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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Schneeeule.
großer Verwandten: ihr Flug ähnelt dem langsamer Tagraubvögel. Einige Beobachter sagen, daß
sie schnell und rauschend flöge, fähig wäre, jähe Wendungen auszuführen und große Ausdauer zeige.
An Kühnheit oder Dreistigkeit scheint sie alle übrigen Eulen zu überbieten: Verwundete fliegen
sogar auf den Jäger los, mit der unverkennbaren Absicht, sich für die erlittene Unbill zu rächen.
Hunde greift sie nach Schrader's Beobachtung mit großem Ungestüm an: sie sticht auf sie herab, wie
ein Falk.

Jn Europa sind es hauptsächlich die Lemminge, welche das Wildpret der Schneeeule bilden.
Sie folgt nach Wallengren's Angabe den Lemmingszügen durch das ganze Land und horstet auch
nur in Gegenden, wo diese Wühlmaus gemein ist. Wenn die Lemminge im hohen Norden an einer
Stelle häufig sind, darf man sicher darauf rechnen, die Schneeeule zu finden. Man sieht dann
zuweilen Trupps von acht bis zehn Stück von ihr, die meisten nach Art des Bussards lange Zeit
auf einer erhabenen Stelle sitzend, ohne sich zu rühren, bis ein unvorsichtiger Lemming die Raublust
seines schlimmen Feindes erregt und ihn zum Auffliegen bringt. Jn Ermangelung der Lemminge
frißt sie Eichhörnchen und Biberratten; in den kahlen Hochsteppen Transbeikaliens sind nach
Radde's Mittheilung Pfeifhasen ihr gewöhnliches Wild. Sie hält sich meist an vor dem
Wind geschützten Seiten der Murmelthierbaue auf und lauert hier auf die Pfeifhasen, welche
bei ihrem Heuschober leicht zu überraschen sind. Jm Laufe des Winters mästet sie sich dermaßen mit
solchen Thieren, daß sie oft eine fingerdicke Fettlage auf der Brust trägt. Der schwedische Name
Haarsang, welcher soviel als Hasenfänger bedeutet, weist darauf hin, daß sie auch an stärkere
Säugethiere sich wagt. Das Schneehuhn verfolgt sie mit Leidenschaft; sie nimmt angeschossene
zuweilen sogar vor den Augen des Jägers weg. Blakeston erfuhr von einem Angestellten der
Pelzkompagnie, daß eine Schneeeule dem Jäger das eben geschossene, aber nicht getödtete Schneehuhn
aus dem Jagdsack herausnahm, welchen der Mann auf dem Rücken trug. Waldhühner, Enten
und Wildtauben sind durchaus nicht vor ihr gesichert; sie fängt dieselben sogar im Flug, indem sie
hinter ihnen hereilt und wie ein Wanderfalk auf sie herabstößt. Eine höchst merkwürdige
Beobachtung machte Audubon: er lernte die Schneeeule als Fischerin kennen. "Eines Morgens",
erzählt er, "lag ich in der Nähe der Ohiofälle auf dem Anstande, um wilde Gänse zu schießen, und
dabei hatte ich Gelegenheit, zu sehen, wie die Schneeeule Fische fängt. Sie lag lauernd der Länge
nach platt auf dem Felsen, den niedergedrückten Kopf nach dem Wasser gekehrt, so ruhig, daß man
hätte glauben können, sie schliefe. Jn dem Augenblicke aber, als sich ein Fisch unvorsichtig zur Ober-
fläche des Wassers erhoben, tauchte die Eule blitzschnell ihren Fuß in die Wellen und zog regelmäßig
den glücklich erfaßten Fisch ans Land. Mit ihm entfernte sie sich sodann einige Ellen weit, verzehrte
ihn und kehrte nun nach der alten Warte zurück. Hatte sie einen größeren Fisch erlangt, so packte sie
ihn mit beiden Füßen und flog dann weiter mit ihm als sonst davon. Zuweilen vereinigten sich ihrer
zwei zum Verzehren der Mahlzeit, gewöhnlich wenn der von einer gefangene Fisch groß war. Bald
nach Sonnenaufgang flog die Eule in den Wald, am nächsten Morgen aber erschien sie wieder und
wurde von mir auf einen Schuß erlegt."

Während des Winters soll die Schneeeule mehr am Abend jagen, als am Tage und zwar nicht
blos in mondhellen, sondern auch in dunkeln Nächten. Dabei fliegt sie dann jedem Gegenstand zu,
welchen sie in der Luft schweben sieht. "Jch brachte", erzählt Holboell, "einmal eine solche Eule
dahin, mir fast eine Viertelmeile weit im Mondschein zu folgen, indem ich meine Mütze wiederholt in
die Luft warf."

Die Stimme soll ein rauhes "Krah" sein, welches an den bekannten Ruf der Krähe erinnert;
die Eule soll dabei auch dieselbe Stellung annehmen wie eine schreiende Raben- oder Nebelkrähe.
Bei dem Neste schreit das Weibchen nach Nilson's Angaben wie "Rickrick, rickrick".

Die Fortpflanzung fällt in den Hochsommer. Jm Juni findet man die Eier. Es ist sehr
auffallend, daß ein so großer Raubvogel, wie die Schneeeule es ist, so viele Eier legt. Man hat
wiederholt sieben Stück in einem Horste gefunden, und die Lappen behaupten sogar einstimmig, daß

Schneeeule.
großer Verwandten: ihr Flug ähnelt dem langſamer Tagraubvögel. Einige Beobachter ſagen, daß
ſie ſchnell und rauſchend flöge, fähig wäre, jähe Wendungen auszuführen und große Ausdauer zeige.
An Kühnheit oder Dreiſtigkeit ſcheint ſie alle übrigen Eulen zu überbieten: Verwundete fliegen
ſogar auf den Jäger los, mit der unverkennbaren Abſicht, ſich für die erlittene Unbill zu rächen.
Hunde greift ſie nach Schrader’s Beobachtung mit großem Ungeſtüm an: ſie ſticht auf ſie herab, wie
ein Falk.

Jn Europa ſind es hauptſächlich die Lemminge, welche das Wildpret der Schneeeule bilden.
Sie folgt nach Wallengren’s Angabe den Lemmingszügen durch das ganze Land und horſtet auch
nur in Gegenden, wo dieſe Wühlmaus gemein iſt. Wenn die Lemminge im hohen Norden an einer
Stelle häufig ſind, darf man ſicher darauf rechnen, die Schneeeule zu finden. Man ſieht dann
zuweilen Trupps von acht bis zehn Stück von ihr, die meiſten nach Art des Buſſards lange Zeit
auf einer erhabenen Stelle ſitzend, ohne ſich zu rühren, bis ein unvorſichtiger Lemming die Raubluſt
ſeines ſchlimmen Feindes erregt und ihn zum Auffliegen bringt. Jn Ermangelung der Lemminge
frißt ſie Eichhörnchen und Biberratten; in den kahlen Hochſteppen Transbeikaliens ſind nach
Radde’s Mittheilung Pfeifhaſen ihr gewöhnliches Wild. Sie hält ſich meiſt an vor dem
Wind geſchützten Seiten der Murmelthierbaue auf und lauert hier auf die Pfeifhaſen, welche
bei ihrem Heuſchober leicht zu überraſchen ſind. Jm Laufe des Winters mäſtet ſie ſich dermaßen mit
ſolchen Thieren, daß ſie oft eine fingerdicke Fettlage auf der Bruſt trägt. Der ſchwediſche Name
Haarſang, welcher ſoviel als Haſenfänger bedeutet, weiſt darauf hin, daß ſie auch an ſtärkere
Säugethiere ſich wagt. Das Schneehuhn verfolgt ſie mit Leidenſchaft; ſie nimmt angeſchoſſene
zuweilen ſogar vor den Augen des Jägers weg. Blakeſton erfuhr von einem Angeſtellten der
Pelzkompagnie, daß eine Schneeeule dem Jäger das eben geſchoſſene, aber nicht getödtete Schneehuhn
aus dem Jagdſack herausnahm, welchen der Mann auf dem Rücken trug. Waldhühner, Enten
und Wildtauben ſind durchaus nicht vor ihr geſichert; ſie fängt dieſelben ſogar im Flug, indem ſie
hinter ihnen hereilt und wie ein Wanderfalk auf ſie herabſtößt. Eine höchſt merkwürdige
Beobachtung machte Audubon: er lernte die Schneeeule als Fiſcherin kennen. „Eines Morgens‟,
erzählt er, „lag ich in der Nähe der Ohiofälle auf dem Anſtande, um wilde Gänſe zu ſchießen, und
dabei hatte ich Gelegenheit, zu ſehen, wie die Schneeeule Fiſche fängt. Sie lag lauernd der Länge
nach platt auf dem Felſen, den niedergedrückten Kopf nach dem Waſſer gekehrt, ſo ruhig, daß man
hätte glauben können, ſie ſchliefe. Jn dem Augenblicke aber, als ſich ein Fiſch unvorſichtig zur Ober-
fläche des Waſſers erhoben, tauchte die Eule blitzſchnell ihren Fuß in die Wellen und zog regelmäßig
den glücklich erfaßten Fiſch ans Land. Mit ihm entfernte ſie ſich ſodann einige Ellen weit, verzehrte
ihn und kehrte nun nach der alten Warte zurück. Hatte ſie einen größeren Fiſch erlangt, ſo packte ſie
ihn mit beiden Füßen und flog dann weiter mit ihm als ſonſt davon. Zuweilen vereinigten ſich ihrer
zwei zum Verzehren der Mahlzeit, gewöhnlich wenn der von einer gefangene Fiſch groß war. Bald
nach Sonnenaufgang flog die Eule in den Wald, am nächſten Morgen aber erſchien ſie wieder und
wurde von mir auf einen Schuß erlegt.‟

Während des Winters ſoll die Schneeeule mehr am Abend jagen, als am Tage und zwar nicht
blos in mondhellen, ſondern auch in dunkeln Nächten. Dabei fliegt ſie dann jedem Gegenſtand zu,
welchen ſie in der Luft ſchweben ſieht. „Jch brachte‟, erzählt Holboell, „einmal eine ſolche Eule
dahin, mir faſt eine Viertelmeile weit im Mondſchein zu folgen, indem ich meine Mütze wiederholt in
die Luft warf.‟

Die Stimme ſoll ein rauhes „Krah‟ ſein, welches an den bekannten Ruf der Krähe erinnert;
die Eule ſoll dabei auch dieſelbe Stellung annehmen wie eine ſchreiende Raben- oder Nebelkrähe.
Bei dem Neſte ſchreit das Weibchen nach Nilſon’s Angaben wie „Rickrick, rickrick‟.

Die Fortpflanzung fällt in den Hochſommer. Jm Juni findet man die Eier. Es iſt ſehr
auffallend, daß ein ſo großer Raubvogel, wie die Schneeeule es iſt, ſo viele Eier legt. Man hat
wiederholt ſieben Stück in einem Horſte gefunden, und die Lappen behaupten ſogar einſtimmig, daß

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[597/0631] Schneeeule. großer Verwandten: ihr Flug ähnelt dem langſamer Tagraubvögel. Einige Beobachter ſagen, daß ſie ſchnell und rauſchend flöge, fähig wäre, jähe Wendungen auszuführen und große Ausdauer zeige. An Kühnheit oder Dreiſtigkeit ſcheint ſie alle übrigen Eulen zu überbieten: Verwundete fliegen ſogar auf den Jäger los, mit der unverkennbaren Abſicht, ſich für die erlittene Unbill zu rächen. Hunde greift ſie nach Schrader’s Beobachtung mit großem Ungeſtüm an: ſie ſticht auf ſie herab, wie ein Falk. Jn Europa ſind es hauptſächlich die Lemminge, welche das Wildpret der Schneeeule bilden. Sie folgt nach Wallengren’s Angabe den Lemmingszügen durch das ganze Land und horſtet auch nur in Gegenden, wo dieſe Wühlmaus gemein iſt. Wenn die Lemminge im hohen Norden an einer Stelle häufig ſind, darf man ſicher darauf rechnen, die Schneeeule zu finden. Man ſieht dann zuweilen Trupps von acht bis zehn Stück von ihr, die meiſten nach Art des Buſſards lange Zeit auf einer erhabenen Stelle ſitzend, ohne ſich zu rühren, bis ein unvorſichtiger Lemming die Raubluſt ſeines ſchlimmen Feindes erregt und ihn zum Auffliegen bringt. Jn Ermangelung der Lemminge frißt ſie Eichhörnchen und Biberratten; in den kahlen Hochſteppen Transbeikaliens ſind nach Radde’s Mittheilung Pfeifhaſen ihr gewöhnliches Wild. Sie hält ſich meiſt an vor dem Wind geſchützten Seiten der Murmelthierbaue auf und lauert hier auf die Pfeifhaſen, welche bei ihrem Heuſchober leicht zu überraſchen ſind. Jm Laufe des Winters mäſtet ſie ſich dermaßen mit ſolchen Thieren, daß ſie oft eine fingerdicke Fettlage auf der Bruſt trägt. Der ſchwediſche Name Haarſang, welcher ſoviel als Haſenfänger bedeutet, weiſt darauf hin, daß ſie auch an ſtärkere Säugethiere ſich wagt. Das Schneehuhn verfolgt ſie mit Leidenſchaft; ſie nimmt angeſchoſſene zuweilen ſogar vor den Augen des Jägers weg. Blakeſton erfuhr von einem Angeſtellten der Pelzkompagnie, daß eine Schneeeule dem Jäger das eben geſchoſſene, aber nicht getödtete Schneehuhn aus dem Jagdſack herausnahm, welchen der Mann auf dem Rücken trug. Waldhühner, Enten und Wildtauben ſind durchaus nicht vor ihr geſichert; ſie fängt dieſelben ſogar im Flug, indem ſie hinter ihnen hereilt und wie ein Wanderfalk auf ſie herabſtößt. Eine höchſt merkwürdige Beobachtung machte Audubon: er lernte die Schneeeule als Fiſcherin kennen. „Eines Morgens‟, erzählt er, „lag ich in der Nähe der Ohiofälle auf dem Anſtande, um wilde Gänſe zu ſchießen, und dabei hatte ich Gelegenheit, zu ſehen, wie die Schneeeule Fiſche fängt. Sie lag lauernd der Länge nach platt auf dem Felſen, den niedergedrückten Kopf nach dem Waſſer gekehrt, ſo ruhig, daß man hätte glauben können, ſie ſchliefe. Jn dem Augenblicke aber, als ſich ein Fiſch unvorſichtig zur Ober- fläche des Waſſers erhoben, tauchte die Eule blitzſchnell ihren Fuß in die Wellen und zog regelmäßig den glücklich erfaßten Fiſch ans Land. Mit ihm entfernte ſie ſich ſodann einige Ellen weit, verzehrte ihn und kehrte nun nach der alten Warte zurück. Hatte ſie einen größeren Fiſch erlangt, ſo packte ſie ihn mit beiden Füßen und flog dann weiter mit ihm als ſonſt davon. Zuweilen vereinigten ſich ihrer zwei zum Verzehren der Mahlzeit, gewöhnlich wenn der von einer gefangene Fiſch groß war. Bald nach Sonnenaufgang flog die Eule in den Wald, am nächſten Morgen aber erſchien ſie wieder und wurde von mir auf einen Schuß erlegt.‟ Während des Winters ſoll die Schneeeule mehr am Abend jagen, als am Tage und zwar nicht blos in mondhellen, ſondern auch in dunkeln Nächten. Dabei fliegt ſie dann jedem Gegenſtand zu, welchen ſie in der Luft ſchweben ſieht. „Jch brachte‟, erzählt Holboell, „einmal eine ſolche Eule dahin, mir faſt eine Viertelmeile weit im Mondſchein zu folgen, indem ich meine Mütze wiederholt in die Luft warf.‟ Die Stimme ſoll ein rauhes „Krah‟ ſein, welches an den bekannten Ruf der Krähe erinnert; die Eule ſoll dabei auch dieſelbe Stellung annehmen wie eine ſchreiende Raben- oder Nebelkrähe. Bei dem Neſte ſchreit das Weibchen nach Nilſon’s Angaben wie „Rickrick, rickrick‟. Die Fortpflanzung fällt in den Hochſommer. Jm Juni findet man die Eier. Es iſt ſehr auffallend, daß ein ſo großer Raubvogel, wie die Schneeeule es iſt, ſo viele Eier legt. Man hat wiederholt ſieben Stück in einem Horſte gefunden, und die Lappen behaupten ſogar einſtimmig, daß

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/631>, abgerufen am 22.11.2024.