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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Tageulen.
hat etwas Listiges, Verschmitztes, aber nichts Bösartiges, sondern immer etwas Einnehmendes. Wer
ihn kennt, begreift, daß die Griechen in ihm den Lieblingsvogel einer klugen Göttin sehen konnten.
Seine geistigen Fähigkeiten sind auch wirklich nicht gering; er darf wohl als eine der verständigsten
aller Eulen angesehen werden. Dabei ist er verträglich gegen andere seiner Art. Jm Süden
Europas oder in Nordafrika trifft man ihn oft gesellschaftsweise an, und unter solchen Gesellschaften
scheint die vollste Eintracht zu herrschen. Sie schlafen in ein und demselben Schlupfwinkel; sie fliegen
nachts gemeinschaftlich auf Nahrung aus; sie leben mit einem Worte im besten Einvernehmen.

Schon vor Sonnenuntergang läßt der Kauz seine Stimme erschallen. Mit einbrechender
Dämmerung beginnt er seine Jagd. Jn hellen Nächten sieht man ihn bis zum Morgen fast ununter-
brochen in Bewegung oder hört ihn wenigstens. Er durchstreift dabei ein kleines Gebiet, läßt sich
durch alles Auffallende herbeilocken, umschwebt namentlich gern das Lagerfeuer des einsamen Jägers
oder Wanderers oder kommt bei uns an die hell erleuchteten Fenster heran und erschreckt dann alte
Weiber auf das Entsetzlichste. Seine Jagd gilt hauptsächlich kleinen Säugethieren, Vögeln und
Kerbthieren. Er fängt Fleder-, Spitz- und wirkliche Mäuse, Lerchen, Sperlinge, Heuschrecken, Käfer
und dergleichen. Mäuse bleiben immer sein hauptsächlichstes Wild. Er braucht zu seiner Nahrung
wenigstens fünf bis sechs Stück von ihnen; nehmen wir aber mit Lenz an, daß er täglich nur vier
verschluckt, so macht das aufs Jahr 1460 Mäuse. Er muß also unbedingt zu unsern
nützlichsten Raubvögeln gezählt werden.

Jm April oder Mai schreitet der Kauz zur Fortpflanzung. Er ist dann besonders unruhig,
schreit und lärmt viel, auch bei Tage, und ladet Jeden, welcher es hören will, eifrig ein, mit ihm zu
kommen. Ein eigentliches Nest baut er nicht. Er erwählt sich eine passende Höhlung in Felswänden,
unter Steinen, in alten Gebäuden oder Bäumen und legt hier seine vier bis sieben fast rundlichen
Eier ohne Weiteres auf den Boden. Vierzehn bis sechszehn Tage lang brütet er dann so eifrig, daß
er sich kaum vom Neste vertreiben läßt. Naumann erwähnt, daß er ein brütendes Weibchen
streicheln und sogar ein Ei unter ihm hervorholen konnte, ohne daß es aufflog. Die Jungen werden
mit Mäusen, kleinen Vögeln und Kerbthieren groß gefüttert.

Nicht blos abergläubische Menschen, sondern auch viele Thiere sind dem Kauze feindlich gesinnt.
Der Habicht und der Sperber erwürgen ihn, wenn sie seiner habhaft werden können; das Wiesel
stellt seinen Eiern nach; Krähen, Elstern, Heher und alle kleinen Vögel verfolgen ihn mit argem
Geschrei. Hierauf gründet sich eine Art des Vogelfangs, welche namentlich in Jtalien stark betrieben
wird. Man stellt den Kauz aus und um ihn herum Leimruthen auf, auf welchen sich das kleine
Geflügel massenhaft fängt. "Um keinen Mangel an Käuzchen zu haben", erzählt Lenz, "sorgen die
Jtaliener für gute, dunkle Brutplätze unter den Dächern und für bequeme Eingänge dazu. Aus den
Nestern werden nur so viele Junge genommen und aufgezogen, als man fürs Haus oder zum Verkauf
für den Markt braucht; die übrigen werden in ungestörter Ruhe gelassen. Die zahmen Käuzchen
sind wirkliche Hausfreunde der Jtaliener, gehn oft frei in Haus, Hof und Garten mit beschnittenen
Flügeln herum, fangen überall Mäuse, werden besonders gern in gut umzäunte Gärten gesetzt, woselbst
sie die Erdschnecken und andres lästiges Ungeziefer vertilgen, ohne ihrerseits den geringsten Schaden
zu thun. Arbeitet nach dortiger Sitte ein Schuster, Schneider, Töpfer oder andrer Handwerker auf
der Straße, so hat er, wie ich oft gesehen, sehr gern seine Lieblinge, seine zwei bis vier Känzchen, neben
sich auf einem Stäbchen angefesselt und wechselt mit ihnen so oft als möglich zärtliche Blicke. Weil er
nicht immer Fleisch für diese artigen Vielfräße beischaffen kann, so gewöhnt er sie daran, bei dessen
Ermangelung mit Polenta vorlieb zu nehmen."



Die Fänger. Raubvögel. Tageulen.
hat etwas Liſtiges, Verſchmitztes, aber nichts Bösartiges, ſondern immer etwas Einnehmendes. Wer
ihn kennt, begreift, daß die Griechen in ihm den Lieblingsvogel einer klugen Göttin ſehen konnten.
Seine geiſtigen Fähigkeiten ſind auch wirklich nicht gering; er darf wohl als eine der verſtändigſten
aller Eulen angeſehen werden. Dabei iſt er verträglich gegen andere ſeiner Art. Jm Süden
Europas oder in Nordafrika trifft man ihn oft geſellſchaftsweiſe an, und unter ſolchen Geſellſchaften
ſcheint die vollſte Eintracht zu herrſchen. Sie ſchlafen in ein und demſelben Schlupfwinkel; ſie fliegen
nachts gemeinſchaftlich auf Nahrung aus; ſie leben mit einem Worte im beſten Einvernehmen.

Schon vor Sonnenuntergang läßt der Kauz ſeine Stimme erſchallen. Mit einbrechender
Dämmerung beginnt er ſeine Jagd. Jn hellen Nächten ſieht man ihn bis zum Morgen faſt ununter-
brochen in Bewegung oder hört ihn wenigſtens. Er durchſtreift dabei ein kleines Gebiet, läßt ſich
durch alles Auffallende herbeilocken, umſchwebt namentlich gern das Lagerfeuer des einſamen Jägers
oder Wanderers oder kommt bei uns an die hell erleuchteten Fenſter heran und erſchreckt dann alte
Weiber auf das Entſetzlichſte. Seine Jagd gilt hauptſächlich kleinen Säugethieren, Vögeln und
Kerbthieren. Er fängt Fleder-, Spitz- und wirkliche Mäuſe, Lerchen, Sperlinge, Heuſchrecken, Käfer
und dergleichen. Mäuſe bleiben immer ſein hauptſächlichſtes Wild. Er braucht zu ſeiner Nahrung
wenigſtens fünf bis ſechs Stück von ihnen; nehmen wir aber mit Lenz an, daß er täglich nur vier
verſchluckt, ſo macht das aufs Jahr 1460 Mäuſe. Er muß alſo unbedingt zu unſern
nützlichſten Raubvögeln gezählt werden.

Jm April oder Mai ſchreitet der Kauz zur Fortpflanzung. Er iſt dann beſonders unruhig,
ſchreit und lärmt viel, auch bei Tage, und ladet Jeden, welcher es hören will, eifrig ein, mit ihm zu
kommen. Ein eigentliches Neſt baut er nicht. Er erwählt ſich eine paſſende Höhlung in Felswänden,
unter Steinen, in alten Gebäuden oder Bäumen und legt hier ſeine vier bis ſieben faſt rundlichen
Eier ohne Weiteres auf den Boden. Vierzehn bis ſechszehn Tage lang brütet er dann ſo eifrig, daß
er ſich kaum vom Neſte vertreiben läßt. Naumann erwähnt, daß er ein brütendes Weibchen
ſtreicheln und ſogar ein Ei unter ihm hervorholen konnte, ohne daß es aufflog. Die Jungen werden
mit Mäuſen, kleinen Vögeln und Kerbthieren groß gefüttert.

Nicht blos abergläubiſche Menſchen, ſondern auch viele Thiere ſind dem Kauze feindlich geſinnt.
Der Habicht und der Sperber erwürgen ihn, wenn ſie ſeiner habhaft werden können; das Wieſel
ſtellt ſeinen Eiern nach; Krähen, Elſtern, Heher und alle kleinen Vögel verfolgen ihn mit argem
Geſchrei. Hierauf gründet ſich eine Art des Vogelfangs, welche namentlich in Jtalien ſtark betrieben
wird. Man ſtellt den Kauz aus und um ihn herum Leimruthen auf, auf welchen ſich das kleine
Geflügel maſſenhaft fängt. „Um keinen Mangel an Käuzchen zu haben‟, erzählt Lenz, „ſorgen die
Jtaliener für gute, dunkle Brutplätze unter den Dächern und für bequeme Eingänge dazu. Aus den
Neſtern werden nur ſo viele Junge genommen und aufgezogen, als man fürs Haus oder zum Verkauf
für den Markt braucht; die übrigen werden in ungeſtörter Ruhe gelaſſen. Die zahmen Käuzchen
ſind wirkliche Hausfreunde der Jtaliener, gehn oft frei in Haus, Hof und Garten mit beſchnittenen
Flügeln herum, fangen überall Mäuſe, werden beſonders gern in gut umzäunte Gärten geſetzt, woſelbſt
ſie die Erdſchnecken und andres läſtiges Ungeziefer vertilgen, ohne ihrerſeits den geringſten Schaden
zu thun. Arbeitet nach dortiger Sitte ein Schuſter, Schneider, Töpfer oder andrer Handwerker auf
der Straße, ſo hat er, wie ich oft geſehen, ſehr gern ſeine Lieblinge, ſeine zwei bis vier Känzchen, neben
ſich auf einem Stäbchen angefeſſelt und wechſelt mit ihnen ſo oft als möglich zärtliche Blicke. Weil er
nicht immer Fleiſch für dieſe artigen Vielfräße beiſchaffen kann, ſo gewöhnt er ſie daran, bei deſſen
Ermangelung mit Polenta vorlieb zu nehmen.‟



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[600/0634] Die Fänger. Raubvögel. Tageulen. hat etwas Liſtiges, Verſchmitztes, aber nichts Bösartiges, ſondern immer etwas Einnehmendes. Wer ihn kennt, begreift, daß die Griechen in ihm den Lieblingsvogel einer klugen Göttin ſehen konnten. Seine geiſtigen Fähigkeiten ſind auch wirklich nicht gering; er darf wohl als eine der verſtändigſten aller Eulen angeſehen werden. Dabei iſt er verträglich gegen andere ſeiner Art. Jm Süden Europas oder in Nordafrika trifft man ihn oft geſellſchaftsweiſe an, und unter ſolchen Geſellſchaften ſcheint die vollſte Eintracht zu herrſchen. Sie ſchlafen in ein und demſelben Schlupfwinkel; ſie fliegen nachts gemeinſchaftlich auf Nahrung aus; ſie leben mit einem Worte im beſten Einvernehmen. Schon vor Sonnenuntergang läßt der Kauz ſeine Stimme erſchallen. Mit einbrechender Dämmerung beginnt er ſeine Jagd. Jn hellen Nächten ſieht man ihn bis zum Morgen faſt ununter- brochen in Bewegung oder hört ihn wenigſtens. Er durchſtreift dabei ein kleines Gebiet, läßt ſich durch alles Auffallende herbeilocken, umſchwebt namentlich gern das Lagerfeuer des einſamen Jägers oder Wanderers oder kommt bei uns an die hell erleuchteten Fenſter heran und erſchreckt dann alte Weiber auf das Entſetzlichſte. Seine Jagd gilt hauptſächlich kleinen Säugethieren, Vögeln und Kerbthieren. Er fängt Fleder-, Spitz- und wirkliche Mäuſe, Lerchen, Sperlinge, Heuſchrecken, Käfer und dergleichen. Mäuſe bleiben immer ſein hauptſächlichſtes Wild. Er braucht zu ſeiner Nahrung wenigſtens fünf bis ſechs Stück von ihnen; nehmen wir aber mit Lenz an, daß er täglich nur vier verſchluckt, ſo macht das aufs Jahr 1460 Mäuſe. Er muß alſo unbedingt zu unſern nützlichſten Raubvögeln gezählt werden. Jm April oder Mai ſchreitet der Kauz zur Fortpflanzung. Er iſt dann beſonders unruhig, ſchreit und lärmt viel, auch bei Tage, und ladet Jeden, welcher es hören will, eifrig ein, mit ihm zu kommen. Ein eigentliches Neſt baut er nicht. Er erwählt ſich eine paſſende Höhlung in Felswänden, unter Steinen, in alten Gebäuden oder Bäumen und legt hier ſeine vier bis ſieben faſt rundlichen Eier ohne Weiteres auf den Boden. Vierzehn bis ſechszehn Tage lang brütet er dann ſo eifrig, daß er ſich kaum vom Neſte vertreiben läßt. Naumann erwähnt, daß er ein brütendes Weibchen ſtreicheln und ſogar ein Ei unter ihm hervorholen konnte, ohne daß es aufflog. Die Jungen werden mit Mäuſen, kleinen Vögeln und Kerbthieren groß gefüttert. Nicht blos abergläubiſche Menſchen, ſondern auch viele Thiere ſind dem Kauze feindlich geſinnt. Der Habicht und der Sperber erwürgen ihn, wenn ſie ſeiner habhaft werden können; das Wieſel ſtellt ſeinen Eiern nach; Krähen, Elſtern, Heher und alle kleinen Vögel verfolgen ihn mit argem Geſchrei. Hierauf gründet ſich eine Art des Vogelfangs, welche namentlich in Jtalien ſtark betrieben wird. Man ſtellt den Kauz aus und um ihn herum Leimruthen auf, auf welchen ſich das kleine Geflügel maſſenhaft fängt. „Um keinen Mangel an Käuzchen zu haben‟, erzählt Lenz, „ſorgen die Jtaliener für gute, dunkle Brutplätze unter den Dächern und für bequeme Eingänge dazu. Aus den Neſtern werden nur ſo viele Junge genommen und aufgezogen, als man fürs Haus oder zum Verkauf für den Markt braucht; die übrigen werden in ungeſtörter Ruhe gelaſſen. Die zahmen Käuzchen ſind wirkliche Hausfreunde der Jtaliener, gehn oft frei in Haus, Hof und Garten mit beſchnittenen Flügeln herum, fangen überall Mäuſe, werden beſonders gern in gut umzäunte Gärten geſetzt, woſelbſt ſie die Erdſchnecken und andres läſtiges Ungeziefer vertilgen, ohne ihrerſeits den geringſten Schaden zu thun. Arbeitet nach dortiger Sitte ein Schuſter, Schneider, Töpfer oder andrer Handwerker auf der Straße, ſo hat er, wie ich oft geſehen, ſehr gern ſeine Lieblinge, ſeine zwei bis vier Känzchen, neben ſich auf einem Stäbchen angefeſſelt und wechſelt mit ihnen ſo oft als möglich zärtliche Blicke. Weil er nicht immer Fleiſch für dieſe artigen Vielfräße beiſchaffen kann, ſo gewöhnt er ſie daran, bei deſſen Ermangelung mit Polenta vorlieb zu nehmen.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/634>, abgerufen am 22.11.2024.