zu nehmen. Fette Maden, welche wir ihm zuweilen reichten, wurden von ihm nicht blos aufgelesen, sondern auch aus dem Sande hervorgezogen. Er verschlingt seine Beute ganz und ist fähig, eine große Maus oder einen feisten Sperling, von dem die Flügel entfernt sind, hinabzuwürgen. Letzteres geschieht sehr langsam: von einer verschlungenen Maus z. B. ragt die Schwanzspitze oft eine halbe Stunde lang aus seinem Schnabel hervor, bevor sie verschwindet. Seine Verdauung ist vortrefflich; man findet deshalb auch nur selten kleine Gewölle im Käfig. Daß er bei Tage nicht blos gut, sondern auch scharf in die Ferne sieht, hat er uns wiederholt bewiesen. Die Wasservögel am Teich, auf welchen er
Die Fänger. Sperrvögel. Schwalme.
Geſchäft der Brut; das Männchen brütet gewöhnlich Nachts, das Weibchen bei Tage. Erſteres ſorgt allein für die ausgebrütete Familie. Jſt das Neſt den Sonnenſtrahlen zu ſehr ausgeſetzt und ſind die Jungen ſo groß, daß die Mutter ſie nicht mehr bedecken kann, ſo werden ſie von den Alten aufgenommen und in eine Baumhöhle gebracht. Dieſe Sorgfalt iſt aus dem Grunde bemerkenswerth, weil die Alten ſich auf ihren Schlafplätzen den Einwirkungen des Wetters rückſichtslos preisgeben. Anfangs November verlaſſen die Jungen das Neſt; ſie bleiben aber wahrſcheinlich noch längere Zeit in Geſellſchaft ihrer Eltern.
Bei fühlbarer Kälte trifft man zuweilen einzelne freilebende Schwalme über acht Tage lang auf ein und demſelben Aſte an, ſo ruhig und unbeweglich, als ob ſie im Winterſchlafe lägen. Sie erwachen dann höchſtens, wenn man ſie anrührt. Dies iſt von Gould beobachtet und von Verreaux beſtätigt worden. „Obgleich ich nicht vollſtändige Gewißheit darüber habe‟, ſagt der Erſtgenannte, „daß dieſer Vogel in gewiſſen Abſchnitten des Jahres eine Art von Winterſchlaf hält, ſo kann ich doch eine Beobachtung nicht verſchweigen, welche ich gemacht habe, die nämlich, daß ſie ſich manchmal zurückziehen und längere Zeit in Baumhöhlen verbleiben. Meine Annahme erklärt es auch, daß einzelne Schwalme, welche ich erhielt, ganz außerordentlich fett waren, ſo ſehr, daß mich Dies von dem Aufbewahren ihrer Bälge abhielt. Jch ſehe keinen Grund ein, warum nicht auch ein Vogel einen Theil ſeines Lebens im Winterſchlafe zubringen ſoll, wie ſo viele Arten von Säugethieren thun, obgleich ſie höher ſtehende Thiere ſind, als jene.‟ Nach meinem Dafürhalten darf man die Anſicht des berühmten Forſchers nicht ohne Weiteres zu der ſeinigen machen; denn das Zurück- ziehen und der höhere Grad von Schlafſucht, welchen die Schwalme zeigen, beweiſt noch gar Nichts bei Vögeln, welche, wie bemerkt, ſich nicht einmal durch einen unmittelbar vor ihnen abgefeuerten Schuß aus ihrem ſchlaftrunkenen Zuſtande erwecken laſſen.
Jung aus dem Neſte genommene Schwalme werden, wie Verreaux angibt, bald zahm. Sie lernen ihren Gebieter kennen, ſetzen ſich auf ſeinen Kopf, kriechen in ſein Bett, jagen auch wohl andere Thiere aus demſelben. Nach einiger Zeit ändern ſie ihr Weſen in ſoweit, daß ſie auch bei Tage freſſen.
Jn der Neuzeit ſind mehrere dieſer Gefangenen nach Europa gebracht worden. Der erſte lebende Schwalm kam im Jahre 1862 nach London, ein zweiter im Jahre 1863 nach Amſterdam; einen dritten hat der hamburger Thiergarten im Juli dieſes Jahres (1865) erhalten. Den letzteren habe ich ſeitdem beobachten können; er hat mir jedoch zu bemerkenswerthen Wahrnehmungen wenig Gelegenheit gegeben. Er iſt ein ſehr ruhiger und ſtiller Vogel. Bei Tage ſitzt er regungslos auf ein und derſelben Stelle in der von Gould beſchriebenen Haltung; ſo tief, wie genannter Forſcher behauptet, ſchläft er aber nicht: er läßt ſich ſchon durch Anrufen ermuntern, und wenn ſein Pfleger ſich an ihn wendet, iſt er ſogleich bei der Hand. Anfangs vernahmen wir von ihm bei Tage nur ein leiſes Brummen, einem langgezogenen „Humm‟ etwa vergleichbar; wir vermutheten, daß dieſer ſonderbare Laut ſein Lockruf ſei und verſuchten durch Nachahmung deſſelben ſeine Aufmerkſamkeit auf uns zu ziehen. Der Erfolg übertraf unſere Erwartungen; denn der Schwalm rührte ſich nicht nur nach dem Anrufe, ſondern antwortete auch ſofort und zwar regelmäßig, ſo oft wir unſeren Verſuch wiederholten. Hielt man ihm dann eine Maus oder einen kleinen Vogel vor, ſo bewegte er ſich wiegend hin und her, brummte lebhafter, richtete die weitgeöffneten Augen ſtarr auf den leckeren Biſſen und flog ſchließlich auch von ſeiner Stange herunter, um dieſen in Empfang zu nehmen. Fette Maden, welche wir ihm zuweilen reichten, wurden von ihm nicht blos aufgeleſen, ſondern auch aus dem Sande hervorgezogen. Er verſchlingt ſeine Beute ganz und iſt fähig, eine große Maus oder einen feiſten Sperling, von dem die Flügel entfernt ſind, hinabzuwürgen. Letzteres geſchieht ſehr langſam: von einer verſchlungenen Maus z. B. ragt die Schwanzſpitze oft eine halbe Stunde lang aus ſeinem Schnabel hervor, bevor ſie verſchwindet. Seine Verdauung iſt vortrefflich; man findet deshalb auch nur ſelten kleine Gewölle im Käfig. Daß er bei Tage nicht blos gut, ſondern auch ſcharf in die Ferne ſieht, hat er uns wiederholt bewieſen. Die Waſſervögel am Teich, auf welchen er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0726"n="686"/><fwplace="top"type="header">Die Fänger. Sperrvögel. Schwalme.</fw><lb/>
Geſchäft der Brut; das Männchen brütet gewöhnlich Nachts, das Weibchen bei Tage. Erſteres<lb/>ſorgt allein für die ausgebrütete Familie. Jſt das Neſt den Sonnenſtrahlen zu ſehr ausgeſetzt und<lb/>ſind die Jungen ſo groß, daß die Mutter ſie nicht mehr bedecken kann, ſo werden ſie von den Alten<lb/>
aufgenommen und in eine Baumhöhle gebracht. Dieſe Sorgfalt iſt aus dem Grunde bemerkenswerth,<lb/>
weil die Alten ſich auf ihren Schlafplätzen den Einwirkungen des Wetters rückſichtslos preisgeben.<lb/>
Anfangs November verlaſſen die Jungen das Neſt; ſie bleiben aber wahrſcheinlich noch längere Zeit<lb/>
in Geſellſchaft ihrer Eltern.</p><lb/><p>Bei fühlbarer Kälte trifft man zuweilen einzelne freilebende Schwalme über acht Tage lang auf<lb/>
ein und demſelben Aſte an, ſo ruhig und unbeweglich, als ob ſie im Winterſchlafe lägen. Sie<lb/>
erwachen dann höchſtens, wenn man ſie anrührt. Dies iſt von <hirendition="#g">Gould</hi> beobachtet und von<lb/><hirendition="#g">Verreaux</hi> beſtätigt worden. „Obgleich ich nicht vollſtändige Gewißheit darüber habe‟, ſagt der<lb/>
Erſtgenannte, „daß dieſer Vogel in gewiſſen Abſchnitten des Jahres eine Art von Winterſchlaf hält,<lb/>ſo kann ich doch eine Beobachtung nicht verſchweigen, welche ich gemacht habe, die nämlich, daß ſie ſich<lb/>
manchmal zurückziehen und längere Zeit in Baumhöhlen verbleiben. Meine Annahme erklärt es<lb/>
auch, daß einzelne Schwalme, welche ich erhielt, ganz außerordentlich fett waren, ſo ſehr, daß mich<lb/>
Dies von dem Aufbewahren ihrer Bälge abhielt. Jch ſehe keinen Grund ein, warum nicht auch ein<lb/>
Vogel einen Theil ſeines Lebens im Winterſchlafe zubringen ſoll, wie ſo viele Arten von Säugethieren<lb/>
thun, obgleich ſie höher ſtehende Thiere ſind, als jene.‟ Nach meinem Dafürhalten darf man<lb/>
die Anſicht des berühmten Forſchers nicht ohne Weiteres zu der ſeinigen machen; denn das Zurück-<lb/>
ziehen und der höhere Grad von Schlafſucht, welchen die Schwalme zeigen, beweiſt noch gar Nichts bei<lb/>
Vögeln, welche, wie bemerkt, ſich nicht einmal durch einen unmittelbar vor ihnen abgefeuerten Schuß<lb/>
aus ihrem ſchlaftrunkenen Zuſtande erwecken laſſen.</p><lb/><p>Jung aus dem Neſte genommene Schwalme werden, wie <hirendition="#g">Verreaux</hi> angibt, bald zahm. Sie<lb/>
lernen ihren Gebieter kennen, ſetzen ſich auf ſeinen Kopf, kriechen in ſein Bett, jagen auch wohl<lb/>
andere Thiere aus demſelben. Nach einiger Zeit ändern ſie ihr Weſen in ſoweit, daß ſie auch bei<lb/>
Tage freſſen.</p><lb/><p>Jn der Neuzeit ſind mehrere dieſer Gefangenen nach Europa gebracht worden. Der erſte<lb/>
lebende Schwalm kam im Jahre 1862 nach London, ein zweiter im Jahre 1863 nach Amſterdam;<lb/>
einen dritten hat der hamburger Thiergarten im Juli dieſes Jahres (1865) erhalten. Den letzteren<lb/>
habe ich ſeitdem beobachten können; er hat mir jedoch zu bemerkenswerthen Wahrnehmungen wenig<lb/>
Gelegenheit gegeben. Er iſt ein ſehr ruhiger und ſtiller Vogel. Bei Tage ſitzt er regungslos auf ein<lb/>
und derſelben Stelle in der von <hirendition="#g">Gould</hi> beſchriebenen Haltung; ſo tief, wie genannter Forſcher<lb/>
behauptet, ſchläft er aber nicht: er läßt ſich ſchon durch Anrufen ermuntern, und wenn ſein Pfleger<lb/>ſich an ihn wendet, iſt er ſogleich bei der Hand. Anfangs vernahmen wir von ihm bei Tage nur ein<lb/>
leiſes Brummen, einem langgezogenen „Humm‟ etwa vergleichbar; wir vermutheten, daß dieſer<lb/>ſonderbare Laut ſein Lockruf ſei und verſuchten durch Nachahmung deſſelben ſeine Aufmerkſamkeit auf<lb/>
uns zu ziehen. Der Erfolg übertraf unſere Erwartungen; denn der Schwalm rührte ſich nicht nur<lb/>
nach dem Anrufe, ſondern antwortete auch ſofort und zwar regelmäßig, ſo oft wir unſeren Verſuch<lb/>
wiederholten. Hielt man ihm dann eine Maus oder einen kleinen Vogel vor, ſo bewegte er ſich<lb/>
wiegend hin und her, brummte lebhafter, richtete die weitgeöffneten Augen ſtarr auf den leckeren<lb/>
Biſſen und flog ſchließlich auch von ſeiner Stange herunter, um dieſen in Empfang zu nehmen.<lb/>
Fette Maden, welche wir ihm zuweilen reichten, wurden von ihm nicht blos aufgeleſen, ſondern auch<lb/>
aus dem Sande hervorgezogen. Er verſchlingt ſeine Beute ganz und iſt fähig, eine große Maus oder<lb/>
einen feiſten Sperling, von dem die Flügel entfernt ſind, hinabzuwürgen. Letzteres geſchieht ſehr<lb/>
langſam: von einer verſchlungenen Maus z. B. ragt die Schwanzſpitze oft eine halbe Stunde lang<lb/>
aus ſeinem Schnabel hervor, bevor ſie verſchwindet. Seine Verdauung iſt vortrefflich; man findet<lb/>
deshalb auch nur ſelten kleine Gewölle im Käfig. Daß er bei Tage nicht blos gut, ſondern auch<lb/>ſcharf in die Ferne ſieht, hat er uns wiederholt bewieſen. Die Waſſervögel am Teich, auf welchen er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[686/0726]
Die Fänger. Sperrvögel. Schwalme.
Geſchäft der Brut; das Männchen brütet gewöhnlich Nachts, das Weibchen bei Tage. Erſteres
ſorgt allein für die ausgebrütete Familie. Jſt das Neſt den Sonnenſtrahlen zu ſehr ausgeſetzt und
ſind die Jungen ſo groß, daß die Mutter ſie nicht mehr bedecken kann, ſo werden ſie von den Alten
aufgenommen und in eine Baumhöhle gebracht. Dieſe Sorgfalt iſt aus dem Grunde bemerkenswerth,
weil die Alten ſich auf ihren Schlafplätzen den Einwirkungen des Wetters rückſichtslos preisgeben.
Anfangs November verlaſſen die Jungen das Neſt; ſie bleiben aber wahrſcheinlich noch längere Zeit
in Geſellſchaft ihrer Eltern.
Bei fühlbarer Kälte trifft man zuweilen einzelne freilebende Schwalme über acht Tage lang auf
ein und demſelben Aſte an, ſo ruhig und unbeweglich, als ob ſie im Winterſchlafe lägen. Sie
erwachen dann höchſtens, wenn man ſie anrührt. Dies iſt von Gould beobachtet und von
Verreaux beſtätigt worden. „Obgleich ich nicht vollſtändige Gewißheit darüber habe‟, ſagt der
Erſtgenannte, „daß dieſer Vogel in gewiſſen Abſchnitten des Jahres eine Art von Winterſchlaf hält,
ſo kann ich doch eine Beobachtung nicht verſchweigen, welche ich gemacht habe, die nämlich, daß ſie ſich
manchmal zurückziehen und längere Zeit in Baumhöhlen verbleiben. Meine Annahme erklärt es
auch, daß einzelne Schwalme, welche ich erhielt, ganz außerordentlich fett waren, ſo ſehr, daß mich
Dies von dem Aufbewahren ihrer Bälge abhielt. Jch ſehe keinen Grund ein, warum nicht auch ein
Vogel einen Theil ſeines Lebens im Winterſchlafe zubringen ſoll, wie ſo viele Arten von Säugethieren
thun, obgleich ſie höher ſtehende Thiere ſind, als jene.‟ Nach meinem Dafürhalten darf man
die Anſicht des berühmten Forſchers nicht ohne Weiteres zu der ſeinigen machen; denn das Zurück-
ziehen und der höhere Grad von Schlafſucht, welchen die Schwalme zeigen, beweiſt noch gar Nichts bei
Vögeln, welche, wie bemerkt, ſich nicht einmal durch einen unmittelbar vor ihnen abgefeuerten Schuß
aus ihrem ſchlaftrunkenen Zuſtande erwecken laſſen.
Jung aus dem Neſte genommene Schwalme werden, wie Verreaux angibt, bald zahm. Sie
lernen ihren Gebieter kennen, ſetzen ſich auf ſeinen Kopf, kriechen in ſein Bett, jagen auch wohl
andere Thiere aus demſelben. Nach einiger Zeit ändern ſie ihr Weſen in ſoweit, daß ſie auch bei
Tage freſſen.
Jn der Neuzeit ſind mehrere dieſer Gefangenen nach Europa gebracht worden. Der erſte
lebende Schwalm kam im Jahre 1862 nach London, ein zweiter im Jahre 1863 nach Amſterdam;
einen dritten hat der hamburger Thiergarten im Juli dieſes Jahres (1865) erhalten. Den letzteren
habe ich ſeitdem beobachten können; er hat mir jedoch zu bemerkenswerthen Wahrnehmungen wenig
Gelegenheit gegeben. Er iſt ein ſehr ruhiger und ſtiller Vogel. Bei Tage ſitzt er regungslos auf ein
und derſelben Stelle in der von Gould beſchriebenen Haltung; ſo tief, wie genannter Forſcher
behauptet, ſchläft er aber nicht: er läßt ſich ſchon durch Anrufen ermuntern, und wenn ſein Pfleger
ſich an ihn wendet, iſt er ſogleich bei der Hand. Anfangs vernahmen wir von ihm bei Tage nur ein
leiſes Brummen, einem langgezogenen „Humm‟ etwa vergleichbar; wir vermutheten, daß dieſer
ſonderbare Laut ſein Lockruf ſei und verſuchten durch Nachahmung deſſelben ſeine Aufmerkſamkeit auf
uns zu ziehen. Der Erfolg übertraf unſere Erwartungen; denn der Schwalm rührte ſich nicht nur
nach dem Anrufe, ſondern antwortete auch ſofort und zwar regelmäßig, ſo oft wir unſeren Verſuch
wiederholten. Hielt man ihm dann eine Maus oder einen kleinen Vogel vor, ſo bewegte er ſich
wiegend hin und her, brummte lebhafter, richtete die weitgeöffneten Augen ſtarr auf den leckeren
Biſſen und flog ſchließlich auch von ſeiner Stange herunter, um dieſen in Empfang zu nehmen.
Fette Maden, welche wir ihm zuweilen reichten, wurden von ihm nicht blos aufgeleſen, ſondern auch
aus dem Sande hervorgezogen. Er verſchlingt ſeine Beute ganz und iſt fähig, eine große Maus oder
einen feiſten Sperling, von dem die Flügel entfernt ſind, hinabzuwürgen. Letzteres geſchieht ſehr
langſam: von einer verſchlungenen Maus z. B. ragt die Schwanzſpitze oft eine halbe Stunde lang
aus ſeinem Schnabel hervor, bevor ſie verſchwindet. Seine Verdauung iſt vortrefflich; man findet
deshalb auch nur ſelten kleine Gewölle im Käfig. Daß er bei Tage nicht blos gut, ſondern auch
ſcharf in die Ferne ſieht, hat er uns wiederholt bewieſen. Die Waſſervögel am Teich, auf welchen er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/726>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.