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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Eulen.
Versuche über die Festigkeit ihres Schlafes angestellt und war erstaunt, als ich erfuhr, wie leicht sie
selbst durch ein entferntes, geringes Geräusch ganz munter und zum Fortfliegen bereit wurden......
Jch habe auch die Eulen in ziemlich finstern Nächten gegen den Himmel fliegen sehen, in ganz finstern
bald da, bald dort schreien hören und bin Zeuge gewesen, daß ein Rauchfußkauz, an welchen sich
ein scharfsichtiger Freund von mir äußerst still und vorsichtig anschlich, um ihn von einer Tanne herab-
zuschießen, sogleich wegflog, als der Jäger über eine von Bäumen entblößte Stelle ging." Das Auge
der Eulen ist sehr empfindlich gegen das Tageslicht, und einzelne Arten von ihnen verschließen ihre
Augen bis zur Hälfte und noch weiter, wenn sie dem vollen Licht ausgesetzt werden; ganz unbe-
gründet aber ist die Behauptung, daß die Eulen am Tage nicht sehen könnten. "Sie sind", fährt
mein Vater fort, "nicht nur im Stande, bei hellem Tageslicht im Freien, sondern auch durch die
dichtesten Bäume zu fliegen, ohne anzustoßen. Jch habe Dies bei fast allen deutschen Arten bemerkt.
An hellem Mittag kamen die alten Ohreulen herbeigeflogen, wenn ich ihre Jungen ausnahm; an
hellem Mittag entflohen die Eulen nicht selten, wenn ich sie schießen wollte; an hellem Mittag raubte
ein Schleierkauz vom Schloßthurm zu Altenburg aus einen Sperling, der mit den Hühnern auf dem
Schloßhofe fraß, und trug ihn in seinen Schlupfwinkel."

Die sonderbar gestalteten Flügel und das weiche Gefieder lassen auf eine eigenthümliche Flug-
bewegung im Voraus schließen. Der leise Flug ist verhältnißmäßig langsam, ein Mittelding zwischen
Schweben, Gleiten und Flattern, bei den Tageulen aber ein abwechselnd bogiges Aufsteigen und
Niederfallen, nach Art des Spechtfluges, welches ungemein fördert, jedoch anscheinend bald ermüdet
und deshalb niemals lange fortgesetzt wird. Nur bei größeren Wanderungen erheben sich die Eulen
bis zu drei- oder vierhundert Fuß über den Boden, und dann bewegen sie sich gleichmäßig mit vielen
Flügelschlägen dahin. Auf der Erde sind die meisten sehr ungeschickt; die langbeinigen aber gehen so
gut, daß sie selbst ihre Jagd laufend betreiben können, freilich unter Zuhilfenahme der Flügel. Jm
Gezweig der Bäume sind alle Eulen gewandt: einzelne klettern in sonderbarer Weise hüpfend und
springend sehr rasch von einem Zweige zum andern. Ueberhaupt sind sie nichts weniger als plump,
sondern im Gegentheil behend und merkwürdig beweglich. Sie lieben es, die verschiedensten
Stellungen anzunehmen, sich abwechselnd niederzuducken und dann hoch aufzustrecken; sie drehen,
wenden und beugen den Kopf in wirklich wunderbarer, für den Beschauer zugleich höchst
ergötzlicher Weise.

Die Stimme ist gewöhnlich laut, selten aber angenehm. Ein wüthendes Klappen oder
Knappen mit dem Schnabel und ein heißeres Fauchen ist übrigens der gewöhnliche Ausdruck der
Seelenstimmung; die eigentliche Stimme vernimmt man nur des Nachts oder bei höchster Gefahr.
Einzelne Arten kreischen abscheulich, andere geben helle Töne zu hören, welche nur dem abergläubischen
Menschen unheimlich erscheinen. Masius freilich ist anderer Ansicht: "Grauen ergreift auch wohl
den Beherzten, der in später Stunde den Wald durchschreitet, wenn um sein Haupt plötzlich die
gespenstigen Schwingen schlagen, wenn das phosphoriscirende Gefunkel dieses Auges ihn umkreist und
nun durch die weit wiederhallende Stimme ihr Jagdruf schallt. Es gibt in der ganzen dämonischen
Jnstrumentation der Nacht wenig schauerlichere Töne, als dieses Geheul, meist tief aus der Brust
hervorgezogen und immer stärker anschwellend -- ein pfeifendes Uhu -- stimmt es sich doch auch zum
zischenden Schnauben oder zu jenem erstickenden, wie Hilfe rufenden Röcheln herab, das selbst Kundige
täuscht;" aber Masius, welcher über dem Gefallen an süßem Wortgeklingel die Wirklichkeit nur zu
häufig aus dem Auge verliert, hat so Manches gesagt, was er nicht verantworten kann, daß er gewiß
nicht im Stande ist, meine Ansicht zu beirren. Behauptet er ja doch auch, daß "aus dem großen, oft
spitzohrigen Kopfe das vorwärts stehende Auge in goldener Durchsichtigkeit starre, daß es den
Beschauer mit dem entschiedensten Ausdruck der Gewalt, oder auch der Geistigkeit fasse, daß man den
Vogel Minervas erkenne", während ich bei dem besten Willen trotz jahrelanger Beobachtung hiervon
noch Nichts habe wahrnehmen können. Die Eulen stehen an geistigen Fähigkeiten gewiß hinter den
meisten, wo nicht hinter allen Tagraubvögeln zurück. Es gibt einige Arten unter ihnen, und gerade

Die Fänger. Raubvögel. Eulen.
Verſuche über die Feſtigkeit ihres Schlafes angeſtellt und war erſtaunt, als ich erfuhr, wie leicht ſie
ſelbſt durch ein entferntes, geringes Geräuſch ganz munter und zum Fortfliegen bereit wurden......
Jch habe auch die Eulen in ziemlich finſtern Nächten gegen den Himmel fliegen ſehen, in ganz finſtern
bald da, bald dort ſchreien hören und bin Zeuge geweſen, daß ein Rauchfußkauz, an welchen ſich
ein ſcharfſichtiger Freund von mir äußerſt ſtill und vorſichtig anſchlich, um ihn von einer Tanne herab-
zuſchießen, ſogleich wegflog, als der Jäger über eine von Bäumen entblößte Stelle ging.‟ Das Auge
der Eulen iſt ſehr empfindlich gegen das Tageslicht, und einzelne Arten von ihnen verſchließen ihre
Augen bis zur Hälfte und noch weiter, wenn ſie dem vollen Licht ausgeſetzt werden; ganz unbe-
gründet aber iſt die Behauptung, daß die Eulen am Tage nicht ſehen könnten. „Sie ſind‟, fährt
mein Vater fort, „nicht nur im Stande, bei hellem Tageslicht im Freien, ſondern auch durch die
dichteſten Bäume zu fliegen, ohne anzuſtoßen. Jch habe Dies bei faſt allen deutſchen Arten bemerkt.
An hellem Mittag kamen die alten Ohreulen herbeigeflogen, wenn ich ihre Jungen ausnahm; an
hellem Mittag entflohen die Eulen nicht ſelten, wenn ich ſie ſchießen wollte; an hellem Mittag raubte
ein Schleierkauz vom Schloßthurm zu Altenburg aus einen Sperling, der mit den Hühnern auf dem
Schloßhofe fraß, und trug ihn in ſeinen Schlupfwinkel.‟

Die ſonderbar geſtalteten Flügel und das weiche Gefieder laſſen auf eine eigenthümliche Flug-
bewegung im Voraus ſchließen. Der leiſe Flug iſt verhältnißmäßig langſam, ein Mittelding zwiſchen
Schweben, Gleiten und Flattern, bei den Tageulen aber ein abwechſelnd bogiges Aufſteigen und
Niederfallen, nach Art des Spechtfluges, welches ungemein fördert, jedoch anſcheinend bald ermüdet
und deshalb niemals lange fortgeſetzt wird. Nur bei größeren Wanderungen erheben ſich die Eulen
bis zu drei- oder vierhundert Fuß über den Boden, und dann bewegen ſie ſich gleichmäßig mit vielen
Flügelſchlägen dahin. Auf der Erde ſind die meiſten ſehr ungeſchickt; die langbeinigen aber gehen ſo
gut, daß ſie ſelbſt ihre Jagd laufend betreiben können, freilich unter Zuhilfenahme der Flügel. Jm
Gezweig der Bäume ſind alle Eulen gewandt: einzelne klettern in ſonderbarer Weiſe hüpfend und
ſpringend ſehr raſch von einem Zweige zum andern. Ueberhaupt ſind ſie nichts weniger als plump,
ſondern im Gegentheil behend und merkwürdig beweglich. Sie lieben es, die verſchiedenſten
Stellungen anzunehmen, ſich abwechſelnd niederzuducken und dann hoch aufzuſtrecken; ſie drehen,
wenden und beugen den Kopf in wirklich wunderbarer, für den Beſchauer zugleich höchſt
ergötzlicher Weiſe.

Die Stimme iſt gewöhnlich laut, ſelten aber angenehm. Ein wüthendes Klappen oder
Knappen mit dem Schnabel und ein heißeres Fauchen iſt übrigens der gewöhnliche Ausdruck der
Seelenſtimmung; die eigentliche Stimme vernimmt man nur des Nachts oder bei höchſter Gefahr.
Einzelne Arten kreiſchen abſcheulich, andere geben helle Töne zu hören, welche nur dem abergläubiſchen
Menſchen unheimlich erſcheinen. Maſius freilich iſt anderer Anſicht: „Grauen ergreift auch wohl
den Beherzten, der in ſpäter Stunde den Wald durchſchreitet, wenn um ſein Haupt plötzlich die
geſpenſtigen Schwingen ſchlagen, wenn das phosphoriscirende Gefunkel dieſes Auges ihn umkreiſt und
nun durch die weit wiederhallende Stimme ihr Jagdruf ſchallt. Es gibt in der ganzen dämoniſchen
Jnſtrumentation der Nacht wenig ſchauerlichere Töne, als dieſes Geheul, meiſt tief aus der Bruſt
hervorgezogen und immer ſtärker anſchwellend — ein pfeifendes Uhu — ſtimmt es ſich doch auch zum
ziſchenden Schnauben oder zu jenem erſtickenden, wie Hilfe rufenden Röcheln herab, das ſelbſt Kundige
täuſcht;‟ aber Maſius, welcher über dem Gefallen an ſüßem Wortgeklingel die Wirklichkeit nur zu
häufig aus dem Auge verliert, hat ſo Manches geſagt, was er nicht verantworten kann, daß er gewiß
nicht im Stande iſt, meine Anſicht zu beirren. Behauptet er ja doch auch, daß „aus dem großen, oft
ſpitzohrigen Kopfe das vorwärts ſtehende Auge in goldener Durchſichtigkeit ſtarre, daß es den
Beſchauer mit dem entſchiedenſten Ausdruck der Gewalt, oder auch der Geiſtigkeit faſſe, daß man den
Vogel Minervas erkenne‟, während ich bei dem beſten Willen trotz jahrelanger Beobachtung hiervon
noch Nichts habe wahrnehmen können. Die Eulen ſtehen an geiſtigen Fähigkeiten gewiß hinter den
meiſten, wo nicht hinter allen Tagraubvögeln zurück. Es gibt einige Arten unter ihnen, und gerade

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[588/0622] Die Fänger. Raubvögel. Eulen. Verſuche über die Feſtigkeit ihres Schlafes angeſtellt und war erſtaunt, als ich erfuhr, wie leicht ſie ſelbſt durch ein entferntes, geringes Geräuſch ganz munter und zum Fortfliegen bereit wurden...... Jch habe auch die Eulen in ziemlich finſtern Nächten gegen den Himmel fliegen ſehen, in ganz finſtern bald da, bald dort ſchreien hören und bin Zeuge geweſen, daß ein Rauchfußkauz, an welchen ſich ein ſcharfſichtiger Freund von mir äußerſt ſtill und vorſichtig anſchlich, um ihn von einer Tanne herab- zuſchießen, ſogleich wegflog, als der Jäger über eine von Bäumen entblößte Stelle ging.‟ Das Auge der Eulen iſt ſehr empfindlich gegen das Tageslicht, und einzelne Arten von ihnen verſchließen ihre Augen bis zur Hälfte und noch weiter, wenn ſie dem vollen Licht ausgeſetzt werden; ganz unbe- gründet aber iſt die Behauptung, daß die Eulen am Tage nicht ſehen könnten. „Sie ſind‟, fährt mein Vater fort, „nicht nur im Stande, bei hellem Tageslicht im Freien, ſondern auch durch die dichteſten Bäume zu fliegen, ohne anzuſtoßen. Jch habe Dies bei faſt allen deutſchen Arten bemerkt. An hellem Mittag kamen die alten Ohreulen herbeigeflogen, wenn ich ihre Jungen ausnahm; an hellem Mittag entflohen die Eulen nicht ſelten, wenn ich ſie ſchießen wollte; an hellem Mittag raubte ein Schleierkauz vom Schloßthurm zu Altenburg aus einen Sperling, der mit den Hühnern auf dem Schloßhofe fraß, und trug ihn in ſeinen Schlupfwinkel.‟ Die ſonderbar geſtalteten Flügel und das weiche Gefieder laſſen auf eine eigenthümliche Flug- bewegung im Voraus ſchließen. Der leiſe Flug iſt verhältnißmäßig langſam, ein Mittelding zwiſchen Schweben, Gleiten und Flattern, bei den Tageulen aber ein abwechſelnd bogiges Aufſteigen und Niederfallen, nach Art des Spechtfluges, welches ungemein fördert, jedoch anſcheinend bald ermüdet und deshalb niemals lange fortgeſetzt wird. Nur bei größeren Wanderungen erheben ſich die Eulen bis zu drei- oder vierhundert Fuß über den Boden, und dann bewegen ſie ſich gleichmäßig mit vielen Flügelſchlägen dahin. Auf der Erde ſind die meiſten ſehr ungeſchickt; die langbeinigen aber gehen ſo gut, daß ſie ſelbſt ihre Jagd laufend betreiben können, freilich unter Zuhilfenahme der Flügel. Jm Gezweig der Bäume ſind alle Eulen gewandt: einzelne klettern in ſonderbarer Weiſe hüpfend und ſpringend ſehr raſch von einem Zweige zum andern. Ueberhaupt ſind ſie nichts weniger als plump, ſondern im Gegentheil behend und merkwürdig beweglich. Sie lieben es, die verſchiedenſten Stellungen anzunehmen, ſich abwechſelnd niederzuducken und dann hoch aufzuſtrecken; ſie drehen, wenden und beugen den Kopf in wirklich wunderbarer, für den Beſchauer zugleich höchſt ergötzlicher Weiſe. Die Stimme iſt gewöhnlich laut, ſelten aber angenehm. Ein wüthendes Klappen oder Knappen mit dem Schnabel und ein heißeres Fauchen iſt übrigens der gewöhnliche Ausdruck der Seelenſtimmung; die eigentliche Stimme vernimmt man nur des Nachts oder bei höchſter Gefahr. Einzelne Arten kreiſchen abſcheulich, andere geben helle Töne zu hören, welche nur dem abergläubiſchen Menſchen unheimlich erſcheinen. Maſius freilich iſt anderer Anſicht: „Grauen ergreift auch wohl den Beherzten, der in ſpäter Stunde den Wald durchſchreitet, wenn um ſein Haupt plötzlich die geſpenſtigen Schwingen ſchlagen, wenn das phosphoriscirende Gefunkel dieſes Auges ihn umkreiſt und nun durch die weit wiederhallende Stimme ihr Jagdruf ſchallt. Es gibt in der ganzen dämoniſchen Jnſtrumentation der Nacht wenig ſchauerlichere Töne, als dieſes Geheul, meiſt tief aus der Bruſt hervorgezogen und immer ſtärker anſchwellend — ein pfeifendes Uhu — ſtimmt es ſich doch auch zum ziſchenden Schnauben oder zu jenem erſtickenden, wie Hilfe rufenden Röcheln herab, das ſelbſt Kundige täuſcht;‟ aber Maſius, welcher über dem Gefallen an ſüßem Wortgeklingel die Wirklichkeit nur zu häufig aus dem Auge verliert, hat ſo Manches geſagt, was er nicht verantworten kann, daß er gewiß nicht im Stande iſt, meine Anſicht zu beirren. Behauptet er ja doch auch, daß „aus dem großen, oft ſpitzohrigen Kopfe das vorwärts ſtehende Auge in goldener Durchſichtigkeit ſtarre, daß es den Beſchauer mit dem entſchiedenſten Ausdruck der Gewalt, oder auch der Geiſtigkeit faſſe, daß man den Vogel Minervas erkenne‟, während ich bei dem beſten Willen trotz jahrelanger Beobachtung hiervon noch Nichts habe wahrnehmen können. Die Eulen ſtehen an geiſtigen Fähigkeiten gewiß hinter den meiſten, wo nicht hinter allen Tagraubvögeln zurück. Es gibt einige Arten unter ihnen, und gerade

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/622>, abgerufen am 22.07.2024.