Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fänger. Raubvögel. Geier.

Jn seiner Haltung ist der Mönchsgeier ein sehr schmucker Vogel und ein echter Geier. Selbst
wenn er fliegt, hält es manchmal schwer, ihn von den übrigen großen Verwandten zu unterscheiden,
während sein Vetter, der Schmuzgeier, sich schon von weitem durch seine spitzen Flügel und den keilför-
migen Schwanz auszeichnet. Die lebhaft gefärbte Kopf- und Kehlhaut verleiht jenen noch einen
besonderen Schmuck; denn während des Lebens zeigen die nackten Theile alle die Farbenschat-
tirungen, welche wir an der Kullerhaut des Truthahns beobachten können.

Die Dreistigkeit des Vogels macht es dem Forscher leicht, jede seiner Bewegungen und sein
ganzes Wesen zu studiren; man braucht ihm nur etwas Nahrung vorzuwerfen und sich ruhig hinzu-
setzen, dann kommt er so weit, als man nur wünschen kann, zu dem Beobachter heran.

Abweichend von seinen großen Verwandten ist der Mönchsgeier schon sehr früh am Tage thätig.
Er verläßt seinen Schlafplatz mit der Sonne und fliegt ihm erst mit einbrechender Nacht wieder zu.
Für die Nachtruhe wählt er sich immer solche Bäume, welche möglichst weit von allem menschlichen
Treiben entfernt stehen. Bei Massaua schläft er entweder auf einzelstehenden Mimosen in einsamen
Thälern der Samchara oder auf dem dichten Schoragebüsch der Jnseln. Ueber solchen Schlasplätzen
führt er erst einen kurzen Flugreigen auf, dann schießt er mit zusammengelegten Flügeln nach unten
und setzt sich in Gesellschaft von anderen auf den gewohnten Baum.

Auch er liebt die Gesellschaft von Seinesgleichen mehr, als die andern Geier; so streng aber,
wie Heuglin angibt, meidet er die Genossenschaft mit dem ihm in vieler Hinsicht verwandten
Schmuzgeier doch nicht; man sieht ihn auch nach der Mahlzeit oft mit diesem verkehren.

Jn den ersten Monaten unseres Jahres verläßt er die Ortschaften und wendet sich geeigneten
Wäldern zu, um hier zu horsten. Jn einem hochstämmigen Mimoseuwald am blauen Flusse fand ich
im Januar eine förmliche Ansiedlung dieser Vögel. Die Horste standen alle auf den hohen Mimosen,
theils in Gabel-, theils auf stärkeren Aesten am Stamme. Sie sind verhältnißmäßig klein, kaum
einen Fuß im Durchmesser, flach, fest zusammengefügt und bestehen aus dickeren und dünneren
Reisern, welche zur Auskleidung der Nestmulde sorgfältiger gewählt werden. Letztere ist so klein, daß
höchstens ein Junges Platz hat. Jch habe wohl zwanzig Horste erstiegen und ersteigen lassen und in
allen nur ein einziges Ei gefunden. Dasselbe ist rundlich, grobkörnig und grauweiß von Farbe, am
dicken Ende stark lehmroth besprengt; doch gibt es viele Abweichungen. Beide Geschlechter brüten,
die Männchen, wie es scheint, in den Mittagstunden, zu welcher Zeit wir mehrere von ihnen beim
Abstreichen vom Horste erlegten. Beim Zerstören des einen Horstes fand ich zwischen den unteren
Reisern unzählbare Scharen von Scharben und Wanzen und ganz zu unterst zwischen den stärkeren
Reisern eine Schlafmaus, welche hier Herberge genommen hatte. An der abissinischen Küste wurden
von uns und Heuglin viele Horste auf niedrigen Schoragebüschen beobachtet: eine Jnsel unweit
Massauas war geradezu mit ihnen bedeckt. Jn jedem Horste fanden wir im April halb erwachsene
Junge. Die Brutzeit scheint also lange zu währen und die Jungen können also nur langsam wachsen.
Heuglin theilt uns mit, daß die Jungen den Horst verlassen, ehe sie eigentlich fliegen können und sich
dann einige Zeit lang am Meeresstrande herumtreiben, von ausgeworfenen Krabben, Fischen und
Ratten u. s. w. sich nährend.

Der Mönchsgeier wird ebenso wenig verfolgt, als seine übrigen Verwandten. Seine Jagd
verursacht keine Schwierigkeiten; denn da, wo er vorkommt, vertraut er dem Menschen. Auch der
Fang ist einfach genug. Jch habe einen dieser Vögel längere Zeit lebend besessen und mich wirklich
mit ihm befreundet. Abgesehen von seiner natürlichen Hinneigung zu unreinlichen Dingen, war er
ein schmucker und netter Gesell, welcher mich bald kennen lernte und bei meinem Erscheinen stets eine
große Freude an den Tag legte. Er entflog mir zu meinem Leidwesen in Egypten. Andere
Gefangene habe ich nirgends gesehen.



Die Fänger. Raubvögel. Geier.

Jn ſeiner Haltung iſt der Mönchsgeier ein ſehr ſchmucker Vogel und ein echter Geier. Selbſt
wenn er fliegt, hält es manchmal ſchwer, ihn von den übrigen großen Verwandten zu unterſcheiden,
während ſein Vetter, der Schmuzgeier, ſich ſchon von weitem durch ſeine ſpitzen Flügel und den keilför-
migen Schwanz auszeichnet. Die lebhaft gefärbte Kopf- und Kehlhaut verleiht jenen noch einen
beſonderen Schmuck; denn während des Lebens zeigen die nackten Theile alle die Farbenſchat-
tirungen, welche wir an der Kullerhaut des Truthahns beobachten können.

Die Dreiſtigkeit des Vogels macht es dem Forſcher leicht, jede ſeiner Bewegungen und ſein
ganzes Weſen zu ſtudiren; man braucht ihm nur etwas Nahrung vorzuwerfen und ſich ruhig hinzu-
ſetzen, dann kommt er ſo weit, als man nur wünſchen kann, zu dem Beobachter heran.

Abweichend von ſeinen großen Verwandten iſt der Mönchsgeier ſchon ſehr früh am Tage thätig.
Er verläßt ſeinen Schlafplatz mit der Sonne und fliegt ihm erſt mit einbrechender Nacht wieder zu.
Für die Nachtruhe wählt er ſich immer ſolche Bäume, welche möglichſt weit von allem menſchlichen
Treiben entfernt ſtehen. Bei Maſſaua ſchläft er entweder auf einzelſtehenden Mimoſen in einſamen
Thälern der Samchara oder auf dem dichten Schoragebüſch der Jnſeln. Ueber ſolchen Schlaſplätzen
führt er erſt einen kurzen Flugreigen auf, dann ſchießt er mit zuſammengelegten Flügeln nach unten
und ſetzt ſich in Geſellſchaft von anderen auf den gewohnten Baum.

Auch er liebt die Geſellſchaft von Seinesgleichen mehr, als die andern Geier; ſo ſtreng aber,
wie Heuglin angibt, meidet er die Genoſſenſchaft mit dem ihm in vieler Hinſicht verwandten
Schmuzgeier doch nicht; man ſieht ihn auch nach der Mahlzeit oft mit dieſem verkehren.

Jn den erſten Monaten unſeres Jahres verläßt er die Ortſchaften und wendet ſich geeigneten
Wäldern zu, um hier zu horſten. Jn einem hochſtämmigen Mimoſeuwald am blauen Fluſſe fand ich
im Januar eine förmliche Anſiedlung dieſer Vögel. Die Horſte ſtanden alle auf den hohen Mimoſen,
theils in Gabel-, theils auf ſtärkeren Aeſten am Stamme. Sie ſind verhältnißmäßig klein, kaum
einen Fuß im Durchmeſſer, flach, feſt zuſammengefügt und beſtehen aus dickeren und dünneren
Reiſern, welche zur Auskleidung der Neſtmulde ſorgfältiger gewählt werden. Letztere iſt ſo klein, daß
höchſtens ein Junges Platz hat. Jch habe wohl zwanzig Horſte erſtiegen und erſteigen laſſen und in
allen nur ein einziges Ei gefunden. Daſſelbe iſt rundlich, grobkörnig und grauweiß von Farbe, am
dicken Ende ſtark lehmroth beſprengt; doch gibt es viele Abweichungen. Beide Geſchlechter brüten,
die Männchen, wie es ſcheint, in den Mittagſtunden, zu welcher Zeit wir mehrere von ihnen beim
Abſtreichen vom Horſte erlegten. Beim Zerſtören des einen Horſtes fand ich zwiſchen den unteren
Reiſern unzählbare Scharen von Scharben und Wanzen und ganz zu unterſt zwiſchen den ſtärkeren
Reiſern eine Schlafmaus, welche hier Herberge genommen hatte. An der abiſſiniſchen Küſte wurden
von uns und Heuglin viele Horſte auf niedrigen Schoragebüſchen beobachtet: eine Jnſel unweit
Maſſauas war geradezu mit ihnen bedeckt. Jn jedem Horſte fanden wir im April halb erwachſene
Junge. Die Brutzeit ſcheint alſo lange zu währen und die Jungen können alſo nur langſam wachſen.
Heuglin theilt uns mit, daß die Jungen den Horſt verlaſſen, ehe ſie eigentlich fliegen können und ſich
dann einige Zeit lang am Meeresſtrande herumtreiben, von ausgeworfenen Krabben, Fiſchen und
Ratten u. ſ. w. ſich nährend.

Der Mönchsgeier wird ebenſo wenig verfolgt, als ſeine übrigen Verwandten. Seine Jagd
verurſacht keine Schwierigkeiten; denn da, wo er vorkommt, vertraut er dem Menſchen. Auch der
Fang iſt einfach genug. Jch habe einen dieſer Vögel längere Zeit lebend beſeſſen und mich wirklich
mit ihm befreundet. Abgeſehen von ſeiner natürlichen Hinneigung zu unreinlichen Dingen, war er
ein ſchmucker und netter Geſell, welcher mich bald kennen lernte und bei meinem Erſcheinen ſtets eine
große Freude an den Tag legte. Er entflog mir zu meinem Leidweſen in Egypten. Andere
Gefangene habe ich nirgends geſehen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0614" n="580"/>
          <fw place="top" type="header">Die Fänger. Raubvögel. Geier.</fw><lb/>
          <p>Jn &#x017F;einer Haltung i&#x017F;t der Mönchsgeier ein &#x017F;ehr &#x017F;chmucker Vogel und ein echter Geier. Selb&#x017F;t<lb/>
wenn er fliegt, hält es manchmal &#x017F;chwer, ihn von den übrigen großen Verwandten zu unter&#x017F;cheiden,<lb/>
während &#x017F;ein Vetter, der Schmuzgeier, &#x017F;ich &#x017F;chon von weitem durch &#x017F;eine &#x017F;pitzen Flügel und den keilför-<lb/>
migen Schwanz auszeichnet. Die lebhaft gefärbte Kopf- und Kehlhaut verleiht jenen noch einen<lb/>
be&#x017F;onderen Schmuck; denn während des Lebens zeigen die nackten Theile alle die Farben&#x017F;chat-<lb/>
tirungen, welche wir an der Kullerhaut des Truthahns beobachten können.</p><lb/>
          <p>Die Drei&#x017F;tigkeit des Vogels macht es dem For&#x017F;cher leicht, jede &#x017F;einer Bewegungen und &#x017F;ein<lb/>
ganzes We&#x017F;en zu &#x017F;tudiren; man braucht ihm nur etwas Nahrung vorzuwerfen und &#x017F;ich ruhig hinzu-<lb/>
&#x017F;etzen, dann kommt er &#x017F;o weit, als man nur wün&#x017F;chen kann, zu dem Beobachter heran.</p><lb/>
          <p>Abweichend von &#x017F;einen großen Verwandten i&#x017F;t der Mönchsgeier &#x017F;chon &#x017F;ehr früh am Tage thätig.<lb/>
Er verläßt &#x017F;einen Schlafplatz mit der Sonne und fliegt ihm er&#x017F;t mit einbrechender Nacht wieder zu.<lb/>
Für die Nachtruhe wählt er &#x017F;ich immer &#x017F;olche Bäume, welche möglich&#x017F;t weit von allem men&#x017F;chlichen<lb/>
Treiben entfernt &#x017F;tehen. Bei Ma&#x017F;&#x017F;aua &#x017F;chläft er entweder auf einzel&#x017F;tehenden Mimo&#x017F;en in ein&#x017F;amen<lb/>
Thälern der Samchara oder auf dem dichten Schoragebü&#x017F;ch der Jn&#x017F;eln. Ueber &#x017F;olchen Schla&#x017F;plätzen<lb/>
führt er er&#x017F;t einen kurzen Flugreigen auf, dann &#x017F;chießt er mit zu&#x017F;ammengelegten Flügeln nach unten<lb/>
und &#x017F;etzt &#x017F;ich in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von anderen auf den gewohnten Baum.</p><lb/>
          <p>Auch er liebt die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Seinesgleichen mehr, als die andern Geier; &#x017F;o &#x017F;treng aber,<lb/>
wie <hi rendition="#g">Heuglin</hi> angibt, meidet er die Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft mit dem ihm in vieler Hin&#x017F;icht verwandten<lb/>
Schmuzgeier doch nicht; man &#x017F;ieht ihn auch nach der Mahlzeit oft mit die&#x017F;em verkehren.</p><lb/>
          <p>Jn den er&#x017F;ten Monaten un&#x017F;eres Jahres verläßt er die Ort&#x017F;chaften und wendet &#x017F;ich geeigneten<lb/>
Wäldern zu, um hier zu hor&#x017F;ten. Jn einem hoch&#x017F;tämmigen Mimo&#x017F;euwald am blauen Flu&#x017F;&#x017F;e fand ich<lb/>
im Januar eine förmliche An&#x017F;iedlung die&#x017F;er Vögel. Die Hor&#x017F;te &#x017F;tanden alle auf den hohen Mimo&#x017F;en,<lb/>
theils in Gabel-, theils auf &#x017F;tärkeren Ae&#x017F;ten am Stamme. Sie &#x017F;ind verhältnißmäßig klein, kaum<lb/>
einen Fuß im Durchme&#x017F;&#x017F;er, flach, fe&#x017F;t zu&#x017F;ammengefügt und be&#x017F;tehen aus dickeren und dünneren<lb/>
Rei&#x017F;ern, welche zur Auskleidung der Ne&#x017F;tmulde &#x017F;orgfältiger gewählt werden. Letztere i&#x017F;t &#x017F;o klein, daß<lb/>
höch&#x017F;tens ein Junges Platz hat. Jch habe wohl zwanzig Hor&#x017F;te er&#x017F;tiegen und er&#x017F;teigen la&#x017F;&#x017F;en und in<lb/>
allen nur ein einziges Ei gefunden. Da&#x017F;&#x017F;elbe i&#x017F;t rundlich, grobkörnig und grauweiß von Farbe, am<lb/>
dicken Ende &#x017F;tark lehmroth be&#x017F;prengt; doch gibt es viele Abweichungen. Beide Ge&#x017F;chlechter brüten,<lb/>
die Männchen, wie es &#x017F;cheint, in den Mittag&#x017F;tunden, zu welcher Zeit wir mehrere von ihnen beim<lb/>
Ab&#x017F;treichen vom Hor&#x017F;te erlegten. Beim Zer&#x017F;tören des einen Hor&#x017F;tes fand ich zwi&#x017F;chen den unteren<lb/>
Rei&#x017F;ern unzählbare Scharen von Scharben und Wanzen und ganz zu unter&#x017F;t zwi&#x017F;chen den &#x017F;tärkeren<lb/>
Rei&#x017F;ern eine Schlafmaus, welche hier Herberge genommen hatte. An der abi&#x017F;&#x017F;ini&#x017F;chen Kü&#x017F;te wurden<lb/>
von uns und <hi rendition="#g">Heuglin</hi> viele Hor&#x017F;te auf niedrigen Schoragebü&#x017F;chen beobachtet: eine Jn&#x017F;el unweit<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;auas war geradezu mit ihnen bedeckt. Jn jedem Hor&#x017F;te fanden wir im April halb erwach&#x017F;ene<lb/>
Junge. Die Brutzeit &#x017F;cheint al&#x017F;o lange zu währen und die Jungen können al&#x017F;o nur lang&#x017F;am wach&#x017F;en.<lb/><hi rendition="#g">Heuglin</hi> theilt uns mit, daß die Jungen den Hor&#x017F;t verla&#x017F;&#x017F;en, ehe &#x017F;ie eigentlich fliegen können und &#x017F;ich<lb/>
dann einige Zeit lang am Meeres&#x017F;trande herumtreiben, von ausgeworfenen Krabben, Fi&#x017F;chen und<lb/>
Ratten u. &#x017F;. w. &#x017F;ich nährend.</p><lb/>
          <p>Der Mönchsgeier wird eben&#x017F;o wenig verfolgt, als &#x017F;eine übrigen Verwandten. Seine Jagd<lb/>
verur&#x017F;acht keine Schwierigkeiten; denn da, wo er vorkommt, vertraut er dem Men&#x017F;chen. Auch der<lb/>
Fang i&#x017F;t einfach genug. Jch habe einen die&#x017F;er Vögel längere Zeit lebend be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und mich wirklich<lb/>
mit ihm befreundet. Abge&#x017F;ehen von &#x017F;einer natürlichen Hinneigung zu unreinlichen Dingen, war er<lb/>
ein &#x017F;chmucker und netter Ge&#x017F;ell, welcher mich bald kennen lernte und bei meinem Er&#x017F;cheinen &#x017F;tets eine<lb/>
große Freude an den Tag legte. Er entflog mir zu meinem Leidwe&#x017F;en in Egypten. Andere<lb/>
Gefangene habe ich nirgends ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[580/0614] Die Fänger. Raubvögel. Geier. Jn ſeiner Haltung iſt der Mönchsgeier ein ſehr ſchmucker Vogel und ein echter Geier. Selbſt wenn er fliegt, hält es manchmal ſchwer, ihn von den übrigen großen Verwandten zu unterſcheiden, während ſein Vetter, der Schmuzgeier, ſich ſchon von weitem durch ſeine ſpitzen Flügel und den keilför- migen Schwanz auszeichnet. Die lebhaft gefärbte Kopf- und Kehlhaut verleiht jenen noch einen beſonderen Schmuck; denn während des Lebens zeigen die nackten Theile alle die Farbenſchat- tirungen, welche wir an der Kullerhaut des Truthahns beobachten können. Die Dreiſtigkeit des Vogels macht es dem Forſcher leicht, jede ſeiner Bewegungen und ſein ganzes Weſen zu ſtudiren; man braucht ihm nur etwas Nahrung vorzuwerfen und ſich ruhig hinzu- ſetzen, dann kommt er ſo weit, als man nur wünſchen kann, zu dem Beobachter heran. Abweichend von ſeinen großen Verwandten iſt der Mönchsgeier ſchon ſehr früh am Tage thätig. Er verläßt ſeinen Schlafplatz mit der Sonne und fliegt ihm erſt mit einbrechender Nacht wieder zu. Für die Nachtruhe wählt er ſich immer ſolche Bäume, welche möglichſt weit von allem menſchlichen Treiben entfernt ſtehen. Bei Maſſaua ſchläft er entweder auf einzelſtehenden Mimoſen in einſamen Thälern der Samchara oder auf dem dichten Schoragebüſch der Jnſeln. Ueber ſolchen Schlaſplätzen führt er erſt einen kurzen Flugreigen auf, dann ſchießt er mit zuſammengelegten Flügeln nach unten und ſetzt ſich in Geſellſchaft von anderen auf den gewohnten Baum. Auch er liebt die Geſellſchaft von Seinesgleichen mehr, als die andern Geier; ſo ſtreng aber, wie Heuglin angibt, meidet er die Genoſſenſchaft mit dem ihm in vieler Hinſicht verwandten Schmuzgeier doch nicht; man ſieht ihn auch nach der Mahlzeit oft mit dieſem verkehren. Jn den erſten Monaten unſeres Jahres verläßt er die Ortſchaften und wendet ſich geeigneten Wäldern zu, um hier zu horſten. Jn einem hochſtämmigen Mimoſeuwald am blauen Fluſſe fand ich im Januar eine förmliche Anſiedlung dieſer Vögel. Die Horſte ſtanden alle auf den hohen Mimoſen, theils in Gabel-, theils auf ſtärkeren Aeſten am Stamme. Sie ſind verhältnißmäßig klein, kaum einen Fuß im Durchmeſſer, flach, feſt zuſammengefügt und beſtehen aus dickeren und dünneren Reiſern, welche zur Auskleidung der Neſtmulde ſorgfältiger gewählt werden. Letztere iſt ſo klein, daß höchſtens ein Junges Platz hat. Jch habe wohl zwanzig Horſte erſtiegen und erſteigen laſſen und in allen nur ein einziges Ei gefunden. Daſſelbe iſt rundlich, grobkörnig und grauweiß von Farbe, am dicken Ende ſtark lehmroth beſprengt; doch gibt es viele Abweichungen. Beide Geſchlechter brüten, die Männchen, wie es ſcheint, in den Mittagſtunden, zu welcher Zeit wir mehrere von ihnen beim Abſtreichen vom Horſte erlegten. Beim Zerſtören des einen Horſtes fand ich zwiſchen den unteren Reiſern unzählbare Scharen von Scharben und Wanzen und ganz zu unterſt zwiſchen den ſtärkeren Reiſern eine Schlafmaus, welche hier Herberge genommen hatte. An der abiſſiniſchen Küſte wurden von uns und Heuglin viele Horſte auf niedrigen Schoragebüſchen beobachtet: eine Jnſel unweit Maſſauas war geradezu mit ihnen bedeckt. Jn jedem Horſte fanden wir im April halb erwachſene Junge. Die Brutzeit ſcheint alſo lange zu währen und die Jungen können alſo nur langſam wachſen. Heuglin theilt uns mit, daß die Jungen den Horſt verlaſſen, ehe ſie eigentlich fliegen können und ſich dann einige Zeit lang am Meeresſtrande herumtreiben, von ausgeworfenen Krabben, Fiſchen und Ratten u. ſ. w. ſich nährend. Der Mönchsgeier wird ebenſo wenig verfolgt, als ſeine übrigen Verwandten. Seine Jagd verurſacht keine Schwierigkeiten; denn da, wo er vorkommt, vertraut er dem Menſchen. Auch der Fang iſt einfach genug. Jch habe einen dieſer Vögel längere Zeit lebend beſeſſen und mich wirklich mit ihm befreundet. Abgeſehen von ſeiner natürlichen Hinneigung zu unreinlichen Dingen, war er ein ſchmucker und netter Geſell, welcher mich bald kennen lernte und bei meinem Erſcheinen ſtets eine große Freude an den Tag legte. Er entflog mir zu meinem Leidweſen in Egypten. Andere Gefangene habe ich nirgends geſehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/614
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/614>, abgerufen am 26.06.2024.