Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Riesenschwalm.
auf einem Zweige, den Leib fest auf seinen Sitz gedrückt, den Hals zusammengezogen, den Kopf
zwischen den Schulterfedern versteckt und so bewegungslos, daß er mehr einem Astknorren, als einem
Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er sich immer der Quere und nicht der Länge
nach setzt. Er ist aber so still und seine düstere Färbung stimmt so genau überein mit der Rinden-
farbe und Zeichnung, daß schon eine gewisse Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage
zu entdecken, obgleich sich dieser gewöhnlich gar nicht versteckt, sondern auf Aesten niederläßt, welche
zweiglos sind."

Der Schlaf des Riesenschwalms ist so tief, daß man einen der Gatten vom Baume herabschießen
kann, ohne daß der andere dicht daneben sitzende sich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer
werfen oder mit Stöcken nach ihm schlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im
Stande ist, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzuscheuchen, so entwickelt er
kaum soviel Thatkraft, daß er sich vor dem Herabfallen auf den Boden schützt. Er flattert scheinbar
bewußtlos den nächsten Zweigen zu, klammert sich dort fest und fällt sofort wieder in Schlaf. Dies
ist die Regel; doch kommt es ausnahmsweise vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke
durchfliegt.

Ganz anders zeigt sich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung
erwacht er aus seinem Schlafe, und nachdem er sich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und
geglättet hat, beginnt er umherzuschweifen. Nunmehr ist er das gerade Gegentheil von Dem, was er
über Tags war. Er ist lebendig, munter, thätig, rasch und gewandt in allen seinen Bewegungen,
fliegt auf und nieder und ist emsig bemüht, Beute zu machen. Rasch rennt er auf den Zweigen dahin
und nimmt hier die Heuschrecken und Cicaden auf, welche sich zum Schlummer niedergesetzt; nach
Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vorschein zu
bringen; ja er schlüpft wohl selbst in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung suchend.
Man kann nicht eben behaupten, daß er ein besonders guter Flieger sei -- sein Flug ist vielmehr kurz
und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten lassen: ungeschickt ist er aber
durchaus nicht, denn er fliegt spielend zu seinem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender
Nacht endigt dieses Vergnügen. Dann bewegt sich der Vogel höchstens noch im Gezweig der Bäume,
hier alles durchschnüffelnd. Gould meint, daß die Riesenschwalme nur Kerbthiere fräßen, Verreaur
hingegen versichert, daß sie auch anderer Beute nachstreben. Während des Winters ziehen sie sich die
versteckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen diese Nahrung, so
begeben sie sich nach den Morästen, um dort Schnecken und andere kleine Wasserthiere zu suchen.
Während der Brutzeit rauben sie junge Vögel, tödten sie, wenn sie ihnen zu groß sind, nach Art der
Baumeisvögel, indem sie dieselben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den Ast schlagen;
dann schlucken sie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, so lange es dämmert; bei
dunkler Nacht sitzen sie ruhig auf ein und demselben Aste. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber
jagen sie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun.

Die Stimme des Männchens ist laut und unangenehm, Dem, welcher sie zum erstenmale hört,
überraschend. Sie soll, nach Verreaux, dem Ruksen der Tauben ähneln. Am lautesten und
eifrigsten schreien die Schwalme selbstverständlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das
Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, entspinnt sich ein heftiger Kampf,
bis Einer unbestrittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und August. Die
Paarung selbst geschieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Geschlechter dicht neben einander
sitzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Nest wird
aus feinen Zweigen zusammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es ist ein
erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich
steht es sehr niedrig, etwa fünf bis sechs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Baumastes, sodaß
es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier sieht
man von unten, wie die mancher Tauben, durchschimmern. Beide Geschlechter theilen sich in das

Rieſenſchwalm.
auf einem Zweige, den Leib feſt auf ſeinen Sitz gedrückt, den Hals zuſammengezogen, den Kopf
zwiſchen den Schulterfedern verſteckt und ſo bewegungslos, daß er mehr einem Aſtknorren, als einem
Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er ſich immer der Quere und nicht der Länge
nach ſetzt. Er iſt aber ſo ſtill und ſeine düſtere Färbung ſtimmt ſo genau überein mit der Rinden-
farbe und Zeichnung, daß ſchon eine gewiſſe Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage
zu entdecken, obgleich ſich dieſer gewöhnlich gar nicht verſteckt, ſondern auf Aeſten niederläßt, welche
zweiglos ſind.‟

Der Schlaf des Rieſenſchwalms iſt ſo tief, daß man einen der Gatten vom Baume herabſchießen
kann, ohne daß der andere dicht daneben ſitzende ſich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer
werfen oder mit Stöcken nach ihm ſchlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im
Stande iſt, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzuſcheuchen, ſo entwickelt er
kaum ſoviel Thatkraft, daß er ſich vor dem Herabfallen auf den Boden ſchützt. Er flattert ſcheinbar
bewußtlos den nächſten Zweigen zu, klammert ſich dort feſt und fällt ſofort wieder in Schlaf. Dies
iſt die Regel; doch kommt es ausnahmsweiſe vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke
durchfliegt.

Ganz anders zeigt ſich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung
erwacht er aus ſeinem Schlafe, und nachdem er ſich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und
geglättet hat, beginnt er umherzuſchweifen. Nunmehr iſt er das gerade Gegentheil von Dem, was er
über Tags war. Er iſt lebendig, munter, thätig, raſch und gewandt in allen ſeinen Bewegungen,
fliegt auf und nieder und iſt emſig bemüht, Beute zu machen. Raſch rennt er auf den Zweigen dahin
und nimmt hier die Heuſchrecken und Cicaden auf, welche ſich zum Schlummer niedergeſetzt; nach
Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vorſchein zu
bringen; ja er ſchlüpft wohl ſelbſt in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung ſuchend.
Man kann nicht eben behaupten, daß er ein beſonders guter Flieger ſei — ſein Flug iſt vielmehr kurz
und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten laſſen: ungeſchickt iſt er aber
durchaus nicht, denn er fliegt ſpielend zu ſeinem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender
Nacht endigt dieſes Vergnügen. Dann bewegt ſich der Vogel höchſtens noch im Gezweig der Bäume,
hier alles durchſchnüffelnd. Gould meint, daß die Rieſenſchwalme nur Kerbthiere fräßen, Verreaur
hingegen verſichert, daß ſie auch anderer Beute nachſtreben. Während des Winters ziehen ſie ſich die
verſteckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen dieſe Nahrung, ſo
begeben ſie ſich nach den Moräſten, um dort Schnecken und andere kleine Waſſerthiere zu ſuchen.
Während der Brutzeit rauben ſie junge Vögel, tödten ſie, wenn ſie ihnen zu groß ſind, nach Art der
Baumeisvögel, indem ſie dieſelben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den Aſt ſchlagen;
dann ſchlucken ſie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, ſo lange es dämmert; bei
dunkler Nacht ſitzen ſie ruhig auf ein und demſelben Aſte. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber
jagen ſie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun.

Die Stimme des Männchens iſt laut und unangenehm, Dem, welcher ſie zum erſtenmale hört,
überraſchend. Sie ſoll, nach Verreaux, dem Rukſen der Tauben ähneln. Am lauteſten und
eifrigſten ſchreien die Schwalme ſelbſtverſtändlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das
Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, entſpinnt ſich ein heftiger Kampf,
bis Einer unbeſtrittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und Auguſt. Die
Paarung ſelbſt geſchieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Geſchlechter dicht neben einander
ſitzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Neſt wird
aus feinen Zweigen zuſammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es iſt ein
erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich
ſteht es ſehr niedrig, etwa fünf bis ſechs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Baumaſtes, ſodaß
es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier ſieht
man von unten, wie die mancher Tauben, durchſchimmern. Beide Geſchlechter theilen ſich in das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0725" n="685"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Rie&#x017F;en&#x017F;chwalm.</hi></fw><lb/>
auf einem Zweige, den Leib fe&#x017F;t auf &#x017F;einen Sitz gedrückt, den Hals zu&#x017F;ammengezogen, den Kopf<lb/>
zwi&#x017F;chen den Schulterfedern ver&#x017F;teckt und &#x017F;o bewegungslos, daß er mehr einem A&#x017F;tknorren, als einem<lb/>
Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er &#x017F;ich immer der Quere und nicht der Länge<lb/>
nach &#x017F;etzt. Er i&#x017F;t aber &#x017F;o &#x017F;till und &#x017F;eine dü&#x017F;tere Färbung &#x017F;timmt &#x017F;o genau überein mit der Rinden-<lb/>
farbe und Zeichnung, daß &#x017F;chon eine gewi&#x017F;&#x017F;e Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage<lb/>
zu entdecken, obgleich &#x017F;ich die&#x017F;er gewöhnlich gar nicht ver&#x017F;teckt, &#x017F;ondern auf Ae&#x017F;ten niederläßt, welche<lb/>
zweiglos &#x017F;ind.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Der Schlaf des Rie&#x017F;en&#x017F;chwalms i&#x017F;t &#x017F;o tief, daß man einen der Gatten vom Baume herab&#x017F;chießen<lb/>
kann, ohne daß der andere dicht daneben &#x017F;itzende &#x017F;ich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer<lb/>
werfen oder mit Stöcken nach ihm &#x017F;chlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im<lb/>
Stande i&#x017F;t, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzu&#x017F;cheuchen, &#x017F;o entwickelt er<lb/>
kaum &#x017F;oviel Thatkraft, daß er &#x017F;ich vor dem Herabfallen auf den Boden &#x017F;chützt. Er flattert &#x017F;cheinbar<lb/>
bewußtlos den näch&#x017F;ten Zweigen zu, klammert &#x017F;ich dort fe&#x017F;t und fällt &#x017F;ofort wieder in Schlaf. Dies<lb/>
i&#x017F;t die Regel; doch kommt es ausnahmswei&#x017F;e vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke<lb/>
durchfliegt.</p><lb/>
          <p>Ganz anders zeigt &#x017F;ich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung<lb/>
erwacht er aus &#x017F;einem Schlafe, und nachdem er &#x017F;ich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und<lb/>
geglättet hat, beginnt er umherzu&#x017F;chweifen. Nunmehr i&#x017F;t er das gerade Gegentheil von Dem, was er<lb/>
über Tags war. Er i&#x017F;t lebendig, munter, thätig, ra&#x017F;ch und gewandt in allen &#x017F;einen Bewegungen,<lb/>
fliegt auf und nieder und i&#x017F;t em&#x017F;ig bemüht, Beute zu machen. Ra&#x017F;ch rennt er auf den Zweigen dahin<lb/>
und nimmt hier die Heu&#x017F;chrecken und Cicaden auf, welche &#x017F;ich zum Schlummer niederge&#x017F;etzt; nach<lb/>
Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vor&#x017F;chein zu<lb/>
bringen; ja er &#x017F;chlüpft wohl &#x017F;elb&#x017F;t in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung &#x017F;uchend.<lb/>
Man kann nicht eben behaupten, daß er ein be&#x017F;onders guter Flieger &#x017F;ei &#x2014; &#x017F;ein Flug i&#x017F;t vielmehr kurz<lb/>
und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten la&#x017F;&#x017F;en: unge&#x017F;chickt i&#x017F;t er aber<lb/>
durchaus nicht, denn er fliegt &#x017F;pielend zu &#x017F;einem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender<lb/>
Nacht endigt die&#x017F;es Vergnügen. Dann bewegt &#x017F;ich der Vogel höch&#x017F;tens noch im Gezweig der Bäume,<lb/>
hier alles durch&#x017F;chnüffelnd. <hi rendition="#g">Gould</hi> meint, daß die Rie&#x017F;en&#x017F;chwalme nur Kerbthiere fräßen, <hi rendition="#g">Verreaur</hi><lb/>
hingegen ver&#x017F;ichert, daß &#x017F;ie auch anderer Beute nach&#x017F;treben. Während des Winters ziehen &#x017F;ie &#x017F;ich die<lb/>
ver&#x017F;teckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen die&#x017F;e Nahrung, &#x017F;o<lb/>
begeben &#x017F;ie &#x017F;ich nach den Morä&#x017F;ten, um dort Schnecken und andere kleine Wa&#x017F;&#x017F;erthiere zu &#x017F;uchen.<lb/>
Während der Brutzeit rauben &#x017F;ie junge Vögel, tödten &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie ihnen zu groß &#x017F;ind, nach Art der<lb/><hi rendition="#g">Baumeisvögel,</hi> indem &#x017F;ie die&#x017F;elben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den A&#x017F;t &#x017F;chlagen;<lb/>
dann &#x017F;chlucken &#x017F;ie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, &#x017F;o lange es dämmert; bei<lb/>
dunkler Nacht &#x017F;itzen &#x017F;ie ruhig auf ein und dem&#x017F;elben A&#x017F;te. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber<lb/>
jagen &#x017F;ie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun.</p><lb/>
          <p>Die Stimme des Männchens i&#x017F;t laut und unangenehm, Dem, welcher &#x017F;ie zum er&#x017F;tenmale hört,<lb/>
überra&#x017F;chend. Sie &#x017F;oll, nach <hi rendition="#g">Verreaux,</hi> dem Ruk&#x017F;en der Tauben ähneln. Am laute&#x017F;ten und<lb/>
eifrig&#x017F;ten &#x017F;chreien die Schwalme &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das<lb/>
Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, ent&#x017F;pinnt &#x017F;ich ein heftiger Kampf,<lb/>
bis Einer unbe&#x017F;trittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und Augu&#x017F;t. Die<lb/>
Paarung &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Ge&#x017F;chlechter dicht neben einander<lb/>
&#x017F;itzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Ne&#x017F;t wird<lb/>
aus feinen Zweigen zu&#x017F;ammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es i&#x017F;t ein<lb/>
erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich<lb/>
&#x017F;teht es &#x017F;ehr niedrig, etwa fünf bis &#x017F;echs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Bauma&#x017F;tes, &#x017F;odaß<lb/>
es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier &#x017F;ieht<lb/>
man von unten, wie die mancher Tauben, durch&#x017F;chimmern. Beide Ge&#x017F;chlechter theilen &#x017F;ich in das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[685/0725] Rieſenſchwalm. auf einem Zweige, den Leib feſt auf ſeinen Sitz gedrückt, den Hals zuſammengezogen, den Kopf zwiſchen den Schulterfedern verſteckt und ſo bewegungslos, daß er mehr einem Aſtknorren, als einem Vogel gleicht. Jch muß ausdrücklich hervorheben, daß er ſich immer der Quere und nicht der Länge nach ſetzt. Er iſt aber ſo ſtill und ſeine düſtere Färbung ſtimmt ſo genau überein mit der Rinden- farbe und Zeichnung, daß ſchon eine gewiſſe Uebung dazu gehört, den großen Vogel bei hellem Tage zu entdecken, obgleich ſich dieſer gewöhnlich gar nicht verſteckt, ſondern auf Aeſten niederläßt, welche zweiglos ſind.‟ Der Schlaf des Rieſenſchwalms iſt ſo tief, daß man einen der Gatten vom Baume herabſchießen kann, ohne daß der andere dicht daneben ſitzende ſich rührt, daß man mit Steinen nach dem Schläfer werfen oder mit Stöcken nach ihm ſchlagen mag, ohne ihn zum Fortfliegen zu bewegen, daß man im Stande iſt, ihn mit der Hand zu ergreifen. Gelingt es wirklich, ihn aufzuſcheuchen, ſo entwickelt er kaum ſoviel Thatkraft, daß er ſich vor dem Herabfallen auf den Boden ſchützt. Er flattert ſcheinbar bewußtlos den nächſten Zweigen zu, klammert ſich dort feſt und fällt ſofort wieder in Schlaf. Dies iſt die Regel; doch kommt es ausnahmsweiſe vor, daß ein Schwalm auch bei Tage eine kleine Strecke durchfliegt. Ganz anders zeigt ſich der Vogel, wenn die Nacht hereinbricht. Mit Beginn der Dämmerung erwacht er aus ſeinem Schlafe, und nachdem er ſich gereckt und gedehnt, die Federn geordnet und geglättet hat, beginnt er umherzuſchweifen. Nunmehr iſt er das gerade Gegentheil von Dem, was er über Tags war. Er iſt lebendig, munter, thätig, raſch und gewandt in allen ſeinen Bewegungen, fliegt auf und nieder und iſt emſig bemüht, Beute zu machen. Raſch rennt er auf den Zweigen dahin und nimmt hier die Heuſchrecken und Cicaden auf, welche ſich zum Schlummer niedergeſetzt; nach Spechtesart hämmert er mit dem Schnabel an der Rinde, um die dort verborgenen zum Vorſchein zu bringen; ja er ſchlüpft wohl ſelbſt in das Jnnere der Baumhöhlungen, auch hier nach Nahrung ſuchend. Man kann nicht eben behaupten, daß er ein beſonders guter Flieger ſei — ſein Flug iſt vielmehr kurz und abgebrochen, wie es die verhältnißmäßig kurzen Schwingen erwarten laſſen: ungeſchickt iſt er aber durchaus nicht, denn er fliegt ſpielend zu ſeinem Vergnügen von Baum zu Baum. Mit einfallender Nacht endigt dieſes Vergnügen. Dann bewegt ſich der Vogel höchſtens noch im Gezweig der Bäume, hier alles durchſchnüffelnd. Gould meint, daß die Rieſenſchwalme nur Kerbthiere fräßen, Verreaur hingegen verſichert, daß ſie auch anderer Beute nachſtreben. Während des Winters ziehen ſie ſich die verſteckten Kerfe aus den Ritzen und Spalten der Bäume hervor; mangelt ihnen dieſe Nahrung, ſo begeben ſie ſich nach den Moräſten, um dort Schnecken und andere kleine Waſſerthiere zu ſuchen. Während der Brutzeit rauben ſie junge Vögel, tödten ſie, wenn ſie ihnen zu groß ſind, nach Art der Baumeisvögel, indem ſie dieſelben mit dem Schnabel packen und wiederholt gegen den Aſt ſchlagen; dann ſchlucken ſie den Leichnam ganz hinunter. Jhre Jagd währt nur, ſo lange es dämmert; bei dunkler Nacht ſitzen ſie ruhig auf ein und demſelben Aſte. Einige Stunden vor Tagesanbruch aber jagen ſie zum zweiten Male, ganz, wie es die Ziegenmelker auch thun. Die Stimme des Männchens iſt laut und unangenehm, Dem, welcher ſie zum erſtenmale hört, überraſchend. Sie ſoll, nach Verreaux, dem Rukſen der Tauben ähneln. Am lauteſten und eifrigſten ſchreien die Schwalme ſelbſtverſtändlich während der Paarungszeit. Dann gibt ihr Ruf das Zeichen zum Streite. Sobald ein anderes Männchen herbeikommt, entſpinnt ſich ein heftiger Kampf, bis Einer unbeſtrittener Sieger bleibt. Die Paarungszeit fällt in den Juli und Auguſt. Die Paarung ſelbſt geſchieht in der Dämmerung; nach ihr bleiben beide Geſchlechter dicht neben einander ſitzen und verharren unbeweglich, bis ihre Jagd von neuem beginnt. Das kleine, flache Neſt wird aus feinen Zweigen zuſammengebaut und zwar von beiden Gatten eines Paares. Es iſt ein erbärmlicher Bau, welcher innen nur mit einigen Grashalmen und Federn belegt wird. Gewöhnlich ſteht es ſehr niedrig, etwa fünf bis ſechs Fuß über dem Boden in der Gabel eines Baumaſtes, ſodaß es bequem mit der Hand erreicht werden kann. Die zwei bis vier länglichen, reinweißen Eier ſieht man von unten, wie die mancher Tauben, durchſchimmern. Beide Geſchlechter theilen ſich in das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/725
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 685. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/725>, abgerufen am 01.06.2024.